Dienstag, 8. Juni 2010

Scout Niblett & Villagers & Small Black, Paris, 07.06.10


Konzert: Scout Niblett & Villagers & Small Black

Ort: Le Point Ephémère, Paris
Datum: 07.06.10
Zuschauer: nicht ganz ausverkauft, aber gut gefüllt
Konzertdauer: 65 bis 70 Minuten Scout Niblett, die anderen beiden Acts 35 bis 40 Minuten


Was für ein kultiger Konzertabend! Eine unglaublich nette und natürliche Scout Niblett, die nach ihrer famosen Show draußen vor der Türe des Point FMR ihren Tourmanager (ich glaube zumindest, daß er das war) von der Seite anblökt und breit grinsend sagt: Look, I'm with Oliver Peel! He is the best photographer on the internet!" Mir dann kurze Zeit später von sich aus ihre E-mail Adresse gibt und mir fast befiehlt sich sofort bei ihr zu melden. Anscheinend wirklich daran interessiert ist, in diesem Jahr noch eine Oliver Peel Session zu spielen, vor allem nachdem sie gehört hat, daß meine französische Frau köstliche Quiches (Scout: "Oh I love quiches, it's my favorite food, and no, I'm not a vegetarian") bereitstellt. Kann das alles wahr sein? Sorry, daß ich hier so prahle, aber wenn man eine viertel Stunde mit Scout Niblett abgehangen hat, wird man wieder zu einem kleinen Kind. Ihre infantile und quitschfiedele Art ist einfach hochansteckend. "Hey, can you please take a picture with me and Oliver Peel?" fleht sie meinen Freund Mika an und nachdem er schon drei Fotos geschossen hat, will sie die Ergebisse sehen und grinst über beide Backen: "We look great together", befindet sie. Zwischendurch kommen immer mal wieder andere Fans angeschlichen und sagen auf holprigem Englisch: "Scout you were really really great tonight. This show was so amazing." Und sie haben recht, das Konzert von Scout war wirklich allererste Sahne! Kultfilmer Vincent Moon , der auch da war, würde wohl kaum widersprechen. Während des Konzertes stand er gleich neben mir und ging tierisch ab, wenn Scout und ihr famoser Drummer scheinbar aus dem Nichts heraus das Tempo und die Lautstärke massiv erhöhten und einem wilde, rohe Gitarrenriffs und Trommelsalven nur so um die Ohren knallten. Hochkonzentriert und bestens aufgelegt war sie, die fast 37 Jährige (kaum zu glauben, sie sieht so jung aus!), aus England stammende Emma Louise Niblett. So gut hatte ich sie in den drei vorangegangenen Konzerten noch nie gesehen. Früher gab es immer etwas was störte, sei es der Sound mit dem Scout nicht zufrieden war (Nouveau Casino), die Location, die ihr nicht passte (Scopitone) oder was auch immer. Heute war alles anders. Das Set war duchgehend spannungsgeladen, auf den Punkt gespielt und absolut mitreißend. Endlich schöpfte die Niblett mal ihr immenses Talent komplett aus und war voll und ganz auf ihre Songs und die Performance konzentriert. Kein Hänger, kein Wackler, kein abgebrochenes Lied, keine langen Wartepausen dazwischen. Lediglich in einer Szene betrieb sie ihr beliebtes Fragespiel: "Do you have any questions? Any remarks?" Die witzigste Frage eines Zuschauers war wohl, wann sie denn mal mit Steve Albini auftreten werde. "Nächsten Winter" antwortete sie trocken und schickte schlagfertig hinterher: "But he doesn'nt know about it yet." Aber Scout brauchte gar keinen Albini (der ja bekanntermaßen Produzent ist, oder spielt er auch ein Instrument wie der legendäre Stephen Street?), sondern konnte sich voll auf ihren Drummer verlassen. Der vermöbelte sein Fell phasenweise auf brachiale Art und Weise. Wie Peitschenschläge auf einen nackten Hintern (Ex- Bischof Mixa weiß wie das geht), so teilte der Heißsporn aus. Manchmal tippelte er sich aber auch nur ganz sanft ran. Die Musik von Scout Niblett lebt von diesem Wechselspiel zwischen laut und leise, gehaucht oder geschrien, Zuckerbrot und Peitsche. Regelmäßig macht sich bei ihren Konzerten eine düster-schwüle Atmosphäre breit, die einen an Road Movies in Mexico denken lässt. Als hinge ständig eine Bedrohung über den Songs, die regelmäßig zur echten Gefahr werden kann. Manchmal verfliegen aber auch die dunklen Wolken und die Lieder bleiben von Anfang bis Ende in ruhigem Fahrwasser ohne zu explodieren, obwohl man das erwartet, ja fast herbeisehnt. Und wenn sie dann wirklich mal die Zügel komplett los ließ und ihrer Elektrischen die Sporen gab, dann rastete das Publikum förmlich aus. Es liegt immer ein Hauch "Smells Like Teen Spirit" in der Luft, aber aus dem Schatten von Nirvana und der Gattung Grungerock ist Scout längst herausgetreten. Über 6 Alben hat sie ihr eigenes Universum geschaffen, ihre ganz eigene Nische zwischen rohem Indierock und minimalistischem Folk gefunden und immer mehr Anhänger um sich geschart. Massenkompatibel wird sie aber wohl nie. Dafür sind ihre Songs viel zu roh, trocken, depressiv und unmelodisch. Der durchschnittliche Musikfan wünscht mehr Zucker, mehr Melodie, mehr Sanftheit. Scout dürfte wohl nichst egaler sein. Im Stile eines Klaus Augenthaler wird sie sich sicherlich sagen: "I spui mei spui." Recht hat sie! In Indiekreisen ist sie mit dieser Dickköpfigkeit ohnehin schon jetzt zur Kultfigur geworden und hat auch schon ein beträchtliches Repertoire an klasse Songs. Kiss, Wolfie, Nevada (besonders grandios heute!) Let Thine Heart Be Warmed, oder das von ihr am Schlagzeug vorgetragene Your Beat Kicks Back Like Death ("we all gonna die"), diese und noch einige andere Klassiker aus dem Backkatalog spielte sie zur Freude ihrer Anhänger und ging auch auf Wünsche ein. Ansonsten stand aber natürlich das aktuelle Album The Calcination Of Scout Niblett im Vordergrund. Von dem neuen Meisterwerk performte sie den Titeltrack, außerdem I.B.D., Cherry Cheek Bomb, Kings und Duke Of Anxiety und machte deutlich, daß sie immer besser wird, auch wenn mir die alten Sachen zur Zeit noch vertrauter sind.

