Samstag, 13. April 2013

Spectacular, Spectacular, 7.4.13, Berlin

Konzert: Jonas David, Josh Beech, Rue Royale
Ort: Privatclub Berlin
Datum: 7.4.13
Zuschauer: ca. 150

von Julia von ZeitZuBleiben.net


Schon vor Monaten lese ich von einer neuen Veranstaltungsreihe namens Spectacular! Spectacular!. Soso. Der Veranstaltungstitel verspricht nicht gerade wenig. Ich bin gespannt. Nach und nach werden die teilnehmenden Acts der ersten Ausgabe bekannt gegeben. Unter ihnen Jonas David, dessen Musik ich seit gefühlten zehn Jahren, in Wirklichkeit seit erst drei Jahren verfolge. Ich habe ihn in Köln gemeinsam mit Florian Ostertag spielen hören damals. Ein ganz kleines Café. Aufnahmen habe ich mit meinem uralt-Handy gemacht. Eine lächerliche Qualität. Nicht anhörbar, sogar für mich nicht, der es normalerweise um den Kern der Musik geht und der die exakte Klangqualität nur halb so wichtig ist. Aufnahmen zum Mitnehmen gab es noch nicht. Mittlerweile gibt es seine Lieder auf silberne Scheiben gepresst und ich habe alle fleißig gesammelt. Ich mag Jonas David. Ich mag ihn so, dass klar ist, dass ich dabei sein werde - unabhängig davon, dass ich die anderen beiden Künstler noch nicht kenne und auch, falls er nur wenige Minuten spielen sollte. Von Rue Royale habe ich bereits gehört. Menschen mit gutem Musikgeschmack hören sie und das heißt oftmals Gutes. Wieder bin ich also gespannt.
Rund 150 Leute sind im gemütlichen Privatclub zusammengekommen. Das passt, der Raum ist gut gefüllt. Die Location passt, die Bühne passt, das Ambiente passt. Ursprünglich hätte das Konzert im Heimathafen Neukölln stattfinden sollen. Mir wird unwohl bei dem Gedanken, wie verloren die Zuschauer im doch recht großen Heimathafen gewirkt hätten. Ich atme auf beim Gedanken, dass wir im Privatclub sind. Stolz bin ich, dass ich mich und meine Begleitung ausnahmsweise einmal nicht irrsinnig früh zum Ort des Geschehens gelotst habe, denn es ist fast wie ein Zwang: Ich weiß, dass die meisten Clubs und Bars, in die ich gehe, nicht erfordern, bereits zum Einlass vor Ort zu sein, um ganz vorn stehen zu können - dennoch bekomme ich Platzangst, wenn ich daran denke, dass Menschen vor mir stehen, mir die Sicht versperren, reden, laut reden, nervtötend laut reden, während ich die Sekunden in mich aufsauge wie ein Schwamm, während ich jede Sekunde speichere und sorgfältig in die verschiedenen Schubladen des musikalischen Gedächtnis sortiere. Ich muss die Mimik der Künstler mitverfolgen. Und die Gesten. Jede kleinste Regung. Vor allem aber die Mimik. Das war schon immer so.
Um 20:45 betritt Josh Beech die Bühne. Der Spectacular-Flyer verrät mir, dass es sich hierbei um ein männliches Model handelt, dem Fashion Weeks irgendwann zu wenig wurden. In meinem Kopf baut sich für den Bruchteil einer Sekunde das Bild eines Laufstegs auf, der mit dürren Models bestückt ist, die Dinge tragen, die kein Mensch im echten Leben trägt. Für den weiteren Bruchteil einer Sekunde stelle ich mir Beech vor, wie er mit leerem Blick gelangweilt auf seinen Laufsteg-Moment wartet. Ich nicke kurz, als wolle ich Beechs Entscheidung, doch lieber Musiker zu werden, absegnen. Beech ist zum ersten Mal in Berlin, sagt er. Beechs Stimme fällt auf. Charakteristisch. Eindringlich. Kraftvoll. Häufig mag ich Stimmen, die ich genau so umschreiben kann; bei Josh Beech will der Funke jedoch nicht überspringen. Stellenweise gefällt mir, was ich höre, wenn der vor Kraft nur so strotzende Beat mitreißt und meine Füße wippen lässt. Wie Gudrun bereits in ihrem Bericht aus Frankfurt schrieb, istBeech ein Mann der Animation. Immerzu wird zum Klatschen und Mitmachen aufgerufen. Und dann wieder zum Klatschen. Und zum Mitmachen. Und noch einmal, alle zusammen. Wirklich alle, bittet er. Einige Menschen vor der Bühne tauschen Blicke aus, die wie eine Entschuldigung wirken: „Ich würd ja, klar, aber ich kann ja nich. Bier in der Hand, kennste ja...