Dienstag, 28. August 2012

Festival Rock en Seine bei Paris erster Tag, 24.08.12


Festival Rock en Seine

Ort: Domaine National de Saint Cloud bei Paris
Datum: 24.08.12
Zuschauer: insgesamt über drei Tage verteilt 110.000! Rekord!


Alle Jahre wieder. Ende August, Rückreise von Deutschland mit dem Thalys nach Paris und auf zum Festival Rock en Seine. 3 Tage lang Musik hören und sehen, jungen sexy Mädchen in engen Jeansshorts nachglotzen (so viele heiße Hinterteile, meine Fresse! Entschuldigung Mutti), die altbekannten Konzertjunkies wiedertreffen. Ein schönes Gefühl. Ein Ritual, das die Anonymität der Großstadt durchbricht und Menschen eint. Die Mainstream-Fuzzies sind für die bekannten großen Bands gekommen und freuen sich auf die Konzerte auf der Hauptbühne. Der elitäre Musikhörer, zu dem ich wohl ohne das unbedingt zu wollen, zu rechnen bin, rümpft bei Namen wie Placebo und Green Day eher die Nase und muss sich zusammenreißen, nicht seinen zuvor verzehrten Döner auf die Wiese zu kotzen. Wir Kenner privilegieren natürlich die kleineren Bühnen, ziehen Newcomer und Indiebands den Stadionheinis vor.

Somit war klar, daß ich erst einmal auf der kleinsten Bühne, der Scène de l'industrie, Halt machte. Auf Grund der elend langen Schlangen beim Einlass war ich spät dran und hatte die ersten beiden Lieder der Französin Owlle verpasst, dann aber war ich voll konzentriert und schon ziemlich bald von der elektronisch angehauchten Musik, der leicht souligen Stimme und der beeindruckenden Bühnenpräsenz der rotgefärbten Dame eingenommen.

France, wie Owlle mit bürgerlichem Namen heißt, hatte ich schon vor etlichen Jahren kennengelernt. Damals war sie Backgroundsängerin bei ein paar Liedern der talentierten Indierockerin Marie-Flore und erzählte mir, daß sie dabei sei, auch eigene Lieder zu schreiben. Sie werde bei MySpace mal einen Song reinstellen. Dieser Song war dann sehr folkig angehaucht und mit schöner Stimme vorgetragen. Potential war also da, selbst wenn alles noch in den Kinderschuhen steckte. Im Laufe der Zeit hat Owlle dann aber stilistisch ein Wendung um 180 Grad vollzogen und sich dem Elektropop zugewandt. Dies zeigte sich auch optisch. Hatte sie damals langes offenes, dunkelbondes Haar, trug sie nun rote Haare und einen strengen Pony. Statt lässigem Karohemd waren nun auffällige Oberteile angesagt. Neue Lieder wurden aufgenommen und in kleinen Dosen im Netz verbreitet. Leute aus der Musikbranche wurden auf Owlle aufmerksam, buchten sie für Konzerte in den guten Indieklubs der Kapitale. Die Zeitschrift Les Inrocks schürte das Feuer weiter und 2012 nun ist Owlle, ganz ohne ein Album veröffentlicht zu haben, dem Indievolk in Paris schon ein fester Begriff.

Bei Rock en Seine galt es nun die Vorschußlorbeeren zu bestätigen Und dies tat die aus Südfrankreich stammende Sängerin auch. Zusammen mit zwei männlichen Mitmusikern an Drums und Keyboard legte sie ein fetziges, musikalisch gelungenes Set aufs Parkett, bei dem sowohl ihre stimmlichen Qualitäten überzeugen konnten, als auch die Songs, die über die nötige Catchyness verfügten und abwechslunsgreich waren. Besonders erfreut war ich darüber, daß das Ganze organisch blieb und nicht mit der für elektronische Musk üblichen Kühle und Distanz performt wurde. Man merkte, daß Owlle, die als einstiges Instrument ein Omnichord spielt, Seele in die Stücke legte und keine unnahbare Diva war. In der Fachpresse gebrachte Vergleiche mit Fever Ray oder Zola Jesus passten insofern nicht so recht, ich persönlich dachte eher an Austra oder Bat For Lashes, wenngleich Owlle glücklicherweise am meisten nach ihr selbst klingt. Ihr treibender Beat sorgte jedenfalls für eine richtig gute Stimmung im Partyvölkchen und hinterher sprachen viele von einem guten Konzert. Anspieltipp: der ohrwurmige Hit Ticky Ticky.


