Konzert: Anna Ternheim
Ort: Elbphilharmonie (Großer Saal), Reeperbahn Festival
Datum: 20.09.2019
Dauer: 75 min
Zuschauer: 2.100 (ausverkauft)
Theoretisch habe ich Anna Ternheim zu oft gesehen, um ihre Konzerte noch spannend zu finden. Theoretisch habe ich mich mit Musik aber zuletzt im Grundkurs in der 13 auseinandergesetzt (15 Punkte), also war meine Angst davor, nach dem Abend Anna Ternheim vs. Kaiser Quartett in der Elbphilharmonie enttäuscht zu sein, überschaubar.
Die schwedische Künstlerin spielt nie Tourneen doppelt. Mal tritt sie sehr reduziert nur mit Gitarre und Klavier auf, mal mit Rockband, mal mit Chor, mal folkiger, mal lauter. Im Rahmen des Reeperbahn Festivals fand eine einmalige Zusammenarbeit mit dem Kaiser Quartett aus Hamburg statt. Es sollten neue Songs und alte Stücke mit neuen Arrangements gespielt werden. Das klang hochgradig aufregend, zudem das Konzert am Erscheinungstag von Annas neuem Album stattfand.
Die Elbphilharmonie war ausverkauft. Dummerweise hatte nicht jeder erfahren, daß man für den Einlass ein Ticket und ein Festivalbändchen brauchte, vor mir wurde ein Paar abgewiesen, der Schwarzhändler, der die Karten vermutlich verkauft hat, hatte eben keine Bändchen mitgeliefert. Es blieben dann ein paar Plätze frei, das fiel aber nicht weiter auf.
Um kurz nach halb neun kam das Kaiser Quartett auf die Bühne und spielte ein mehrminütiges Intro, zu dem irgendwann Anna auftrat und einen Teil von Shoreline spielte. Ich habe das Lied schon so oft gehört, es war noch nie so schön wie hier!
Nach Shoreline kamen die beiden Begleiter im Team Anna dazu, Keyboarder Rasmus und Schlagzeuger Andreas. Der im Titel der Veranstaltung angedeutete Wettbewerb (Anna vs. Kaisers) blieb glücklicherweise aus, es war von Beginn an harmonisch. Ich mag Konzerte der Schwedin am liebsten, die wenig Bombast zeigen, die Arrangements heute waren wundervoll!
Nach Shoreline folgten die beiden ersten neuen Lieder von A space for lost time. Beide (This is the one und Everytime we fall) sind keine musikalischen Abenteuer und klingen nach Anna Ternheim, im besten Sinne radiotauglich (auf dem Papier, weil deutsches Radio schrecklich ist) und gefielen mir sehr gut. Keine Angst mehr vor dem neuen Album! Das neue Album heißt nicht umsonst etwas mit Zeit. "Within the last years I've only written songs related to time. I hope it's a phase!" Eines von denen war Hours vom 2016er Album For the young, dessen Titeltrack Anna auch spielte. Better be und All the way to Rio komplettierten den Viererblock von älteren Stücken.
Danach kam etwas, das ich nicht (er)kannte, das (mich) verstörendste Stück des Abends, das mit "Sleep, eat" begann und in dem Anna weitere "eats" fast schon rappte. Das Lied war dramatisch, merkwürdig, vielleicht, allerdings auch gar nicht schlecht.
Danach folgten abwechselnd alte und neue Stücke. Neben dem Thema Zeit spielen gescheiterte Lieben und Freundschaften in den Liedern (wie in allen vernünftigen) eine Hauptrolle. O Mary von der neuen Platte widmete sie einer verrückten Frau, die nicht länger Teil ihres Lebens sei und die ein Energie-Dieb gewesen sei. Das alte Dilemma. Ich möchte, daß es Künstlern gut geht, die besten Lieder schreiben sie aber, wenn es ihnen nicht gut geht. Eigentlich ist es hochgradig egoistisch, gute Musik zu lieben.
Von den neuen Songs gefiel mir aufs erste Hören You belong with me am besten.
Bis spät ins Konzert empfand ich die Elbphilharmonie als angenehmen Konzertort. Jeden Cent wert. Dem Sound fehlte etwas, ich bin zu wenig Profi, um das genauer sagen zu können, es klang ein wenig flach. Aber der Blick war fantastisch trotz Ebene 15 und trotz eines Absturzgitters vor mir. Ich saß mit Blick auf die Vorderseite der Bühne, dieses 360-Grad-Publikum faszinierte mich, vielleicht hätte ich das auf den Backstage-Balkonen aber anders gesehen. Beim prophetischen What have I done triggerten irgendein kurzer Takt des Kaiser Quartetts das Rhythmische Klatschzentrum eines Teils des Publikums und ließ mich heimisch-rheinisch fühlen. Das machten die Klatscher zweimal, bis Anna Ternheim sie mit einer Arm-Geste und mit einem "shhh" stoppte und darum bat, den Streichern zuzuhören!
Nach Leavin on a mayday, das nie so mein Liebling war (weil es aus der bombastigsten Phase ihres Werks stammt), kamen Kaiser Quartett und Anna-Trio zurück und spielten Stars als letztes von 6 (1/2)* neuen Liedern, ein Stück über Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten. Zum Schluß folgte dann noch eine schwedische Version von Auld Lang Syne (Minns det som igår).
Natürlich wird auch die Tour im November wieder ganz anders sein. Die Vorhersage ist nicht verwegen, weil der Abend in der Elphi eine einmalige Zusammenarbeit war. Wie ihre Konzerte dann arrangiert sein werden... keine Ahnung! Ich glaube zwar, schon alles außer einer katyperryartigen Show mit Kostümwechseln gesehen zu haben, das glaube ich aber auch schon seit Jahren.
Setlist Anna Ternheim, Elbphilharmonie, Hamburg:
01: Shoreline (Broder Daniel Cover)
02: This is the one (neu)
03: Everytime we fall (neu)
04: Better be
05: Hours
06: All the way to Rio
07: For the young
08: ?
09: You belong with me (neu)
10: To be gone
11: Oh Mary (neu)
12: When you were mine (neu)
13: What have I done
14: Leaving on a mayday
15: Stars (neu) (Z)
16: Minns det som igår (Z)
Links:
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- Anna Ternheim, Stuttgart, 18.11.17
- Anna Ternheim, Frankfurt, 10.04.16
- Anna Ternheim, Freiburg, 21.02.12
- Anna Ternheim, Frankfurt, 19.02.12
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- Anna Ternheim, Nyköping, 24.11.09
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- Anna Ternheim, Frankfurt, 28.04.09
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- Anna Ternheim, Stockholm, 08.12.08
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- Anna Ternheim, Heidelberg, 25.09.07
- Anna Ternheim, Paris, 31.05.07
- Anna Ternheim, Köln, 12.03.07
- Anna Ternheim, Paris, 12.12.06
* Eat, sleep...?
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