Konzert: Amanda Palmer
Ort: Capitol, Offenbach
Datum: 13.09.2019
Dauer: 110 min & gut 60 min
Zuschauer: nicht ganz ausverkauft - vielleicht 700
"Das war das heiterste Lied des Abends," warnte uns Amanda Palmer nach dem ersten Stück ihres Konzerts vor. Es war die Seeräuber-Jenny aus der Dreigroschenoper. "Und wenn dann der Kopf fällt, sag' ich 'hoppla!'" Sie wolle einen Deal mit uns eingehen. Sie werde viel erzählen, oft auch sehr Trauriges. Wenn es zu heftig werde, sollten wir sie unterbrechen und "Amanda, I'm too sad" unterbrechen, sie werde dann umgehend die ersten Takte von Coin-operated boy spielen. Es sei ihr Job als Künstlerin, ins Dunkel zu gehen und Licht zu machen, betonte sie einige Male. Es war sehr dunkel, es war aber auch viel Licht. Wir mussten sie nur dreimal unterbrechen.
Amanda Palmers neues Album There will be no intermission erschien im März. Die Abende mit der Amerikanerin waren aber ausdrücklich nicht als reine Musikveranstaltungen angekündigt worden. Inspiration für diese Art Auftritt hatten ihr wohl Veranstaltungen von Nick Cave in Australien und Bruce Springsteen ("don't judge me!") auf dem Broadway. Gerade Springsteen, zu dem sie früher eine sehr ablehnende Haltung gehabt habe, bis sie mit viel Nachdruck dazu gebracht worden sei, Nebraska zu hören, habe sie sehr beeindruckt.
Nach Die Seeräuber-Jenny erzählte Amanda von ihrer Kindheit und Jugend, vom Bruder, der der erste musikalische Einfluß war, und ihren musikalischen Horizont erweiterte. "Amanda, Madonna is ok. But you have to listen to The Cure!" Als sie während des Studiums in Köln gelebt habe, erweiterte das ein deutscher Freund: "Amanda, The Cure is ok. But you have to listen to Einstürzende Neubauten!" - "And Nick Cave."
Amanda erzählte von ihren ersten musikalischen Gehversuchen, davon, daß sie die Tasten am Klavier ihrer Mutter zerstört habe. Ganz aktuell fragten besorgte Veranstalter sie noch, daß sie doch eine Punk-Pianistin sei. Um das zu untermalen, spielte sie Runs in the family, bei dem sie auf die Tasten des Flügels eindrosch.
Und dann immer wieder Geschichten, die an die nächsten Lieder heranführten. Oder richtiger: Lieder, die ihre Lebensereignisse verarbeiteten. Darauf, die komplett wiederzugeben, verzichte ich, die Show sollten sich alle, die sich für Amandas Musik interessieren ohnehin selbst ansehen! Sie erzählte vom Anschlag auf den Bostoner Marathon, zehn Blocks von ihrer Wohnung entfernt. Sie hatte danach ein Gedicht über den jüngeren der beiden Attentäter geschrieben und war danach Reaktionen ausgesetzt, die sie nicht erwartet hatte. Danach spielte sie Bigger on the inside auf der Ukulele am Bühnenrand. Sie erzählte von einem mehrtägigen Besuchsprogramm in einem riesigen Gefängnis in Massachusetts, bei der sie einer Gruppe von Mördern zugeordnet war. Am zweiten Tag war sie spät dran und überfuhr auf dem Weg ins Gefängnis ein Eichhörnchen, konnte es wegen der Zeitnot nicht mit einer Eichhörnchen-Beerdigung bestatten und erzählte im Gesprächskreis mit den Gefangenen davon. Die nannten sie danach "Amanda, the squirell killer."
Die Dresden Dolls Sängerin erzählte von Abtreibungen, von den Kliniken, in denen sie dafür war, vom Tod. Und dann "Coin operated boy, sitting on the shelf, he is just a toy but I turn him on and he comes to life." Bei der dritten Notbremse dieser Art rief sie "fuck you! You should be sad!"
Als Amanda über ein Kind nachdachte, hatte sie nur in Transitbereichen von Flughäfen Konzakt zu Kindern. Und die guckten alle immer Frozen. Sie traf sich "zu Feldstudien" damals mit ihrer Freundin Melissa Auf der Maur und fragte die, wie sie die Erziehung ihrer Tochter organisiere, vor allem diese Frozen-Sache. "Wir haben nur einen VHS-Rekorder an unserem Fernseher und nur Fellini-Filme." Das passende Lied wolle sie aus drei Perspektiven mit uns singen, u.a. aus Sicht einer Mutter und deren Fötus'. "Trust me! I'm a professional!" Das Lied kannten alle außer mir, es war Part of your world aus dem Disney-Film Arielle. Dazu drehte sich die Disko-Kugel hoch über Amanda.
