Montag, 23. März 2009

Sophie Hunger, Paris, 23.03.09


Konzert: Sophie Hunger

Ort: La Boule Noire, Paris
Datum: 23.03.2009
Zuschauer: geschätzte 200
Konzertdauer: ca. 80 Minuten



Post von Peel
von Hans Oliver Peel


Liebe Sophie Hunger,

Geöffnet hast Du mich wie eine verschlossene Auster. Skeptisch saß ich während der ersten Lieder auf meinem Platz und dachte mir: "Schon wieder eine Singer/Songwriterin, die verfrüht in den höchsten Tönen gelobt wird!" Und dann noch diese soulig/jazzige Stimme ein wenig wie Feist oder Joan As Policewoman. Eigentlich nicht so mein Wetter, wie mein Bloggerfreud Eike sagen würde. Aber dann hat es mich gepackt, nein vollkommen erwischt hat es mich! Ich war Dir und Deinem ergreifenden Spiel ausgeliefert, konnte nicht genug bekommen von Deinen herrlichen Liedern, die Du zusammen mit Deiner sympathischen Band mit unglaublich viel Herz und Leidenschaft vorgetragen hast. Mit jedem Song stieg meine Begeisterung weiter und Du hast bewiesen, daß Du spielerisch von der Akustik- zur E-Gitarre wechseln kannst und auch am Piano brillierst. Deine liebenswürdig schüchterne Art hat das Pariser Publikum entzückt und mit Deinem Bemühen, alles auf französisch zu erklären, hast Du sie vollkommen auf Deine Seite gezogen. Als Du den Inhalt des deutschen Liedes Spiegelbild übersetzt hast und die Geschichte mit dem Doktor geschildert hast, vor dem Du den Mantel ausziehen solltest, hatte ich Schmetterlinge im Bauch, so charmant war das! Vor allem, weil nicht ganz klar wurde, ob die Aussage war: "Unter dem Mantel habe ich nichts an" (au dessous je n'ai rien) oder "ohne den Mantel bin ich nichts" (sans le manteau je ne suis rien)...

Ich habe selten zuvor erlebt, daß eine Künstlerin so ihre Stücke lebt, so in ihnen aufgeht wie Du. Wenn Du nicht singst, wirkst Du recht still und schüchtern, aber an der Gitarre explodierst Du regelrecht! Deine Mimik zu beobachten war für mich ein himmlischer Genuß! Wie Du deine Hand nach oben reißt, wenn Du an der Gitarre zupfst! Wie Du es auskostest, auf der Bühne zu stehen und manchmal träumerisch in Dich hineinlächelst, fast wie ein Kind. Und wie liebevoll und humorvoll Du Deine tolle männliche Band vorgestellt hast! Der Drummer heißt Sartorius, kommt aus Bern, möchte aber gerne in Zürich leben, wie alle anderen bei Euch. Und der famose Trombonenspieler wohnt nur 100 Meter vom Studio entfernt, das ist nicht sehr weit, wie Du richtig sagtest. Auch, daß der elegante Bassist neue Kleidung anhatte, vergaßt Du nicht zu erwähnen, genauso wenig, daß Du den Gitarristen, Flötisten, Mundharmonikaspieler usw. schon seit sehr langer Zeit kennst. Überhaupt die Geschichte mit der Mundharmonika: "Du sagtest, daß dies Dein Lieblingsinstrument sei, weil man es nicht beherrschen müsse (es heißt übrigens nur harmonica auf französisch). Deine Bescheidenheit ehrt Dich, aber Du warst an der Mundharmonika so brilliant wie an allen anderen Instrumenten! Und ein Lied auf Switzerdütsch habe ich noch nie zuvor gehört. Es klang ganz wunderbar, zumindest aus Deinem Munde! Ich muß unbedingt diese Sprache lernen! Dein Walzer Für Niemand war so etwas von wundervoll, daß mir Tränen in den Augen standen. Ich glaube es ging fast jedem so an dem heutigen Tage, die Ergriffenheit des Publikums war nicht gespielt, die war echt und kam von Herzen. Bei Like A Rolling Stone, Deinem sensationellen Bob Dylan Cover hätte ich vor Freude durch die Boule Noire hüpfen können! Unfassbar war das! Und daß Du die Franzosen mit Deiner ganz eigenen Version von Jacques Brels Ne Me Quitte Pas nach Hause geschickt hast, war ganz schön kess, aber gleichzeitig auch meisterhaft beherrscht. Ganz viel Gefühl hast Du da reingelegt, wie in all deine wunderbaren Lieder.

