Donnerstag, 12. Dezember 2013

Scott Matthew, Stuttgart, 11.12.2013


Konzert: Scott Matthew
Ort: Theaterhaus, Stuttgart
Datum: 11.12.2013
Dauer: 94 Minuten
Zuschauer: ca. 200-300


Alle Fotos: © David C. Oechsle
Andächtige Stille im Stuttgarter Theaterhaus; das Licht ist erloschen, vom Bühneneingang kann man in den ersten Reihen des kleinen Saals T2 ein deutliches Räuspern vernehmen, das sich in immer kürzeren Intervallen wiederholt. Der Australier Scott Matthew, der seit einigen Jahren im künstlerischen Wahl-Exil der internationalen Folk-Bohème New York zuhause ist, bringt sich in Stimmung. Könnte mir ein Künstler, der auf seinen bisherigen Alben exorbitant oft in die Kopfstimme verfiel, dessen aktuelle Veröffentlichung „Unlearned“ ausnahmslos aus Coversongs besteht, live gefallen? 

Der Stille folgt Applaus. Auf einem Barhocker nimmt Matthew Platz, strahlt in die ansteigenden Zuschauerreihen, stellt ein Glas Rotwein ab, greift zur Ukulele, während sich Jürgen Stark zu seiner Rechten an der Gitarre in Stellung bringt und sich auf der anderen Bühnenseite M. Eugene Lemcio zwischen Keyboards und Konzertflügel setzt. Gleich der erste Song wird als Cover angekündigt, ohnehin spiele man heute weitgehend Stücke anderer Interpreten. Er hoffe, sagt er, dies ginge für die Konzertbesucher in Ordnung. Nach jeder Ansage verfällt der charismatische Sänger in ein kindliches Kichern. 
Mit weinerlicher Stimme singt Scott Matthew „To Love Somebody“ vom Debütalbum der Bee Gees. Tatsächlich gelingt die Ehrerbietung an das Frühwerk der späteren Disco-Vorreiter gut. Pathos ist Trumpf in der musikalischen Welt des Scott Matthew, unerwiederte Liebe der große Indikator des lyrischen Schmerzes. Setzten die Bee Gees noch auf beschwingte Popmelodien, satte Streicher und ein wohl dosiertes Crescendo, schöpft Matthew aus dem Vollen, greift sich das traurige Liebeslied, legt sich mit fast schon naiver Inbrunst in jede Zeile. Die befürchtete Kopfstimme vermeidet er glücklicherweise, während er herzzerreißende Verse schmachtet: „I'm a man, can't you see / What I am / I live and breathe for you / But what good does it do / If I ain't got you, ain't got?“ Das tiefe, plakativ zelebrierte Leiden auf der Bühne ist Scott Matthews große Stärke. Wie Maximilian Hecker meistert der Australier diese enge Gradwanderung mit Bravour. Das erste Stück zementiert sein Können als Performer. Wo die Studioalben prätentiöse Konglomerate überproduzierter Trauersalven waren, besticht Matthew live mit natürlicher Bühnenpräsenz, sympathischer Ausstrahlung und glasklarem Gesang. Kein Lied könnte die Grundhaltung des Matthew'schen Auftritts deutlicher abbilden als jener Bee Gees Klassiker. 
 Die Neuinterpretation von „Total Contral“, einem The Motels-Song aus den 80ern, kann das Niveau nicht halten. Matthew nimmt das Stück zu ernst, scheitert an dieser Stelle am eigenen Anspruch. 
Dass er hingegen im eigenen Werk auch erstaunlich fröhliche Töne anstimmen kann, ist ihm wichtig zu betonen. „This song is about falling in love and I would consider this a happy song. Believe it or not I am capable of such emotions.“ Wunderschöne, beatles'eske Harmonien seiner Begleitmusiker verzaubern „The Wonder Of Falling In Love“, während Matthew selbst für einen Moment aus der weinerlichen Grundhaltung fällt, plötzlich wie der späte Paul Weller klingt, angenehm mit der Ukulele das gefällige Klavierspiel kontrastiert. 