“. Beech fragt, wie viele der Zuhörer ihn bereits zuvor haben spielen sehen - ein, dann zwei, drei, vier Arme bewegen sich zögerlich in die Luft. Im Augenwinkel sehe ich ein Mädchen, das jedes Wort, das er singt, auswendig kann. Während ich sie fasziniert und lächelnd beobachte, weil ich es mag, wenn Menschen die Texte kennen, ruft Beech ganz plötzlich: „People are talking – that’s rude! There are people who want to listen!“ Mir gefällt der Einwurf. Endlich mal Entrüstung von Seiten der Musiker. Quatschen könnt ihr in Berlins Millionen von Kneipen, wo Musik bewusst nur die Nebenrolle spielt. Olé und richtig so. Ich mag auch den Musiker, der neben Beech auf der Bühne steht, weil man ihm so viele Emotionen und Klänge im Gesicht ansieht. Leider bemerke ich es ein wenig zu spät.
Der nächste ist er, Jonas David. Er sitzt auf einer Art Schreibtischstuhl, der ein wenig niedrig und eigentlich zu klein wirkt für ihn, und dreht sich einige Male um die eigene Achse. Unprätentiös und bodenständig. Ehrlich. Irgendetwas in mir fühlt sich an einen kleinen Jungen erinnert, der sich mit seiner Gitarre an seinen Schreibtischstuhl mit dem Fußballmotiv gesetzt hat, um ein wenig herumzuklimpern. Aber das Bild funktioniert nicht lange: Ich habe kaum Zeit zum Schmunzeln, als mich die Klänge, die David dem Instrument entlockt, in den Privatclub zurückreißen. Das, was ich höre, gehört nicht dem kleinen Jungen im Kinderzimmer. Ineinander verwoben sind die Klänge, die David zaubert. Zaubern ist ein großes Wort, das man in diesem Fall jedoch getrost verwenden darf. Klangteppiche. Davids Stücke bauen sich Stück für Stück auf, um schließlich in einem gefühlten Feuerwerk zu münden. Ich muss staunen, als ich die Beschreibung Davids auf dem Flyer lese: „Jonas David macht Gitarrenmusik [...], die gern ausufert und Grenzen überschreitet, aber dennoch nie verpasst, auf den Punkt zu kommen.“ Mein Herz tut einen kleinen Satz, weil ich gute Formulierungen so liebe. Richtig gute Formulierungen. So wie diese hier. Der Spannungsbogen, den David in seinen Stücken spannt und das letztendliche „auf den Punkt kommen“ ist tatsächlich einer der zentralen Punkte, weshalb ich seine Musik so schätze. „Wie geht’s euch?“ Pause. „Mir geht’s nich so gut. Bin voll auf Meditonsin – hartes Zeug!“, flüstert David und grinst dabei sein kleiner-Junge-Grinsen. Dann lauschen wir „Shield“; dem einzigen Song des Abends, den ich bereits kenne. David gewährt viele Einblicke in neues Material, probiert herum, nutzt Berlin quasi als Versuchskaninchen: „Wenn’s ganz schlimm ist, müsst ihr‘s sagen, seid bitte ehrlich...“. David erzählt von Konzerten in Italien und davon, dass Konzerte in italienischen Restaurants ziemlich anders funktionieren als das, was hier gerade passiert. Davon, wie schwer es ist, sich gegen 80 schmatzende Italiener durchzusetzen und vor allem davon, wie eine temperamentvolle ältere Dame eine provisorisch im Restaurant errichtete „Bühne“ stürmt, ihm die Gitarre entreißt und beherzt ins Mikrofon singt. Sie stimmt ihr eigenes Lied an und wir dürfen einige Momente lang diesen bizarren Moment miterleben. David hat ihn aufgenommen. Begeisterte Gesichter. Lächeln. Geglücktes Geschichtenerzählen. Geglückter Humor. David stellt neue Stücke vor, bei denen seine Stimme bemerkenswert verzerrt ertönt. Erneut grinsende Gesichter im Publikum. Kichern neben mir. „Muss man nicht mögen“, sagt David schließlich und ich bin etwas verwundert. Ich mag die Stimme, die man nicht mögen muss, die er da eben geschaffen hat. Dennoch hoffe ich insgeheim, sie möge künftig nicht Davids natürliche Stimme ersetzen. David fordert dazu auf, am Ende des Konzerts seine Meinung kundzutun und auf kleine Zettel zu schreiben, die in einen Briefkasten geworfen werden sollen. Ich werde schreiben, dass ich die „muss-man-nicht- mögen-Stimme“ mag, aber dass ich mir wünsche, dass sie sparsam eingesetzt werden möge. So werde ich es machen. „The ice we walk is very thin [...]. Hearts may change but mine won’t.” 
