Montag, 9. Dezember 2013

Lloyd Cole, Schorndorf, 07.12.2013


Konzert: Lloyd Cole
Ort: Schorndorf, Club Manufaktur
Datum; 07.12.2013
Dauer:108 Minuten
Zuschauer: vllt. 150



Kontrovers rezipierter Pop ist nicht selten der interessanteste. Viele tun sich schwer mit Lloyd Coles Musik. Missmutig, launisch sei sie, genau wie der Künstler, belanglos, er selbst, ein regelrechter Griesgram und großer Langweiler. Dass Cole auf der anderen Seite ein Kritikerliebling ist, zeigt alle paar Jahre ein Blick in die wichtigen Musikzeitschriften. Hymnisch werden seine Alben besprochen, ein englischer Bob Dylan mit besserer Stimme ist er für manche gar. Die künstlerische Klasse des 52-jährigen Engländers, der in den 80ern große Erfolge mit seiner Begleitband The Commotions, großartigen Alben und einer Handvoll Hitsingles feierte, ist jedenfalls nicht in Abrede zu stellen und offenbart sich 25 Jahre später deutlicher denn je. Der deutsche Rolling Stone kürte seine beiden letzten Veröffentlichungen „Broken Record“ (2010) und vor wenigen Monaten „Standards“ jeweils zum Album des Monats. Unbestritten gehört sein Spätwerk zum Besten seiner Karriere. Und das obwohl er heute fernab der großen Vermarktungsmaschinerie eines Major Labels bei Tapete Records zu Hause ist. Dass ein Mann, der seit fast 30 Jahren kontinuierlich herausragende Platten aufnimmt, nicht in den großen Hallen und Clubs stattfindet, ist traurig. Wer seine Solokonzerte in diesem Jahr besucht, erlebt einen ergrauten ehemaligen Rockstar, dem es aller Verbitterung zum Trotz gelingt mit Eleganz ein 30 Songs umfassendes Set aus dem Ärmel zu schütteln, von dem so manch erfolgreicherer Zeitgenosse nur träumen kann. 



Zu einem Akustikkonzert passend, ist die Manufaktur in Schorndorf bestuhlt. Nicht mehr als 150 Zuschauer nehmen an einem erstaunlich milden Samstagabend Platz. Die Empore wird gar nicht erst geöffnet. Auf einem Notenständer liegt die in ein Heft geschriebene Setlist. Ohne Begrüßungsfloskel eröffnet Cole das Konzert mit „Past Imperfect“ und Versen, die sinnbildlich für den Songwriter Lloyd Cole zu stehen scheinen: „Excuse me, could I use your pen / I have mislaid my own“
Seinen Gestus kann man wahlweise prätentiös oder grandios finden. Wie Morrissey polarisiert er mit einer komplexen, dem Alltag enthobenen Sprache, verwendet Worte, die man für gewöhnlich nicht in Popsongs findet. Den einstigen Philosophiestudenten bekommt man nicht mehr aus ihm heraus, das merkt man.
Ganz in schwarz gekleidet, mit hellen Lederschuhen als Kontrast erinnert er optisch an die Pariser Existenzialisten der 50er. 
 Cole besingt sanftmütig den Verlust der Erinnerung, der Identität und Vergangenheit und kaschiert die lyrische Schwermut mit dezenten Akkorden. „What was on my mind in Amsterdam in 1984? / And what did I want from the pouring rain? / Was it phonographic score? / And why was my head in the unmade bed / With a girl who’s name I lost?” Für Cole ist die  ungeteilte Aufmerksamkeit des Publikums essentiell. Als er während „To The Church“ das Kameraklicken eines anderen Fotografen auf der Bühne hören kann, bricht er den zweiten Song ab, um ihn darauf aufmerksam zu machen. „I can hear you!“ Cole blafft nicht, aber die darauffolgende andächtige Stille, zeigt den enormen Respekt, die Ehrerbietung, die ihm entgegenschlägt. Natürlich kann man das guten Gewissens egozentrisch finden, doch sanftmütig fährt Cole fort: „I’m looking for a religious girl…“. Dem Mann auf der Bühne ist seine eigene Distinktion bewusst. Natürlich ist das uncool, aber unabdingbar für die Präsentation seiner Musik. 
Es sei seltsam mit Anfang 50 Lieder zu spielen, die man vor mehr als einem Vierteljahrhundert geschrieben habe, erzählt der Protagonist und streicht sich eine lange, graue Strähne aus dem Gesicht, bevor er geradezu beiläufig „Rattlesnakes“, den vermutlich populärsten Commotions-Hit, schon früh im Set serviert. „Jodie wears a hat although it hasn't rained for six days / She says a girl needs a gun these days / Hey on account of all the rattlesnakes / She looks like Eve Marie Saint in on the waterfront / She reads Simone de Beauvoir in her American circumstance.” Name dropping ist im Cole’schen Werk fest verankert, prominenter platziert als in diesem Refrain, ist es jedoch kaum. „There’s nothing more embarrassing than an old man with long hair.” 



