Sonntag, 30. Oktober 2011

Pitchfork Festival Paris, mit Bon Iver u.a. 29.10.11


Konzert: Pitchfork Festival Paris mit Bon Iver, Lykke Li, Jens Lekman, Kathleen Edwards, The Rosebuds und Stornoway
Ort: La Grande de la Villette, Paris
Datum: 29.10.2011
Zuschauer: ausverkauft, mehrere tausend


"Die Innigkeit ist verloren gegangen."

Wie schon nach dem Konzert der Fleet Foxes im Bataclan musste ich an den Kommentar des Bloggertitanen Eike vom famosen Klienicum denken, den er eigentlich auf das aktuelle Album von Iron & Wine gemünzt hatte.

Spätestens nach heute ist klar: ob Bon Iver, Iron & Wine oder Fleet Foxes, überall ist die Innigkeit flöten gegangen. Fans des kargen und reduzierten Folks jaulen auf, der Mainstream jubelt. Sänger, die dereinst ihre brüchigen Songs in einer alten verlassenen Jagdhütte oder im Schlafzimmer geschrieben haben, bespielen heutzutage mit riesigem Orchester und fettem Sound große Hallen und das Publikum sind keine schluffigen Bartträger mit Ökölatschen mehr, sondern ein trendiges Völkchen mit ordentlich Knete im per Second Hand erstandenen Portemonnaie.

Wie reagiert man auf einen solchen Wandel? Stellt man sich in die Ecke und kotzt, oder sagt man sich: "ist doch gut, wenn jemand wie Bon Iver in den Charts vor Beyonce steht?" Hmm...

Aus kommerzieller Sicht ist Bon Iver jedenfalls inzwischen ganz klar Mainstream geworden, was man schon daran sehen kann, daß ich mir sein zweites Album beim diesjährigen USA Urlaub bei Starbucks (!) gekauft habe. "Einen doppio espresso und das neue Album von Bon Iver", hörte ich mich dem Barista antworten, als er fragte, was ich zu bezahlen hätte. Verrückt! Als ich das letzte Mal für längere Zeit in den USA war (2005) verkaufte Starbucks ein Album von Coldplay (nicht an mich, ich mag die nicht). In dieser Promi Liga ist Justin Vernon also nun angekommen. Da fragt man sich: wo ist das Topmodel/die Hollywood Schauspielerin, die man zur Belohnung bekommt, wenn man berühmt geworden ist? (man erkundige sich diesbzüglich bei Pete Doherty, Paul Banks, Alex Turner und Sean Lennon)

Im Falle von Justin heißt die Eroberung Kathleen Edwards, ist charmante kanadische Folksängerin und spielte in meiner Anwesenheit heute bereits um 15 Uhr 30 beim letzten Tag des Pitchfork Festivals. Vernon selbst durfte erst um 20 Uhr 30 ran, nachdem zuvor schon Jens Lekman und Lykke Li aufs Festivalvolk gehetzt worden waren.

Mit einer riesigen Band erklomm Vernon die Bühne. Da ich recht weit hinten stand und es auch nicht schaffte, mich nach vorne durchzukämpfen, konnte ich die Anzahl der Mitglieder nicht genau nachzählen, aber 12 Musiker dürften es bestimmt gewesen sein, darunter allein zwei Schlagzeuger, viele Trompeter und ein Saxofonist. Entsprechend orchestriert und breitwandig war dann der Sound und auf Grund der hohen Lautstärke klang das Ganze noch wuchtiger als auf dem aktuellen Album. Für mich keine große Überraschung, hatte ich doch bereits Bon Iver auf der Hauptbühne des Haldern Pop Festivals gesehen und mitbekommen, wie rockig und aggressiv da teilweise zu Werke gegangen wurde. Und dies war beim wesentlich reduzierter gehalten Album Nummer eins. Daß dann ein opulentes Album wie das zweite live noch einmal eine ganze Spur bombastischer dargeboten wird, wunderte mich nicht mehr.

Ich war also mental gut auf das heutige Konzert vorbereitet und das zahlte sich letztlich dann auch aus. Anstatt allzu lange über die (in der Tat) verloren gegangene Innigkeit zu hadern, erfreute ich mich an der sensationellen Falsettstimme von Vernon , den geschliffenen Arrangements und den gelungenen Stücken. Die riesige Band spielte wirklich exzellent zusammen und man konnte sich vorstellen, wie viel Arbeit hinter dem Ganzen stand. Da agierte plötzlich nicht mehr der Singer/Sonwriter, sondern der Dirigent Justin Vernon, der auch diese Aufgabe mit Bravour meisterte. Klar, der Sound war fett, ja überfett, der Ballon bis zum Platzen aufgeblasen, aber in einer solch großen Location wie der Grande Halle de la Villette musste man einfach so auslegen, um den Saal angemessen beschallen zu können.

