Konzert: Shearwater (Nils Frahm)
Ort: Das Bett, Frankfurt
Datum: 06.08.2010
Zuschauer: etwa 120
Konzertdauer: Nils Frahm 35 Minuten, Shearwater 60-70 Minuten
Als wir gegen Viertel vor neun vor dem Frankfurter Indieclub Das Bett aufkreuzen, stehen wir vor verschlossenen Türen. Ein kleiner weißer (nein nicht der mit den Klopapier-Ersatzrollen!) Zettel am runtergelassenen Rollladen liefert die Erklärung: Einlass heute um 21 Uhr. Zu früh gekommen! So etwas passiert mir in meinem heimischen Konzertjagdrevier in Paris nie. Aber ich bin nun einmal mit meinem für seine Pünktlichkeit bekannten Bloggerfreud Christoph unterwegs und da wird keine Minute verpasst. Von Verpassen kann aber ohnehin nicht die Rede sein, denn bevor es mit dem jungen Berliner Pianisten Nils Frahm losgeht, vergehen quälend lange 70 Minuten. Um 21 Uhr hatte der Clubchef pünktlich den Rollladen hochgelassen und danach war erst einmal Dauerbeschallung durch die aktuelle Beach House CD Teen Love angesagt. Als die Scheibe zum dritten Mal durchläuft, würde ich am liebsten Amok laufen, denn der eiernde Orgelsound hängt mir bis zum geht nicht mehr zum Halse raus. Irgendwann ist die Qual zu Ende und Nils Frahm setzt sich hinter sein vor der Bühne aufgebautes Piano. Sein Spiel ist anmutig, traumversunken, hochmelancholisch. Es ist ein Genuss ihm zuzuhören. Das hinter und vor ihm stehende Publikum dankt es ihm durch vorbildliche Stille und applaudiert auch angemessen lang. Frahm selbst spricht scheinbar überrascht vom längsten Applaus, den er auf der Tour mit Shearwater bekommen hat. Seine Bescheidenheit macht ihn sympathisch, aber er muss sich wirklich nicht verstecken, denn er hat jede Menge Talent und sein rein instrumentales Set , das aus Stücken (insgesamt vier) von Wintermusik und Bells besteht, passt atmosphärisch auch gut zum Headliner des heutigen Abends.
Shearwater bequemen sich schließlich erst nach 23 Uhr auf die Bühne. Fünf amerikanische Musiker mit dem hochaufgeschossenen Sänger, Gitarristen und Pianisten Jonathan Meiburg an der Spitze und der schönbeinigen Bassistin Kimberley Burke als optisches Highlight. Natürlich hat sie mehr zu bieten als nur tadellose Beine und ein entzückendes Lächeln. Ihr graziles Baßspiel (mal gezupft, mal gestrichen) ist hochfein und ich kann meine Augen nicht von ihr lassen. Ihr friedlicher, verträumter Blick hätte allein schon das Kommen gerechtfertigt (am Ende habe ich ungefähr 400 Fotos von ihr, ...ähem, ja). Klarer Chef von Shearwater ist aber Jonathan, der wie immer mit seiner von zarten Anmut zur heroischen Stürmigkeit wechselnden Stimme begeistert. Sein anrührender Falsettgesang ist schlicht und einfach sensationell! Auch seine Mimik zu beobachten lohnt sich. Wenn er in den rockigen Passagen alle Zügel losläßt (der Kerl kommt aus dem Pferdeland Texas!) und den Mund wie ein angriffslustiger Löwe aufreißt, bleibt kein Auge trocken. Auch die anderen drei Musiker agieren effizient und hochklassig, fallen aber abgesehen von dem lustig frisierten Drummer mit dem Mickey Mouse T-Shirt nicht sonderlich auf. Letztgenannter hat gegen Ende seinen großen Auftritt, als er am vorderen rechten Bühnenrand zusammen mit Kimberley um die Wette klöppelt und dem Glockenspiel wahre Wohlklänge entlockt. Witziger als diese Szene ist aber eine Passage, in der er auf der Bühne nicht gebraucht wird, sich in aller Seelenruhe eine Flasche Bier holt und sich seitlich neben Kimberley kauert, um ihr Bein zu tätscheln. Ob der langmähnige Muskelprotz wirklich mit der Beauty zusammen ist? Eifersucht! Aber musikalisch ist er ja wirklich unumstritten toll, denn er spielt nicht nur formidabel Schlagzeug, sondern auch Klarinette.
Hinsichtlich des Songmaterials steht eindeutig das aktuelle Werk The Golden Archipelago im Vordergrund. Für mich nicht unproblematisch, weil ich von dem Vorgänger Rook so dermaßen bgeistert war, daß ich mich bis zum heutigen Konzert nicht getraut hatte, das neue Opus zu hören. Meine Bedenken werden aber ziemlich schnell zerstreut, denn schon der Opener Black Eyes ist betörend schön und auch Castaways lässt mich mit der Zunge schnalzen. Absolute Highlights bleiben aber Rooks und Century Eyes im Doppelpack, an diese mit jubilierenden Trompeten untersetzten Perlen kommen die neuen Sachen einfach nicht ran. Euphorisierend allerdings auch 74/75, das live noch mehr rockt als aus der Konserve. Ohnehin werden sämtliche Lieder leicht abgewandelt gespielt, nichts klingt wie vom Band und es bleibt Platz für Improvisation und Spontaneität, kleine Patzer inklusive. Schade, daß das Frankfurter Publikum so zurückhaltend bleibt und nur bedingt mitswingt, aber die Hessen sind wahrscheinlich stille Genießer, denn zufriedene Gesichter sieht man hinterher reichlich. Auch die deutsche Folksängerin Caroline (Projekt Radio Caroline) ist hingerissen. Sie kannte Shearwater vorher nicht und ist innerhalb von einer guten Stunde zum Fan geworden.
Das lange Warten auf die Bands hat sich letztlich also mehr als gelohnt. Dann läuft wieder Beach House vom Band. Die sehen wir am 15. August an gleicher Stelle und darauf freue ich mich bereits sehr. Trotz der nervigen Dauerberieselung bin ich nämlich glühender Anhänger des Duos...
Setlist Shearwater, Am Bett, Frankfurt:
01: Black Eyes
02: Landscape At Spead
03: Castaways
04: White Waves
05: God Made Me
06: Corridors
07: Hidden Lakes
08: Home Life
09: Rooks
10: Century Eyes
11: I Was A Cloud
12: 74/75
13: Uniforms
14: Missing Islands
15: Snow Leopard
Shearwater:
Past shows:
05.08.2010: München, Ampere
06.08.2010: Das Bett, Frankfurt
07.08.2010: Beatpol, Dresden
Demnächst:
09.08.2010: Comet Club, Berlin
10.08.2010: Übel & Gefährlich, Hamburg
2 Kommentare :
Der für seine Pünktlichkeit bekannte Bloggerfreund Christoph hatte ja unbedingt drauf bestanden, Nils Frahm vorher zu sehen und rechtzeitig loszufahren, wenn ich mich recht erinnere ;-)
Das Konzert war auf der Homepage, auf den Flyern und in der Presse mit 21 Uhr Einlass und 22 Uhr Beginn angekündigt. Nils Frahm hat erst um 22.15 angefangen, sorry für die 15 Minuten Verspätung.
Schöne Grüße
Frank von
DAS BETT
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