Konzert: Elvis Costello
Ort: Theaterhaus am Pragsattel, Stuttgart
Datum: 14.10.2014
Dauer: etwa 150 Minuten
Zuschauer: vielleicht 1000
Alle Fotos: © Katja Charlotte Rohr |
Möchte man den Einfluss und Stellenwert, den Elvis Costello innehat, realistisch einschätzen, lohnt sich ein Blick nach Übersee. Denn in Kanada und den Vereinigten Staaten ist der 60-jährige Brite ein echter Star, der in großen Hallen auftritt, mit anderen Größen auf der Bühne steht und der seine prominenten Freunde in die eigene Late-Night-Show „Spectacle: Elvis Costello with...“ eingeladen hat: Neben Bruce Springsteen, U2, Lou Reed oder den kurzzeitig wiedervereinten The Police war auch Ex-Präsident Bill Clinton zu Gast. In Deutschland ist Costello obschon ein Kritikerliebling mit einer Schar ergebener Fans gewiss kein Name des Mainstreams. Folglich kann es da wenig überraschen, dass Auftritte hierzulande Seltenheitswert genießen. Umso erstaunlicher erschien die Ankündigung von gleich sieben Solokonzerten im Herbst, deren letztes den Singer-Songwriter zum ersten Mal überhaupt nach Stuttgart führen sollte. Ort des Geschehens ist dann zwangsläufig nicht Liederhalle, Porsche-Arena oder gar die seelenlose Schleyer-Halle, sondern das geschmackvolle Theaterhaus.
Kurz vor Konzertbeginn ist der große, bestuhlte Saal T1 dann auch zu einem Großteil gefüllt, sodass um die 1000 Zuschauer Zeuge eines zweieinhalbstündigen Marathon-Konzerts werden. Zeit Luft zu holen nimmt sich Costello nach der begeisternden Eröffnung mit „The Delivery Man“, dem Titelsong seines überaus soliden 2004er Albums, selten. Gleich geht es weiter mit einem Klassiker: Dem vortrefflichen „(The Angels Wanna Wear My) Red Shoes“ vom zeitlosen Debüt mit den Attractions 1977. Costello schlägt die Akkorde seiner akustischen Gitarre hart an. Der Blick der Zuschauer fällt auf seine roten(!) Cowboystiefel, die in Kombination mit weißem Hut, Jackett, Weste, gemustertem Hemd und - natürlich - der bekannten Hornbrille dem stilvollen Storyteller mit hohem lyrischem Anspruch gerecht werden. Damals zwar gerne dem Punk zugerechnet, waren die intellektuellen Ansätze ähnlich wie bei David Byrne dem Genre längst entwachsen. Stattdessen schrieb er ebenso wie der New Yorker zeitlose Songs, wobei Costello immer die schöneren Lieder gelangen, während die Alben der Talking Heads besser waren.
Dass es ihm in Stuttgart trotz phasenweiser Brillanz wiederum nicht gelingt, eine durchweg unterhaltsame Werkschau aufzuführen, enttäuscht ein wenig. Unsterbliche Popsongs wie „Veronica“ sorgen für tolle Momente, doch fehlt dem Meister der Schutz der Band. So kann er manchmal dem eigenen Werk nicht gerecht werden, was bitter erscheint und umso deutlicher wird, je kräftiger Costello mit gedrückter Stimme singt. Immer wieder versöhnen jedoch seine unheimliche Präsenz, sein immenses Charisma mit diesen Längen und mediokren Momenten. „America Without Tears“ gelingt besonders und das wunderschöne „Everyday I Write The Book“ spielt er heute in einer fantastischen Version, die die ursprüngliche Studioaufnahme locker in den Schatten stellt.
Es sind die ruhigen Augenblicke, die glänzen; weil der Wahl-Kanadier dann die Stimme nicht so drückt, weil er den Fokus auf den Inhalt lenkt und er als Texter ein Gigant ist: Es gibt quasi keinen Song aus seiner Feder, der es nicht rechtfertigt zitiert zu werden. Die Eröffnung von „Either Side of the Same Town“ zum Beispiel mit den subtilen Trennungsversen „Nothing will ever be the same / All of the promises we made, they seem hollow / But there are still streets in this town / Marked with your shadow“ ist gleichermaßen rührend wie unprätentiös. Zurückhaltend ist auch das Bühnenbild; da gibt es eine „On Air“-Lampe, in Anspielung an seine eingestellte Fernsehsendung, und ein leuchtendes „Detour“, das durchaus symbolisch für lange Touren gelesen werden kann, aber auch als Motto für einen Abend ohne vorherbestimmtes Set. Costello springt von Song zu Song, hangelt sich durch seinen langen Katalog und wechselt zwischen seinen zahlreichen Gitarren.