Nach einer guten Stunde war den unter der Hitze stöhnenden Zuschauern klar, daß Scout Niblett wirklich etwas ganz Besonderes ist. Als Künstlerin und, wie ich später erfahren durfte, als Mensch. Toll, wenn man sich mit fast 37 Jahren noch seine ungestüme Jugend erhält und schnörkellos und mutig seinen Weg weitergeht. Scout hat Paris im Sturm erobert und zeigte sich auch selbst sehr angetan von dem Gig: " I had so much fun, it was awesome!

Come back soon, liebe Scout!!

Und wie waren die Vorgruppen?

Villagers: Haben wir es hier etwa mit einem neuen Conor "Bright Eyes" Oberst zu tun? Die Parallelen sind in der Tat verblüffend, denn hinter dem Pseudonym Villagers verbirgt sich ein junger Mann, der aussieht wie der kleine Bruder von Conor Oberst, so singt wie Conor Oberst und zudem auch noch den gleichen Vornahmen wie der Mann aus Omaha, Nebraska trägt: Conor. Conor J. O 'Brien wird die Vergleiche mit seinem berühmten Namensvetter bestimmt schon leid sein, aber sie stechen nun einmal sofort ins Auge (und ins Ohr). Nicht schlimm, denn es kann nie genug traurige Singer/Songwriter auf der Welt geben. Villagers aus Dublin erreichte heute im Point Ephémère mit seinen melancholischen Folksongs so manchen Zuschauer: feierlich guckten die Leute auf die Bühne und sahen wie sich der Ire ganz alleine mit seiner Klampfe abmühte, wimmernd sang und zwischen den Songs immer mal wieder bewies, daß er auch Humor hat. In einer Szene wollte er gerne einen Whiskey von der Bar haben, weil er sich gerade danach fühlte. "Oh, could I get a whiskey from the bar? Mixed with Ginger Ale, but without ice please? Sein Wunsch wurde prompt erfüllt. Danach fluschte mit geölter Stimme alles noch besser. Ob er sich ein wenig Mut antrinken musste? Zu seinem schüchternen Wesen hätte das zumindest gepasst und in dem famosen Titeltrack seines Albums Becoming A Jackal heißt es auch:" I'm selling you my fears" oder auch "Im a dreamer starring at windows". Den ängstlichen Dreamer nahm man ihm ohne Weiteres ab. Seine feinen Songs hatten etwas Nahegehendes, das einen sofort in den Bann zog. In den letzten Jahren habe ich schon so manchen Singer/Songwriter mit Akustikgitarre kommen und gehen gesehen, aber Conor O'Brien traue ich zu, daß er sich etabliert. Er hat das gewisse Etwas. Atemberaubend intim und authentisch wirkte sein Vortrag, der ihm viel Applaus einbrachte. Schade, daß es am Merch kein Album von ihm gab, ich hätte es gekauft. Von Villagers , die anscheinend eine Band und kein reines Soloprojekt von Conor sind, wird man noch eine Menge hören, dessen bin ich mir sicher!

