Mittwoch, 10. April 2013

Fünf Füße für ein Halleluja, Stuttgart, 07.04.2013

Konzert: Fünf Füße für ein Halleluja
Ort: Kulturzentrum Merlin, Stuttgart
Datum: 07.04.2013
Zuschauer: voll
Dauer: etwa 100 Minuten



So wie der Italo-Western das klassische amerikanische Volksmärchen im spanisch-italienisch-jugoslawischen Sand begrub, sorgten sinnfreie Hau-Drauf-Parodien mit Bud Spencer und Terence Hill für das Ende dieser harten italienischen Variante. Filme wie „Vier Fäuste für ein Halleluja“ arbeiteten mit boxenden Slapstick-Einlagen, wo Corbucci und Leone düstere bleierne Balladen in Wüste und Schnee schufen.
Die Blockflöte des Todes, Sven van Thom und Martin „Gotti“ Gottschild, gemeinsam auf Tour als „Fünf Füße für ein Halleluja“, nehmen bereits im Projektnamen Bezug auf die raufenden italienischen Unterhaltungsfilme, die in den 70ern mit Spencer und Hill die deutschen Kinos füllten und längst Kultstatus erreichten. So wie diese Filme den Italo-Western beendeten, sind die Fünf Füße für ein Halleluja das Projekt to end all Liedermacher-Comedy.
Das Konzept, das die drei Berliner Künstler im bestuhlten Kulturzentrum Merlin auf die Bühne bringen, ist stellenweise urkomisch, während es in anderen Momenten die Grenzen des guten Geschmacks übertritt, was dann richtig peinlich wird. Das gehört zwar auch zum Konzept, ist aber unangenehm. Im ersten Teil des Abends wechseln sich die Musiker und Autor Gottschild ab, der größtenteils gelungene, lustige Geschichten zwischen Poetry-Slam und Berliner Literaturkultur vorliest und Banjo spielt.

Die Blockflöte des Todes, Pseudonym des einbeinigen (daher der Name des Projekts) Liedermachers Matthias Schrei, den ich bereits zweimal an gleicher Stelle als Solokünstler sah, agiert immer am kritischen Rand zwischen bitterbösem Zynismus und langweiligem Sexismus. Richtige Tabubrüche sind das dann auch nicht, sondern vielmehr Versuche einfach gestrickte Songs als solche wirken zu lassen. Den Refrain „Fisten, fisten, fisten / Mit Salafisten“ lässt Schrei beispielsweise das ganze Publikum singen, das erstaunlicherweise fast geschlossen folgt. Ist das nun lustig oder flach? Es ist ein Augenblick, in dem ich mich frage, was das alles soll, ein Moment, in dem ich darüber nachdenke, warum ein begnadeter Akkustikgitarrist und begabter Songwriter, der Glanzleistungen wie das verdammt brillante „Ich hab' nie die FDP gewählt“ vollbrachte oder – im positivsten Sinn – komische Songs wie „Mädchenhaar“ schrieb, auf die plumpe Provokationsschiene setzen muss. Letztlich passt aber auch das zur Inszenierung. So betonen alle Musiker heute, dass ihnen der ständige Sexismus leid täte. Das belegt dann natürlich, dass all das kalkulierte Satire ist, wie sie von TITANIC stammen könnte.
Dagegen weiß Sven van Thom, den ich erst vor wenigen Wochen mit seinem Projekt Machete im Merlin im Vorprogramm von Enno Bunger sah heute erneut zu überzeugen. Der kleine Sänger mit Krawatte zu schwarzem Hemd zeigt sich als kreativer Kopf, etwa wenn er etwas auf die Bühne bringt, das er selbst als „Wikipedia-Schlager“ bezeichnet. Dabei sorgt der gebürtige Berliner für großen Beifall und kollektives Lachen, indem er absichtlich klischeehaft-primitive Schlagerbeats laufen lässt und einen stupiden Text singt, nur um dann ein Fremdwort fallen zu lassen, dessen Wikipedia-Artikel er dann vorliest. Grandios.
Gottschild hat in dieser ersten Hälfte dann tatsächlich mit seinen Geschichten die meisten Lacher auf seiner Seite – und das völlig zurecht. Seine Kurzprosatexte sind gelungen, versetzen einen mental nach Berlin - und das nicht nur wegen des ausgeprägten Berlinerisch des Autors. Auch eine kommentierte Dia-Show mit teilweise sehr skurrilen Fotos kommt zurecht gut an.

Die zweite Hälfte des Abends steht dann ganz im Zeichen des Lese-Musicals Fünf Füße für ein Halleluja, wie die drei es selbst nennen.
Nur leicht – wenn auch schön trashig – verkleidet mit peruanischer Chullo (Blockflöte des Todes) und groben Patronengürtel und Spielzeugpatronen auf dem Kopf (Gottschild) geben sie Cowboys aus Schwerin, die nach Berlin ziehen. Hier wird dann alles mögliche persifliert: Klassische Westernmelodien, Berliner Klischees, das Berghain und Appassionata, diese Pferdeshow.
Benutzt man die Suchleiste dieses Blogs, so kann man auf allerhand Kuriositäten stoßen: Billie Ray Cyrus gehörte bis jetzt nicht dazu. Dass dieser Tiefpunkt des Mainstream-US-Country-Rocks seit dem heutigen Tage doch auftaucht, liegt an den Fünf Füßen. Diese wollen, so heißt es in dem Musical, nicht nur wegen der Pferde unbedingt zur Appassionata, sondern vielmehr wegen einer angeblichen Perfomance des Kinderstar-Vaters, der seinen großen, unterträglichen Hit „Achy Breaky Heart“ begleitet mit einer unsichtbaren Panflöte auf dem Rüclen eines Pferdes spielen soll. 
Das ist dann wirklich lustige, gelungene Satire. Kaum wird dieses Lied angespielt, lacht der ganze Saal. Dass das Musical-Pseudonym des Künstler-Pseudonyms Blockflöte des Todes - namentlich „Jack the Feinripper“ - ein auf Tiere mit Down-Syndrom stehender Sodomist ist, bewirkt hingegen beinahe ein Umkippen der Stimmung. 

Die Zugaben stimmen mich dann jedoch versöhnlich. Van Thom singt seinen großartigen Song „Polen (Spreewaldwalzer)“, die Blockflöte spielt einen neuen Titel, der dann wieder beweist, dass er einer der besten deutschen Liedermacher ist, den ich sicherlich noch das ein oder andere Mal sehen werde, und Gotschild liest eine zynisch-pointierte Wintergeschichte. Nicht schlecht. Stellenweise kann ein Ritt an der Grenze des guten Geschmacks auch großen Spaß machen. Auf das Wiedersehen mit der Blockflöte des Todes beim vorzüglichen ChanSong-Festival des Merlins im Oktober bin ich nichtsdestotrotz gespannt. Letztlich unterhalten einen ja auch die Bud Spencer - Filme. Zumindest ein bisschen.



 

Konzerttagebuch © 2010

Blogger Templates by Splashy Templates