Sonntag, 27. Juni 2010

Chokebore & The Black Keys & Caribou, u.a., Festival Le Rock Dans Tous Ses Etats, Evreux, 27.06.10


Konzert: Chokebore & The Black Keys & Caribou, u.a., Festival Le Rock Dans Tous Ses Etats,
Ort: Hipodrome d'Evreux, Normandie, Frankreich

Datum: 27.06.10

Zuschauer: tausende
, aber leider weniger als in den letzten Jahren



Weiber, Weiber, Weiber! Obwohl glücklich verheiratet und seit 15 Jahren absolut treu, kann ich nicht davon lassen, hübschen Mädchen hinterherzugucken. Bei Festivals ist der Augenschmaus besonders groß und ich bin nicht der einzige Mann, der vom Kopfumdrehen einen steifen Nacken bekommt. Ein kleiner Tiger Woods schlummert irgendwo in jedem von uns. Und umgekehrt ist es ja genauso, bloß, daß die Mädels diskreter und weniger plump die Männer auf den Festivalwiesen inspizieren. An diesem heißen Juni Samstag war ich für einen Tag eine Frau. Sozusagen. Meine Augen waren nämlich zumindest eine gute Stunde lang auf den Womanizer Troy von Balthazar, seines Zeichens Frontmann der hawaiianischen Grunge/Sadcore Band Chokebore gerichtet. Wie gebannt beobachtete ich die Mimik und die auffällige Körpersprache des höchst charismatischen Sängers und Gitarristen. Was für ein Heißsporn! Dabei ist er zwischen den Songs so unglaublich höflich und wohlerzogen. Nie kommt ihm ein vulgärer Spruch über die Lippen, immer ist er anständig, sympathisch und kommunikativ. Wehe aber einer der unzähligen saumäßig traurigen und oft saumäßig harten Lieder von Chokebore wird angestimmt! Dann erkennt man ihn nicht wieder! Sein Blick wird diabolisch, der Körper bebt vor lauter Spannung und die Gitarre wird zur Waffe. Er scheint meistens einen Kampf gegen sich selbst zu führen, wimmert, brüllt, winselt wie ein geschlagener Hund. Ein Wechselbad der Gefühle, auch für die Fans. Nur Elliott Smith (der Allergrößte unter den Melancholikern) und Conor Oberst singen ähnlich weinerlich und voller Selbstmitleid, so daß man am liebsten gleich mitheulen möchte. Ein Troy Bruno von Balthazar verweilt aber nie lange im Jammertal, sondern begehrt mit aller Macht gegen die Depression auf. So als wolle er ausdrücken: "Ich lasse mich nicht von Dir unterkriegen, du verfluchte Schwermut! Nicht ich! Ich bin ein Held, ein Siegertyp, auch wenn ich manchmal hadere wie dereinst Boris Becker, der wie ein kleines Kind fluchte und schrie: "Miiissssssttt! Ich spiele mir eine Scheiße zusammen! Und so etwas in einem Wimbledonfinale!"

Sowieso seltsam und gleichzeitig ungemein faszinierend, wieso ausgerechnet ein blendend aussehender Sunnyboy wie Troy so traurig und verzweifelt sein kann. Man nimmt ihm seine Seelenpein dennoch ungeprüft ab, soviel Wut und Frustration kann man einfach nicht spielen. Oder aber Troy hat das Talent eines Hollywood Schauspielers. Alles ist möglich bei diesem ungekrönten Superstar der Indiemusikszene. Warum ist er eigentlich so unbekannt? Warum spielen Chokebore nicht im Stade de France wie die verfluchten Typen von Muse? Sind die Hawaiianer etwa nicht die famoseste Rockband der Welt? So dufte, daß Kurt Cobain himself Fan von ihnen gewesen sein soll? Hardcore Fans von Chokebore (und davon gibt es ein paar, selbst wenn es nicht allzuviele sind) wissen die Antwort. Klar ist das die beste Band der Welt! Man frage nur Florent, der sich seit Jahren um das Chokebore-Forum kümmert (auch in der Zeit, in der die Gruppe auf Eis lag) und natürlich heute auch wieder mit dabei war. Eine eingeschworene Anhängergemeinde haben die "alten Herren" also, aber Mainstream werden sie sicherlich nie werden. Zu wenig Kompromisse an die Massentauglichkeit machen die vier Mitvierziger und das ist auch gut so. Dennoch haben sie etliche Lieder, die als catchy zu bezeichnen sind (Days Of Nothing, You Are The Sunshine Of My Life, It Could Ruin Your Day etc.) ohne daß man aber wie bei fiesen Stadionrockern wie Muse oder Green Day mitgröhlen oder gar mitklatschen könnte. Pogo tanzen hingegen schon eher. Am Ende ging hier wirklich ziemlich der Punk ab und Troy gab noch einmal alles, strauchelte theatralisch über den Boden, schrie wie am Spieß und schleuderte wild mit seiner Gitarre durch die Gegend, bevor er nett lächelnd und "winke winke" machend mit seinen Jungs von der Bühne schlich. Eine Zugabe gab es noch, dann war Sense. Was für ein granatenhaftes Konzert! Oder wie der Franzose sagen würde: "Quel concert! Put... de sa mère!"

