Donnerstag, 29. Januar 2009

Stuck in The Sound, Paris, 29.01.09



Konzert: Stuck In The Sound

Ort: La Maroquinerie, Paris
Datum: 29.01.2009
Zuschauer: ausverkauft
Konzertdauer: ca. 70 Minuten



Die Franzosen frönten heute wieder einmal einem ihrer Lieblingshobbies. Sie streikten. Flächendeckend und gewerkschaftsübergreifend. Warum und wogegen wissen sie wahrscheinlich selbst nicht so genau. Im Zweifel gegen Sarkozy und die konservative Regierung. Die Kulturzeitschrift Les Inrockuptibles bezeichnet es einfach als eine Mobilmachung gegen den Staate Sarkozy ("Mobilisation générale fac à l'etat Sarkozy"). Dem Präsidenten wird vorgeworfen, er habe Gesetze und Dekrete gegen folgende soziale Gruppen erlassen: gegen die Armen, die Kinder, die Ärzte, die Richter, die Forscher, die Kranken und sozial Schwachen, die Lehrer, die Arbeitslosen, die Heranwachsenden, die Philosophen, die Historiker und die Beamten...

Verblüffend, vor allem, weil die Schreiberin die Liste als nicht erschöpfend bezeichnet! "Mensch Anne (so heißt die Journalistin, die den Artikel verfasst hat), streng dich doch bitte ein bißchen an! Wenn Du ein wenig überlegst, fallen Dir doch bestimmt noch andere Gruppierungen ein, die Sarko bekämpft! Wahrscheinlich hast Du vergessen, daß der Präsident bestimmt auch etwas gegen deutsche Konzertblogger hat, die von den Pariser Konzertsälen berichten! Ha!"

Herrlich für die Kulturschaffenden, die Medienleute, die Intellektuellen, sie haben ein großes Feindbild: Nicolas Sarkozy. Der ist das ausgemachte Schwein. Vereinfacht ja auch den Protest ungemein, wenn man einen hat, der an allem Schuld ist!

Andererseits: Protest gegen die Regierenden ist für die Kultur oft sehr fruchtbar. Wenn Künstler sich gegen "die da oben" auflehnen und daraus packende Bücher, Filme oder Lieder enstehen, ist das äußerst erfrischend. Die Punkbewegung in England in den späten siebziger Jahren ist auf jenem fruchtbaren Boden des Protestes enstanden. Die Bands, die daraus hervorgingen, The Clash, The Sex Pistols und etwas später Joy Divison, beeinflussen heute noch maßgeblich die Musik junger Nachwuchsrocker.

Der nervige Sarko ist letztlich also ein Glücksfall für die Kunstschaffenden, ich weiß gar nicht wie die amerikanischen Musiker jetzt noch auf wütende Weise kreativ sein wollen, nachdem sie endlich ihren unsäglichen George W. losgeworden sind und Barack Obama als ihren Top Friend auf ihr MySpace- Profile gehievt haben.

Wogegen lehnen sich Typen wie die Pariser Nachwuchs- Musiker von Stuck In The Sound eigentlich auf? Gegen die Politik? - Wohl kaum oder nur am Rande, denn die heutige Jugend ist auch in Frankreich eher unpolitisch. Das letzte Mal, daß junge Franzosen lautstark ihren Protest Kund getan haben, war vor ein paar Jahren, als der damalige Premierminister de Villepin ein Gesetz durchs Parlament peitschte, daß die Kündigung von jungen Angestellten für die Arbeitgeber erleichterte. Letztlich wurde nach wochenlangen Demos das umstrittene Gesetz gekippt und De Villepin, der sich durchaus Chancen auf das Präsidentschaftsamt ausrechnete, war politisch erledigt. Nutznießer der ganzen Sache: Nicolas Sarkozy, zu jenem Zeitpunkt Innenminister, der nun alleiniger Anwärter in seiner Partei auf das höchste Amt im Staate war...