Seit elf Wochen ist er auf Tour und habe keine Zeit gefunden zum Frisör zu gehen berichtet Cole im entschuldigenden Tonfall. Während sein Gesicht noch immer jugendlich wirkt, zeugen weißgraue Haare von seinem fortgeschrittenen Alter. Ähnlichkeit zu Julian Assange hat er, denke ich bei mir. 
Früher wurden medial häufig Vergleiche mit Morrissey gezogen. Auch musikalisch. Mochten zwischen Lloyd Cole & The Commotions und The Smiths oder auch Morrisseys frühen Soloalben einst offensichtliche Parallelen bestanden haben, entwickelte sich die Karriere des in Buxton geborenen Cole ganz anders als die des Mozzers. Beide zog es zwar in die USA, doch adaptierte Cole auch grundamerikanische Musikelemente. Country und Folk sind mittlerweile die klaren Referenzen. Als die Zuschauer in Schorndorf am Ende von „Jennifer She Said“ der Aufforderung das Outro zu singen folgen, gibt sich Cole überrascht. „I thought you’re too indie rock for this.“ 
 Leonard Cohens „Chelsea Hotel #2“ wird mit erfrischender Nonchalance interpretiert. „You told me again you preferred handsome men / but for me you would make an exception.” Cohens Schilderung seiner Affäre mit Janis Joplin gerät so zur herzerweichenden Ode eines gealterten Mannes an die sinnliche Liebe. Überhaupt ist der schmerzliche Teil der Liebe dominant am heutigen Abend. Auf der Bühne steht kein jugendlicher Liebhaber und gerade die neuen Songs zeigen den Lauf der Zeit. „Period Piece“ ist ein passender Beleg. In bester Dylan-Tradition diagnostiziert der Wahl-Amerikaner: „Born 1961, just like you / (…) Concrete to the left of me / Flowers to my right / These were the best of times / It was my austere demeanour / Defined the age / Next to me, the green world greener / And the grey more grey / The old man came, said / Destroy this symbolism / Welcome to my funeral”



In der ersten Hälfte des zweigeteilten Sets ist Cole relativ wortkarg, lässt weitgehend die Lieder sprechen. Wenn er allerdings etwas sagt, so ist es pointiert und nicht selten zynisch. Als er bemerkt, dass ich mir Notizen mache, fragt er inmitten eines Songs, ob ich es mir immer aufschreiben würde, wenn er den falschen Text singe. 
„Butterfly“ und „Perfect Blue“ sind starke Momente, dann folgt „Late Night, Early Town“ als heimliches Highlight. Die düstere Liebesballade könnte mit ihrem klaustrophobisch-ernüchtertem Bild von Los Angeles der Titelsong von “Californication" sein. „Is it too late to be postmodern lovers“, fragt Cole, bevor er die Verkommenheit der Stadt, mangelndes Selbstvertrauen und Kokain beklagt. Nach „Diminished Ex“ folgt eine halbstündige Pause. Man könne die Zeit nutzen, um Bier zu trinken, meint Cole. Immerhin gebe es sein „favourite beer, Rothaus from not far from here“