Die Reaktionen darauf waren unterschiedlich. Ein guter Bekannter von mir rümpfte die Nase und verließ in der Mitte des Konzertes die Halle, andere wiederum schienen alles rundum zu genießen. Manche sprachen hinterher von einem "concert magnifique", einer ließ sich gar zum dem Spruch verleiten: "Bon Iver live sehen und dann sterben."

So euphorisch war ich persönlich nicht und auf's Sterben habe ich auch noch keinen Bock. Ich habe alles in allem ein gutes Konzert gesehen. Schulnote 2. Justin Vernon hatte es auf überzeugende Weise geschafft, seinen Lieder live urwüchsige Kräfte zu verleihen. Die musikalische Leistung war tadellos. Allerdings fehlten auch mir am Ende die intimen Momente, die es bei meinem ersten Bon Iver Konzert in der Maroquinerie zuhauf gab. Damals war Justin sprichwörtlich ein Kerl zum Anfassen (ich stand ganz vorne), heute sahe ich sein rot-weiß gestreiftes Hemd (ein häßliches Ding!) nur von weitem. Mittendrin statt nur dabei galt heute nicht, es war eher umgekehrt. Ich war dabei, aber nicht wirklich mitten und leibhaftig im Geschehen drin. Es war ein Konzert wie in einem Stadion, perfekt durcharrangiert, aber nicht immer wirklich herzerwämend. Vorgesehen war die heutige Location ursprünglich nicht. Anfänglich war der Gig im stimmungsvollen Theater Trianon angesetzt, wegen der riesigen Nachfrage, dann aber in die Grande Halle de la Villete höherverlegt worden. Und aus welchen Gründen auch immer wurde plötzlich ein ganzes Festival drumherum gebastelt.

Hinsichtlich des gespielten Lieder muss Holocene unbedingt hervorgehoben werden. Schon auf dem Album ein Highlight, überzeugte der cinematographische Track auch live durch Tiefe und Anmut.


Eher weniger gefiel mir Skinny Love. Der eigentlich famose Track des ersten Albums wurde heute von einem riesigen Chor geschmettert und verlor dadurch seine Kargheit und Erdigkeit. Ganz anders als aus der Konserve klang auch Creature Fear. Geradezu brachial und noisig wurde hier zu Werke gegangen und die Schlagzeugsalven hatten eine immense Wucht. Bon Iver goes Post Rock!

Letztlich wurde der Erstling komplett neu arrangiert serviert und entsprach im Klangbild dem zweiten Werk. So war dann auch Flume, die erste Zugabe, wesentlich opulenter als früher und hinsichtlich der Orchestrierung nicht von neuen Stücken zu unterscheiden. Die zweite Zugabe Wolves und den eher nervigen Mitsingpart ("what might have been lost") fand ich schon damals nicht so toll und war deshalb froh, daß es mit For Emma noch einen besseren Schlußpunkt gab.

Gegen 22 Uhr war die Messe gelesen und die modebewußten Jünger trotteten in der Mehrzahl sehr zufrieden aus der Halle.

Die Veranstalter dürften ebenfalls ein positives Fazit von dem ersten Pariser Pitchfork Festival gezogen haben, selbst wenn man sich zwischen den ganzen Engländern und Amerikanern nicht wie in Paris fühlte.

Nächstes Jahr wieder? Schau' mer mal.

Gute Nacht!

P.S: Morgen auch noch ein paar Sätze zu dem charmanten Jens Lekman und der gewohnt käsigen Lykke Li.

Setlist Bon Iver, Pitchfork Music Festival, La Grande Halle de la Villette, Paris:

01: Perth
02: Minnesota, Wi
03: Holocene
04: Blood Bank
05: Beach Baby
06: Hinnom, TX
07: Wash
08: Towers
09: Creature Fear
10: Skinny Love
11: Calgary
12: Lisbon, Oh
13: Beth/Rest

14: Flume
15: The Wolves

16: For Emma

Fotos in Kürze!

Ausgewählte Konzerttermine Bon Iver:

30.10.2011: E-Werk, Köln
01.11.2011: C-Halle, Berlin
06.11.2011: Docks, Hamburg



 

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