Mittwoch, 12. Januar 2011

My year in lists: die 15 besten Konzerte des Jahres (Christoph)


Ach herrje, diese 2010er Bestenliste überfordert mich massiv! Zum einen habe ich zu viele gute Konzerte gesehen, was eine objektive Bewertung erschwert. Bei den schlechten Auftritten war das einfacher, denn wenn wenig Auswahl vorhanden ist, behält man leichter den Überblick. Zum anderen (das deutlich größere Problem), wollte ich unbedingt vermeiden, eine elende Angeberliste zu schreiben. Ach guck mal, wie viel ich doch rumgekommen bin - zum Kotzen! Allerdings habe ich nun mal einige der besten Konzerte meines Jahres an noch exotischeren Orten als Frankfurt gesehen, also Augen zu und durch...

Vorher aber noch ein paar (vermutlich nur für mich interessante) Daten:
  • ich zähle in meiner Statistik alle Konzerte, die ich ganz gesehen habe, auch Festivalauftritte. Leider ist es mir nicht gelungen, zweistellig zu bleiben
  • in der Länderstatistik siegen diesmal die USA und England mit je 34 Bands, die ich gesehen habe, es folgt Deutschland (Vorgruppenliebling...) mit 22, dann Kanada und Schottland mit je 14 (wenn ich irgendwann noch alle Bowlie Sachen schreibe, schafft Glasgow vielleicht noch Platz 3)
  • die beste Zeit, Konzerte zu sehen, ist zwischen dem 10. und 12. November eines Jahres
  • Entschuldigung an alle Bands, die herausragende Konzerte gespielt haben, die aber alle um die Plätze 16 bis 20 gestritten hätten*

15: Stars, New York, 24.09.10

"We are Stars and so are you." Ob im Publikum Stars oder Sternchen waren, wissen wir nicht, wir
vermuteten es. Aber auf der Bühne sangen und tanzten echte Stars strahlend hell. Ich habe die Kanadier einige Male gesehen, die meisten dieser Konzerte waren ausgezeichnet. In den USA ist diese Band aber viel größer, und das merkte man an diesem Abend an vielem, am deutlichsten aber immer dann, wenn sie einen ihrer großen Hits spielten und alle, wirklich alle mitsangen. Definitiv eines der besten Konzerte meines Jahres!

14: Zoey Van Goey, Bowlie 2, 12.12.10

Obwohl ich beim Bowlie 2 Weekender (ein fieses Wort für eine tolle Art Veranstaltung) heiß auf das
Konzert von Zoey Van Goey war, hätte ich vorher nicht erwartet, wie gut die schottische Band sein würde. Zoey Van Goey kenne ich seit ihrem Debütalbum 2009, dessen sonniger Indiepop mich sofort begeistert hat. Wegen des bisher leider mäßigen Erfolgs spielte das Trio aus Glasgow (ein Ire, eine Engländerin und ein Kanadier) bisher noch nicht in Deutschland, keine Chance also, Zoey... einmal live zu sehen. Bis zum Bowlie.

In Butlins Minehead spielten ZvG als letzte Band, spät am Sonntagabend. Wenn ich nicht vorher schon so begeistert gewesen wäre, hätte ich mir den Auftritt vielleicht mangels Energie gespart. Aber wegen der großen Neugierde packten wir die letzten Motivationsbrocken und gingen um Mitternacht in den immer nach Essen riechenden Saal der Center Stage und erlebten eine wundervolle Dreiviertelstunde bester Indiepopmelodien. Weil Zoey Van Goey hauptsächlich Stücke ihres im Februar erscheinenden Albums spielten, kannte ich dann doch kaum etwas, das machte aber nichts, denn auch die neuen Lieder verzückten das Publikum. Wenn man nach einem langen, anstrengenden Wochenende mit über 20 Konzerten und total übermüdet einer Band nach Mitternacht noch aufmerksam und gefesselt folgt, hat die wohl viel richtig gemacht!

13: Pavement, New York, 21.09.10

Diese Geschichte erzähle ich immer wieder gerne - weil sie ein Happy End hat, oder eigentlich sogar
mehrere. Pavement, die schief klingenden aber stilbildenden 90er Helden, hatten irgendwann 2009 ihr Comeback angekündigt. Darüber war immer wieder spekuliert worden, mal sollten sie beim Coachella auftreten, dann wieder sonstwo, aber erst mit der offiziellen Meldung, im September fände das Comeback mit einem Konzert im Central Park statt, wurde es ernst.