Aber wogegen protestieren Stuck in The Sound denn dann, wenn nicht gegen die Herrschenden? Möglicherweise gegen die Tristesse der Pariser Vorstädte, oder vielleicht auch gegen ein zu spießig und konservativ empfundenes Elternhaus. Der Wunsch, beruflich nicht zu enden wie Vati mit seinem geregelten, langweiligen Leben, war ebenfalls schon immer ein guter Antrieb, es als Rockmusiker zu versuchen. Ein Job von 8- 17 Uhr? Nein, danke! So dachten und denken Nachwuchskünstler, schnappen sich eine Gitarre und lernen darauf zu spielen, pressen sich in eine enge Jeans, streifen eine schwarze Lederjacke über und hüpfen mit ihren Converse-Sneakers über die Bühnen kleiner Bars und verrauchter Clubs. Stuck in The Sound haben auch einmal so angefangen, sie trieben sich wie etliche andere Pariser Babyrocker in einer kleinen Bar namens The Shebeen rum, die irgendwann so kultig geworden ist, daß selbst Johnny "Razorlight" Borrell von dem Laden erfahren hat und ab und zu mal vorbei schaut, wenn er gerade in Paris ist. Plötzlich interessierte sich auch die Musikpresse, allen voran die Zeitschrift Rock & Folk für diese Szene und puschte sie mit euphorischen Berichten. Selbst der britische NME schrieb irgendwann über die Pariser Libertines- Klone. Stuck In The Sound waren aber genau wie ihre Kumpels von Nelson clever genug, sich ein wenig von der Szene der Babyrocker zu distanzieren. Erstens waren sie schon ein paar Jährchen älter als Schülerbands wie BB Brunes, die Shades oder Second Sex und zweitens klangen sie amerikanischer als ihre Mitstreiter. Ihre Vorbilder kamen nicht aus England und hießen auch nicht The Libertines oder The Clash, sondern Pixies, Nirvana und Sonic Youth. Von ihren Livequalitäten hatte ich schon viel Gutes gehört, die Gelegenheit dies zu überprüfen, hatte ich aber bisher noch nicht wahrgenommen. Heute also endlich mein erstes Konzert von und mit Stuck in The Sound, die gerade eben erst ihr zweites Album Shoegazing Kids auf den Markt gebracht haben.

Allerdings war es gar nicht so leicht zur Maroquinerie, dem Ort des Geschehens, zu kommen. Sagte ich nicht eingangs, daß gestreikt wurde? Eben! Und dies mußte ich dann auch am eigenen Leibe erfahren! Metros fuhren sehr unregelmäßig und die Wartezeiten waren überdurchschnittlich lang, was aber noch schlimmer wog, war die Tatsache, daß mein Anschlußbus Nummer 96 sage und schreibe 45 (!) Minuten Wartezeit hatte. Da bleibe mir gar nichts anderes übrig, als die Beine in die Hand zu nehmen und den wahrlich nicht kurzen Weg zu latschen. Fluchend und keuchend kraxelte ich im teutonischen Stechschritt die steile rue menilmontant hoch. Wenn mir jetzt so ein Gewerkschaftsfuzzi entgegengekommen wäre, den ich für die Umstände hätte verantwortlich machen können, ich hätte ihm in meiner Wut glatt eine Backpfeife verabreicht! Oder gleich einen Tritt in die Eier! Dann hätte er womöglich hinterher so geklungen wie José, der Sänger von Stuck in The Sound.

Der smarte Frontmann der Band hat nämlich ein ungewöhnlich hohe Stimme. Er klingt ein wenig wie ein Eunuch oder auch wie Robert "The Cure" Smith, dem vom vielen Blut trinken schlecht geworden ist. Keine Frage: dieses Kehlchen polarisiert! Wer die Stimme von José nicht mag, kann mit Stuck in The Sound wohl nie warm werden. Anderereits ist der Wiedererkennungswert enorm, ein nicht zu unterschätzender Vorteil.

