Mittwoch, 24. September 2008

The Charlatans, Köln, 23.09.08


Konzert: The Charlatans
Ort: Luxor, Köln
Datum: 23.09.2008
Zuschauer: sehr voll
Dauer: The Charlatans ca. 80 min, Mint ca. 30 min


Mit "Entschuldigung für mein Jean-Marie-Pfaff-Deutsch", glaubte der Sänger der belgischen Indiepop-Band Mint, Verständnis für seine nicht perfekten Sprachkenntnisse zu bekommen. Das war vollkommen unnötig, denn zum einen sprach Sänger Erwin Marcisz passabel Deutsch, zum anderen juckte das eh fast keinen im Luxor, die Mehrzahl der Besucher schien nämlich einen kurzfristigen Migrationshintergrund zu haben und aus England und den Niederlanden zu stammen. So bekamen leider auch die wenigsten den schönen Dialog zwischen Erwin und einem Zuschauer mit. Der Sänger hatte sich sehr wohlwollend über das Publikum geäußert: "Alle sind sehr sympathisch." Als Antwort kam von der Tanzfläche: "Du mich auch!", was Erwin artig mit einem "Danke sehr!" quittierte.

Aber warum rede ich so viel von nicht-Musik? Abzulenken brauche ich nicht, denn das Programm der Belgier als Vorprogramm der Charlatans war hörenswert. Vielleicht hatte dEUS-Keyboarder Klaas doch nicht (stark) übertrieben, als er Belgien (neben der Schweiz) als Land der besten Indiebands bezeichnete, zumindest den flämischen Teil, den anderen kannte er nicht. Aus
Flamen (aus Hasselt in Limburg) stammt auch die fünfköpfige Band Mint. Wobei ich mir nicht richtig sicher bin, ob sie fünfköpfig ist, weil der Rhythmusgitarrist (wahrscheinlich Steve Janssens) soweit links spielte, daß er eher dem Roadie im Weg stand, als in der Nähe seiner Kumpels zu musizieren.

Mint spielen schönen Indiepop mit interessanten Melodien, die sehr catchy klangen. Ein wirklich überzeugender Kurzauftritt, der mir Lust auf mehr machte. Ein Lied hätte ich vorher bereits kennen sollen,
Your shopping lists are poetry scheint nämlich in der Werbung eines Kaufhauskonzerns zu laufen. Ich sollte mehr fernsehen.

Setlist Mint, Luxor, Köln:

01: Meet me at the Morasko
02: The magnetism of pure gold
03: Medicine
04: Brand new toy
05: Your shopping lists are poetry
06: Giving blood to machines
07: The winter of 1985

Schöner Beginn, ich war aber nicht wegen der Vorgruppe da. Denn heute standen die Charlatans aus den englischen Midlands an. Obwohl ich die Band seit der Veröffentlichung ihrer Debüts Some friendly Anfang der 90er zu meinen Lieblingsgruppen zähle und The only one I know ganz locker zu meinen fünf liebsten Lieblingsliedern gehört, war es für mich eine Premiere, denn als ich sie hätte sehen können, mochte ich nicht zu Konzerten gehen (90er) oder konnte ich nicht (00er). So richtig verfolgt hatte ich die neueren Platten auch nicht mehr. Sprich, meine Stimmung war hin- und hergerissen und gespannt.

Es war fast 22.15 h, als die Charlatans auf die Bühne kamen, alle in schwarz gekleidet und spärlich beleuchtet. Sänger Tim Burgess ist sicher eine der schillernden Figuren der englischen Musikszene. Neben seinem Engagement bei den Charlatans (mit immerhin drei LPs auf Platz eins und zwei auf Platz zwei der englischen Charts), Gastauftritten bei den Chemical Brothers und Saint
Etienne spielt Tim in einer spektakulären Supergroup The Chavs, gemeinsam mit seinem Kumpel Carl Barât, Mitgliedern der Klaxons, von Razorlight und anderen britischen Stars. Und wohl bei den Yeah Yeah Yeahs, denn er sah deren Sängerin Karen O unfassbar ähnlich. Zumindest die Prinz Eisenherz Frisur und die Skinny Hose mit Springerstiefeln machten ihn zu einem Doppelgänger der Amerikanerin.

Noch aufregender war allerdings seine Bühnenperformance. Er fuchtelte nämlich mit beiden Händen am mobilen Mikro rum, als führte er einen Kampf mit Lichtschwertern. Oder
als spiele er Golf mit dieser neuen Spielkonsole. Dazu immer wieder Abklatschen der zumeist englischen Fans vorne und Fingerzeige ins Publikum. Madchester - aber sympathisch.

