Samstag, 24. August 2013

Thees Uhlmann & Band, Großpösna, 18.08.2013


Konzert: Thees Uhlmann & Band
Ort: Großpösna, Störmthaler See (Highfield Festival)
Datum: 18.08.2013
Dauer: etwa 45 Minuten
Zuschauer: tausende


„Römer am Ende Roms“ zur Eröffnung ist ein Standard eines Thees Uhlmann-Konzerts. Dass Uhlmann das Stück zu Beginn seines kurzfristig angesetzten Highfield-Auftritts spielen würde, war nicht wirklich zu bezweifeln, trotzdem schwingt mit dem mit Springsteen-Zitaten gespickten Liebeslied ein erhabenes Gefühl an diesem Spätnachmittag Mitte August mit. 
Es ist stürmisch, die Luft scheint Sand getränkt, Regentropfen prasseln einem ins Gesicht: Uhlmann wurde wenige Tage zuvor als Ersatz für den englischen Akkustikpunk und „hardest working man in showbiz“ (Billy Bragg) Frank Turner aus Winchester, der wegen eines Rückenleidens eine Reihe Auftritte absagen musste, bestätigt. 
Uhlmann selbst ist Fan und guter Bekannter des Briten und sieht es als Ehre seinen Urlaub um wenige Tage zu verschieben. Dass er mit „Römer am Ende Roms“, das nicht nur auf Springsteens „Dancing in the Dark“ verweist, sondern auch textlich angedeutet und vor allem musikalisch augenscheinlich an dessen „Thunder Road“ angelegt ist, beginnt, lässt einen positiv an Turner denken, dessen reduzierte Akustikversion des „Born To Run“-Songs das beste Springsteen-Cover ist, das ich kenne. 
 Beide vereint die leidenschaftliche Liebe zur Rock-Ikone aus New Jersey, was man glücklicherweise auch der Musik anhört. Als Solokünstler inszeniert sich Thees Uhlmann gekonnt als deutscher Boss und kommt ebenso wie Turner auch bei eingefleischten Springsteen-Fans an. Der Pathos passt auf dem im diesen Jahr vom amerikanischen Punk geprägten Highfield Festival kontrastiv; „Triff mich an der Kirche / denn ich habe Lust zu schwören, / dass wir für den Rest der Tage zusammen gehören / Triff mich bitte mitten ins Herz / Triff mich auf der Bank im Park / Even though we are just dancers in the dark“, singt Uhlmann inbrünstig, während Julia Hügels Pianospiel und der Mundharmonika-Einsatz keinen Zweifel an einer „Thunder Road“-Referenz lassen. 
Eine tolle Band hat der auf Solopfaden wandelnde Tomte-Frontmann da um sich versammelt. Neben der erwähnten Musikstudentin Julia Hügel sind das Martin Kelly (von Martin & James) an der Gitarre, Markus Perner an den Drums, Hubert Steiner am Bass und Tobias Kuhn (Gitarre und Mundharmonika). Kuhn, der auch das selbstbetitelte Debütalbum des gebürtigen Hemmoorers produzierte, ist ein wichtiger Faktor für den großartigen Verlauf Uhlmanns Solokarriere. Verantwortlich für klangästhetische Prozesse ist der ehemalige Miles-Sänger derjenige, der dafür sorgte, dass „Thees Uhlmann“ eine der besten deutschen Indie-Pop-Veröffentlichungen der letzten Jahre wurde. Darüber möchte man ihm sogar die Beteiligung als Co-Produzent am aktuellen, wirklich furchtbaren Toten Hosen-Album „Ballast der Republik“ verzeihen, aber für die Songs kann er freilich auch nichts. 
Knapp eine Dreiviertelstunde hat Uhlmann in Großpösna Zeit seine Lieder zu präsentieren und es gelingt dem 39-jährigen souverän ein begeisterndes Set zwischen subtiler Alltagsbeobachtung und ausgelassener Indie-Party zu spielen.  
„Das Mädchen von Kasse 2“, „Vom Delta bis zur Quelle“, „Die Toten auf dem Rücksitz“, wer es sich leisten kann drei Songs dieser Klasse hintereinander zu spielen, kann zurecht in seine Songwriter-Qualitäten vertrauen.  
„Sind heute Eltern hier?“, Uhlmann erzählt von seiner 6-jährigen Tochter in Berlin, solidarisiert sich mit anwesenden Müttern und Vätern, denen es gelingt Konzertleidenschaft und Kinderbetreuung zu koordinieren und spielt das für junge Familien wohl programmatische „Die Nacht war kurz (und ich stehe früh auf)“. Wieder setzt die Mundharmonika nebraska'esk ein, der angenehm wabernde Bass lenkt kurz ab, lässt einen an das morgendliche Aufstehen denken, dann setzt der Refrain mit der Titel gebenden Zeile ein, die vom begabten Sänger Tobias Kuhn wiederholt wird. 