Als ich endlich in der Kellergruft der Maroquinerie angekommen bin, sind die Pariser schon beim vierten Titel angekommen. Der kleine Saal ist gerammelt voll, es ist kochend heiß und ich stehe im toten Winkel. Alles was ich sehe, sind euphorisierte junge Leute, die Abtanzen wie die Wahnsinnigen und einen Betonpfeiler, der mir die Sicht auf die Bühne versperrt. Irgendwann schaffe ich es, mich ein wenig besser zu platzieren und auch zu sehen, wer denn die Kids so in Verzückung bringt. Ich erkenne vier Burschen, von denen mir neben dem gutaussehenden Sänger vor allem der Bassist auffällt. Er erinnert mich an den einen Kerl von der Kelly Family, derjenige der inzwischen in einem strengen Kloster gelandet ist. Manche verkraften eben den Erfolg nicht so gut. Die Band Stuck in The Sound schon. Sie sind zwar nicht so bekannt wie die Fratzen, die bei den unsäglichen Castingshows gewinnen, aber in Indiekreisen haben sie doch mächtig Staub aufgewirbelt. Besonders ihr sensationeller Hit Toy Boy ist dermaßen schmissig und eingängig, daß die Fans es kaum abwarten können, bis die bärenstarke Nummer mit den unwiderstehlichen Gitarrenriffs endlich gespielt wird. Zum Glück schaffen es die vier Pariser aber zumindest live auch mit anderen Songs zu punkten. Never On The Radio wie Toy Boy vom Debütalbum Never Mind The Living Dead zieht auch extrem gut und Neulinge wie das gelungene Utah fügen sich auch schon nahtlos ein. Die Fans hier scheinen sowieso alle Lieder auswendig zu kennen. Sie sind mit Feuereifer dabei und tanzen sogar Pogo. Auch Crowdsurfer werden quer durch den Raum gestützt, bis sie irgendwann auf den Boden knallen. Das macht ihnen aber nichts, der Adrenalinstoß ist dafür zu groß. So wird schließlich eine Stunde zu höllisch lauten indierockigen Klängen abgetanzt, als sei es die letzte Party des Jahres.

Ganz wie die Profis lassen sich die Franzosen gleich zwei mal zurück auf die Bühne klatschen. Der erste Zugabenteil umfasst drei schmissige Songs, der zweite dann noch zwei, darunter das sehr fetzige Delicious Dog. Nach circa. 70 Minuten ist dann wirklich Schluß und die Jungs treten ganz gerührt ab, sie sind froh, daß die neuen Lieder schon so gut ankamen. Sie brauchen ihre Kräfte noch, vor ohnen liegt eine ausgedehnte Tournee durch Frankreich und am Ende sind sie sogar in Brüssel. Der französische Indireock kann sich glücklich schätzen, eine Band wie Stuck in The Sound zu haben. Von denen wird man noch viel hören, bestimmt auch in Deutschland!

Auf dem Rückweg sorgt übrigens ein Störenfried in der U-Bahn mit dem zweitliebsten französischen Hobby nach dem Streiken für kurzfristige Unruhe. Der offensichtlich bedröhnte Typ raucht in der fahrenden U-Bahn eine Hasch-Zigarette und lässt das Ding irgendwann bekifft zu Boden fallen. Dabei geht eine rumliegende Zeitung in riesigen Flammen auf und die Notbremse wird gezogen. Ich bin froh, daß ich irgendwann heil zu Hause ankomme! Streiktage sind wahre Geduldsproben!

Setlist Stuck In The Sound, La Maroquinerie, Paris:

01: Zapruder
02: What?!
03: Shoot Shoot
04: Never On The Radio
05: Ouais
06: Dumbo
07: Gore Machine
08: Playback
09: Utah
10: It's Friday
11: Toyboy
12: Erase
13: Teen Tale

14: Dirty Waterfalls
15: Dirty W.
16: Don't Go Henry

17: Delicious Dog
18: Cramp

Links:

- Mehr Fotos von Stuck In The Sound hier
- Videoclip Toy Boy
- Delicious Dog live




1 Kommentare :

E. hat gesagt…

schöne, naja eher spannende geschichten aus dem krie..., ähm bstreikten paris. die tage werden eben härter, die leben wieder kürzer.
der band nette scheibe suche ich mal wieder raus, um mir mein leben wenigstens zu versüssen!

 

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