Konzerte: John Grant & The Hold Steady
Orte: Le Nouveau Casino (John Grant) & La Flèche d'or (The Hold Steady), Paris
Datum: 14.06.10
Zuschauer: jeweils nicht ausverkauft
Konzertdauer: John Grant circa 1 Stunde, The Hold Steady etwa 80 Minuten
Das Fußballspiel zwischen England und Amerika bei der WM endete bekanntlich 1:1 unentschieden. Aber es gibt natürlich nicht nur Duelle auf dem grünen Rasen, sondern auch in der Musik. Am heutigen 14. Juni in Paris musste man sich auch zwischen England und Amerika entscheiden. Die Briten The XX (auf dem Foto Sängerin Romy Madley Croft) spielten im ausverkauften Olympia*, die Amis John Grant und The Hold Steady im Nouveau Casino bzw der Flèche d'or. Mangels Akkreditierung/Ticket für The XX fiel die Wahl nicht sonderlich schwer, denn für die Konzerte der Amerikaner rieselten die Gratiseinladungen ins Haus, während man für die Briten schon auf dem Schwarzmarkt hätte tätig werden müssen. So ergab es sich, daß ich um 20 Uhr eine Verabredung vor dem Nouveau Casino hatte. Mein Freund Michael wartete schon auf mich und genau wie ich hat er auch immer Hunger. Wir entschieden uns kurzerhand, auf die im Vorprogramm startende Anna Aaron zu verzichten und ein Merguezsandwich zu essen, bevor wir uns dem Konzert zuwenden. Die Würstchen waren lecker, aber sie provozierten bei mir ein übles Aufstoßen (rülps, oh Verzeihung!). Irgendwie war mir schlecht hinterher und außerdem kam mir der Gedanke, daß ich alter Fettsack eigentlich leichtere Kost zu mir nehmen sollte. Aber egal, es galt ja heute durchzuhalten, schließlich hatten wir uns vorgenommen, nach dem Konzert im Nouveau Casino noch in die nicht allzuweit entfernte Fléche d'or zu fahren, um The Hold Steady zu sehen.
Als wir gegen 20 Uhr 40 ins Nouveau Casino eintraten, hatte John Grant mit seiner Band schon angefangen. Man sagte uns, daß wir ein Lied verpasst hätten, das war zu verschmerzen. Ich glotzte auf die Bühne und sah den bärtigen Musiker aus Michigan, der mit seinem Solodebütwerk (vorher war er bei den Czars) Queen Of Denmark Album des Monats in der französischen Zeitschrift Magic war, zusammen mit seinen Jungs munter drauflos musizieren. Am rechten Bühnenrand agierte Gitarrist Robert Gomez aus Denton/Texas, den ich auch schon als Solomusiker gesehen hatte. Die anderen Burschen sagten mir nichts, sie sahen aus wie die typischen amerikanischen Folkrocker, schlichte Hemden, Truckerkäppi (im Falle des Drummers) und unprätentiöses Auftreten. Das Publikum fiel mir aber schon auf, es bestand nämlich zu mindestens 70 % aus Männern zwischen 30 und 40 und war auch in einigen Fällen gay. Schwule Pärchen vor mir, neben mir und hinter mir, so etwas erlebe ich bei Indiekonzerten eher selten. Warum das so war, wußte ich nicht, aber es war mir auch egal, weil ich ja ohnehin für die Gleichberechtigung von Homosexuellen in Ehe, Familie und steuerlichen Fragen bin und es nur normal ist, daß sie mit ihrem Partner auch zu Konzerten gehen. Erst gegen Ende, als eine Zugabe mit dem Titel: Jesus Hates Fagotts (Jesus hasst Schwule) gespielt wurde, begriff ich die Zusammensetzung des Publikums besser und folgerte messerscharf, daß dann wohl auch der Künstler des heutigen Abends schwul sein dürfte. Der Song rüttelte mich auf, schließlich ist das Thema Verhältnis der Kirche zu Homosexuellen hochaktuell und leider sind hochrangige Kirchenvertreter in ihren Ansichten oft nach wie vor schwulenfeindlich. Dem Song Jesus Hates Faggots war ein Lied vorangegangen, daß in musikalischer Hinsicht arg schnulzig war. Ein hinter dem Piano klimpernder Künstler, der eine an Elton John oder Billy Joel erinnernde Ballade vortrug, wahrlich nicht mein Fall. Leider war dies nicht der einzige Titel, der zu stark schwülstelte, denn auch im regulären Set gab es ein paar deutlich zu überzuckerte Songs, die unliebsame Assoziationen hervorriefen. Mal dachte ich an Fleetwood Mac, dann wieder an Queen oder an REO Speedwagon und immer wieder an Elton oder Billy. Schmalzige Altherrenmusik, scheiße noch mal! Wäre ich doch zu The XX gegangen! Klar, das Ganze war musikalisch gediegen, spielerisch gekonnt vorgetragen und der Künstler sympathisch und in seinen Ansagen angenehm zynisch und selbstironisch (seine Erläuterungen zu gescheiterten Beziehungen, Frustrationen und anderen Unannehmlichkeiten mit denen das Leben so aufwartet, schön!), aber das Konzert gefiel mir trotzdem nicht. Dabei hatte ich mir ein Pendant zu Midlake erhofft, mit denen John Grant zusammen das hochgelobte Album Queen Of Denmark fertig gestellt hat. Aber nur der Beginn des Sets hatte Ähnlichkeiten mit Midklake, die ebenfalls von den 70 er Jahren infizierten Folkrock spielen, aber so gut wie nie die Grenze zum Kitsch überschreiten. Sei es drum, es kommt eben vor, daß man sich mit dem Werk eines Künstlers nicht sofort anfreunden kann. Das Konzert von John Grant war leider weitestgehend nix für mich.
