Montag, 7. Juni 2010

Fuck Buttons & Thee Oh Sees, Festival Villette Sonique, Paris, 06.06.10


Konzert: Fuck Buttons & Thee Oh Sees, Festival Villette Sonique

Ort: Festivalgelände Parc de la Villette, Paris
Datum: 06.06.10

Zuschauer: Tausende auf den Wiesen


Als Konzertblogger lebt man gefährlich. Prügel wurden mir angedroht. Ein scheinbar betrunkener Festivalbesucher keifte mich an und sagte, daß er das nächste mal seine Kumpels holen würde, die mir eine auf die Fresse hauen würden. Ich sei "un sale type" - ein fieses Schwein. Was war vorgefallen? Nun, ich hatte im Vorbeigehen ein Foto vom Publikum geschossen, auf dem möglicherweise seine Freundin drauf war. Genau weiß ich das nicht, denn er drückte sich unklar und nur schwer verständlich aus. Auf jeden Fall hatte er mitbekommen, daß ich ein Foto von den Festivalzuschauern geschossen hatte und wollte unbedingt das letzte Bild sehen, daß ich geknipst hatte. Ich verwehrte ihm diesen Wunsch, denn er wollte mir nicht sagen, warum er dies begehre. Mehrfach schrie er mich an, daß ich ihm sofort mein letztes Foto zeigen solle. Irgendwann war mir die Sache zu doof, ich zeigte ihm das Display wo man eine Gruppe von Festivalgästen (und möglicherweiese seine Freundin im Vordergrund) sah und löscht es vor seine Augen. Er warf mir einen bösen Blick zu und brachte dann den Spruch mit seinen Kumpels, die er holen wolle, um mich das nächste Mal umzunieten. Ein feiger Kerl, denn wenn er mutig gewesen wäre, hätte er nicht mit seinen kräftigen Freuden gedroht, wie ein kleines Kind im Sandkasten, welches dem Spielrivalen mit dem großen Bruder Angst einjagen will. Ohnehin hatte ich aus meiner Sicht nichts Anstößiges gemacht. Ja, ich knipse auch immer mal wieder Fotos vom Publikum. Von kuriosen Typen, witzig gekleideten Menschen, Leuten mit auffälligen Tattoos und natürlich auch von hübschen Mädchen. So what? Jeder Tenniskameraman macht das in den Pausen zwischen den Spielen. Da werden Leute beim Schlafen eingefangen, beim Nasebohren erwischt und natürlich immer wieder attraktive Frauen gezeigt. Genau wie beim Tennis oder anderen Sportarten ist das Publikum gerade bei Festivals oft interessanter als die Band die vorne spielt. Für mich gehören Fotos von den Besuchern einfach dazu, sonst wird es schnell langweilig. Eine Fixierung auf einzelne Personen (oder Mädchen) gibt es bei mir nicht, ich versuche möglichst viele verschiedene Leute abzulichten. Zudem schreibe ich auf meiner Flickr-Seite bei Crowdshots in der Regel mit dazu, daß ich die Fotos umgehend lösche, falls sich die Beteiligten gestört fühlen. Und im Übrigen: meine eigene Frau wird gerade beim Haldern Festival am Niederrhein jedes Jahr zigfach abgelichtet, ohne daß ich mich darüber aufregen würde. Oft heimlich (ich muß dann schmunzeln, wenn ich die Jungs sehe, wie sie versuchen, möglichst diskret auf sie draufzuhalten), manchmal aber auch nachdem sie gebeten wird, für die Kamera zu posieren (wobei gestellte Bilder oft gekünstelt wirken, finde ich zumindest, grinsen auf Befehl ist meistens unnatürlich).

Aber nun gut, kommen wir mit diesem Exkurs zu Ende und konzentrieren uns auf die Musik. Aber da sind wir dann auch schon beim Stichwort: Oft ist das Publikum interessanter als die Band, die vorne spielt. Bei den Fuck Buttons war dies zumindest so. Zwei junge Kerle, die hinter einem Mixtable abrödeln wie wild und synthetische Sounds produzieren, die nach relativ kurzer Zeit langweilig werden. Und dies obwohl ihr letztes Album Tarot Sport in einigen Jahresbestenlisten 2009 zu finden war. Will gar nicht ausschließen, daß dieses Album in der Tat spannende Aspekte zu bieten hat, aber auf einer großen Festivalbühne kommt irgendwann nur noch Gezirpe und Gewummere rüber. "Bumm, bumm bumm" oder auch "Peng, peng, peng", nach 10 Minuten verspürt man den Drang, das Weite zu suchen. Ging nicht nur mir, sondern auch den meisten meiner Freunde so. Also mehr etwas für Liebhaber experimenteller elektronischer Klänge und für den "normalen" Indiehörer eher anstrengend.

