Konzert: Entertainment For The Braindead
Ort: Ein Wohnzimmer, irgendwo in Paris, Oliver Peel Session # 3
Datum: 18.01.2009
Zuschauer: 15 + ein Ragdoll Kater
Konzertdauer: 40 Minuten
"Das klingt wunderschön! Will Julia nicht mal in meinem Wohnzimmer spielen, nachdem mich Syd Matters so lange warten lassen?" (Kommentar von Oliver Peel bei Plattenvorgericht, 30.Okt. 2008)
"Wo ist denn dein Wohnzimmer und mit welchen Argumenten würdest Du sie zu überzeugen suchen? Wer weiß, vielleicht hat sie ja tatsächlich Lust :P" (Antwort von Julia, 01.Nov. 2008)
So fing die ganze Geschichte an. Ich hatte damals gerade einen Streifzug durch die neuen CD-Veröffentlichungen bei Plattenvorgericht - einem sehr guten und mir wohlbekannten Blog- gemacht und stieß beim Anklicken der eingebundenen Youtube-Videos auf eine Stimme, die mich auf Anhieb in ihren Bann zog. Wer sang da so lieblich und herzerweichend? Ich war hin und weg und sah mir die Live-Videos gleich in Dauerschleife an!
Entertainment For The Braindead, aha, so nennt sich also das traumhaft singende Mädchen mit der Gitarre", dachte ich laut vor mich hin und nur zwei Minuten später ertappte ich mich selbst dabei, die eingangs zitierten Sätze in den Computer zu hacken. "Willst Du nicht in meinem Wohnzimmer spielen?" - war ich da nicht etwas zu naßforsch? Leichte Selbstzweifel überkamen mich. Diese verwischte ich jedoch schon sehr bald, da ich mir insgeheim dachte, daß höchstens die Schreiberlinge von Plattenvorgericht meinen Spruch mitbekommen würden. Nie im Leben hätte ich daran gedacht, daß Julia aka Entertainment For The Braindead, also die Künstlerin selbst, mein Gekritzel lesen, geschweige denn kommentieren würde! Aber manchmal ist das Internet und die moderne Kommunikation ja doch eine unglaublich tolle Sache! Julia hatte mein halb ernstes, halb scherzhaftes Angebot, in meinem Wohnzimmer in Paris zu spielen, tatsächlich gelesen und sie schien noch nicht einmal abgeneigt. Irre! Der Kontakt war hergestellt und jetzt galt es nur noch meine plötzlich vorhandenen Konkurrenten von Plattenvorgericht und auch vom Klienicum in Bayern aus dem Wege zu räumen. Angespornt durch das Feedback von Julia versuchten nämlich auch Dirk und Eike Julia zu einem Wohnzimmerkonzert zu überzeugen und mich zu übertrumpfen. Aber sie hatten letztlich keine Chance, die Anziehungskraft von Paris war deutlich größer als diejenige von Käffern wie dem rheinischen Neuwied oder dem bayrischen Ampfing. Auch mein Kompromissvorschlag, das Ganze doch in unserem Kaminzimmer im Westerwald statfinden zu lassen, blieb unbeachtet. "Paris und sonst nix", muss sich wohl Julia gedacht haben und ich konnte sie schon recht gut verstehen ...
Der Austragungsort stand also fest und jetzt waren nur noch ein paar organisatorische Dinge zwischen mir und der Künstlerin zu klären. Diese wurden aber schnell gelöst und als Julia mir schließlich mitteilte, daß sie ihre Thalys Zugtickets mit der Post erhalten hatte, stand dem abenteuerlichen Unterfangen fast nichts mehr im Wege.
Auch das Mail, daß ich einen Tag vor der Anreise der jungen Sängerin erhalten hatte, konnte das Wohnzimmerkonzert nicht mehr ernsthaft gefährden. Julia hatte mir nämlich mitgeteilt, daß es Probleme mit ihrem Gitarrenverstärker* gebe und daß sie deshalb ihre ganzen tollen Tricks mit dem Loopsampler, den sie ansonsten verwendet, nicht vorführen kann. Halb so wild, "ein rein akustisches Konzert ist auch schön", darauf einigten wir uns sehr schnell...