Du hast mir eines der bewegendsten Konzerte meines Lebens bereitet, es war einfach wunderwunderschön! Mich überkommt ein wenig Wehmut, denn ich weiß, daß Du bald nicht mehr in solch kleinen Locations wie der intimen Boule Noire spielen wirst. Dein enormes Talent wird Dich ins Olympia führen, noch in diesem Jahr oder spätestens 2010, da bin ich ganz sicher! Aber ich weiß mein Glück, das ich heute abend erfahren durfte, zu schätzen! Dieses Konzert werde ich nie vergessen. Niemals, Sophie...

Herzlichst

Dein

H.O. Peel

P.S.: Danke für Alles!


Setlist Sophie Hunger, La Boule Noire, Paris:

01: Beauty Above All
02: Shape
03: Drainpipes
04: The Boat Is Full
05: House Of Gods
06: Marketplace
07: Spiegelbild
08: Birth-Day
09: Round And Round
10: Citylights
11: Rise And Fall

1. Zugabenblock:

12: Hotel Belfort
13: Ruler Of My Heart
14: Like A Rolling Stone (Bob Dylan Cover)
15: Walzer Für Niemand

2. Zugabenblock:

16: Tell The Moon
17: Die Rede

3. Zugabe:

18: Ne Me Quitte Pas

- Mehr Fotos von Sophie Hunger hier





9 Kommentare :

Anonym hat gesagt…

Wow. Oliver, ist dieser Bericht wirklich von dir? Du weißt ja, dass ich es oft kritisch sehe, wie du über weibliche musizierende Personen berichtest, aber das hier ist toll. Ich bekomme fast Lust, sie mir in Köln anzusehen, obwohl gitarrespielende Frauen mit soulig-jazzigen Stimmen eher nicht in mein musikalisches Beuteschema passen. Hat Spaß gemacht das zu lesen :)

Oliver Peel hat gesagt…

Natürlich ist der Bericht von mir, Christina, von wem sonst? Einen Ghostwriter kann ich mir noch nicht leisten ;-)

Danke für die Blumen!

E. hat gesagt…

und ich muss mir erst 'ne pulle roten aufmachen. und dann geniess ich deinen text!

E. hat gesagt…

bin kein großer hunger verehrer. lieber habe ich es satt. und in rauen mengen. aber vielleicht besucht uns die nette dame alsbald und ich werde ihr von deiner überwältigung erzählen und von deinem textfleiß und der hingerissenheit deiner leser.

khamp hat gesagt…

23.09.09...? ts,ts...wie die Zeit verfliegt; hätte schwören können gerade 'was von Frühling gehört zu haben ;)

John hat gesagt…

Wish I could understand German, but I can't. Nevertheless, fantastic photos! Here's my review of the Boule Noire show on the 25th:
http://tinyurl.com/cfseqn

Anonym hat gesagt…

Ja, Thomas Bernhard hätte geschossen.

Ich las kürzlich ihre Kolumne auf ZEIT online und da kamen mir doch einige seltsamen Gedanken, die ich hier nicht ausbreiten will.
Musik und auch eine gute Stimme benebelt, Text klärt dann wieder einiges ...
In diesem Sinn ... mich hungert es nicht danach. Obgleich ich Verständnis für die männlich-geknechtete Seele habe.

Anonym hat gesagt…

das ist die allerallerschönste beschreibung eines sophie-hunger-konzertes, die ich jemals gelesen habe! ich fing fast wieder an zu heulen, wie nach MEINEM ersten konzert von ihr (auch 2009), als ich gefragt wurde, wie es war... es war einfach so überwältigend, was da passiert ist. ich war völlig unvorbereitet und recht erwartungslos, kannte kaum was von ihr, war eher neugierig. und dann D A S !!! vielen dank für die schönen treffenden worte, die du gefunden hast.

viele grüße, heike

Oliver Peel hat gesagt…

Oh, vielen Dank, Heike!

Sicherlich einer meiner emotionalsten Berichte. Aber ich würde ihn heute noch genauso schreiben.

 

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