Freitag, 3. August 2012

Bon Iver, Wien, 01.08.12

Konzert: Bon Iver & Sam Amidon
Ort: Arena, Wien
Datum: 01.08.2012 
Dauer: 90 Minuten Bon Iver, 40 Minuten Sam Amidon

"What might have been lost"
, tönte es am Ende eines tollen Konzertes in Sprechchören durch die Arena. Verloren gegangen sind auch einige mögliche Konzertberichte, die ich mir in letzter Zeit vorgenommen hatte, deren Geburt dann aber alle möglichen Umstände einen Strich durch die Rechnung machten. (Abtreibung sag ich jetzt nicht dazu, wir wollen ja nicht unsere starke Leserfraktion aus dem Vatikan vergraulen.) Jedenfalls sind Bon Iver ein perfekter Grund, dem lieben Tagebuch wieder einen Wiener Bericht
anzuvertrauen!

 
Irgendwie zählt der erste Eindruck ja doch auch: Auf dem Hüpfer von der U-Bahn zur Arena wurden gleich zwei wesentliche Charakteristika des Abends sichtbar: Höchst heterogene Menschengruppen säumten den Weg mit "Suche Karte"-Schildern. Was das zeigen soll: Erstens war das Konzert schon wochenlang gnadenlos ausverkauft, zweitens war die Besucherschaft ausgesprochen bunt und unterhaltsam: vom 60-jährigen, barfüßigen Routinier bis zur blutjungen Indie-Queen mit hohen Absätzen, von gelassenen "An der Bar-Lehnern" bis zum Hardcore-Fan in der ersten Reihe, von Amerika bis Kärnten und so weiter war alles dabei. Mein Favorite war dabei der der Mann, der über der Schulter eine Tasche mit der Aufschrift "I ♥ Riesling" trug und in der Hand ein großes Bier - ein Hoch auf die Selbstironie! Kurzum, es gab viel zu schauen, vor allem wenn man überpünktlich angerückt war.

Gegen dreiviertel acht begann dann allerdings Sam Amidon, der alleine auf die Bühne schritt und sich mit "We are Sam Amidon" seinen ersten Beifall abholte. Etwa 40 Minuten spielte sich der Amerikaner dann durch seine zwischen brav und unkonventionell divergierenden Songs, in denen er den Begriff "Folk" bis zum Anschlag ausreizte.
Bisweilen lieferte der wilde Sam auch richtige Showeinlagen, in denen er Vogelkrächzen und komische Verrenkungen zum Besten gab. Unterstützung erhielt er dabei von Schlagzeug und Blasinstrument, dem Publikum gefiels sichtlich und Mr. Amidon hatte sowieso Spaß. Ob seine "normalen" Konzerte auch so spaßig sind?

Justin Vernon weiß das vielleicht, rückte damit aber nicht heraus. Dafür bedankte er sich gleich bei Betreten der Bühne um Punkt neun Uhr bei seinem Support und fand unter den gut 3000 Anwesenden massig Zustimmende.
Ansonsten verlor der Waldschrat wenig Worte und konzentrierte sich auf seine musikalischen Qualitäten. Ihm zur Seite standen acht weitere Musiker, von denen besonders der der Perkussionist ganz rechts modisch zu gefallen wusste. (Ich mag Haarbänder, das ist wohl in etwa so, wie Oliver und seine Vorliebe für lange Frauenbeine.)










Die ersten vier Songs stammten allesamt von Bon Iver, dem zweiten Album der Band. (Wieso nennt man eigentlich nicht gleich sein erstes Album nach sich selbst und lässt sich dann originelle Titel einfallen statt umgekehrt? Vielleicht hat man sich da einfach an Heroen wie Portishead orientiert...)
Dabei wurde auch gleich die Marschrichtung vorgegeben, durchaus fette Arangements dominierten. Wie auf dem aktuellen Album eben, eine andere Sorte Bon Iver. Wobei gleich mal festgehalten werden soll, dass beide Sorten, die reduzierte und die opulente, überzeugen können. So wie Kuchen manchmal mit Schlagobers, mal ohne besser schmeckt.

Der erste Song von For Emma, Forever Ago war dann Creature Fear, ein Lied, das ich noch vom Haldern 2009 kannte. Oder auch nicht, denn Vernon verpasste seinem guten Stück mehr als nur ein Facelifting und frisierte es gleich ordentlich um. Quasi Waschen, Schneiden, Färben und Fönen all inclusive - fast wie im Haarsalon.
An einen solchen erinnerten übrigens die Gespräche der ganzen Leute rundherum, die ich aber keinem verdenken kann: das Konzert von Bon Iver in der Arena verbreitete lauschiges Flair wie in der besten aller Pergolas.
Dem guten Winter war das sowieso eher wurscht, der war versunken in Perfektion und schwelgerische Sounds.
Besonders freuen konnte ich mich über Blood Bank von der gleichnamigen EP, das sehr ungestüm daherkam und doch herzzerreißend herrlich. Über Woods braucht man sowieso keine Worte verlieren und das neue Calgary hat schon als Single seine absolute Qualität unter Beweis gestellt.
Große Worte gab es auch von Justin Vernon nicht mehr, der Kollege machte aber auch mit dem wenigen Verbalen, das er von sich gab, klar, dass es ihm "fucking" gut gefalle.


So ging es wohl auch dem Publikum, dass zumeist sehr konzentriert lauschte und sich unaufgeregt begeistert verhielt. So enorm die Musik von Bon Iver mittlerweile sein mag, so verweigerte sie doch den Sturz vom schmalen Grat zwischen sympathischen Pathos und Stadionrock. Allein das Bühnenbild - von oben herabhängendes Gewebe, das aussah wie zusammengenähte Kartoffelsäcke - wies schon auf den bodenständigen Charakter des besten aller Justins (gleich nach Timberlake und Bieber natürlich) hin. Wer sich wochenlang in Waldhütten zurückzieht, der wird es wohl kaum auf einen Auftritt im Praterstadion abgesehen haben.
In dieser Hinsicht ist auch zu verstehen, was während der Zugabe The Wolves (Act I & II) folgte, nämlich astreine Massenchöre. Aber andere als bei den Bands mit ihren Eintrittspreisen jenseits der 60€, nämlich wunderbar entspannte, kollektiv glückliche Gesänge, die nicht alles übertönendes Gegröle, sondern ein kleiner Beitrag zum Abschluss eines tollen Konzerts sein wollten.
"What might have been lost"...

Mit For Emma ging dann ein Abend zu Ende, der sich ständig steigern konnte und einen sehr zufrieden in die Nacht entließ. "Es wohnen, ach, zwei Seelen in meiner Brust", hört man noch im Deutschunterricht - Bon Iver kann sie zusammenführen: Die leise folkige und die auffallend poppige - sie verschafften Wien im Team ein wunderbares Debüt des Burschen aus Wisconsin. Hoffentlich nicht forever ago.

Setlist Bon Iver, Arena Wien:

01: Perth
02: Minnesota, WI
03: Michicant
04: Towers
05: Creature Fear
06: Hinnom, TX
07: Wash.
08: Holocene
09: Blood Bank
10: Woods
11: Bracket, WI
12: Skinny Love
13: Calgary
14: Beth/Rest

15: The Wolves (Act I & II) (Z)
16: For Emma (Z)

Danke für die schönen Fotos an Elisabeth!

 

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