Dienstag, 22. Juni 2010

Bosque Brown, Josh T. Pearson, Tom Cooney .u.a., Paris, 21.06.10


Konzert: Bosque Brown, Josh T. Pearson, Tom Cooney, eliotE & the ritournelles, Isabelle u.a.

Ort: ein Hinterhofgarten irgendwo in Paris, Fête de la Musique chez le Cargo
Datum: 21.06.10
Zuschauer: in der Spitze 80 oder so

Konzertdauer: insgesamt fast vier Stunden


Heute war in Paris die alljährlich stattfindende Fete de la Musique angesagt. In der ganzen Stadt spielten etliche Bands gratis auf und einige U-Bahnlinien fuhren die ganze Nacht hindurch. Da stellte sich natürlich die Frage: Wo feiert man am besten? Wo spielen die tollsten Gruppen? Die Antwort darauf war einfach: Da, wo ich hingehe, steppt der Bär, logo! Nun ja, Scherz beiseite, eigentlich wußte ich selbst nicht so richtig, wo man heute hingehen musste und so traf es sich sehr gut, daß mich Renaud von der famosen Videosession- Seite Le Cargo* zu seiner Soirée eingeladen hatte. Mit ordentlich Vorfreude im (dicken) Bauch fuhr ich zusammen mit meinem Kumpel Michael zu der mir indizierten Adresse. Wir durchquerten einen Flur und fanden uns kurze Zeit später in einem Hinterhofgarten wieder, in dem Kinder wild rumtollten. Renaud ist mindestens dreifacher, wenn nicht vierfacher Vater und somit eine Art Vorbild für mich. Kinder haben und dennoch Sessions veranstalten, es geht also doch beides! Wir stellten unsere mitgebrachten Bierflaschen ab und checkten die Lage. Wer heute denn so alles auftreten würde, wollte ich von Renaud wissen und hätte bei der Antwort fast laut gejubelt. Neben den bereits angekündigten Acts Josh T. Pearson, EliotE & The Ritournelles, Radio Disorder und Tom Cooney würde auch Bosque Brown performen! Bosque Brown, hurrraaahhh!!! Schon seit Wochen höre ich die Alben der jungen Texanerin rauf und runter und bin fast süchtig nach ihren inbrünstig vorgetragenen Wildwestsongs. Bevor Bosque Brown, die bürgerlich Mara Lee Miller heißt, sich die Klampfe schnappte, verging aber noch unendlich viel Zeit. Zeit, in der andere Musiker ihren Kram vortrugen. Die Franzosen ElliotE & The Ritournelles boten dabei noch das kurzweiligste Set und die Kinder im Garten standen voll auf die infantil anmutenden Folkpop Lieder des Trios aus Paris. Die drei Sympathen waren aber auch für erwachsene Ohren durchaus hörenswert und ich verbrachte angenehme 30 Minuten. Dann wurde es deutlich zäher. Nach einer einschläfernden Pariser Band namens Radio Disorder kam ein kahlköpfiger Franzose und spielte auf der Akustischen ein paar Lieder auf französisch.Dabei wurde er auch politisch. Ein Chanson handelte nämlich von Sarkozy, der aber in dem Stück nur Monsieur S. genannt wurde und natürlich (wie soll es auch anders sein?) nicht gut wegkam. Er (Sarko) sei selber als Immigrant nach Frankreich gekommen, würde aber keine Immigranten mögen, hieß es u.a. über den kleinen Präsidenten mit dem großen Ehrgeiz. Stimmlich deutlich mehr auf dem Kasten als der amateurhaft wirkende Protestsänger hatte im Anschluß eine Frau, die mit Sicherheit eine klassische Ausbildung genossen hat. Isabelle, so hieß sie wohl, sang wie eine Opernsängerin und war vermutlich auch eine. Zusammen mit einer Pianistin trug sie ein paar beeindruckende Lieder vor und hätte mit ihrem Sopranstimme fast das Glas zum Bersten gebracht. Ich war platt, eine Session im Garten mit einer Opernsängerin hatte ich auch noch nicht geboten bekommen! Irgendwie irreal das Ganze!

Inzwischen tröpfelten immer mehr Besucher ein und fraßen eine regelrechte Schneise in das Buffet (von dem noch die Rede sein wird). Kurze Zeit später waren alle Köstlichkeiten (Salate, Pizza, Reis) weggefuttert und man musste sich mit Erdnussflips trösten, die man allerdings mit Bier oder Rotwein herunterspülen konnte. Alles was in der Pariser Bloggerszene Rang und Namen hat, war vertreten, Leute von der Blogotèque, Popnews, Pias France, Super!, Abus Dangereux, Le 7 ième Ciel, West Country Girl etc. gaben sich die Ehre. Ein Schaulaufen der Musiknerds und Oliver Peel mittendrin, schön!