Timing und Ort passten gut zu Urlaubsplänen, ich musste also nicht lange überredet werden, zum großen Comeback Auftritt zu fahren. Natürlich sind Comeback Konzerte nie Comeback Konzerte. Vorher finden immer schon zig andere statt. So war das allererste dann auch bereits mein drittes - aber vollkommen egal, Pavement machten das Spiel mit, redeten dauernd vom ersten gemeinsamen Auftritt nach
Jahren, hatten ihre Familien dabei, und selbst das Wetter spielte perfekt mit. Ein wunderschöner sonniger Abend im Central Park, außen die Hochhäuser mit den teuren Eigentumswohnungen, eine großartige Setlist, es war perfekt!

12: Jonsi, Latitude Festival, 18.07.10

Als Indianer verkleidete Musiker, die mit Falsettstimme bombastische Popsongs singen, haben in meiner Liste nichts zu suchen, solche Sachen finde ich scheußlich.

Außer Jonsi, der darf all das; und sein Konzert im Zelt des Latitude-Festivals war unglaublich schön und mitreißend!

11: The Strange Death Of Liberal England, Köln, 10.11.10

Bombastisch waren auch The Strange Death Of
Liberal England. Aber auch die Briten befinden sich auf der guten Seite des Bombastes. Ich kannte die neue Platte der Band nicht, als ich sie als Support der sehr guten Slut im Luxor sah, kaufte sie aber umgehend nach dem Konzert, weil mein zweites Mal TSDOLE überragend gut war, weil die Band unendlich sympathisch ist (und nicht, weil der rothaarige Sänger sich hinterher an ein Gespräch vor zwei Jahren im Blue Shell und an "meinsuhausemeinblog" erinnerte, was mich und seine Bandmitglieder beeindruckt zurückließ).

10: Belle & Sebastian, New York, 30.09.10

Im Vorfeld hatte ich am meisten Spaß damit, auf die häufig gestellte Frage "du fährst wegen Belle &
Sebastian nach New York?" wahrheitsgemäß mit einem energischen "Nein!" zu antworten (die zweite Hälfte "ich fahre wegen Pavement, Belle & Sebastian kamen zufällig dazu" sprach ich aber nie laut aus).

Als wir den Urlaub planten, war klar, daß es in New York auch an den anderen Abenden aufregende Konzerte geben würde. Daß es aber ausgerechnet meine Lieblinge aus Glasgow sein würden, hätte ich mir nicht erträumt.

Ich war erst morgens wieder in New York angekommen, mein Flug würde am kommenden Abend zurückgehen. Auf der Busfahrt von Boston nach Manhattan
ahnte selbst der größte Optimist, daß die miesen Wettervorhersagen stimmen würden. "Heavy thunderstorms" hatte man angekündigt, was schon bedrohlicher klingt als "Sommergewitter." Es regnete, es wurde aber Stunde um Stunde immer dunkler am Himmel. Im Internet wurde bei lastfm und Twitter viel spekuliert, ob das Konzert in Williamsburg (das Deutz New Yorks) stattfinden könnte. Auch die Band twitterte Zweifel und verkündete, daß während eines Gewitters nicht gespielt werden könnte, man suche dann schnellstmöglich nach einem Ersatztermin. Erst einmal wurde das Konzert um eine Stunde vorverlegt, wegen des Wetterradars... Obwohl meine Versuche, mich wenigstens wetterfest zu machen, nicht ganz funktionierten (sucht mal in einer hippen Weltstadt nach billigen Einweg-Gummistiefeln...), ließ ich mich nicht verunsichern und war pünktlich da. Während das schon klischeehaft nach New Yorker B&S Fans aussehende Publikum auf Teenage Fanclub wartete, wurde es noch dunkler am Himmel, oben sah es aus wie das Publikum bei Recoil.

Aber - oh Wunder! - es blieb trocken. Es stürmte zwar wie bekloppt, die Nebelmaschine sah aus, als habe sie Asthma, es ging aber gut. Und diese Gotham City Atmosphäre gab dem fabelhaften Konzert dann noch den Rest. Teenage Fanclub waren schon toll, Belle & Sebastian verzauberten uns dann aber endgültig. Und
Piazza, New York catcher vor Ort zu hören, nicht weit weg vom ehemaligen Shea Stadium, war ein ganz besonderes Schmankerl!