Coverversionen von Neil-Young-Songs sind ein popmusikalischer Standard. Wenn es einem Künstler dennoch gelingt, mit einer besonders originellen Songauswahl oder einer preziösen Interpretation zu punkten, ist das außergewöhnlich – so geschehen zuletzt bei Konzerten von Okta Logue („Southern Man“) und Kashmir („Ambulance Blues“). Mit „Harvest Moon“ entschied sich Scott Matthew für eines der wenigen Stücke aus Youngs Œuvre, mit dem ich bis heute keinen Frieden schließen konnte. Mit Mundharmonika und Country-Klängen glückt es auch dem beim Beverunger Label Glitterhouse veröffentlichenden Künstler nicht, das mediokre Liedchen aus Youngs schwächster Phase zu veredeln. Anders als bei Charlie Chaplins „Smile“ nehme ich Matthew die Haltung nicht ab, kann ihn mir nicht im provinziellen Kontext dieser Landromanze vorstellen. 
Mit fortschreitendem Rotweingenuss, nimmt auch das immer hysterischere Kichern zu. Matthew hat sichtlich Spaß, als er seine Version von Whitney Houstons „Dance With Somebody“ ankündigt und die Zuschauer zum Mitsingen animiert: „If you sing along, you might see God.“ Wieder kichert er, die Menge folgt, die karnevaleske Komik steckt an. 
Zwischendurch, ja nahezu beiläufig, werden immer mal wieder eigene Lieder eingestreut, die stets wohltuende Abwechslung zur Hommage an andere Musiker bieten; „In The End“ und „Little Bird“ folgen direkt aufeinander, kommen gut an. Matthew scheint zufrieden, dass es auch mit Songs aus eigener Feder noch immer gelingt, das Publikum zu bannen. 


 Würdigungen der klassischen Songwriter- und Interpetenzunft, an Burt Bacharach oder Dean Martin, runden das Set ab, bevor ich mich ernsthaft frage, warum ich ausgerechnet im Saal T2 des Stuttgarter Theaterhauses immer wieder mit Coverversionen von John-Denver-Schlagern konfrontiert werde: Spielte Barry McGuire vor wenigen Monaten noch unsäglicherweise „Country Roads“, kündigt Matthew heute „Annie's Song“ an. Er covere hauptsächlich populäre Stücke, entschuldigt sich der bärtige Musiker mit den herunterbaumelnden Pipi-Langstrumpf-Zöpfen, als er hinzufügt, er habe sich immer für Songs entschieden, die sein Leben besonders prägten. „Annie's Song“ sei eines der liebsten Stücke seines Vaters, während er selbst hingegen in seiner Jugend in Punkbands spielte und die Sex Pistols hörte, deren „Anarchy in the U.K.“ er im direkten Anschluss als entschleunigte Piano-Ballade interpretiert. John Denver sei damals folglich ein Feindbild für den jungen Scott Matthew gewesen. „Irgendwann wurde ich zu meinem Vater, heute liebe ich das Lied aus so vielen Gründen“, Matthew kichert, „Annie's Song is so precious“
Die Familien der Musiker werden ab und an erwähnt, so seien die Eltern seines Gitarristen Jürgen Stark heute Abend im Theaterhaus; „that's not embarresing, it's beautiful.“ 
„Abandoned“, ein zartes, eigenes Lied, ist einer der schönsten Momente des Abends. Der unterschwellige politische Charakter verleiht dem letzten Song des regulären Sets zusätzliche Wirkung. Seit Jahren engagiert sich der homosexuelle Scott Matthew für die Rechte von Schwulen, Lesben und Transsexuellen, für ihn ist es Ehrensache sich für die Amnesty International-Gruppe queeramnesty einzusetzen, deren Arbeit er mit einer Spendenaktion auf seinen Konzerten unterstützt. „They do a great work. Especially in countries were I couldn't perform today like Russia or parts of Africa.“ 
Erst jetzt verfällt Matthew tatsächlich in den Kopfgesang, aber er fällt nicht übermäßig störend ins Gewicht. „Abandoned“ ist eine große Queer-Pop-Hymne, die Knabenstimme des Folk-Sängers kommt gebührend zur Geltung. Mit geradezu musicalesken Timbre überzeugt er mich. Der Applaus fällt frenetisch aus, mit stampfenden Füßen werden Zugaben gefordert. Matthew kehrt mit einem weiteren Glas Rotwein in der Hand zurück, um drei eigene Songs zu spielen. Dabei liefert er den klaren Beweis, dass ein Konzert mit mehr Liedern seines eigenen Backkatalogs vermutlich eindrucksvoller verlaufen wäre, Kopfstimme hin oder her. Dennoch spielt Matthew meine anfängliche Skepsis hinweg. Alben kaufen werde ich mir wohl nicht, Konzerte besuchen aber sicher. 
Zum Dank an das aufmerksame, begeisterungsfähige Publikum wird als dritte Zugabe ein neues Lied gespielt, das nicht auf der Setlist stand: „Here We Go Again“