Deutlich besser gefielen mir da schon Thee Oh Sees aus Kalifornien. Der Vierer aus San Francisco (drei Männer, eine Frau), bot jede Menge tätowierte Haut, garagenrockige Klänge mit einem gehörigen Schuß Psychedelic und eine tighte Performance. Ganz eng zusammen agierten die wilden Musiker und unterstrichen damit ihre Kompaktheit und ihr Teamplay. Schon beim Primavera Festival 2010 sollen sie für Furore gesorgt haben und auch heute in Paris machten sie unglaublich viel Dampf. Permanent stürzten sich mutige Crowdsurfer ins Publium und wurden von hunderten Händen nach hinten durchgereicht. In einer Szene stockte mir der Atem: Ein Zuschauer war auf die Bühne gelangt, nahm mächtig Anlauf und stürzte sich Kopfüber mit einem Affenzahn in die Meute. Wären die Leute zur Seite gegangen, er wäre auf dem Kopf gelandet und hätte sich schwer verletzt. Die kräftigen Kerle von der Security hatten jedenfalls mächtig Arbeit und schienen erleichtert, als das Konzert nach einer äußerst schwungvollen Stunde vorbei war. Das letzte Lied dauerte gefühlte 15 Minuten und klang als sei die Nadel eiens Plattenspielers hängengeblieben. Er dürfte sich lohnen, sich einmal mit Thee Oh Sees zu beschäftigen, die Band hat inzwischen 7 Longplayer auf ihrem Konto.

Unter dem Strich ein passabler letzter Festivaltag, an dem es natürlich noch etliche andere Bands (die ich allerdings nicht kannte) zu sehen und hören gab. Ich war jedoch erst um 19 Uhr erschienen und hatte den Rest verpasst. Schade bloß, daß der Abend für mich mit der oben geschilderten Szene endete. Ob ich demnächst Bodyguards brauche?

Anmerkung: Die obigen Fotos vom Publikum stammen allesamt vom Festival Rock en Seine 2009 und nicht vom Festival Villette Sonique 2010. Die Bilder von den Fuck Buttons sind Archivfotos vom Trabendo 2008.

Aus unserem Archiv:

Fuck Buttons, Paris, 22.05.08



8 Kommentare :

Christoph hat gesagt…

Ey, wenn Du noch mal was Schlechtes über die Fuck Buttons schreibst, hole ich meinen Bruder!

E. hat gesagt…

wieder einmal ein soziologisch ausgetüfteltes vorspiel. bravo. wenngleich ich es auch ungern sähe, würde man mich ungefragt durch die kamera anglotzen. manche aufregung darum kann ich also verstehen. wie man damit umgeht, ist natürlich was anderes.

Oliver Peel hat gesagt…

Unglaublich wie gut ich dich inzwischen kenne, Eike. Ich wusste haargenau, daß ein Kommentar in dieser Richtung kommen würde :)

Darf ich dich daran erinnern, daß du 2009 beim OBS ungefragt ein Foto von Marissa Nadler of stage geschossen hast? Wo man ihr Gesicht im Profil sieht? Sie hasst Profilfotos von sich und sucht das Netz danach ab. Dann verlangt sie in der Regel, daß die Schüsse gelöscht werden. Ich hatte Dich darauf hingewiesen und dein Kommentar war:

"ich weiß. wie weit gehen denn da ihre rechte, einer veröffentlichung wirklich im wege zu stehen? ich bin da ja eher hardliner und zu keinen kompromissen bereit. ha!"

http://dasklienicum.blogspot.com/2009/06/konzert-orange-blossom-special-13-29_04.html

E. hat gesagt…

in meiner übertriebenen antwort von damals steckt die reue...

Dirk hat gesagt…

Ach ja, Fotos im Internet...

Ganz so einfach, wie du es dir machst, ist es nämlich nicht: Das Recht am eigenen Bild muss als besondere Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts beachtet werden. Das Recht am eigenen Bild ist in den §§ 22, 23 KUG geregelt. Danach darf ein Bildnis grundsätzlich ohne Einwilligung des Abgebildeten nicht verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden. Wird das Bild einer Person ohne deren Einwilligung in das Internet gestellt ist § 22 KUG verletzt, wenn nicht die Einwilligung vorliegt.

So brauchen wir zum Beispiel, bevor wir ein Foto mit Schülern auf unserer Schul-Homepage veröffentlichen, die schriftliche Erlaubnis der Eltern. Auch Kollegen müssen zuvor gefragt werden (nicht deren Eltern).
;-)

Wenn du dann ein Foto über Flickr veröffentlichst, ohne dass eine Person davon weiß, dann ist dein Hinweis, es auf Anfrage zu löschen (was du sowieso müsstest!), eigentlich lächerlich.
Vielleicht solltest du also lieber (wie bei Cecile auf dem Haldern Festival auch schon mehrmals geschehen) vorher nachfragen, denn nicht jede(r) wird gern fotografiert.