Nun aber - es war inzwischen 22 Uhr geworden, ging es endlich richtig los. Tom Cooney aus Australien stand bereit und hob das musikalische Niveau gleich um mehrere Stufen. Sofort war auch Renaud von Le Cargo, den ich vorher nicht im Einsatz gesehen hatte, zur Stelle und filmte. Tom verfügt über eine sehr schöne Stimme und seine mir vorher nicht bekannten Lieder gefielen mir auf Anhieb. Ich glaube dieses Jahr soll das Debüt des sehr netten jungen Mannes, der sich zur Zeit ein paar Wochen und Monate in Paris aufhält, erscheinen und ich rechne mit einem gelungenen Machwerk, wenn es denn hält, was die intimen Songs, die heute vorgetragen wurden, versprechen.

Und dann der große Augenblick: "Coming all the way from Texas (so kündigte Josh T.Pearson die Sängerin an), Mara Miller aka Bosque Brown!" Mara hatte ich vor ein paar Monaten in der bretonischen Crêperie West Country Girl kennengelernt und war auf Anhieb schwer von dem kessen Mädel mit der mal sanften, mal nörgelnd-greinenden Stimme angetan. Was für ein feuriges Weib! Dabei wirkt sie so schüchtern und still, aber wenn sie ihre famosen Lieder vorträgt, schlägt das in ihr lodernde Temperament durch. Dann reißt sie den Mund weit auf und zieht die Silben in die Länge, bis der Hörer weiche Knie bekommt. Toll, daß wir in Paris sie schon öfter live zu sehen bekommen haben, während Deutschland bisher in die Röhre guckt und vermutlich erst 2011 feststellen wird, daß dieser Oliver Peel aus Paris mit seinen Schwärmereien Recht hat. Hauptverantwortlich für ihre Präsenz in Frankreich ist das in der Seine-Metropole ansässige Label Fargo, das schon vorher Alela Diane zu einer großen Karriere verholfen hat. Ob es Mara wohl genauso weit schaffen wird? Die Vorraussetzungen bringt sie jedenfalls mit. Markante Stimme, starke Lieder, charmante Erscheinung, ihr mangelt es wahrlich an nichts. Obwohl: eigentlich doch! An Schlaf nämlich. Sie hat seit 24 Stunden kein Auge mehr zugetan, weil sie erst heute aus den USA angereist kam und in der Machine nicht pennen konnte. Der Film soll auch scheiße gewesen sein. Dennoch war ihr kurzer Auftritt heute alles andere als beschissen! (Cowboy-) Hut ab!

Wo wir gerade beim Cowboyhut sind: Josh T.Pearson, in Paris lebender Texaner mit guten Deutschkenntnissen, trägt oft einen solchen und auch seine Boots und die extravagante Gürtelschnalle (ein Stiergeweih) wirken authentisch. Er war heute als letzter an der Reihe und sorgte nicht nur mit seinen endlos langen, aber betörend schönen und extrem filgranen (das Gitarrenspiel ist immer nur ganz sanft und leise) Songs für Aufmerksamkeit, sondern mit der Aktion des Tages: beim Versuch auf den weißen Büffettisch aus Plastik zu steigen, gab das Möbel unter dem Gewicht des Hünen nach und der Tisch brach mit einem lauten Schlag entzwei! Alle Flaschen, Chips, Teller, etc. knallten auf den Boden und die improvisierte Bühne wirkte wie ein Schlachtfeld. Als hätte eine Bombe eingeschlagen, so sah das aus! Der Cowboy scherte sich einen feuchten Kericht darum. Nachdem die Leute ihre Lachkrämpfe einigermaßen in den Griff bekommen hatten, spielte er auf einem Stuhl performend in aller Ruhe zu Ende, als wäre nichts gewesen.

Was für ein Abschluß (mit dem tollen Lied I Ain't No Christ)!

* Le Cargo hat Sessions mit unzähligen Granaten gefilmt (insgesamt gibt es nun über 200): Vic Chesnutt, Micah P. Hinson, Anna Ternheim, Laura Gibson, Essie Jain, Emily Jane White, Lambchop, I Am Kloot, Alina Simone, Bowerbirds, Scout Niblett, Alela Diane, Babyshambles, Merz, Chris Garneau, Tunng, Syd Matters und und und!



Setlist Bosque Brown, Fête de la musique chez Le Cargo, Paris:

01: A House
02: Texas Sun
03: Run
04: You And Me
05: Forth Worth Blue (Townes Van Zandt Cover)




 

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