Dienstag, 3. September 2019

Haldern Pop Festival, 1. Festivaltag, 8.08.19



Haldern Pop Festival, 1. Festivaltag

Datum. 08.08.2019

Ort: Rees-Haldern, Niederrhein

Zuschauer: etwa 7000







Nach Paris mit dem Zug nach Haldern ! An jenem sonnigen 8. August 2019 war es mal wieder soweit. Wie schon in den Vorjahren kam ich auf dem Schienenwege von der Stadt des Lichts an den Niederrhein. Kein ganz so bequemes Unterfangen, denn zunächst ging es mit dem Thalys nach Köln, bevor mich ein alter IC nach Oberhausen brachte und schliesslich ein kleiner Regionalzug von Oberhausen nach Haldern die Reststrecke absolvierte. Bis ich da war, war es 18 Uhr, ich war also insgesamt 6 Stunden unterwegs. Vom Haldern Pop hatte ich deshalb schon ein paar Acts verpasst, denn im Dorfkern hatten die Festivitäten bereist gegen 13 Uhr begonnen. Sea Girls aus England hätte ich schon gerne gesehen, aber auch die psychedelischen, japanischen Experimentalmusiker Kikagaku Moyo hätten mir sicherlich gefallen. Sei's drum, man kann nicht immer alles haben! Hätte ich etwa um 7 Uhr morgens in Paris losfahren sollen? Dann wäre ich schon am ersten Tag platt gewesen. Ein alter Mann wie ich braucht seinen Schlaf! Und ein Hotel, denn Zelten geht für mich mit 48 Jahren nun wirklich nicht mehr.





Mein Hotel lag in Kalkar-Appeldorn, in einer alten Burg. Dort musste ich zunächst einmal hin, bevor ich mich in Haldern ins Getümmel stürzen konnte. Letztlich ging es für mich dann erst mit dem Schotten Gerry Cinnamon auf der Hauptbühne los. Netter Kerl, ganz allein unterwegs mit seinen hymnischen Songs, die den Haldernern gut gefielen.






Um 20 Uhr standen die jungen und sehr gehypten Briten Black Midi im Spiegeltent auf dem Programm. Eine der Bands der Stunde, die mit Schlagenheim im Juni ihr Debütalbum veröffentlicht hatten. Ausgerechnet auf Rough Trade, einem der britischen Kultlabels schlechthin!




Entsprechend voll war es im Spiegelzelt, aber ich als akkreditierter Fotograf hatte die Chance ganz vorne zu sein und alles gut zu sehen. Die Band präsentierte sich als Quartett. Allesamt junge Burschen, mit einem eher unscheinbar aussehenden Sänger. Am auffälligsten war zweifelsohne der sehr explosive Drummer Morgan Simpson, der in manchen Passagen aus allen Rohren schoss. Die gespielte Musik war nicht gerade leicht konsumierbare Kost. Noiserock, Mathrock, Experimental Rock, wie immer man es nennen mag, konventionell und sich an klassischen Songstrukturen orientierend war es jedenfalls nicht. Eher frei und wild, teilweise auch wirr, immer jedoch sehr laut. Schwer zu sagen, an wen sie mich musikalisch erinnerten. Battle würde ich sagen, oder Pere Übu, auch ein wenig The Fall war drin in dem wüsten Mix aus verzerrten Gitarren, kauzigem Gesang und plötzlich einsetzenden Schlagzeugsalven.



Sie spielten ihr Album quasi komplett runter und waren am Ende nassgeschwitzt und platt. Das Publikum war auf seine Kosten gekommen, die meisten Leute fanden den Auftritt sehr gut. Ich auch.

Setlist Oslo: (Quelle: setlist. fm)

Speedway
953
Of Schlangeheim
Near DT, Mi
Crows' Perch
Talking Heads
bmbmbm
Ducter


Dann ging es rüber für mich zur Hauptbühne, wo Kadavar nun loslegten. Eine deutsche Band, die aber auch schon auf französischen Festivals gespielt hat. Typen mit saulangen Mähnen wie in den 80 er Jahren, den Hochzeiten des Heavy Metal. Kadavar sind aber eher Stoner Rock oder Old School Metal der 70er. Schwerer Sound, Gesang der ein wenig an Robert Plant erinnerte und Riffs die einen in Mark und Bein trafen. Es gab definitiv auch eine psychedelische Note und damit lagen die Berliner natürlich im Trend. War handwerklich wirklich gut gemacht, entsprach aber nicht dem was ich mir zur Zeit so anhöre. Zu hart für mich. Oder ich bin zu weich.


