Konzert: And Also The Trees
Ort: Alhambra, Paris
Datum: 21.09.2008
Zuschauer: zwischen 700 und 800 (so gut wie ausverkauft)
Konzertdauer: mindestens 100 Minuten
Seitdem Gruppen wie Interpol, Franz Ferdinand und Bloc Party vor ein paar Jahren das sogenannte Post-Punk Revival losgetreten haben, kommen die Bands, die in den späten 70ern und frühen 80ern dieses Genre geprägt haben, wieder aus ihren dunklen Löchern gekrochen.
Teilweise jahrzehntelang war es still um sie, aber dann witterten sie alle Morgenluft, merkten, daß ihr Stil wieder angesagt ist und - schöner Nebeneffekt - ein paar Mäuse zu verdienen sind.
Die Liste der kultigen Post Punk-und New Wave Bands, die ein Comeback hingelegt haben, ist ellenlang und wächst wöchentlich. Allein ich persönlich habe in den letzten Jahren einige wichtige Akteure dieser Epoche auf der Bühne gesehen: Echo & The Bunnymen, Gang Of Four, Nick Cave, The Woodentops, The Cure, Hazel O'Connor, Young Marble Giants wären da zu nennen, bei Christoph kommt noch Siouxsie hinzu.
Und es gibt noch viel mehr alte Grufties, die wieder auf Tour sind, (bzw. kürzlich waren) Wire z.B., die ich nächsten Samstag sehen werde, Billy Bragg, Devo, Throbbing Gristle, Durutti Column, Buzzcocks, Radio Birdman, Mission Of Burma, Killing Joke, A Certain Ratio, The New Model Army...
Ich könnte jetzt noch bis Weihnachten so fortfahren, aber dann würde mir mein Arm abfallen und ich könnte nichts mehr zu den außerdordentlichen And Also The Trees schreiben. Um die soll es hier gehen. Die Band aus Inkberrow, England, passt eigentlich genau in mein Beuteschema, ist aber - aus welchen unerklärlichen Gründen auch immer - nie in den Blickpunkt meines Interesses gerückt. Lediglich den Namen habe ich am Rande einmal aufgeschnappt, Lieder kannte ich von denen keine. Unverzeihlich! Wie konnte mir bloß eine solche Perle durch die Lappen gehen? Und wie habe ich in den letzten 20 Jahren eigentlich ohne And Also The Trees gelebt? Schlechter, das steht nach dem berauschenden Konzert im Pariser Alhambra fest! Und dabei gab es in den letzten Jahren in Paris immer wieder Gelegenheiten, die Band um die beiden Jones Brüder live zu sehen. Am 9.12.2003 spielten die Briten in der Locomotive, am 18.11.2005 auf dem charmanten, an der Seine gelegenen Hausboot Batofar (sehr gute Bilder hier ) und Ende 2007 (24.11.) beehrten sie meine heißgeliebte Maroquinerie mit einem Besuch (grandiose Pics hier). Die französische Metropole scheinen sie ohnehin zu lieben, es gibt (oder vielmehr gab?) eine Live CD von 19994, die im Bataclan aufgenommen wurde.
Aber nun gut, trauern wir hier nicht der Vergangenheit nach, am Sonntag habe ich ja glücklicherweise meine Chance genutzt, die Kultband auf einer Bühne zu erleben!
Das Alhambra ist ein altes (Kino)- Theater, welches in den 20er Jahren dazu dienen sollte, den Arbeitern der Bahngesellschaft Unterhaltung zu bieten. Trotz einer recht prachtvollen Art Deco Ausstattung wurde es nur selten zu seinen ursprünglichen Zwecken genutzt und verkam im Laufe der Zeit zu einem Abstellraum für einen Trödelhändler. Erst im Jahre 2005 entdeckte ein Pariser Konzertveranstalter die Location zufällig und verliebte sich in den verfallenen Charme des Ortes. Er kaufte den Laden, stand aber nun vor dem Problem, daß die Sicherheitsvorschriften der heutigen Zeit einzuhalten waren, die das alte Gemäuer nicht erfüllte. Es musste also entkernt und alles neu gemacht werden, vor allem die Geräuschisolierung...
Seit diesem Jahr gibt es im Alhambra immer mal wieder interessante Bands zu sehen, Patrick Watson und Animal Collective waren schon da und Ende des Jahres werden auch Okkervil River hier für Stimmung sorgen.