Auf Thees Uhlmann-Konzerten wird viel gesprochen, die Geschichte aus der niedersächsischen Provinz, die er vor „Lat: 53.7. Lon: 9.11667“ erzählt, steht in bester „The River“-Tradition, glänzt mit Anekdotenreichtum und Einblicken in die uhlmann'sche Biografie. Während die Band dezent die Melodie des Stückes liefert, berichtet der Frontmann aus seinem Kinderzimmer, vom ständigen Fahrradfahren, von den väterlichen Aggressionen gegen Kreator und Slayer, dem Tod der Oma eines Kumpels, der eigentlich zu einer Party gerufen hat. „Hier komm ich her, hier bin geboren, hier komm ich her“, singt Uhlmann im Refrain und widmet es allen Besuchern, die vom Land kommen. Selten wurde die Verwurzlung in provinzieller Erinnerung ehrlicher und besser formuliert als in diesem Song, „Du kriegst die Leute aus dem Dorf, das Dorf nicht aus den Leuten / Und ich weiß nicht wirklich, was soll es bedeuten.“ Melancholisch denkt man selbst an die eigenen Kindheit auf dem Land zurück und ist froh dort aufgewachsen zu sein. Emotionen werden geweckt, ohne zu Verkitschen, Kontraste klingen an, Kritik wird deutlich, doch überwiegt, ja verbleibt auch in den Grautönen die Identität, nach der die urbane Gesellschaft, gerade die, die es aus der Provinz dorthin verschlug, suchen. „Hier gibt es Restaurants, in die niemand geht, / Weil das Essen um Punkt sechs auf den Tischen steht. / Hier gibt es Kühe auf den Weiden und Atomkraftwerke / Und reden war noch niemals unsere stärkste Stärke. / Haben hohe Himmel im tiefsten Blau. / Hier nimmt man seine Jugendliebe noch zur Frau.“ Man akzeptiert den Pathos, weil er treffend ist, man legt es nicht als Zynismus aus, weil es wertneutral berichtet, wie das Leben spielt. Es sind Lieder, wie dieses, die den Künstler Thees Uhlmann auszeichnen und die die Springsteen-Vergleiche zulassen. 
Nächste Woche erscheint „#2“, das zweite Album unter eigenem Namen. Mit „Am 07. März“ wird nur ein neues Stück vor den Toren Leipzigs gespielt. Der eingängige „Ohoho“-Refrain lässt einen Hit erwarten. Name- und date-dropping stört nicht; ausgehend vom gemeinsamen Geburtstag seiner Mutter und Rudi Dutschke im selben Krankenhaus in Berlin-Pankow berichtet Uhlmann von weiteren Ereignissen an diesem Tag in der Geschichte: Von der Rhein-Überquerung der Amerikaner bei Remagen im zweiten Weltkrieg, über die Veröffentlichung von „American Psycho“, dem ersten Mal „We Are The World“-Hören, der Patentierung des Telefons, die erste "Sendung mit der Maus" bis hin zur Gründung der FDJ. Dazu gibt es wunderbare Zeilen wie „Die Menschen spielten wirklich irgendwann mal Tennis“. 
Dass die Technik ausgerechnet bei „Zum Laichen und Sterben ziehen die Lachse den Fluss hinauf“, dem größten Solohit, der Assoziationen zu einer anderen wichtigen Band im Uhlmann'schen Kosmos zulässt, nämlich Oasis, ist tatsächlich ärgerlich. Wütend wirft Uhlmann den Mikrophonständer um, das Publikum singt währenddessen den Refrain, bevor die Probleme behoben sind und sich der Song als zu erwartendes Highlight beweist. 
Die Zuschauer toben, Uhlmann zieht die Lederjacke aus, steht im schwarzen T-Shirt vor den Zuschauern, lässt sich feiern. Die Strophen entfalten ihre glänzende Wirkung mit dem aufbäumenden Einsetzen des Refrains erst richtig. Ein Feedback hallt nach, tosender Applaus. 
„Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht; Casper aus Bielefeld kann heute nicht bei uns sein. Jetzt die schlechte, ich muss selbst rappen.“ „& Jay Z singt uns ein Lied“ markiert den Schlusspunkt eines starken Konzerts, das den Ausfall Turners fast vergessen macht. Die Zuschauer singen den ikonischen Song eindrucksvoll mit, dann käme Caspers Einsatz, Uhlmann beginnt zu rappen; „Mehr Kraft als Mut mit mehr Schnaps als Blut / In den Augen, Taumel durch die Nacht im Flug schlafimmun / Ab und zu Lebenslichter schwebenden Songs / Hab' 99 Probleme, wir sind jedes davon“, dann bricht er ab, der Refrain setzt verfrüht ein, die Zuschauer spielen euphorisiert mit. 
Verschwitzt und strahlend lächelnd verabschiedet sich Uhlmann mit einer Verneigung: „Wenn ich daran denke, mit Gaslight Anthem auf einer Bühne zu stehen, geht mir einer ab! Und Tocotronic sollen 'Jenseits des Kanals' spielen. Wir sehen uns bald!“ 
 45 Minuten nach dem verspielten Piano-Intro von „Römer am Ende Roms“ ist man begeistert. Es gelingt ihm, Menschen glücklich zu machen - auch das scheint ein Standard zu sein. Das ist das größte Kompliment, das man Uhlmann machen kann. Er ist auf einem guten Weg, seine Stellung als deutscher Musiker in der Tradition Springsteens zu festigen, ohne ins bloße Epigonentum abzufallen. Ich gratuliere!


Setlist Thees Uhlmann & Band, Großpösna:

01: Römer am Ende Roms
02: Das Mädchen von Kasse
03: Vom Delta bis zur Quelle
04: Die Toten auf dem Rücksitz
05: Die Nacht war kurz (ich stehe früh auf)
06: Lat: 53.7. Lon: 9.11667
07: Am 07. März (neu)
08: Zum Laichen und Sterben ziehen die Lachse den Fluss hinauf
09: & Jay Z singt uns ein Lied


Links:
- aus unserem Archiv:
- Thees Uhlmann & Band, Mannheim, 01.06.2013 
- Thees Uhlmann & Band, Haldern, 09.08.2012
- Thees Uhlmann & Band, Scheeßel, 23.06.2012
- Thees Uhlmann & Band, Trier, 10.12.2011
- Thees Uhlmann & Band, Köln, 25.11.2011
- Thees Uhlmann & Band, Bielefeld, 12.12.2010
- Tomte, Wien, 05.09.2009
- Tomte, Mülheim, 25.03.2009

 

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