Im Bemühen trotzdem noch bestmögliche technische Bedingungen herzustellen, wuchtete ich zwar noch einen sauschweren (mindestens 20 Kilo wog das Scheißding!) Verstärker, den mir ein Freund geliehen hatte, durch halb Paris, aber das stellte sich als vergebene Liebesmühe heraus! Ich hätte meinen Rücken schonen können, denn das technische Problem, das von Julias Gitarre ausging, bestand auch in Paris fort...
Am Samstag, dem Vortage des Konzertes, scherten wir uns nicht mehr um solche technischen Details, sondern sahen uns lieber zusammen die Seine-Metropole an. Dank des charmanten Besuchs aus Deutschland entdeckte auch ich noch Dinge, die mir bisher verborgen geblieben waren. Daß man in dem berühmten Buchladen Shakespeare & Co im Austausch gegen aktive Mithilfe eine kostenfreie Schlafgelegenheit geboten bekommt, war mir vollkommen neu! Soll aber ein Geheimtip bleiben, deshalb psst!...
"Psst", sprich Ruhe, war auch von den glücklichen Besuchern, des schließlich am Sonntag stattfindenden Konzertes gefordert. In der Hinsicht kann ich aber meinen Freunden und Bekannten, die klugerweise in unserem heimischen Wohnzimmer erschienen sind, ein großes Kompliment machen! Jeder verhielt sich äußerst diszipliniert und aufmerksam und man hätte wirklich die berühmt- berüchtige Stecknadel fallen hören können. Wenn unser Kater nicht so satt und durch sein Diabetikerfutter ruhiggestellt gewesen wäre, wäre sicherlich auch noch sein Magenknurren vernehmbar gewesen! Zu Entertainment For The Braindead hatte er bereits eine sehr innige Beziehung aufgebaut. Noch nie lag er so nahe an dem bei uns auftretenden Künstler dran, was mit Sicherheit auf die äußerst sanftmütige Art der Kölnerin zurückzuführen war. Das ruhige und zarte Wesen der 22 Jährigen war regelrecht ansteckend. Während ihres wundervollen vierzigminütigen Auftrittes verfiel ich in einen wohligen, hypnoseähnlichen Zustand, aus dem ich am liebsten gar nicht mehr aufgewacht wäre. Wenn Entertainment For The Braindead mit zumeist geschlossenen Augen ihre melancholischen Komposition vortrug, wurde mir ganz warm ums Herz und das Leuchten in den Augen unserer Gäste ließ darauf schließen, daß sie sich in einem ähnlichen Gemütszustand befanden. "C'est magnifique", flüsterten einige meiner französischen Freunde ganz begeistert. Magnifique, also großartig, war es in der Tat, was uns von der jungen Sirene geboten wurde! Ihre Stimme war trotz ihres zarten lieblichen Klanges so fest und eindringlich, daß sich mir sämtliche Nackenhaare aufstellten. Es war noch schöner,als ich mir das in meinen kühnsten Träumen ausgemalt hatte! So dachten wohl alle hier, der verdiente Applaus nach den einzelnen Songs war aufrichtig und kam vom Herzen! Die Künstlerin selbst reagierte hierauf immer sehr bescheiden und bedankte sich höflich. Ihre Ansagen und vereinzelten Erklärungen zu den Songs, verkündete sie in einem perfekten englisch, nur die persönliche Vorstellung hatte sie auf französisch bestritten. Ein paar Titel waren sogar noch nie zuvor live gespielte Exklusivitäten, heute zum ersten Mal während der dritten Oliver Peel Session performt! Welche Ehre! Teilweise hatte das mit den technischen Gegebenheiten zu tun, in anderen Fällen aber auch damit, daß Julia sehr fleißig ist und deutlich mehr als ihre ingesamt 23 auf dem Netlabel aaahh veröfflichten Lieder im Repertoire hat. Aaahhrecords ist übrigens ausschließlich ehrenamtlich tätig, sie betreuen zur Zeit drei Künstler (u.a auch noch die wunderbaren The Wind Whistles) und die Alben ihrer Schützlinge sind allesamt gratis per download zu erwerben.
