Konzert: D:uel - "Claudia Brücken & Susanne Freytag performen die Musik von Propaganda"
Ort: Zeche Bochum
Datum: 08.09.2019
Dauer: 70 min
Zuschauer: vermutlich nahezu ausverkauft
Wann immer bei Facebook nach den "zehn einflußreichsten Platten deines Lebens" oder "deinen Lieblingsalben" gesucht wird - Sachen, über die Musiknerds schrecklich gerne nachdenken - kommen mir Breaking glass von Hazel O'Connor, Grab that gun von The Organ, der EP-Sampler von Belle & Sebastian, Split von Lush, On fire von Galaxie 500 oder The Smiths' Louder than bombs in den Sinn. Und immer A secret wish von Propaganda. Neben Ideal war die Düsseldorfer Band für mich immer mein einheimischer Liebling. A secret wish höre ich auch 30 Jahre später ganz regelmäßig - vollkommen ohne Abnutzungserscheinungen.
Wie Ideal und die Smiths konnte ich auch Propaganda (Bürde der späten Geburt) leider nie live sehen, weder in der ersten Phase noch bei einer der kurzen Reunions. Was die ehemaligen Mitglieder machten, hatte ich nicht weiter verfolgt, bis 2013 ein Konzert von Claudia Brücken, einer der beiden Sängerinnen der Band in der A secret whish Zeit in Frankfurt aufploppte, das kurz nach der Ankündigung aber wieder abgesagt wurde. 2017 ergab sich die nächste Gelegenheit, diesmal musste ich das Konzert von Claudia Brücken und Susanne Freytag in London streichen, mein Wunsch, die Sängerinnen zu sehen, sollte weiter unerfüllt bleiben. Bis gestern.
Als ich an der Zeche ankam, ging gerade ein Platzregen runter. Der überdachte Bereich vor dem Eingang war knallvoll, Mit-Konzertgänger (und einige der Jacken) hatten die Veröffentlichung der Platte auch schon als Teenager erlebt, was zu erwarten gewesen war. Ob dies der Grund dafür war, den ganzen Innenraum der Zeche zum Sitzplatz-Bereich zu erklären, weiß ich nicht, da ich aber bei wenigen Bands lieber sitze als stehe und Musik wie die von Propaganda sicher nicht dazu gehört, hatte ich einen Stehplatz, musste also auf den schmalen Balkon, der von der Band aus links am Rand des Saals halbwegs nah bis an die Bühne geht. Ich beschwere mich nie über Konzertpreise, im Gegenteil, ich empfinde viele Konzerte als zu billig.* Aber bei einer Veranstaltung, deren Tickets 40 € (Stehplatz) und 50 € (Sitzplatz) kosten, sollten die, die stehen möchten, nicht auf den Katzentisch gestellt werden und die Sitzenden auf Bierbänke gepackt werden. Auf meinem Ticket hatte noch etwas von einem VIP-Einlaß 60 min vor unserem Pöbel-Einlaß gestanden. Ob man als VIP (noch) besser saß oder vielleicht sogar ein Schlüsselband oder eine Selfie-Gelegenheit bekam, weiß ich leider nicht mehr.
Bereits um kurz nach sieben kamen drei Musiker auf die Bühne. Später stellte Susanne Freytag sie uns vor: Philip Larsen (Keyboard), Paul Jones (Schlagzeug) und James Watson (Keyboard & Gitarre) (v.l.n.r.). Nach einer kurzen Kunstpause erschienen dann Susanne Freytag und Claudia Brücken, die sich zunächst in die zweite Reihe an ein Vibraphon stellte.
Ich hatte bewußt nichts über frühere Konzerte gelesen, keine Setlisten angesehen und wollte mich überraschen lassen. Wobei der Umfang der Überraschung vermutlich überschaubar sein würde, denn das Werk von Propaganda ist nicht riesig und beim zweiten Album 1-2-3-4 war nur noch Susanne Freytag bei zwei Liedern als Gast beteiligt. Claudia Brücken hat 2011 in einem Interview mit The Quietus beschrieben, daß sie und Susanne Freytag in der Band als austauschbar gegolten hätten, was zu ihrem Ausstieg geführt hatte.
Das Konzert begann wie A secret wish mit Dream within a dream, dem vertonten Zitat von Edgar Allan Poes Gedicht, in ewig langer und herrlich monotoner Version (keine Ironie!). Bis auf ein kurzes und sehr fieses Gitarren-Solo gegen Ende war der Auftakt perfekt! Die Gitarre störte mich auch kurz im nachfolgenden The murder of love, danach waren diese Bon-Jovi-Gitarren weg und das Instrument klang wieder toll. Da man es mir nur schwer recht machen kann, setzte dann ab The murder of love immer wieder rhythmisches Klatschen ein. Bei elektronischen Bands gilt doch ganz besonders, daß das nicht passt. Hätten die Komponisten das gewollt, hätten sie das Klatschen programmiert. Mit Trompetenklängen haben sie es ja schließlich auch getan.
