Dienstag, 14. August 2012

Haldern Pop Festival erster Tag, Rees-Haldern, 09.08.12


Konzert: Haldern Pop Festival erster Tag, mit Loney, Dear, The War on Drugs, Emanuel & The Fear und vielen anderen
Ort: Kirche, Haldern Pop Bar, Spiegel Tent, Biergarten, Haldern am Niederrhein
Datum: 09.08.2012
Zuschauer: etliche


Auaaaaaahhhhhhhh!! Mein Wadenmuskel ist gerissen! Und dies einen Tag vor meinem geliebten Haldern Pop Festival am Niederrhein. Verflixt und zugenäht!

Die Tragödie ereignete sich am Mittwoch vor dem heißersehnten Großereignis beim Federballspiel in unserem Garten ("Sport ist Mord", Curchill hatte recht!) Zum Glück erwies sich meine Selbstdiagnose als zu pessimistisch und es war lediglich eine wahnsinnig schmerzhafte Wadenzerrung zu beklagen. Die Reise an den Niederrhein konnte ich also antreten, obwohl ich das Autofahren lieber meiner Frau überließ. Wäre aber auch zu bitter gewesen, wenn ich das Haldern Pop dieses Jahr verpasst hätte. Seit nunmehr sieben Jahren komme ich nun Jahr für Jahr nach Rees-Haldern und habe stets ausgezeichnete Festivals in angenehmer und äußerst entspannter Atmosphäre genossen. Da wollte ich doch nicht ausgerechnet die Edition 2012 ausfallen lassen, bei der mit Wilco eine meiner Leiblingsbands als Headliner verflichtet worden war.

Schließlich stand ich am Donnerstag, den 9. August aber auf der Matte bzw. in der Kirche, um mit dem beliebten (und etwas beleibten) Schweden Loney Dear mein persönliches erstes Konzert auf diesem fabelhaften Festival mitzuerleben. Staus und zäher Verkehr auf der Autobahn hatten verhindert, daß wir schon früher ankamen, um noch den feingliedrigen amerikanischen Pianisten Chris Garneau, der vorher aufgetreten war, im prachtvollen Gotteshaus zu Haldern in Aktion zu sehen. Aber so ist das irgendwie jedes Jahr, ständig macht mir der viele Verkehr auf der A 3 einen Strich durch meine Rechnung, quasi jede einzelne Band mitzuverfolgen. Wobei dieser Ehrgeiz ohnehin überzogen ist, denn kein ungedopter Mensch kann alle Gruppen sehen. Neben vereinzelten Parallelansetzungen ist vor allem die eigene Müdigkeit und der umständliche Zugang ins herrliche Spiegeltent dafür verantwortlich. Also alles sehen geht definitiv nicht, da kann man sich anstrengen wie man will und selbst ein Roboter würde an dieser Aufgabe verzweifeln. Es gilt Schwerpunkte zu setzen, die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen. Wobei schlecht relativ ist, da die ausgezeichneten Programmveranstalter in Haldern jedes Jahr nur ganz wenige Nieten ans Land ziehen. Und Niete ist natürlich relativ und subjektiv zu verstehen, schließlich hat jeder Künstler so seine Meriten.

Das Konzert des farbigen Amerikaners Willis Earl Beal war allerdings definitiv nichts für mich. Mit dunkler Sonnenbrille und wahnsinnig verrauchter und brüchiger Stimme im Stile von Tom Waits rockte der Heißsporn ab 19 Uhr 30 das Spiegeltent, spielte sich damit aber nicht in mein Herz, sondern ließ mich ein wenig ratlos zurück. War ich nicht aufgeschlossen genug für seinen experimentellen und ungewöhnlichen Lofisound, der in New Mexico enstanden sein soll? Und vor allem: hatte ich die richtige Wahl getroffen, nicht zu versuchen, in die völlig überfüllte Haldern Pop Bar reinzukommen, wo zwischen 19 Uhr 15 die senkrechtstartenden Esten Ewert and The Two Dragons ihren melancholischen Baltikum- Folk zelebrierten? Schwer zu sagen. Die Esten hatte ich erst kürzlich bei einem Konzert in Paris kennen- und liebengelernt, mich aber von der Menschenschlange vor der Haldern Pop Bar abschrecken lassen. Zwar kommt man als Pressemensch wie ich in der Regel schneller rein, mit meiner lädierten Wade dicht an dicht neben schwitzenden Menschen zu stehen und kaum die Protagonisten auf der Bühne zu erkennen, erschien mir aber als wenig sexy. Darum also die Flucht ins Spiegeltent zu Willis Earl Beal. Vor lauter Aufregung hatte ich aber dummerweise vergessen, daß ich eigentlich um Punkt acht Uhr A Winged Victory for The Sullen in der Kirche sehen wollte. Verflucht gerne hätte ich nämlich das Erlebnis, ein Popkonzert in einer Kirche zu genießen, vertieft. Der vorher erlebte Auftritt von Loney Dear, der zusammen mit seiner Akkordeonspielerin und Backgroundsängerin Malin geglänzt hatte, war wirklich sehr schön, manchmal geradezu göttlich. Seine umwerfende Falsettstimme war noch in den letzten Winkel des Gotteshauses gedrungen und gerade die hohen Töne schienen die steilen Säulen emporzuschweben. Allein der alte Klassiker Saturday Waits, der mit seiner melancholischen Grundstimmung ein paar Zuschauer zu Tränen rührte, kam in der Kirche perfekt zur Geltung. Aber auch das abschließende Schmuckstück My Heart vom neuen Album Hall Music (von dem auch am Ende das exzellente Calm Down gespielt wurde) ließ wohlige Erinnerungen zurück. Ein ganz zarter intimer Song, der komplex und filigran konstruiert war, fulminante 10 Minuten dauerte und die Songwriterqualitäten des knuffigen Schweden eindrucksvoll unterstrich. Nicht von ungefähr ist der etwas fülliger gewordene Emil Svanängen ein Publikumsliebling in Haldern und hat hier bereits das vierte Mal brilliert.