Small Black: "Jagjaguwar kommt uns Ende April mit einer EP namens Small Black einer gleichnamigen und hochinteressanten Kapelle aus Brooklyn", so schrieb Bloggerfreund Das Klienicum in einem Eintrag vom 14. Februar 2010. Die markigen Worte schürten natürlich meine Vorfreude auf den Auftritt des Vierers aus Amiland, aber die Erwartungen wurden enntäuscht. Netter, aber recht belangloser Dreampop ohne Reibung (es gab keine Gitarre, nur einen Bass, zwei Keyboards und eine Drum) wurde den Zuschauern im Point FMR vorgesetzt und bereits ab dem zweiten Lied fing ich an mich zu langweilen. Ein weiterer Beleg dafür, daß Elektropop live meistens nicht gut umgesetzt werden kann. Ihre EP ist sicherlich spannender als das heutige Konzert, aber Fan dieser Stilrichtung werde ich wahrscheinlich nie.

Setlist Scout Niblett: Sie hatte keine, dafür ist sie zu spontan. Aber ich habe ja schon im Text einige gespielte Titel erwähnt und kann auch noch ein paar andere hinzufügen: (nicht in chronologischer Reihenfolge)

- Do You Want To Be Buried With My People
- Kidnapped By Neptune
- Hot To Death
- Your Last Chariot
- Nevada
- Let Thine Heart Be Warmed
- Your Beat Kicks Back Like Death
- Kiss
- Wolfie
- The Calcination Of Scout Niblett
- I.B.D.
- Cherry Cheek Bombs
- Kings
- Duke Of Anxiety

Dinosaur Egg wurde nicht gespielt

Setlist Villagers, Point Ephémère, Paris:

01: To Be Counted Among Men
02: Ship Of Promises
03: Set The Tigers Free
04: Becoming A Jackal
05: The Meaning Of The Ritual
06: Pieces
07: Home

- Mehr Fotos von Scout Niblett klick!
- Das Klienicum gewohnt fachkundig und detailliert zum neuen Album von Scout Niblett, klick!
- Konzertfotografenzar Robert Gil war auch sehr von Scout angetan und verteilt vier Herzen. Hier seine super Fotos.

Aus unserem Archiv:

Scout Niblett, Paris, 30.11.2009 (Review français/deutsch)
Scout Niblett, Paris, 24.05.08
Scout Niblett, Paris, 17.12.07



4 Kommentare :

E. hat gesagt…

gratuliere zum lob und den hohen weihen aus berufenem munde! großartig!

Christoph hat gesagt…

Wow, wieder eine großartige Oliver-Peel-Session to come! Glückwunsch!

Christoph W. hat gesagt…

"Best photographer on the internet!"

Das ist doch mal ein Lob, das sich sehenlassen kann :-).

Oliver Peel hat gesagt…

Danke an alle für die Glückwünsche, aber man muss natürlich die ausgelassene Stimmung berücksichtigen, die nach dem Konzert herrschte. Scout war bestens aufgelegt und alberte viel rum.

Aber sie konnte sich in der Tat daran erinnern, daß sie meine Fotos mochte, die ich von ihr im Scopitone im Dezember geschossen hatte. Sie hatte mich damals kontaktiert und gefragt, ob sie die Bilder für MySpace, Homepage, oder was auch immer verwenden könne. Da ich aber bei meinen Schwiegereltern war und ein paar Tage nicht online ging, griff sie auf die Fotos meines Pariser Bekannten Eric Festinger zurück. Der ist ohnehin ein viel besserer Fotograf als ich und er hat wirklich ein super Foto von Scout geschossen:

http://www.flickr.com/photos/eric_festinger/4159347017/in/set-72157604683623613/

Die Oliver Peel Session ist natürlich noch ein spinnertes Wunschdenken. Aber ich werde mich voll ins Zeug legen :)

 

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