Zu den Exklusivitäten gehörte Awoke während man tolle Lieder wie Fences, What You Get und die abschließende Zugabe Colours auf dem Machwerk Hydrophobia finden kann.
Hach, allein dieses Fences! Ein unglaublich schönes Lied, das Entertainment For The Braindead im Oktober 2008 bereits bei einem Konzert im Kölner Motoki Kollektiv zum Besten gab. Sanft und reduziert hierbei das Gitarrenspiel, eine melancholische Melodie, die das ganze Stück durchzieht und die man danach nie wieder vergisst und ein autobiografischer Text. Es geht um den Verlust einer geliebten Person, aber ihr lieblicher Gesang hatte dennoch etwas Hoffnungs- und Trostspendendes. Textlich drückt sie in dem Lied ihr Bedauern über ihr Verhalten aus und unterlegt die besinnliche Stimmung eindrucksvoll mit ihrer wehklagenden Stimme: "I should have taken your hand, should have held it as we stumble, but I'd led it go, I'd let it slip away"... Der Kloß in meinem Halz hätte wohl nicht größer sein können, aber mir gelang es irgendwie, Fassung zu bewahren!
Auch das folgende Lied drehte sich um Verluste, bei dem Non-Album Track A String handelt es sich zwar "nur" um eine gerissene Gitarrensaite und das daraus resultierende Bedauern, aber der Song machte eindrucksvoll deutlich, daß man auch zu Recht über den Verlust vermeintlicher Bagatellen betrübt sein kann und zeigt überdies das enge, fast persönliche, Verhältnis zwischen dem Künstler und seinem Arbeitsgerät. Allerdings war das ganze Stück eher ziemlich ironisch gemeint. New Years Eve den letzten Titel des Albums Hypersomnia stimmt Entertainment For The Braindead auf der Ukulele an, aber irgendwann verliert sie den Faden und bricht das Stück in der Mitte ab, weil die Vorbereitung darauf zu knapp war. Das macht aber überhaupt nichts, im Gegenteil, das hat viel Charme und gehört eigentlich zum Liveerleben dazu! Ein Konzert ohne kleinere Pannen ist oft witzlos und ohnehin sind die Künstler in ihrer Selbsteinschätzung immer viel kritischer als das Publikum. Den winzigen Schnitzer, der zum Abbruch führte, hat eigentlich keiner hier bemerkt. Weightless & Innocent, erneut ein Non-Album Track (wir wurden verwöhnt heute!), klappt aber wieder prima und reibungslos. Mit What you Get folgt dann einer meiner absoluten Favoriten von Hydrophobia. Ich mag die Besinnlichkeit und Melancholie des Stückes, aber auch der interpretierbare Text ist sehr interessant und berührend: "I could have told you from the start, that this will make your hole world fall apart", besagt der Refrain und etwas später folgt die Aussage: "Hope you choke on your desires, hope you choke on your despair, on your self inflicted misery... - I really don't care." Ein Lied, das unter die Haut geht, keine Frage!
Dann folgt mit Awoke die zitierte Exklusivität und Livepremiere, bevor mit Plea From A Cat Named Virtute, ein Cover der kanadischen Band The Weakerthans, schon der letzte Song des intimen Sets angekündigt wird. Amüsanterweise ist das Lied aus der Perspektive einer Katze geschrieben worden, wie Julia lächlend erklärt, was zur Konsequenz hat, daß das Lied d'Artagnan, unserem friedlich schlummernden Ragdoll- Kater gewidmet wird. Toll, jetzt gibt es also eine Querverbindung zwischen den Weakerthans und einem 10 jährigen Berliner Kater, der in einem Pariser Appartment lebt. Sachen gibt's!...
