Konzert: I'm from Barcelona
Datum: 26.03.2007
Ort: La Cigale, Paris
Zuschauer: gut ausgelastet, aber wohl nicht ausverkauft
In Erwartung des heutigen Abends mußte ich immer wieder an alte Wetten-Dass-Folgen denken, denn zu Frank Elstners Zeiten waren Wetten äußerst beliebt, in denen es darum ging, wieviele Menschen zum Beispiel in eine Telefonzelle oder einen Kleinwagen passen.
Grund für diese Gedankenspiele war die Tatsache, daß in der Cigale die Schweden (!) I'm from Barcelona auf dem Programm standen, von denen ich gelesen hatte, daß sie mit bis zu 29 (!) Musikern auftreten. Wobei die Problemstellung, wie man 29 Menschen auf eine Bühne bringt, vor ein paar Wochen wesentlich spannender gewesen wäre, denn da trat die Band in der ungleich kleineren Maroquinierie auf, die Cigale ist hingegen schon ein Saal mittlerer Größe, insofern in der Lage eine große Menschenmenge unterzubringen.
Die andere Frage, wie denn ein solch riesiger Haufen von A nach B kommt, war hingegen schnell geklärt, man mußte seinen Blick nur auf den riesigen weißen Tourbus schweifen lassen, der direkt vor der Cigale parkte. Bevor ich die Cigale jedoch erreichte, mußte ich erst einmal einen Geldautomaten finden, damit ich bei McDonald's noch einen Burger essen konnte, um den Abend gut zu überstehen. Dies gestaltete sich aber als extrem kompliziert, denn statt auf die gewünschte Cash-Maschine stieß ich auf zahlreiche schmuddelige Sex-Kinos und unzählige Gitarrenläden. Ich befand mich schließlich am Fuße des Montmartres, mit Blick auf die weißen Spitzen des Sacré Coeur. Irgendwann bin ich aber doch fündig geworden und konnte mit der gezogenen Knete den Idiotenfraß erwerben und hastig in mich reinstopfen. Etwas würdelos, ich gebe es zu, aber so ist halt das harte Leben eines Konzertbloggers!
Endlich in der Cigale angekommen war ich froh, daß die schwedische Großfamilie mit dem spanischen Namen noch nicht angefangen hatte, sondern stattdessen Thedo ihren Auftritt hatten. Thedo ist ein Duo, bestehend aus einer bildhübschen Finnin namens Olivia Merilahti und einem französischen Gitarristen, Dan Levy. Heute wurden sie auch noch von einem Drummer unterstützt. Ihre Musik, eine eigenwillige Mischung aus Rock, Folk und HipHop hat mir ziemlich gut gefallen, was vor allem an der auffälligen Stimme der brünetten Sängerin lag, die als Einflüsse u.a. Björk, Joanna Newsom und Patti Smith angibt. Mich erinnerte sie auch optisch und stilistisch an die reizende Bat For Lashes.
Ein Besuch ihrer MySpace-Seite lohnt sich auf jeden Fall.
Schon als das letzte Lied von Thedo verklungen war und die Umbauarbeiten begannen, packten Mitglieder von I'm from Barcelona fleißig mit an. Roadies braucht diese Band anscheinend keine, das erledigen sie alles selbst! Sogar Oberwikinger und Songschreiber Emmanuel Lundgren, der das Projekt 2005 ins Rollen gebracht hatte, machte sich nützlich. Vor guter Laune nur so strotzend, übernahm er den Soundcheck gleich selbst und anstatt "Check, check" ins Mikro zu krächzen, sang er schon ein bißchen. Als der Rotschopf fertig war, sagte er schmunzelnd: "Hi there, we are back in some minutes, please stay."
Natürlich verließ niemand im bunt gemischten Publikum den Saal vorzeitig, das Spektakel wollte sich natürlich niemand entgehen lassen.
Kurz darauf war es dann auch soweit. Begleitet von dem scheußlichen Freddy Mercury-Song "Barcelona" betraten "nur" 18 Musiker, Männlein und Weiblein, die Bühne. Die Cigale war somit für die "Großfamilie" vollkommen ausreichend, Wette also gewonnen!
Los gings mit "Treehouse". Von Anfang an sang die gesamte Cigale mit. "I have built a treehouse, nobody can see us, it's a you and me house." Was ich zuvor noch nie gesehen hatte: Sänger Emmanuel Lundgren sprang gleich beim ersten(!) Lied ins Publikum. Bei anderen Gruppen passiert so etwas höchstens bei der Zugabe.
Was bei Konzerten auch selten vorkommt: das Aufblasen und Steigenlassen von Luftballons. Zuletzt gesehen letztes Jahr im Bataclan bei den Flaming Lips. Die scheinen die Schweden auch zu mögen, zumindest ziert das Photo der Lips die "Top-Freund"-Liste beim MySpace der Skandinavier.