Setlist Chokebore, Festival Le Rock Dans Tous Ses Etats, Evreux (merci à Florent!!):

01: Narrow
02: Little Dream
03: Thin As Clouds
04: Alaska
05: Days Of Nothing
06: Popular Modern Themes
07: Lawsuit
08: Bad Things
09: Police
10: One Easy Pieces
11: You Are The Sunshine Of My Life
12: Coat

13: It Could Ruin Your Day

Es gab natürlich noch ein paar andere Bands beim Festival in Evreux. Viele kannte ich allerdings gar nicht. TV Glory, Shining, FM Belfast, wem sagen solche Namen schon etwas? Da hat man beim Line-Up im Gegensatz zu den letzten Jahren wo Headliner wie Franz Ferdinand, Gossip oder die Kaiser Chiefs aufgeboten wurden, doch deutliche Abstriche gemacht. Ein paar bekannte Formationen gab es aber doch:

Caribou: Elektro-Pop mit Grips, vorgetragen von einem nerdigen Vierer, der bühnentechnisch ganz kompakt aufgestellt war. Vorne links Ober-Caribou Dan Snaith, der ähnlich wie ein Konstantin Gropper ein Solokünstler mit Live Bandbegleitung ist und alle Fäden zusammenhält, rechts von ihm ein energischer Trommler und im Windschatten dahinter ein Bassist und ein Gitarrist. Die vier lieferten sich einen Wettkampf, wer am ehesten dem Klischeebild des einsamen, aber genialen Mathegenies entspricht, derart uncool wirkten sie. Einem Teil des Publikums gefielen sie trotzdem und wenn man sich auf die synthetische Musik einließ, konnte man in der Tat abtauchen und sich treiben lassen. Ich hingegen schwitzte bei über 30 Grad wie ein Blöder und wäre am liebsten Baden gegangen oder so. (witzigerweise heißt das aktuelle Album von Caribou Swim, das passt!) Da kein Schwimmbad oder See in der Nähe war, verweilte ich aber bei den Kritikerlieblingen und konnte dem ein oder anderen Song etwas abgewinnen. Zum wirklichen Fan werde ich aber wohl nie, weil die Kerle ihre verfluchten Gitarren nicht einsetzten, wie sich das für richtige Männer gehört. Ich hörte nur Computerklänge und zuweilen zwei Schlagzeuge auf einmal. Ein paar Titel kannte ich, so z. B. Melody Day vom Album Andorra oder auch Odessa vom neuen Longplayer. Innovativ und ideenreich sind Caribou ja, aber es gibt charismaterische Bands. Live also am besten mit geschlossenen Augen genießen...

The Jim Jones Revue: Was war das denn für ein Käse? Wild posende alte Herren, die klangen als hätten sie Jerry Lee Lewis oder Elvis mit der Muttermilch aufgesogen?! Vermutlich sollte das bluesiger Gargenrock oder Rockabilly sein und die jungen Leute im Publikum fanden das so stark, daß sie das Crowdsurfen anfingen, mir wurde es nach 5 Liedern aber zu bunt und ich ging eine Runde pinkeln. Pfui Teufel! Äh, ich meine natürlich den Zustand der Stehklos in Evreux. Obwohl...