Aber zurück zu Willis Earl Beal. Der war mit seiner energiegeladenen Show um 20 Uhr 30 fertig und nun konnten die Zuschauer zum erstenmal ein Konzert im neu eröffneten Biergarten mitverfolgen. Eine Freilichtbühne vor dem Spiegelzelt, die sich als idealer Ort fur diejenigen herauskristallisierte, die es leid sind, stundenlang in der Schlange vor dem Spiegeltent zu warten. Hier konnte man sich den sanften Wind um die Nase blasen lassen, die rötlich-gelbe Sonne am Firmament untergehen sehen und ein Königs-Pils (zu bitter wie meine französische Frau urteilte) die Kehle herunterlaufen lassen. Wir hatten sogar einen neuen Cateringstand ausprobiert, an dem es nicht ums Trinken sondern ums Essen ging. Spanferkel wurden hier auf spektakuläre Weise am offenen Spieß gegrillt (Vegetariern verschlug es bei diesem Anblick gewaltig den Appetit!), aber auch Lammfleisch mit Rucola-Salat und weißen Bohnen angeboten. Wir bestellten letztgenanntes Gericht und wurden ob dieser für ein Festival anscheinend außergewöhnlichen Speise ständig angeglotzt (hatten diese indiskreten und saunervigen Glotzer etwa noch nie Lammfleisch gesehen? Kennen die nur gemischten und keinen Rucola- Salat?? Sie guckten wirklich wie Idioten!).

Sei es drum, nach dem Essen (das ingesamt leider nicht so gut schmeckte, wie es aussah), sahen wir uns in Ruhe Emanuel & The Fear aus Brooklyn an und erlebten eine stimmunsgvolle, vielköpfige Band mit Cello, Geige und knarzigen Gitarren. Eine Gruppe mit kulturkritischen und politisch angehauchten Texten, die einen orchestral arrangierten Rock mit Proganklängen zelebrierten und mit dem lockenköpfigen Sänger Emanuel Ayvas einen charismatischen und stimmlich an Nick Cave erinnernden Frontmann zu bieten hatte. Die Arrangements waren ungewöhnlich und oft opulent, ließen sich musikalisch aber schwerlich in nur eine Schublade stecken. Das war Rock, Folk, Progrock, Kammerpop, wobei sich die stilistischen Schwerpunkte je nach Song verschoben. Songs, die im Übrigen überwiegend von dem zweiten Album The Janus Mirror stammten, das am 14. September auf Haldern Pop erscheinen wird und die neugierig machten auf diese spannende Truppe, die bereits zu Beginn dieses Jahres viele Fans in der Haldern Pop Bar begeistert hatte.

Um 22 Uhr 30 stand mein persönliches Highlight des ersten Festivaltages an. Die Rede ist von der au Philadelphia stammenden Band The War On Drugs, die mir vor ein paar Jahren bereits schon einmal live in Paris über den Weg gelaufen war. Damals hatte ich mich an dem freiheitsliebenden, Americana getränkten Gitarrensound und der nasalen, an Bob Dylan erinnerden Stimme von Sänger Adam Granduciel berauscht und das Konzert in bester Erinnerung behalten. Inzwischen sind ein paar Jahre ins Land gegangen und The War on Drugs haben 2011 mit Slave Ambient ein vielbeachtetes zweites Album auf den Markt gebracht, von dem neben dem Debüt Wagonwheel Blues (2008) so mancher Song hier und heute stammte. Sachen wie Brothers, Comin' Trough und Missiles kamen aber auch wirklich klasse rüber und zeigten die ganze Nonchalance und Lässigkeit des lockenköpfigen Sängers, der mit einer rotglänzenden College Jacke und einer prima aufspielenden Begleitband (natürlich ohne das inzwischen solo startende Gründungsmitglied Kurt Vile) aufgelaufen war. Kaum einmal schaute Granduciel nach oben, fast ständig blickte er auf den Boden und seine Augen waren hinter seiner Mähne fast nie zu sehen. Eine typische Shogeazing-Attitüde also, bei der Kontakt mit dem Publikum weitestgehend vermieden wird. Und Spurenelemente des Shoegazing fanden sich auch in der ansonsten folkrockigen Musik von The War On Drugs. Gerade diese Mischung, gepaart mit psychedelischen, mitunter ausufernden Gitarrenparts, machen und machten den Reiz dieser coolen Band aus, die in Haldern leider ziemlich kurz spielte und lediglich in etwa 8 Lieder abfeuerte (Setlist wird nachgereicht).

Damit war der erste Tag für uns beeendet, denn mit meiner übel schmerzenden Wade und den müden Augen wäre es kein Vergnügen mehr gewesen, noch länger hierzubleiben. Verpasst haben wir somit Charles Bradley und die Apparat Band (Beginn: 0:20 h), von der von Nachteulen hinterher Gutes berichtet wurde.

Fotos folgen!



1 Kommentare :

Anonym hat gesagt…

Oliver, ich hab' Dich sehr vermisst.
Gut zu hoeren, wo Du und Frau Peel steckt.
So, ich fang mal an zu lesen ...

Bises, Uschi aus P.

 

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