Mit dem Commotions-Klassiker „Are You Ready To Be Heartbroken“, hat der Engländer die Zuschauer nach der Unterbrechung rasch wieder in der Hand. Die Akustikfassung tut dem Lied augenscheinlich gut. War es in der Studioversion ein aufgeblähter Mid-80s-Popsong, funktioniert es nun als brillante Folkballade. Camera Obscura beantworteten Coles Frage 2006 mit ihrer ironischen Single „Lloyd, I’m ready to be heartbroken“ und manifestierten geschickt die Nachwirkung des noch immer relevanten Musikers.  Wirkte er in der ersten Hälfte noch verkopft, macht Cole nun einen gelösten Eindruck; erzählt Anekdoten, lacht hin und wieder, auch wenn man zwischendurch in Momenten der Koketterie mit der Rockstarvergangenheit immer wieder tiefe Verbitterung spüren kann. 



Während des gesamten Konzerts gelingt Cole mühelos der Spagat zwischen Klassikern und zeitgenössischen Stücken. „Music in a foreign language“ ist der lässige Beweis seines Könnens und „It’s Late“ eine Perle des aktuellen Albums. 
 Als meine Freundin mit geschlossenen Augen andächtig der Musik lauscht, grinst Cole mich während des Liedes an, gibt mir zu verstehen, ich solle sie antippen. Das Öffnen ihrer Augen quittiert er mit einem Lächeln, nur um nach dem Song augenzwinkernd hinzuzufügen: „You can sleep, if you’re tired. It’s fine.“ Er selbst leide nach einer langen Tour unter dem Schlafdefizit, genieße aber die letzten drei Auftritte umso mehr. Außerdem bespiele er ja “the big three” zum Schluss: Schorndorf, Hamburg und Berlin. 
Nach dem ehrwürdigen Lou Reed-Tribute „Pale Blue Eyes“ – „I didn’t write this song!“ – endet das reguläre Set mit drei fantastischen Songs: Der einstige Hit „Perfect Skin“ geht in „Unhappy Song“ über, das ein wenig nach „America“ von Simon and Garfunkel klinge. Noch „Lost Weekend“, dann ist Schluss. 
Mit großen Schritten schreitet der ergraute Star der 80er von der Bühne. Lauter Applaus, dann kehrt er zurück, zum ersten Mal strahlt er an diesem Abend. Die Zuschauer dürften nun Liedwünsche äußern, sagt Cole, bevor er einen Schluck Rothaus-Bier nimmt, nachdem er zuvor stets Wasser den Vorzug gab. Mit „No More Love Songs“ und „Forest Fire“ endet schließlich ein hervorragendes Konzert einer lebenden Legende, deren Klasse der eines Morrisseys ebenbürtig ist. Nie waren seine Alben besser als heute, wir dürfen noch viel erwarten. Und live ist Lloyd Cole sowieso eine Bank. 


Setlist Lloyd Cole, Schorndorf:

01: Past Imperfect
02: To The Church
03: Rattlesnakes
04: Kids Today
05: Cut Me Down 
06: No Truck
07: Chelsea Hotel #2 (Leonard Cohen-Cover)
08: Why I Love Country Music
09: Butterfly
10: Late Night, Early Town
11: Period Piece
12: Perfect Blue
13: Diminished Ex
-PAUSE-
14: Are You Ready To Be Heartbroken?
15: Music In A Foreign Language
16: It's Late 
17: Don't Get Weird Of Me
18: Jennifer She Said
19: Blue Like Mars
20: No Blue Skies
21: Don't Look Back
22: Myrtle And Rose
23: 2cv
24: Hey Rusty
25: Pale Blue Eyes (The Velvet Underground-Cover)
26: Perfect Skin
27: Unhappy Song
28: Lost Weekend

29: No More Love Songs (Z)
30: Forest Fire (Z)

 






 

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