Wieder verlassen die drei Musiker die Bühne. Zu guter letzt folgt eine überkandidelte Coverversion von „Love Will Tears Us Apart“, die Matthew als definitiv letzten Song des Abends ankündigt: „It's the last one, 'cause after it I literally pass out.“ Noch einmal herrscht tiefes Leid auf der Bühne, die Menge ist gerührt, Emotionen werden freigesetzt. 
Scott Matthew hat seine Mission erfüllt, jetzt kann er auch ein Bier an der Bar trinken. 



Setlist Scott Matthew, Stuttgart:

01: To Love Somebody (Bee Gees-Cover)
02: Total Control (The Motels-Cover)
03: The Wonder Of Falling In Love
04: Harvest Moon (Neil Young-Cover)
05: Smile (Charlie Chaplin-Cover)
06: I Wanna Dance With Somebody (Whitney Houston-Cover)
07: In The End
08: Little Bird
09: Jesse (Janis Ian-Cover)
10: L.O.V.E. (Dean Martin-Cover)
11: This Guy's In Love (Burt Bacharach-Song)
12: Annie's Song (John Denver-Cover)
13: Anarchy In The U.K. (Sex Pistols-Cover)
14: Abandoned 

15: White Horse (Z)
16: Friends And Foes (Z)
17: "Here We Go Again" (neu) (Z)

18: Love Will Tear Us Apart Again (Joy Division-Cover) (Z)


5 Kommentare :

Catweazle hat gesagt…

Danke, schöne Kritik, wenn ich auch zumindest in Sachen "Harvest Moon" anderer Meinung bin! Wir haben den wunderbaren Scott vor zwei Wochen in Duisburg gesehen, ich habe dabei ein paar Videos gemacht:

http://www.youtube.com/watch?v=5gfE8OVIUH8 (Harvest Moon)

http://www.youtube.com/watch?v=WfnLWpctGe0 (In the End)

http://www.youtube.com/watch?v=4RVWJxbkWWk (Abandoned)

http://www.youtube.com/watch?v=JJLrYlCJbF4 (Love will Tear us Apart)

Catweazle hat gesagt…

Habe gestern hier einen Kommentar geschrieben - wo ist der??

Jens hat gesagt…

Ich habe keinen gesehen? Was hast Du geschrieben?

Catweazle hat gesagt…

Komisch - erst wurde er angezeigt, und dann war er irgendwann weg. Ich hatte die Kritik gelobt (nur bei "Harvest Moon" war ich anderer Meinung) und dann noch ein paar YT-Links zu meinen Videos von Scotts Konzert in Duisburg vor zwei Wochen gepostet.

Christoph hat gesagt…

Er ist wirklich von Blogger automatisch in den Spam-Ordner verschoben worden. Aber jetzt sollte der Kommentar wieder sichtbar sein!

 

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