In strenger Originalreihenfolge der CD ging es mit Jewel weiter. Ab dem zweiten Lied standen Susanne Freytag und Claudia Brücken nebeneinander, wobei Susanne Freytag meist ein Drumpad spielte und - zum Beispiel bei Jewel - nur zum Refrain zu ihrer Kollegin kam und da sang. Claudia Brücken hatte Jewel mit "zurück zur Jugend" angekündigt. Hätte ich in meiner Jugend Gelegenheit gehabt, Jewel auf einem Propaganda-Konzert zu hören, hätte es vermutlich genauso geklungen, jedenfalls hätte ich mir das gewünscht. Der Auftritt war keine schlechte Kopie einer grandiosen Band, es war ein sehr stilvoller Umgang mit der Platte und es gab die echten Stimmen, die eben nicht ausstauschbar sind.
Nach Jewel kommt auf A secret wish dessen Zwillings-Lied Duel, die Popversion des viel härteren Jewel. Hier ging es nach Jewel mit Frozen faces weiter, Duel wurde für später aufgehoben. Auch mit dem anderen offensichtlichen Lied machte man das. P-machinery, eigentlich auf der CD-Version zwischen Frozen faces (das auf der ersten Vinylveröffentlichung noch gar nicht drauf war) und Sorry for laughing. Bei Sorry for laughing (das ursprünglich von der Glasgower Postcard-Band Josef K stammt) trommelten die beiden Sängerinnen gemeinsam auf dem Keypad.
Nach gut 45 Minuten waren die Lieder von A secret wish gespielt, zuletzt P-machinery und Dr. Mabuse ("never look back"), die Band ging von der Bühne. Es war gerade mal kurz vor acht.
Es fand ein kleiner Bühnen-Umbau statt. Auf Claudia Brückens Platz wurden zwei Snare-Drums aufgestellt, hinter die sich Paul Jones und Philip Watson stellten und den Takt zum von Susanne Freytag gesungenen Disziplin trommelten, im Original (als Discipline) ein Lied der Industrial Band Throbbing Gristle. Frühe Propaganda hatten das Stück im englischen Fernsehen gespielt. "Propaganda aller Orten, was hier fehlt, ist Disziplin." Wow, das war eindrucksvoll!
Danach kam Claudia Brücken zurück und widmete das nächste Stück Nico, also folgte die damalige B-Seite, das Velvet Underground Cover Femme fatale, was in seiner Pop-Stimmung einen harten Kontrast zum Industrial-Lied Disziplin davor darstellte.
Duel fehlte noch, schon damals mein großer Liebling (was keine originelle Wahl von mir war). Auch das war wundervoll! Eigentlich meint man ja immer, gute Musik sei nicht kaputtzukriegen. Das ist großer Quatsch! Künstler können ihre Stücke sehr einfach hinrichten. Seit ich meine Jugendhelden Sisters of Mercy vor Jahren live gesehen habe, höre ich ihre Musik nicht mehr. Hits, getötet vom Schöpfer. Bei den Songs von A secret wish bestand die Gefahr natürlich auch, aber das passierte nicht. Der Abend war musikalisch sehr gut.
Mit Strength to dream endeten die Zugaben, also mit einem der Lieder, die nur auf der Vinyl-Version der Platte waren. Da das Lied nur eine Zeile Text hat, nutzen die Sängerinnen die Zeit, um sich zu verbeugen und uns zuzusehen. Ich gehe davon aus, daß sie nur zufriedene Gesichter sahen.
Und weil die Tagesschau nach dem Abgang immer noch nicht zu Ende war, kamen sie noch einmal zurück. "Weil wir nur die Sachen spielen, bei denen Susanne und ich mitgewirkt haben, spielen wir noch einmal P:machinery." Das war mir recht. Claudia Brücken kündigte dann noch eine Tour im kommenden Jahr "mit neuem Material" an, die Band machte ein Selfie und ging.
Meine Liste der Lieblingslieder, die ich mal live sehen möchte ist wieder um ein paar kleiner geworden. Und ähnlich wie bei den Primitives in einer sehr stilvollen und gut gealterten Art. Auf Platz eins ist dieser Liste ist jetzt übrigens Waking up von Elastica, aber das ist eine andere Geschichte.
Setlist D:uel, Zeche Bochum:
01: Dream within a dream
02: The murder of love
03: Jewel
04: Frozen faces
05: Sorry for laughing
06: The chase
07: P-machinery
08: Dr. Mabuse
09: Disziplin (Throbbing Gristle Cover) (Z)
10: Femme fatale (Velvet Underground Cover) (Z)
11: Duel (Z)
12: Strength to dream (Z)
13: P-machinery (Z)
* weil die vielen kleinen und mittelgroßen Indie-Bands viel zu wenig mit ihrer Kunst verdienen. Konzerte sind dafür eben fundamental wichtig.
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