Setlist von John Grant, Le Nouveau Casino, Paris (merci beaucoup à Philippe D.!)
01: Drug (The Czars)
02: TC And Honeybear
03: Where Dreams Go To Die
04: Sigourney Weaver
05: Marz
06: Chicken Bones
07: Silver Platter Club
08: You Don't Have To
09: It's Easier
10: L.O.S.
11: Jesus Hates Faggots
12: Caramel
13: Fireflies
01: Drug (The Czars)
02: TC And Honeybear
03: Where Dreams Go To Die
04: Sigourney Weaver
05: Marz
06: Chicken Bones
07: Silver Platter Club
08: You Don't Have To
09: It's Easier
10: L.O.S.
11: Jesus Hates Faggots
12: Caramel
13: Fireflies
The Hold Steady
Nachdem die letzte Note der Zugabe von John Grant verklungen war, eilten mein Freund Michael und ich Richtung Flèche d'or. Faul wie wir waren, nahmen wir natürlich den Bus, ganz so nah beieinander liegen die beiden Clubs nämlich nun auch wieder nicht. Wir kamen pünktlich, The Hold Steady hatten noch nicht angefangen. In der stickigen Flèche d'or hing auch der texanische Musiker Josh T. Pearson (auf dem Foto) ab, der uns erzählte daß wir uns auf ein tolles Konzert freuen könnten, The Hold Steady seien live ein Knüller. Wir waren freudig gespannt und kurze Zeit später ging es tatsächlich los. Etliche Amerikaner hatten sich in den ersten Reihen breit gemacht, aber richtig voll war es in dem Laden trotzdem nicht. Ohne die US-Community wäre es vermutlich gähnend leer gewesen. Und sicherlich auch deutlich leiser! Die Amis sangen nämlich von Beginn an lauthals die Parolen mit und waren dabei erstaunlich textsicher. Ich befand mich umzingelt von strammen Burschen mit Bier in der Hand, die heiß darauf waren, rumzugröhlen und sich zu amüsieren. Auch ein paar Amerikanerinnen hatten sich eingefunden, waren aber oberflächlich betrachtet eher der Gattung "mittelprickelnd" und "wenig trendy" zuzuordnen. Vor mir tanzte ein Mädchen, das mich verdammt an die junge Chelsea Clinton erinnerte, bloß daß sie noch häßlicher war als die Tochter des Ex Präsidenten. Dafür hatte sie mächtig Holz vor der Hütten und ich hätte ihr fast ins Ohr geraunt: "Hey, Du musst aufpassen, sonst kannst Du mit Deinen Bällen an der nächsten Fußball-WM teilnehmen."