09: Get Well Soon, Dortmund, 08.05.10

Zu Get Well Soon muß man mittlerweile glücklicherweise nicht mehr viel sagen. Es hat sich
rumgesprochen, wie gut das Dauerprojekt von Konstantin Gropper ist. Würde Get Well Soon in den kommenden zehn Jahren immer unter den zehn besten Konzerten jeden Jahres sein, ich hätte nichts dagegen!

2010 habe ich wieder ein paar GWS Konzerte gesehen, jedes gehörte in eine Bestenliste. Das beste im Nachgang war das, das anders war, nämlich (so weit es geht) akustisch und mit Grand Ensemble. Es war der Auftritt im Dortmunder Konzerthaus im Mai. In der Reihe Popabo spielen ja pro Saison vier oder fünf Bands unseres Geschmacks in dem klassischen Konzerthaus und können, wenn sie das denn ausnutzen, massiv von der hervorragenden Akustik des Hauses profitieren. Get Well Soon können das, Konstantin Gropper gehört schließlich zu den größten deutschen Musikern seiner Generation, seine Mitmusiker beherrschen x Instrumente. Und so war der Beginn des Abends schon einer der schönsten
Momente des Jahres, als Verena Gropper und Maxxi Schenkel ein Glockenspiel und Marimba Duett spielten. Wundervoll wie der ganze Abend!

08: The Charlatans, Primavera Festival, 29.05.10

Viel habe ich über dieses Konzert nicht geschrieben. Viel muß man auch nicht darüber sagen, manchmal ist weniger ja mehr. Das galt ja schließlich auch für diesen Abend. Kein Schnickschnack, keine aufwendigen Frisuren, nur das wundervolle Album Some friendly und ein paar Ergänzungen. Und die Erkenntnis, daß die Charlatans so aufregend sind wie damals, als sie meine Lieblingsband wurden. Dieser Orgelsound an diesem wundervollen Frühsommerabend, das war so viel hipper als viele der aktuell angesagten Bands.

07: Erland And The Carnival, Duisburg, 12.11.10

Dieses Konzert war eine echte Perle! Daß Erland And The Carnival auf Platte wunderschönen, an früher
erinnernden Pop spielen, war mein Antrieb, in einer schlimm-vollgepackten Woche nach Duisburg zu fahren. Daß die Briten dann aber live so viel druckvoller waren, machte ihre Musik komplett neu und noch einmal fünf Klassen besser! Es war rockig, es war laut, und es war unfassbar gut!

06: Warpaint, Frankfurt, 11.11.10

In Warpaint habe ich mich am 16.05.10
verliebt. Toll, daß ich das genaue Datum immer wissen werde, das passiert nicht bei vielen Lieben.

Wir waren in Brüssel, um vor allem Wolf Parade zu sehen. Aber auch Warpaint war fest eingeplant, ein Stau raubte uns dann aber eine Stunde, wir kamen nur noch in den Genuß der letzten beiden Lieder. Die reichten aber aus, um mich restlos vom minimalistischen Sound der Amerikanerinnen zu überzeugen. Ich habe einige ähnlich klingende Bands in letzter Zeit gesehen, darunter die tollen Dum Dum Girls oder die noch viel tolleren Best Coast. Aber nichts hat mich so sehr beeindruckt, wie die durchdachte, dabei so einfach klingende Musik von Warpaint. Und dann hatten sie mit Billie Holiday auch noch das beste Livelied des Jahres im Programm.

05: Dean Wareham plays Galaxie 500, Bowlie 2, 11.12.10

Alte Helden neigen dazu, schlimm zu enttäuschen. Würdevolles Altern ist bei Rockstars leider keine
Kernkompetenz.

Allerdings schien das keine der ollen Bands beim Bowlie je gehört zu haben, alle, die ich da gesehen habe, haben nichts von ihrem Stil verloren und waren nicht bloß verblassende Kopien ihres früheren Ichs.

Dean Wareham sieht weder alt aus, seine Musik (bzw. die von Galaxie 500) wirkt auch vollkommen frisch und hochaktuell. Eine alte Lieblingsband, die mir so überragend gut verdeutlichte, warum ich sie vor 20 Jahren geliebt habe und warum ich sie noch heute liebe, habe ich bisher nie gesehen. Wahrscheinlich ist das nicht indiekorrekt, dieses Galaxie 500 Konzert so zu mögen, weil ja nur Dean Wareham von damals dabei war. Ach, vollkommen egal! Das war brillant, das war Galaxie 500 und das war das beste Konzert des Jahres!
Käme da nicht noch...