Nach Owlle ging es gleich mit weiblichem Elektropop weiter. Die wahnsinnig gehypte Kanadierin Grimes spielte nämlich auf der schönen Bühne pression live, die erst letztes Jahr eingeweiht wurde und die Zahl der stages auf vier erhöhte. Sie liegt auf einem heimeligen Hang, den man über einen kleinen Waldweg erreicht. Etliche Fans hatten sich auch hier eingefunden und Grimes performte genau wie zuvor Owlle zwar nur eine halbe Stunde, dafür aber mit viel Energie und Spielfreude. Herrlich zu erleben, daß sie oft verschmitzt lächelte und man ihr anmerken konnte, daß sie so richtig Bock hatte. Claire Boucher wie sie mit bürgerlichem Namen heißt, ist ein richtiger kleiner Wirbelwind und fegte mit ihrem flotten Zopf und dem Schottenröckchen pausenlos hin und her. Hektisch drehte sie an Reglern und Knöpfchen und kredenzte einen wummernden, mächtig pumpenden Synthetiksound, den sie mit ihrer zerbrechlichen und hohen Stimme (sang da etwa ein japanisches Baby?) untermalte. Ihr zur Seite standen ein apathischer und mechanisch agierender Schlagzeuger und ein Tänzer mit langen blonden Haaren, dessen einzige Aufgabe es war, zu den Tracks abzutanzen und sein Haar im Stile eines Headbangers zu schütteln. Nicht nur ich ich fragte mich hinterher, was der Bursche da zu suchen hatte, ich hielt seine Einlagen für einen Aprilscherz.

Aber egal, die meisten beobachteten ohnehin nur die kesse Zopfträgerin mit dem Lolitalook, die stampfende Tanznummern wie Oblivion oder das perlende Be A Body erklingen ließ und dabei auch immer wieder die Looptechnik zum Samplen ihrer Stimme benutzte und manchmal richtige kleine gothisch angehauchte Chöre erschuf. Das Ganze klang düster, verhallt und vor allem gegen Ende der Stücke experimentell. Dream Pop, Witch House, Chillwave, Experimental Pop, so ist das wohl zu kategorisieren, aber bei dem fabelhaften Genesis gab es auch Passagen, die an deutschen Krautrock denken ließen.

Ingesamt ein kreatives und gutes Set. Vonn Crimes werden wir noch hören.

Setlist Grimes, Rock en Seine 2012:

01: Vanessa
02: Oblivion
03: Be A Body
04: Genesis
05: Phone Sex

Um 17 Uhr ging es für mich auf der Scène de L'Industrie mit den Franzosen Yeti Lane weiter. Über die hatte ich ja schon vor geraumer Zeit mehrfach geschrieben, sie aber nun seit einer Weile nicht mehr gesehen. Inzwischen ist ihr zweites Album erschienen und trotz soundtechnischer Veränderungen passen nach wie vor die Schubladen Dream Pop, melodramatischer Pop, schwarz gefärbter ätherischer Neo New Wave, Postrock. Bei einigen Stücken wie Analog Wheel hört man aber auch eindeutig Krautrock-Einflüsse heraus Der Herman Dune Gitarrist Ben Pleng ist Sänger bei Yeti Lane, der kahlköpfige Charlie der Drummer. Die beiden ex-Cyann und Ben Musiker spielten vorwiegend Stücke ihres zweiten Albums The Echo Show, das bei dem kreativen Label Clapping Music veröffentlicht wurde. Durchgängig gutes Liedmaterial das zwar zu nächtlicher Stunde sicherlich besser gepasst hätte, aber auch an einem sonnigen Nachmittag wie diesem zu gefallen wusste.