„Watching the Detectives“, einst gefeierte Ska-Nummer des The-Specials-Produzenten, wird heute mit jeder Menge Feedbacks und Loops als peitschendes Stück Dub-Punk interpretiert. Regelrecht ungestüm kommt das bezaubernde „Shabby Doll“ daher, eine Art Solo wird angedeutet, dann geht der Song in „Here I Am (Come and Take Me)“ über, um wieder mit den bekannten Versen zu enden. Das macht dann richtig Spaß, ebenso wie das für „Lost on the River: The New Basement Tapes“ aufgenommene „Married to the Hack“. Die von T-Bone Burnett produzierte, im November erscheinende Kompilation, vereint neuvertonte Bob-Dylan-Manuskripte. Es lässt einen kurz andächtig innehalten, bedenkt man das einer der begnadetsten Poeten des Pop einen Text des größten Songwriters überhaupt veredelt. Aber Costello hat bekanntlich immer ein Händchen für fantastische Kollaborationen gehabt – von Chet Baker über die Rettung Paul McCartneys Alben in dessen schwächster Phase bis hin zu Aufnahmen mit Burt Bacharach – und so kann nach dem wunderbaren „She“, bekannt aus dem „Notting Hill“-Soundtrack, eine weitere Frucht künstlerischer Zusammenarbeit besonders punkten: „April 5th“, geschrieben mit Kris Kristofferson, Rosanne Cash und John Leventhal, beschließt das reguläre Set mit countryesken Klängen, die klar zeigen, wie stark sich der musikalische Fokus des Elvis Costello seit den 80ern verschoben hat.
Als Costello sich für die erste Zugabe am Klavier niederlässt, das erschütternde „Shipbuilding“ spielt, schließt sich der Kreis. Der für den Soft-Machine-Kopf Robert Wyatt geschriebene Anti-Kriegssong knüpft an Costellos englische Anfänge an. Der weitere „New Basement Tapes“-Beitrag „Matthew Met Mary“ führt den mit der Jazz-Sängerin Diana Krall verheirateten Sänger musikalisch zurück in nordamerikanische Gefilde. Es ist die Live-Premiere eines weiteren vertonten Dylan-Texts.
Trotz interessanter Ansätze kann das alles aber nicht über deutliche Längen und mediokre Phasen hinwegtäuschen. Am Ende sind es dann „In the Meantimes“ und natürlich das unsterbliche „Alison“ zum Schluss des zweiten von drei Zugabenblocks, die versöhnlich stimmen. Als Costello schließlich für sein ikonisches „(What's So Funny 'Bout) Peace, Love and Understanding“-Cover erstmals an diesem Abend zur E-Gitarre greift, das Publikum nach Vorne bittet und als Protestsänger aufersteht, wird das Konzert sogar noch einmal richtig gut und zeigt dabei, dass die Punkwurzeln zum Glück nicht gänzlich gekappt wurden.
Setlist Elvis Costello, Stuttgart:
01: The Delivery Man
02: (The Angels Wanna Wear My) Red Shoes
03: Either Side Of The Same Town
04: I Hope You're Happy Now
05: Veronica
06: American Without Tears
07: Ascension Day
08: Married To My Hack
09: Country Darkness
10: My New Haunt
11: Everyday I Write The Book
12: Walkin' My Baby Back Home
13: Ghost Train
14: Shabby Doll (inkl. Here I Am (Come And Take Me))
15: She
16: Watching The Detectives
17: April 5th
18: Shipbuilding (Z)
19: Shot With His Own Gun (Z)
20: Matthew Met Mary (Z)
21: Come The Meantimes (Z)
22: Lost On The River No. 12 (Z)
23: Oliver's Army (Z)
24: Alison (Z)
25: Jimmie Standing In The Rain (Z)
26: (What's So Funny 'Bout) Peace, Love And Understanding? (Z)
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