04: Owen Pallett, Primavera Festival, 28.05.10

Owen Pallett wird auch 2011 in dieser Liste auftauchen. Im Februar sehe ich den Kanadier in
Eindhoven, es ist also sichergestellt, daß er unter den Konzerten des Jahres auftauchen wird. Kaum vorstellbar, daß ich 2011 15 bessere Gigs sehen werde, wer sollte das sein.

Owen Palletts Arrangements sind so toll und funktionieren live in jeder Umgebung. Dabei zu sein, wie Lieder schichtweise aufgebaut werden und immer komplexer werden, verliert nie an Reiz. Wenn dann Saal und Sound so irre gut wie im Auditori Dings in Barcelona sind, könnte das Konzert auch locker auf Platz eins sein. Käme da nicht noch...

03: Edwyn Collins, Bowlie 2, 11.12.10

Von diesem Konzert habe ich nichts
erwartet. Edwyn Collins? Nett. Lass mal den Anfang ansehen.

Daraus wurde eine Dreiviertelstunde höchster Emotionalität, obwohl ich davon bei Konzerten üblicherweise kein Freund bin. Aber wie kann man sich dem Charme des schottischen Musikers, den zwei Gehirnschläge fast aus dem Spiel genommen hätten, entziehen? Oder seinen fabelhaften Songs, die er sitzend und wippend darbot? Als dann noch zusätzlich zur Begleitband Teenage Fanclub Gastmusiker der Cribs und von Franz Ferdinand auftauchten, und alle das so offensichtlich aus Hochachtung vor Edwyn Collins machten, machte das den Eindruck vom Konzert nicht schlechter. Aber auch ohne diese Auftritte eine klare Nummer eins 2010!

Käme da nicht noch...

02: The National, Latitude Festival, 16.07.10

The National habe ich 2010 ein paarmal gesehen, und jedes dieser Konzerte war hervorragend. Allerdings
sticht der Auftritt der Amerikaner beim Latitude aus dieser Liste deutlich hervor, obwohl ja eigentlich Festivals an Clubkonzerte nie ranreichen.

Besonders an diesem Abend war die Intensität des Konzerts. Obwohl das Zirkuszelt, das als eine der Bühnen diente, knallvoll war, stand man fast auf der Bühne, egal wo man war. Jeder sang mit, es war eine spannende, elektrisierende Atmosphäre, wie ich sie bei einem Konzert noch nie erlebt habe. Daß The National eine der größten Livebands sind, predigen wir schon lange. Aber es gibt eben auch noch einen himmelweiten Unterschied zwischen Konzerten hier und in England, weil das Publikum aktiver ist. In der schlechten Version bedeutet das besoffene Briten, die ihr Bier nach vorne schmeißen und mitten im Publikum in den leeren Becher pinkeln (leider nicht ausgedacht), in der guten Version ist es ein brillantes Publikum, das Krach macht, mitsingt, die Band feiert und sich nicht nur passiv berieseln lässt. Daß ein Mann bei The National nach vorne brüllt: "ich benenne mein Kind nach euch!" kann es nur auf der Insel geben.

Bei diesem Konzert gab es zwei Lieder, bei denen es mir eiskalt den Rücken runterlief; ich war vollkommen sicher, mein Konzert des Jahres gesehen zu haben, käme da nicht noch...

01: Arcade Fire, Düsseldorf, 29.11.10

The National oder Arcade Fire? Bei Power out war die Entscheidung gefallen. The National waren grandios, gar keine Frage. Aber Arcade Fire hatten schlicht mehr von diesen seltenen Gänsehautmomenten.

Mein Konzert des Jahres also trotz einiger widriger Umstände (Schneechaos, schlimme Vorgruppe, Philipshalle) Arcade Fire in Düsseldorf. Ich möchte gar nicht mehr furchtbar viel dazu schreiben, das habe ich ja schon ausführlich getan (siehe Link oben). Nur vielleicht noch, daß ich sehr zufrieden mit meinem Konzert des Jahres bin. Und nicht nur, weil es in einer Stadt stattfand, mit der ich nicht angeben kann.


* Tocotronic, Wolf Parade, Efterklang, Locas In Love, The Indelicates, Los Campesinos!, Sky Larkin, Franz Ferdinand, The Album Leaf


 

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