Der erste Teil endete mit einem der skurril-schönsten Konzertmomente. Die Sängerin erzählte, sie sei nach der Geburt ihres Sohns Anthony (genannt Ash) zu Freunden gefahren, damit Ash alle wichtigen Menschen in seinem Leben kennenlernen sollte, all die komischen Onkels. Bei ihrem Freund Jason Webley, machten die beiden - na klar! - einen Songwriting-Wettbewerb. Er scheiterte und schrieb nur einen halben Song (über einen Donut-Laden), ihrer wurde elf Minuten lang und heißt und ist A mother's confession. Am Ende sangen wir alle minutenlang "at least the baby didn't die" und das war wunderschön!
In der Pause liefen The Cure, es wurde also wieder kurz heiter.
Nachdem Amanda umgezogen zurückkam, spielte sie Coin-operated boy komplett und ohne Grund. Danach folgten zwei weitere Lieder der neuen Platte, zunächst das mich ein wenig an There is a light (was schön passte) erinnernde Drowning in sound, bei dem sie sich am Ende weit vor aufs Klavier beugte und von da beleuchtet wurde. And it never goes out. Danach Voicemail for Jill. Als sie das nächste Stück anstimmte, lachte der ganze Saal außer mir. Lass jetzt los musste ich googeln, es ist eines der Lieder aus Frozen, der wie ich gestern erfahren habe, als ich die Geschichte erzählt habe, ein ziemlich emanzipierter und queerer Film ist.
Obwohl der Frozen-Song schon ein schöner Abschluß gewesen wäre, kam Amanda zurück und spielte als Zugabe The ride. Ein noch schönerer Abschluß!
Wer einen lala-Mitsing-Abend erwartet hatte, fühlte sich vermutlich nicht wohl. Wenn wir unter guter Unterhaltung immer nur leichte Kost verstünden, würden wir nicht The Smiths, The Cure und The Organ so lieben. Wenn nur immer in traurigen Momenten jemand Coin-operated boy spielte. Aber damit muß man eh vorsichtig sein. "Das nutzt sich irgendwann ab, ruft nicht zu oft rein!"
Setlist Amanda Palmer, Capitol, Offenbach:
01: Die Seeräuber-Jenny (Kurt Weil / Bertolt Brecht Cover)
02: Runs in the family
03: Bigger on the inside
04: Oasis
05: Part of your world (Jodi Benson Cover)
06: Machete
07: A mother's confession
08: Coin-operated boy (Dresden Dolls)
09: Drowning in the sound
10: Voicemail for Jill
11: Lass jetzt los (Willemijn Verkaik Cover)
12: The ride (Z)
Links:
- Amanda Palmer, Somerville, 05.03.15
- Amanda Palmer, Eschwege, 08.11.13
- Amanda Palmer, Zürich, 30.10.12
- Amanda Palmer, Paris, 06.02.09
- Amanda Palmer, Paris, 23.10.08
- Amanda Palmer, Heidelberg, 14.10.08
- The Dresden Dolls, Highfield, 15.08.08
Amanda erzählte von ihren ersten musikalischen Gehversuchen, davon, daß sie die Tasten am Klavier ihrer Mutter zerstört habe. Ganz aktuell fragten besorgte Veranstalter sie noch, daß sie doch eine Punk-Pianistin sei. Um das zu untermalen, spielte sie Runs in the family, bei dem sie auf die Tasten des Flügels eindrosch.
Und dann immer wieder Geschichten, die an die nächsten Lieder heranführten. Oder richtiger: Lieder, die ihre Lebensereignisse verarbeiteten. Darauf, die komplett wiederzugeben, verzichte ich, die Show sollten sich alle, die sich für Amandas Musik interessieren ohnehin selbst ansehen! Sie erzählte vom Anschlag auf den Bostoner Marathon, zehn Blocks von ihrer Wohnung entfernt. Sie hatte danach ein Gedicht über den jüngeren der beiden Attentäter geschrieben und war danach Reaktionen ausgesetzt, die sie nicht erwartet hatte. Danach spielte sie Bigger on the inside auf der Ukulele am Bühnenrand. Sie erzählte von einem mehrtägigen Besuchsprogramm in einem riesigen Gefängnis in Massachusetts, bei der sie einer Gruppe von Mördern zugeordnet war. Am zweiten Tag war sie spät dran und überfuhr auf dem Weg ins Gefängnis ein Eichhörnchen, konnte es wegen der Zeitnot nicht mit einer Eichhörnchen-Beerdigung bestatten und erzählte im Gesprächskreis mit den Gefangenen davon. Die nannten sie danach "Amanda, the squirell killer."