Setlist Saint-Nollf, France (Quelle: setlist. fm)

Skeleton Blues
Creature For The Demon
Doomsday Machine
Into The Wormhole
Goddess Of Sawn
Living In Your Head
Die Baby Die
Come Back Life
All our Thoughts


Ich lief rüber Richtung Spiegeltent und hörte mir von draussen (es war noch so herrliches Wetter!) Robocobra Quartett an. Eine spannende Formation irgendwo zwischen Jazz (es gab viel Saxofon) und Indierock, voller Finessen und Ideen. Der Schlagzeuger war auch gleichzeitig der Sänger. Und der hatte eine tolle Stimme, mal krächzig, mal weich, mal völlig verzweifelt, dann wieder sehr ruhig. Ist natürlich alles ziemlich spezielle Musik, nicht sehr massentauglich. Gebucht werden sie meistens auf Insiderfestivals wie dem Reeperbahn , dem Eurosonic, SXSW, oder dem Great Escape. Und natürlich...auf dem Haldern! Danke an die Programmgestalter dafür!


Ich wanderte nun rüber Richtung Hauptbühne, um Giant Rooks zu sehen und zu fotografieren. In den ersten Reihen standen fast nur junge Mädchen, warum wohl? Weil die Musik so gut war? Oder die Jungs auf der Bühne so süss? Eher Letzteres. Das Ganze klang nach einem Aufguss der Kooks (Rooks, Kooks, welch ein Zufall!) und war eher etwas für Teenager als für grantige alte Säcke wie mich.

Ich ging nun in das oft sehr volle Niederrheintent. Zum Set von Tereza ging es aber, ich kam gut rein und stand weit vorne. Tereza ist eine sogenannte DJane, also ein weiblicher Dj, hatte aber mit Marushka nicht viel zu tun. Das war kein Techno, sondern eher Retrosound, R'n B und Funk. Ansprechend, aber nicht süchtig machend. Ich war nach 3 Liedern wieder draußen.

Gegen Ende des Tages gab ich mir noch ein wenig Gewalt. Keine körperliche Gewalt, die Band im Spiegelzelt hiess nur so. Angeführt von dem charismatischen Hünen Patrick Wagner gab es auch zwei fesche Damen an Bass (Rabea Errate) und Gitarre (Helen Henfling). Alle waren sie komplett weiss gekleidet, die Klamotten des Sängers waren allerdings extrem schmutzig, als hätte er sich im Schlamm gewälzt. Man sah aber auf Anhieb, dass die (Blut)Flecken extra auf die Klamotten gespritzt wurden.

Das Trio spielte Artpunk mit deutschen Texten, in der Presse las ich auch oft den Begriff existentialistischer Rock. Was das Ganze mit Camus zu tun haben sollte erschloss sich mir jedoch nicht so ganz und waren die Existentialisten in Paris nicht immer schwarz gekleidet und nicht weiss?

Sei's drum, ich mochte das Minimalistische in ihre Musik, den schwarzen Humor, den brummenden Bass, die schrägen Gitarren, den Krach.


Die Texte waren kurios und scheinbar absurd. So hiess es etwa in Wir sind sicher: "Eine Mutter, Verkleidung / Vergeltung, ein Glaube, eine Umarmung / Eine Stadt, eine Wissenschaft / Ein Ofen, ein Baum, Betäubung." Wie sollte man daraus schlau werden? Leider kann ich euch keine Setlist bieten, aber das enorm düstere Szenen einer Ehe wurde auf jeden Fall gespielt. Ein diabolisch lautes, aggressives Stück voller Wut und keifendem Gesang: "Was denn, was willst du denn von mir?" Viel Geschrammel, viel Krach und eine fast klaustrophobe Atmosphäre. Die Ehe dürfte nicht gut gewesen sein!

Danach hiess es für mich: Schluss für heute, zurück in die Burg. Mein Taxifahrer durfte sich freuen, er machte gute Geschäfte mit mir. Und der Burgherr fragte mich am nächsten Morgen etwas pikiert: "Na, gut geschlafen? Sie sind ja erst gegen 2 Uhr nach Hause gekommen".






 

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