Noch eine Sache mit Seltenheitswert: Musiker, die ausgiebig ihr eigenes Publikum photographieren. Herrlich! Ich fragte mich, ob ich auf einem Kindergeburtstag gelandet war oder auf einem Punkrock-Konzert, wie es Sänger Emmanuel Lundgren vollmundig angekündigt hatte. Hmm, wohl irgendwo dazwischen, ein Hauch vom kölschen Karneval war auch irgendwie dabei. Zumal wenn, wie heute, Polonäse Blankenese getanzt wurde. Kein Scherz, ich mußte auch meine Augen reiben! Ein Spaß für die ganze Familie könnte man auch sagen, Vertreter aller Generationen waren in der Cigale vertreten, mit Ausnahme der Oma vielleicht. Die hätte aber wahrscheinlich auch Angst bekommen, unter dem bebenden Boden einzubrechen, oder die Füße eines crowdsurfenden Barceloners ins Gesicht zu bekommen. Großmutti hat aber noch so einiges verpasst heute, das muß ihr ihr Enkel dann detailgetreu erzählen. Kuriose Instrumente zum Beispiel. Schon mal 'ne Banane bei einem Rock-Konzert gesehen? Nee? Ich auch nicht! Hatte aber eine der Sägerinnen dabei, keine echte natürlich, sondern ein "Musikinstrument". Getrötet wurde auch. Ein Mädchen aus dem Publikum durfte sogar dabei mitmachen. Wird sie bestimmt ihr ganzes Leben nicht vergessen! Es war aber auch so was von abgefahren! Ach so, Liedertitel wollt ihr haben?
Bitte schön: "Rec & Play" vom Longplayer "Let me introduce my friends". Die Scheibe besitze ich jetzt auf Vinyl. Schön gemacht übrigens, wie ein Bilderbuch für Kinder. Besonders amüsiert hat mich folgender Satz: "We started this journey in the summer of 2005. None of us knew we would become a band." Da sieht man mal, wohin Enthusiasmus und Lebensfreude einen bringen kann. Bis in die Pariser Cigale nämlich. Oder ins Koko in London, wo sie morgen spielen werden.
Sie spielten aber auch Lieder, die nicht auf dem Album enthalten sind, vor allem den Titelsong zur ersten EP: "Don't give up on your dreams, buddy." Schönes Motto übrigens, sag ich mir auch oft!
Ihren Traum lebten die Neo-Hippies dann auch so richtig aus, mit Konfettiregen und allem drum und dran. Vor allem aber mit dem Überhit: "We're from Barcelona." Die Cigale glich einem Fußballstadion. Alle grölten laut mit. Es war unglaublich. Nicht, daß mir das musikalisch uneingeschränkt gefallen hätte, dafür steckt mir doch zuviel "Vadder Abraham und die Schlümpfe" in den Liedern. Dem Enthusiasmus konnte ich mich aber auch nicht entziehen, wozu auch?
Nach vier Zugaben war dann aber irgendwann ausgefeiert, die Barceloner ließen sich anschließend feiern wie frischgebackene Fußballweltmeister. Einen solch hohen Geräuschpegel habe ich noch nie bei einem Konzert erlebt. Der ebbte auch nicht so schnell ab, denn der Großteil der riesigen Band tanzte zu Techno-Klängen einer "Nachgruppe" (ja, sowas gibt's tatsächlich) noch lange weiter, während der andere Teil beim Merchandising-Verkauf gute Geschäfte tätigte und mit den Fans geduldig plauschte. Was für ein kurioser Abend!
Auszug aus der Setlist I'm from Barcelona:
- Treehouse
- Rec & Play
- Don't give up on your dreams, buddy
- We're from Barcelona
von Oliver
6 Kommentare :
Oh, die würde ich auch gerne mal sehen...wobei ich Angst habe, dass mich das ganze Hippiehafte vielleicht doch abschrecken würde.
Luftballons sind doch ein alter Hut. Habe ich schon letzte Woche in Köln gesehen ;-) Und die waren silber!
Lustballons hatte ich ewig nicht mehr...ich erinnere mich nur an aufblasbare Figuren bei Sufjan durchs Publikum flogen (oder auch nicht).
Lustballons? :-)
Das Sufjan-Konzert war aber in der Kategorie wirklich ungeschlagen.
Ähm ja. Ich vermute, mein Tippfehler liegt daran, dass ich gleichzeitig dachte "ich habe keine Lust zu arbeiten" oder auch "ich hätte jetzt eher Lust, Luftballons durch die Gegend zu stoßen" ;-)
Ich stand bei Sufjan leider entgegen meiner sonstigen Gewohnheiten zu weit hinten in der Ecke um wirklich etwas davon zu haben
Damit ich hier auch mal was geschrieben habe und Oliver nicht immer nachfragen muss, ob ich mal auf der Seite war:
Ich habe einen der Weihnachtsmänner bei Sufjan gefangen.
Und zu I'm from Barcelona: Beim Haldern Festival gibt es die Gelegenheit sie zu sehen und wenn es nur halb so toll wird wie The Polyphonic Spree vor 2 Jahren... *Hach!*
Kommentar veröffentlichen