Die Dresden Dolls Sängerin erzählte von Abtreibungen, von den Kliniken, in denen sie dafür war, vom Tod. Und dann "Coin operated boy, sitting on the shelf, he is just a toy but I turn him on and he comes to life." Bei der dritten Notbremse dieser Art rief sie "fuck you! You should be sad!"
Als Amanda über ein Kind nachdachte, hatte sie nur in Transitbereichen von Flughäfen Konzakt zu Kindern. Und die guckten alle immer Frozen. Sie traf sich "zu Feldstudien" damals mit ihrer Freundin Melissa Auf der Maur und fragte die, wie sie die Erziehung ihrer Tochter organisiere, vor allem diese Frozen-Sache. "Wir haben nur einen VHS-Rekorder an unserem Fernseher und nur Fellini-Filme." Das passende Lied wolle sie aus drei Perspektiven mit uns singen, u.a. aus Sicht einer Mutter und deren Fötus'. "Trust me! I'm a professional!" Das Lied kannten alle außer mir, es war Part of your world aus dem Disney-Film Arielle. Dazu drehte sich die Disko-Kugel hoch über Amanda.
Der erste Teil endete mit einem der skurril-schönsten Konzertmomente. Die Sängerin erzählte, sie sei nach der Geburt ihres Sohns Anthony (genannt Ash) zu Freunden gefahren, damit Ash alle wichtigen Menschen in seinem Leben kennenlernen sollte, all die komischen Onkels. Bei ihrem Freund Jason Webley, machten die beiden - na klar! - einen Songwriting-Wettbewerb. Er scheiterte und schrieb nur einen halben Song (über einen Donut-Laden), ihrer wurde elf Minuten lang und heißt und ist A mother's confession. Am Ende sangen wir alle minutenlang "at least the baby didn't die" und das war wunderschön!
In der Pause liefen The Cure, es wurde also wieder kurz heiter.
Nachdem Amanda umgezogen zurückkam, spielte sie Coin-operated boy komplett und ohne Grund. Danach folgten zwei weitere Lieder der neuen Platte, zunächst das mich ein wenig an There is a light (was schön passte) erinnernde Drowning in sound, bei dem sie sich am Ende weit vor aufs Klavier beugte und von da beleuchtet wurde. And it never goes out. Danach Voicemail for Jill. Als sie das nächste Stück anstimmte, lachte der ganze Saal außer mir. Lass jetzt los musste ich googeln, es ist eines der Lieder aus Frozen, der wie ich gestern erfahren habe, als ich die Geschichte erzählt habe, ein ziemlich emanzipierter und queerer Film ist.
Obwohl der Frozen-Song schon ein schöner Abschluß gewesen wäre, kam Amanda zurück und spielte als Zugabe The ride. Ein noch schönerer Abschluß!
Wer einen lala-Mitsing-Abend erwartet hatte, fühlte sich vermutlich nicht wohl. Wenn wir unter guter Unterhaltung immer nur leichte Kost verstünden, würden wir nicht The Smiths, The Cure und The Organ so lieben. Wenn nur immer in traurigen Momenten jemand Coin-operated boy spielte. Aber damit muß man eh vorsichtig sein. "Das nutzt sich irgendwann ab, ruft nicht zu oft rein!"
Setlist Amanda Palmer, Capitol, Offenbach:
01: Die Seeräuber-Jenny (Kurt Weil / Bertolt Brecht Cover)
02: Runs in the family
03: Bigger on the inside
04: Oasis
05: Part of your world (Jodi Benson Cover)
06: Machete
07: A mother's confession
08: Coin-operated boy (Dresden Dolls)
09: Drowning in the sound
10: Voicemail for Jill
11: Lass jetzt los (Willemijn Verkaik Cover)
12: The ride (Z)
Links:
- Amanda Palmer, Somerville, 05.03.15
- Amanda Palmer, Eschwege, 08.11.13
- Amanda Palmer, Zürich, 30.10.12
- Amanda Palmer, Paris, 06.02.09
- Amanda Palmer, Paris, 23.10.08
- Amanda Palmer, Heidelberg, 14.10.08
- The Dresden Dolls, Highfield, 15.08.08
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