Die Burschen auf der Bühne waren auch nicht gerade Sexsymbole. Sänger Craig Finn erinnerte mich an einen (x-beliebigen) Mitarbeiter der Hifi-Abteilung im Kölner Saturn. Brille, lichte Stirn und ein kleines Bäuchlein, klassische Rockstars sehen anders aus. Der Kerl war von Beginn bis Ende hyperaktiv, er fuchtelte permanent mit seinen Händen wild rum, hopste hin und her und grinste manchmal wie ein Honigkuchenpferd. Ich schätze ihn auf Ende 30 (und lag damit goldrichtig) und dachte manchmal an einen fiktiven Dialog: ich stellte mir vor, daß ich sein alter Kumpel sei und ihm zu seinem vierzigsten Geburtstag einen Gutschein für einen Bordellbesuch schenken würde. Ich würde diesen mit den Worten: "Hey, alter Knabe, du bist noch jungfräulich, das kann nicht so weitergehen, geh' mal schön in den Puff und tob' dich nach Lust und Laune aus", überreichen und dabei gönnerisch grinsen. Natürlich waren diese Gedankenspiele gemein und bissig, aber manchmal überkommen sie einen eben. Da Craig Finn keine Gedanken lesen kann, grinste er auch weiterhin wie ein Honigkuchenpferd und sang mit nasal-nörgelnder Stimme, die mich an Caleb "Kings Of Leon" Followill, aber auch an J Mascis erinerte. Dazu spielte er in den meisten Fällen Gitarre und produzierte so zusammen mit seinen Kumpels einen klassisch rockenden Gitarrensound, in dem auch ab und zu ein bluesiges Piano und eine Orgel zum Einsatz kamen. The Hold Steady sind der Missing Link zwischen Bruce Springsteen /bzw John Cougar Mellencamp und Dinosaur Jr. schoss es mir immer wieder durch den Kopf. Und genau wie bei Dinosaur Jr. war das Tempo kompromisslos hoch, die Verstärker höllisch laut aufgedreht und das Schlagzeug hart und trocken. Balladen gab es so gut wie keine, aber manchmal mischten sich kontemplativere und melancholischere Phasen mit fetzigeren Parts ab. Die Songs waren gut und mitreißend, aber irgendwann machte sich eine leichte Monotonie breit. Ein paar Franzosen murrten: "Jedes Lied klingt irgendwie gleich" und mit diesem Vorwurf hatten sie nicht ganz Unrecht. Dennoch war das Set, das sich aus Liedern aller Alben (mit dem Schwerpunkt auf dem Neuling Heaven Is Whenever) zusammensetzte über weite Strecken überzeugend und kurzweilig und Gründe zum Klagen gab es eigentlich nicht viele. The Hold Steady sind eine solide College/Pub-Rockband mit denen man eine gute Zeit verleben kann. Keine Überflieger wie Built To Spill, die komplex aufgebaute Gittarrenmeisterwerke austüfteln, sondern eher der Kategorie "gute Hausmannskost" zuzuordnen. Aber diese schmeckt ja bekanntlich auch oft sehr lecker.
Dennoch: Ich bereute es ein wenig, nicht bei The XX im Olympia gewesen zu sein. The Hold Steady haben für die Amerikaner ein Tor geschossen, aber The XX hätten sicherlich gleich zwei oder drei für England gemacht...
Setlist The Hold Steady, La Flèche d'or, Paris:
01: Sweet Part
02: Rock Problems
03: Constructive Summer
04: Hot Soft Light
05: Navy Sheets
06: Banging Camp
07: Chips Ahoy!
08: Chicago Seemd Tired Last Night
09: Hurricane J
10: The Swish
11: Magazines
12: Barely Breathing
13: Your Little Hoodrat Friend
14: Soft In The Center
15: Stevie Nix
16: Multitude Of Casualities
17: We Can Get Together
18: Most People Are DJ's
19: Sequestered In Memphis
20: A Slight Discomfort
* Setlist The XX, Olympia, Paris (Quelle: setlist.fm)
01: Intro
02: Crystalised
03: Islands
04: Heart Skipped A Beat
05: Fantasy
06: Shelter
07: VCR
08: Do You Mind (Kyla Cover)
09: Basic Space
10: Night Time
11: Infinity
12. Stars
Ausgewählte Konzerttermine von The Hold Steady:
16.06.2010: Frannz Club, Berlin
17.06.2010: 59:1 München
19.06.2010: Southside Festival
20.06.2010: Hurricane Festival
21.06.2010: Melkweg, Amsterdam mit Cymbals Eat Guitars
Ausgewählte Konzerttermine von John Grant:
16.06.2010: Imperial Theater, Hamburg
17.06.2010: Comet Club, Berlin
18.06.2010: Loppen, Kopenhagen
17.07.2010: Latitude Festival, England
Anmerkung: Schon seltsam. Heute habe ich mir noch einmal in Ruhe die Stücke von John Grant auf MySpace angehört. Sie gefallen mir richtig gut. Aber zwischen Musik aus der Konserve und dem Liveerlebnis kann es oft große Divergenzen geben...
02: Crystalised
03: Islands
04: Heart Skipped A Beat
05: Fantasy
06: Shelter
07: VCR
08: Do You Mind (Kyla Cover)
09: Basic Space
10: Night Time
11: Infinity
12. Stars
Ausgewählte Konzerttermine von The Hold Steady:
16.06.2010: Frannz Club, Berlin
17.06.2010: 59:1 München
19.06.2010: Southside Festival
20.06.2010: Hurricane Festival
21.06.2010: Melkweg, Amsterdam mit Cymbals Eat Guitars
Ausgewählte Konzerttermine von John Grant:
16.06.2010: Imperial Theater, Hamburg
17.06.2010: Comet Club, Berlin
18.06.2010: Loppen, Kopenhagen
17.07.2010: Latitude Festival, England
Anmerkung: Schon seltsam. Heute habe ich mir noch einmal in Ruhe die Stücke von John Grant auf MySpace angehört. Sie gefallen mir richtig gut. Aber zwischen Musik aus der Konserve und dem Liveerlebnis kann es oft große Divergenzen geben...
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