The Black Keys:

Dan Auerbach sieht mit gestutztem Bart und kürzeren Haaren gar nicht so übel aus! Da fragt man sich, warum der Sänger und Gitarrist der Black Keys früher immer wie ein Waldschrat rumgelaufen ist. Wollte er sein wahres Gesicht verstecken? Wie auch immer, die Black Keys haben jedenfalls gerockt wie damals, als ich sie 2006 in der Pariser Cigale gesehen habe und von dem rohen, staubtrocken Bluesrock sehr angetan war. Seitdem sind sie Album für Album die Karriereleiter kontinuierlich heraufgeklettert, Dan Auerbach hat ein vielgelobtes Solowerk veröffentlicht und mit Brothers gibt es einen aktuellen Output. Um die neuen Stücken live umzusetzen, kamen heute zwei zusätzliche Musiker mit hinzu. Wozu genau die da waren, wußte ich allerdings nicht so recht, denn die Black Keys machen schon als Duo einen Höllenlärm und brauchen eigentlich keine Verstärkung, um ein Festivalgelände in Wallung zu versetzen. Zu meiner Schande muss ich gestehen, daß ich die neuen Tracks vom aktuellen Opus Brothers vorher nicht kannte und so war es auch nicht weiter verwunderlich, daß mich ein altes Lied am Ende am meisten packte. Your Touch ist so herrlich auf den Punkt gespielt und so kompromisslos hart, daß ich noch eimal richtig in Fahrt kam.

The Black Keys sind cool, schaut sie euch an, wenn sie in eurer Nähe aufkreuzen!

Suicidal Tendencies: Genau das Gegenteil empfehle ich für Leute mit Geschmack, wenn Suicidal Tendencies in eurer Stadt spielen. Ein einziges Gehaue und Gesteche, feiste Typen die mit Football Shirts rumhüpfen wie verfluchte Rapper und mit diesem Käse natürlich beim Publikum super ankommen. Schauderhaft! Aber so ist das eben bei Festivals, da gewinnen immer die Krachmacher und Bulldozer die Sympathien und mir wurde hinterher zugetragen, daß am Ende jede Menge Leute auf die Bühne geholt wurden. Da war ich zusammen mit meinen beiden Kumpels längst schon im Auto Richtung Paris unterwegs. Wir waren uns einig: Chokebore allein waren die Anreise wert!


Aus unserem Archiv:

Chokebore, Paris, 19.02.2010
Chokebore, Brüssel, 20.02.2010 (bei Christophs Bericht blieb es leider bei einer Einleitung. Das Konzert hat ihm die Sprache verschlagen, gell?
Chokebore, München, 16.02.2010 von Eike vom Klienicum



6 Kommentare :

Christoph hat gesagt…

Allerdings!

(kommt aber wirklich alles noch - mein Hauptzeitfresser (Lieblingsekelwort) ist heute vielleicht erledigt worden. Du weißt schon)

Oliver Peel hat gesagt…

Dein Haupzeitfresser ist die Fußball-WM, Christoph. Und die dauert doch noch ein bißchen. Sommermärchen (Lieblingsekelwort), du weißt schon...

E. hat gesagt…

es gibt anderenorts noch einen ergänzenswerten chokebore bericht... toller hauptzeitfresser, wenn es sich um die wm handeln sollte, christoph. ansonsten fiele mir nur "baby machen" ein, und der ist auch nicht von der hand zu weisen. insofern, weitermachen!

Oliver Peel hat gesagt…

Wimbledon zu gucken wäre ein toller Haupzeitfresser, ihr ganzen Fußballverrückten, ihr! Tennis statt Fußball!

Deinen fabelhaften Chokebore Bericht werde ich verlinken, lieber Eike.

"Baby machen?" Wie geht'n das?

Oliver Peel hat gesagt…

So, Chokebore München ist verlinkt.

Ich muss ob deines Kommentares gerade ein wenig schmunzeln, Eike. Er erinnert mich an einen linken Professor aus Lübeck, einem Freud unserer Familie. Der textete mich und Cécile auch immer mit Lobgesängen auf Fußball und Kinder zu. Sehr beliebt diese Kombi bei Sozialdemokraten. Und ihr Lieblingsfußballverein ist natürlich Sankt Pauli oder ein anderer kleiner Club und nicht Bayern München. Der letzte Punkt unterscheidet sie von den Konservativen, die ansonsten auch Fußball und Kinder ganz oben ansiedeln.

Aber keine Sorge, wir setzten schon Kinder in die Welt! Geduld! :)

Christina hat gesagt…

Babies zu machen nimmt vielleicht Zeit in Anspruch, Babies an sich sind aber keine Zeitfresser, zumindest wenn man dank Ursula-Elterngeld nicht mehr arbeiten muss (Zeitgewinn durch wegfallen des Hauptzeitfressers: 12 Stunden) und das Baby noch 16 Stunden am Tag schläft ;) Da bleibt sogar noch Zeit für das 13:30 Spiel der Fussball WM. Ha!

 

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