Daumen hoch also für Yeti Lane!

Aus reiner Neugierde ließ ich mich dann noch dazu hinreißen, zur Hauptbühne zu wetzen, wo die Dänen The Asteroids Galaxy Tour und ihre wie immer extravagant gekleidete Sängerin Mette Lindberg mit ihrem Konzert in den letzten Zügen lagen. Stilistisch war das nix für mich, aber die knappe silberne Gliterzshort von Mette war definitiv ein Hingucker! Zu ein paar netten Fotos hat es zumindest gereicht und vielleicht passiert mir ja das Gleiche wie vor ein paar Jahren, als ich eines meiner Fotos von The Asteroids Gakxy Tour für 250 Dollar an ein amerikanisches Modemagazin verkaufen konnte!


Nun aber gab es keine Zeit mehr, lange über pekuniäre Dinge nachzudenken. Schließlich standen Get Well Soon zusammen mit dem etwa 40 köpfigen Orchestre National de L'Ile de France auf der Scène de la Cascade bereit. Es war 17 Uhr 35 und es regnete in Paris, aber irgendwie unterstrich der dunkle Himmel und der fallende Regen die dunkle, melodramatische Stimmung der orchestralen Lieder des Konstantin Gropper aufs Beste. Gropper war ganz schick erschienen, kam in dunklem Anzug mit schwarzer Krawatte und genauso elegant wie sein Auftreten war die Musik seiner Band, die in kürzester Zeit gelernt hatte, gemeinsam mit einem ausgewachsenen Orchester mit unzähligen Streichern zu spielen. Es gab somit also gleich zwei Dirigenten: zum einen den etatmäßigen des Orchesters der Ile de France und Konstantin, der mit Get Well Soon vor dem klassischen Ensemble agierte. Absolut verblüffend, wie harmonisch diese vielen Musiker agierten, es klang als hätten sie seit Ewigkeiten zusammen geprobt und gespielt und die Symbiose aus Klassik und melodramatischem Indierock funktionierte sensationell gut. Die unter Regenschirmen stehenden Zuschauern hörten eine sehr stolze, erhabende, heroische Musik, in der neben den Orchesterinstrumenten auch Glockenspiel, Steel Drum, die Opern geschulte Stimme von Konstantins Schwester Verena und zahlreiche Trommeln positiv auffielen. Ein perfekt beherrschter Bombast, der aber nie schwülstig oder schmierig rüberkam, sondern immer geschmackvoll und voller Klasse und Eleganz blieb.


Man dachte nicht wie sonst an Radiohead, Beirut und Calexico als Referenzen (es fehlte ja auch die Trompete von Maxi) sondern eher an Divine Comedy, den wüstensandgefärbten Dramatikpop von Other Lives, Enno Morricone und seine Westernsoundtracks und französische Spielfilme aus den 60 er und 70 er Jahren. Ich persönlich will sogar einen Hauch der Sinnlichkeit und Melancholie von Gainsbourg/Birkin herausgehört haben. Ob es daran lag, oder an den sehr ordentlich formulierten kleinen französischen Sätzchen von Gropper, daß die Franzosen das Konzert so sehr mochten, mag dagingestellt sein, denn es war die Qualität der Lieder und die taldelose Liveumsetzung, die eindeutig für Get Well Soon sprachen. Sachen wie Werner Herzog Gets Shot, A Burial At Sea, das als Rocksong angekündigte Angry Young Man und das als Grande Finale bezeichnete You Cannot Cast Out The Demons klangen einfach fantastisch und ließen einen das Regenwetter vergessen.