Oliver Peel hat gesagt…

Habe ich Jura studiert, oder Du, Dirk? Die Frage ist doch noch wesentlich komplizierter. Bei öffentlichen Veranstaltungen wie Konzerten oder Festivals gelten noch einmal besondere Regeln. Das Recht am eigenen Bild kann dann eingeschränkt sein. Ansonsten dürften Kameraleute bei Sportereignissen nie ungefragt das Publikum unter die Linse nehmen und im Fernsehen ausstrahlen.Oft ist das als Kleingedrucktes auf den Tickets oder in den allgemeinen Geschäftsbedingungen der Veranstalter geregelt. Der Zuschauer willigt durch den Kauf der Karte oft konkludent ein, daß sein Recht am eigenen Bild eingeschränkt ist.

Das Recht am eigenen Bild ist ein äußerst komplexes Thema, das selbst spezialisierte Medienanwälte nur schwer durchblicken. Ein Verweis auf § 22 KUG reicht da nicht aus. Man muss den Einzelfall sehen.

Im Übrigen ist es auch so, daß abgesehen von akkreditierten Fotografen grundsätzlich niemand Fotos von den Künstlern auf der Bühne schiessen darf. In den allermeisten Fällen wird dies aber gerade bei kleineren und mittelgroßen Kameras geduldet. Bei den Videos, die ohne Genehmigung gefilmt und auf Youtube gestellt werden gilt das Gleiche.

Täglich passieren also im Zusammenhang mit Konzerten 100 000fach Rechtsverletzungen, die aber fast immer geduldet werden, weil letztlich niemandem wirklich geschadet wird.

Zu Cécile: die wird oft ungefragt geknipst und stört sich nicht daran.

Dirk hat gesagt…

Mein Studium hat soooo lang gedauert, da könnten durchaus ein paar Semester Jura dabei gewesen sein. Und über dein Studium hast du mir ja bereits berichtet...

Sorry, ich wollte dich natürlich nicht belehren, das hast du falsch verstanden. Vielleicht eher auf eine gewisse Problematik hinweisen, denn ich kann durchaus verstehen, warum Menschen anders reagieren, als du es vielleicht erwartest, wenn sie oder ihre Freundin ungefragt fotografiert werden. Wir brauchen nicht darüber zu diskutieren, was abseits der Bühne deine Lieblingsmotive sind, und wer weiß, wo Bilder landen können, nachdem du sie veröffentlicht hast...
Also zum Beispiel das von dem Typen mit blauem Umhang, Perücke und eng sitzenden Shorts.
;-)

Vor 2 Jahren wäre ich zum Beispiel sehr gerne von dir gefragt worden, bevor (!) du ein Portrait während des Haldern Festivals von mir im Internet veröffentlicht hast.

Oliver Peel hat gesagt…

Ich sehe doch die Problematik, Dirk und nehme auch Rücksicht. Aber ich muss auch erwähnen, daß die Reaktionen in über 95 % der Fälle sehr positiv waren, Ich habe bei Flickr euphorische Danksagungen aus Brasilien, Mexiko und anderen Ländern bekommen, die sich dafür herzlich bedankt haben, daß ich zufällig Erinnerungschüsse von ihnen gemacht habe. Erst kürzlich hat sich ein Konzertbesucher in Paris sehr erfreut gezeigt, daß ich zufällig seinen Vater bei einem Konzert von Metric abgeknipst habe.

Ansonsten achte ich neuderings auch vermehrt darauf, eine Gruppe von Leute abzulichten und nicht einzelne Person herauszupicken. Man hat mir gesagt, daß dies juristisch einwandfrei sei. Aber wie gesagt: die Materie ist komplex, schwer durchschaubar und im Einzelfall zu entscheiden.

Aber im Ergebnis denke ich mir, daß wohl kaum jemand wünscht, daß bei Konzerten und Festivals penibel genau auf die Einhaltung aller Regeln geachtet wird. Das hieße nämlich konkret, daß alle nicht akkreditieren Fotografen ihre Kameras (auch die kleinen) und Iphone (auch damit kann man filmen und fotografieren) am Eingang abgeben müssten.

Und die akkreditieren Fotografen dürften dann auch keine Fotos vom Crowdsurfing, jubelnden Fans, der Stimmung, etc. machen. Wie langweilig wäre das? Stell Dir vor, man dürfte bei der Fußball WM keine Fotos und Videos von Fans an der Fanmeile oder beim Autokorso durch die Stadt veröffentlichen, weil nicht jede einzelne Person vorher gefragt wurde, ob er sich in seinem Recht am eigenen Bild verletzt fühlt. Würde eine langweilige WM, oder nicht?

Und das Foto von Dir aus Haldern ist doch sehr schön, oder nicht?

Was glaubst Du wieviele Leute mich bei meinen Oliver Peel Sessions ungefragt abknipsen? Habe erst neulich ganz überrascht Fotos von mir zufällig im Netzt entdeckt. Ich habe darauf ein Doppelkinn, schrecklich ;-)

 

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