Seine Kollegen taten ihm das nicht gleich.
Vor allem der Bassist und der Gitarrist machten gar nichts. Also sie spielten, das war es aber auch. Beide standen ordentlich rockig auf ihrem Platz und regten sich kaum. Schlagzeuger Jon Brookes war etwas aktiver. Am meisten Energie strahlte noch der Keyboarder aus, der ja schließlich auch einen der wichtigsten Parts bei der Musik der Engländer hat. An der Orgel sitzt mittlerweile Tony Rogers, der Nachfolger des tödlich verunglückten (und vorher mal wegen Fahrens des Fluchtautos bei einem bewaffneten Überfall auf einen Schnapsladen aufgefallenen) Rob Collins. Ich schweife wieder ab.

Die Musik der Charlatans ist purer Madchester Sound. Vielleicht wäre es zeitgemäßer, es heute Pre Nu Rave zu nennen, denn das ist das, was Primal Scream, Stone Roses, Happy Mondays oder Charlatans sind, die Vorbilder und -läufer der ach so kreativen Nu Rave Bands der letzten Jahre. Stilprägend bei den
Charlatans sind die psychedelischen Orgelpassagen, das Intro von The only one I know, ist da besonders typisch. Das Psychedelische erinnerte mich über die Dauer eines Konzerts immer mal wieder an The Verve. Richtig weit auseinander sind auch diese Bands nicht.

Vor dem sehr voll wirkenden Luxor spielte die Band ambitionierte 22 Lieder, alleine neun vom letzten Album You cross my path, das vorab legal im Internet verfügbar war. Ich habe und kenne es trotzdem noch nicht, was dazu führte, daß vieles an diesem Abend für mich neu war.
Schrecklich groß war die Umgewöhnung aber nicht, denn auch die jüngeren Stücke klingen vertraut in Aufbau und Instrumentierung. Im Prinzip gab es für mich nur einen echten Ausfall mit Judas. Dieses ziemlich fiese, an Mika oder die Scissor Sisters erinnernde Lied, stammt aber von Wonderland, ist also nicht neu (im Land der Wunderlichen ist es auch gut aufgehoben).

Der Rest des Sets war solide (einiges), gut (vieles) oder überragend (ein paar Perlen wie The only one I know oder Then, Oh! Vanity, Sproston green natürlich). Eine Mischung daraus war dann auch das Konzert selbst. Ich habe sicher nicht mein Konzert des Jahres gesehen, es war aber auch keine Enttäuschung. Gut aber nicht lebensverändernd. Mir schien auch die Stimmung allgemein zurückhaltend zu sein. Obwohl das Potential da war (viele Engländer, die
ihren Blutalkoholgehalt ordentlich vorbereitet hatten), war es ruhiger als bei den Futureheads beispielsweise. Aber Melancholie ist ja kein furchtbar lautes Gefühl und die spielte immer ein wenig mit.

Die Charlatans sind meine Helden und werden es immer bleiben. Ich bin heilfroh, sie endlich gesehen zu haben, und sie haben es wahrlich nicht versaut. Nur jüngere Konzertgänger lockt diese im Prinzip ja topaktuelle Musik nicht mehr hinterm Ofen her, das Durchschnittsalter war deutlich über 3o - und nicht nur bei dem, der mit Marillion-Kutte gekommen war.

Setlist The Charlatans, Luxor, Köln:

01: You cross my path
02: Weirdo
03: Bad days
04: Blackened blue eyes
05: Judas
06: Mis-takes
07: Then
08: Here comes a soul saver
09: It's what it is, it's what it was
10: One to another
11: The only one I know
12: Oh! Vanity
13: My name is despair
14: Bird reprise
15: The misbegotten
16: You're so pretty - we're so pretty
17: And if I fall
18: Crashin' in
19: This is the end

20: A day for letting go (Z)
21: How high (Z)
22: Sproston green (Z)

Links:

- The Charlatans in Brüssel im Februar
- und in Paris kurz vorher
- mehr Fotos von den Charlatans im Luxor

Konzertbesucher von den Charlatans könnten auch mögen:

- The Verve (in Luxemburg oder Glasgow)
- I Am Kloot (in Paris)





4 Kommentare :

Liam1994 hat gesagt…

Schöner Bericht, aber in der Setlist fehlt der "Tremolo Song", der kam irgendwo im ersten Drittel. Feines Konzert, aber Scheißfrisur bei Timmy ;-)

LG,
Liam

Christoph hat gesagt…

Die Frisur ist doch... hübsch...

Danke für den Hinweis auf den Tremolo Song, muß noch mal in meinen Notizen nachgucken.

Anonym hat gesagt…

...kurzfristigen Migrationshintergrund finde ich gut!

Anonym hat gesagt…

Spontan und auch nach längerem Überlegen: dein bester Bericht so far! Verdammt gut geschrieben für die Uhrzeit. Ich ziehe meinen Hut.
...soso, die Docs sind dir also auch aufgefallen ;-)

 

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