Am Ende lagen sich Orchester- und Rockmusiker in den Armen und ließen sich gemeinsam feiern. Das neue Album The Scarlet Beast O' Seven Heads erscheint in Paris am Montag, das nächste Konzert findet in der Seine Metropole am 31 Oktober in der Gaité Lyrique statt. Ich werde dabei sein, so viel ist klar!

Setlist Get Well Soon, Rock en Seine 2012:

01: I sold my hands for food so please feed me
02: Seneca's silence
03: A voice in the Louvre
04: 5 steps/7 swords
05: Roland, I feel you
06: Werner Herzog gets shot
07: The last days of Rome
08: Listen! Those lost at sea sing a song on christmas day
09: A burial at sea
10: Angry young man
11: You cannot cast out the demons (You might as well dance)


Um 19 Uhr 15 waren The Shins an der Reihe. James Mercer, den Chef und Sänger der Band hatte ich seit Jahren nicht mehr auf einer Bühne gesehen und inzwischen ist er mit einer ganz neu zusammengestellten Truppe unterwegs. Die alten Leute sind alle weg, er ist der Einzige, der aus der Startformation übrig geblieben ist. Etwas ungewohnt also, so viele neue Gesichter bei den Shins zu sehen. Erfreulich war aber der Anblick von Jessica Dobson (auch schon für Beck aktiv), der einzigen Dame in der Gruppe. Sie hatte nicht nur ein hübsches Lächeln, sondern auch einen schönen Arsch, der in einen schwarzen Rock gehüllt war. Die aparte Lady, die auch ihr eigenes Projekt Deep Sea Diver betreibt, spielte Gitarre und machte ihre Sache ebenso gut wie der Rest der Band, allen voran der neue Schlagzeuger Joe Plummer (ehemals Modest Mouse), der den gefeuerten Jesse Sandoval abgelöst hatte.


Mir fiel sofort auf, daß schneller und agressiver als früher gespielt wurde und es deutlich mehr Orgel im Soundbild gab. Deshalb klangen alte Klassiker wie Australia teilweise ganz anders als auf CD, aber nicht weniger reizvoll. Ohnehin gefielen mir die altbekannten Stücke besser als das neue Material, das mit Bait And Switch einen echten Rohrkrepierer zu beklagen hatte. Und auch die eher biedere aktuelle Single It's Only Life kam an alte Glanztaten wie das ganz hervorragende Saint Simon nicht heran. Wahrscheinlich wussten The Shins das und deshalb fand man auch überwiegend erprobte und starke Stücke aus dem Backkatalog wie z.B. das rasante und massiv euphorisierende So Says I von Chutes Too Narrow im Set wieder.


Von dem neuen Album Port Of Morrow stach allerdings No Way Down heraus, da kamen die melodischen Qualitäten der Band voll zur Geltung. Der Titeltrack schließlich war eine gefühslduselige Ballade, von der ich auf Anhieb nicht wusste, was ich von ihr zu halten hatte. Bei der Bewertung des gesamten Konzertes fiel mir das Votum hingegen leichter. Das war gut, selbst wenn ich vergeblich auf alte Lieblinge wie New Slang, Know Your Oninon oder Sleeping Lessons wartete.

Setlist Shins

01: Caring Is Creepy
02: Australia
03: Simple Song (viel Orgel)
04: Bait And Switch
05: Phantom Limb
06: Rifle
07: Saint Simon
08: It's Only Life (new single)
09: So Says I
10: Kissing The Lippless
11: No Way Down
12: Port Of Morrow

Setlist Sigur Ros, Rock en Seine 2012

01: i Gaer
02: Varúð
3: Saeglópur
04: Festival
05: Hoppípolla
06: Með Blóðnasir
07: Hafsól
08: Popplagið

Bericht Sigur Rós gleich!



 

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