So schnell wollen wir aber Entertainment For The Braindead nicht gehen lassen, mindestens eine Zugabe sollte es schon sein. Heftiger Applaus brandet auf und die junge Kölnerin fragt in die Runde, ob sie lieber einen "happy" oder einen "sad song" spielen solle. Vorlaut rufe ich rein, daß sie zunächst den traurigen Song spielen und den fröhlichen gleich hinterherschicken solle. Damit ist die Rheinländerin mit der herzerweichenden Stimme einverstanden und Animals und Colours (interessanterweise eigentlich auch eher traurig klingend) beenden ein traumhaft schönes Wohnzimmerkonzert. Alle Besucher sind tief beeindruckt, gerührt, ja hingerissen und werden diese dritte Oliver Peel Session wohl nicht so schnell vergessen! Die von Julia mit viel Liebe selbst gestalteten CDs gehen anschließend weg wie die warmen Semmeln, kein Wunder! Wer daran interessiert ist, ein Exemplar zugeschickt zu bekommen, wende sich an die Künstlerin selbst. Entertainment For The Braindead hat aber schon angekündigt, daß die Lieferung bis März dauern kann. Bei ihr kommt eben nichts vom Fließband und jede einzelne CD wird von ihr handgefertigt. Soviel Idealismus sollte gewürdigt werden! Ich persönlich fühle mich an jenem Sonntag ohnehin wie ein vom Leben besonders begünstigter Mensch und muss mich erst einmal wieder sammeln!
Versprechen kann ich allerdings, daß die Serie der Oliver Peel Sessions in unserem Wohnzimmer weitergeht. Die Nachbarn haben prima mitgespielt und sich nicht beschwert, so daß einer vierten und fünften Session nichts im Wege steht. Interessierte Künstler können mir einfach eine E-Mail schicken, wenn auch sie das Wagnis auf sich nehmen wollen, ganz in der Nähe einer blutrünstigen Katze (man nennt d'Artagnan auch Montecore) zu spielen...
Setlist Entertainment For The Braindead, Oliver Peel Session, Paris
01: It Flew Away
02: Maybe
03: Fences
04: A String
05: (New Year's Eve)
06: Weightless & Innocent
07: What You Get
08: Awoke
09: Plea From A Cat Named Virtute (The Weakterthans Cover)
10: Animals (Z)
11: Colours (Z)
* Anmerkung für Technikfreaks: Das Problem mit der Gitarre lag nicht am Verstärker, sondern am Tonabnehmer, bzw. dem dort integrierten Vorverstärker.
Links:
- Mehr Fotos von Entertainment For The Braindead hier
- Seite des tollen Netlabels aaahh- records, mit einer ausführlichen Beschreibung zu Entertainment For The Braindead inklusive sämtlicher Pressebesprechungen
- CD Vorstellung Hydrophobia von Entertainment For The Braindead bei Plattenvorgericht
- Eike vom Klienicum war der Erste, der über Entertainment For The Braindead berichtete, bravo!
- Entertainment For The Braindead live in Paris, Oliver Peel Session # 3. Zuhören, genießen, schwärmen!
- Videos von Entertainment For The Braindead, Oliver Peel Session # 3, Paris (Merci mille fois à Benoit!):
- What You Get
- Awoke
- Fences
1 Kommentare :
gratulation zu einer offenbar erneut gelungenen wohnzimmer session. den elitären charakter kann man nicht verhehlen, und im oberbayerischen ampfing hätte die künstlerin mit einer baufälligen scheune vorlieb nehmen müssen, aber ohne glanz und gloria kann man solche events eben nicht ausrichten. recht so, mein lieber! gibt es noch eine videoauswertung des spektakels? dann ließe sich zweifelsohne eine analyse des klienicums anschließen. haha! glück auf für weitere vorhaben!
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