Davids Texte wirken nicht selten pathetisch, vielleicht auf den ein oder anderen gar übertrieben, kitschig, zu groß, zu dick, zu wie-auch-immer. Ich bin ein Freund großer Worte, sobald ich sie als ehrlich empfinde. David weiß, wie er es machen muss, dass Text und Instrumentierung ein stimmiges Ganzes ergeben. Es passt. David nimmt man es ab. David nehme ich es ab. Sein Mitstreiter und er haben ein selbstgebautes Instrument dabei. Ob es tatsächlich selbstgebaut ist, weiß niemand, aber das macht nichts. Es klingt gut, erzeugt interessante Facetten, die Davids Stücke bereichern. Auch hier wünsche ich mir, dass es in Zukunft Einsatz findet, aber nicht die David-typische Instrumentierung ersetzt.
Rue Royale. Die Gelobten, Empfohlenen. Mehrere mir bekannte Gesichter, die ich am Abend treffe, sind ihretwegen hier. Mir gefällt auf Anhieb, wie natürlich sie auftreten. Ihre Stimmen harmonieren hervorragend miteinander. Rue Royale wissen, was sie tun. Sie sind dabei ganz sie selbst, hoch konzentriert und professionell. Letzteres möchte ich wirklich betonen. So viel Konzentration. Brookln Dekker hat seine Stimme im Griff. Ständig unter Kontrolle. Ehefrau Ruth Dekker, die neben ihm auf der Bühne steht, ebenso. Hin und wieder schaut sie zaghaft zu ihm rüber. Mir gefallen die Arrangements. Mir gefallen die Stimmen. Dennoch: Der Knoten platzt nicht. Empfinde ich sie als ein wenig zu „glatt“, quasi „perfekt“? Ich weiß es nicht. Ich muss mich immer wieder über dieses „Phänomen“ wundern: Da gibt es eine ganze Reihe von Bands, deren Musik ich wirklich als ausgesprochen gut gemacht erachte. Wäre ich „zertifizierter Musikprüfer“ oder irgendso ein Quatsch, sie würden von mir den Stempel „qualitativ hochwertig und einwandfrei“ erhalten. Doch das fesselnde Element fehlt. Das letzte was-auch-immer-es-sein-mag, das mich staunen und innehalten lässt. 
Das, was sie für mich auf der Bühne glänzen lässt und mich bitten lässt, sie mögen nicht mehr aufhören. Der Zauber, sozusagen. Man kann es nicht greifen und beschreiben; nicht benennen, was fehlt. Rue Royale gehörten für mich am gestrigen Abend zu diesen Bands. Dabei komme ich immer wieder nicht drum herum, mich einen Moment lang über mich selbst zu ärgern. Zu wundern, warum man sich da jetzt nicht doch verlieben kann. Es ist schon so oft passiert. Es enttäuscht mich immer ein wenig, wenn es passiert. Doch dann denke ich, dass es doch vielleicht genau das ist, was Musik und unsere Liebe zu ihr ausmacht: Dass wir oft nicht genau greifen können, was und warum es uns berührt oder warum nicht. Ich nicke. Das ist ok so. In dem Augenblick wird Brookln Dekkers Stimme völlig unerwartet lauter. Richtig laut. Er schreit fast. Meine Augen werden groß und ich habe einen „wow, das war verdammt gut“-Moment. 
Als der Song „Guide to an escape“ vorbei ist, drehe ich mich zu meinem Nachbarn und sage, dass er das häufiger machen sollte. Schreien. Es steht ihm großartig. Es ist einer der ganz wenigen Momente während Rue Royale auf der Bühne stehen, in denen ihnen etwas zu „entgleisen“ scheint, etwas Unvorbereitetes, Ungeplantes passiert. Es steht ihnen wirklich gut. Und dann diese Zeile: „We got an awful lot of history in our skin.“ Ich hoffe, dass ich den Text richtig verstanden habe. Ein sagenhaft guter Text. Ich beschließe, dass man Rue Royale im Auge behalten sollte. Vielleicht gehören sie für mich zu den Bands, die man längere Zeit hören muss, um sie wirklich zu entdecken.

(Fotos von Christoph vom Kölner Konzert)

Aus unserem Archiv:
Spectacular Spectacular (Frankfurt)



1 Kommentare :

Gudrun hat gesagt…

Liebe Julia, dein Bericht ist wirklich schön und ganz besonders interessant wo sich unsere Berichte gleichen und wo nicht so ganz :)

 

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