Heute aber erst einmal And Also The Trees. Ich war aufgeregt, weder Band noch Location noch Publikum waren mir vertraut.
Die Location selbst stellte sich im Inneren dann ziemlich schnell als recht schmucklos und karg heraus. Ein detailverliebtes (Neo) Art Deco Design wie in den Folies Bergères, wo ich diese Jahr die Tindersticks gesehen hatte, bekam ich nicht zu Gesicht. Der Ort erinnerte eher an ein Programmkino in Berlin-Kreuzberg. Egal, ich mache mir nichts aus prunkvollen Konzertsälen! Problematischer war hingegen die Tatsache, daß der gesamte Raum bestuhlt war. Ein Postpunk Gig Im Sitzen? - Hmm, irgendwie nicht ideal. Vielleicht hatte man seitens der Band auf das Alter der Besucher Rücksicht genommen, denn das war vergleichweise hoch. Die meisten Gäste waren zwischen 30 bis 45 Jahre alt und überwiegend schwarz gekleidet. Manche trugen die Waver-Frisuren, die in den frühen 80ern angesagt waren, mit ausrasiertem Nackenhaar und so weiter. Auch ein paar gothische Mädchen habe ich gesichtet und ich würde lügen, wenn ich nicht zugäbe, daß mir das gefallen hat...
Obergothik Robert Gil, der stets mit einer schwarzen Sonnenbrille herumlaufende sympathische Top-Konzertfotograf, scharrte schon mit den Springerstiefel beschuhten Hufen, weil er endlich losknipsen wollte und seine Freundin, saß - ebenfalls mit Sonnenbrille - auf einem der Sitzchen und wedelte sich wie Karl Lagerfeld mit einem schwarzen Fächer Luft zu. Ein cooles Publikum!
Das szenige Völkchen bekam aber zunächst einen Vorgruppenact der besonderen Art geboten. Pamela Kurstin hieß die zierliche junge Frau, die gegen 20 Uhr 40 (über eine Stunde nach dem eigentlich ausgeschriebenem Beginn) auf die dunkle und nur von einem hellen Spot in der Mitte erleuchtete Bühne trat. Ich rieb meine Augen und fragte mich, mit welch seltsamen Instrument sie denn da die mystisch-gruseligen Töne erzeugte. Vor allem aber: wie machte sie das? Sie berührte das seltsame Ding (ein sog. Theremin) noch nicht einmal direkt, sondern vollführte mit ihren kleinen Fingerchen etwa 20 Zentimeter über der Oberfläche Bewegungen, die an Gesten eines Dirigenten erinnerten! Völlig abgefahren! Das kuriose Instrument besaß eine Art Antenne und man hatte den Eindruck, daß die Künstlerin, die aus Österreich stammt, magische Kräfte besäße.
Die obskuren Geräusche wurden mal eindringlicher, mal schwächer, klangen abwechselnd nach Geigen, Computerspielen und weinenden Frauen und waren irgendwann...unerträglich!
Das sah wohl auch ein Teil des Publikums so, denn als ein Tontechniker hinzutrat, um die zahlreichen Tonprobleme zu beheben, wurde ihm Applaus auf offener Szene gespendet. Die kleine Österreicherin hatte überzogen und dies gar nicht bemerkt. Auf diese Tatsache hingewiesen, lachte sie plötzlich mit einem kindlich wirkenden Gackern laut los und prustete heraus: "Je suis fini". Ich bin fertig. Sehr lustig, denn die Franzosen sagen eigentlich "J'ai fini", wörtlich übersetzt "Ich habe fertig". Aber reden wir hier nicht über italienische, oder andere Fußballtrainer...
Dann starrte man noch eine Weile auf die verwaiste Bühne, aber irgendwann ging es endlich mit dem Hauptprogramm los. Von Fotos eines Konzerts, daß AATT Ende 2007 in der Maroquinerie bestritten hatten, war mir bekannt, daß die beiden Brüder Jones erstaunlich gut gealtert sind. Vor allem Justin Jones, der Gitarrist mit der fantastischen Technik (er spielt sein Instrument fast wie eine Mandoline, ein Markenzeichen des Sounds der Engländer), sah nach wie vor enorm jung aus. Unglaublich, er hatte zusammen mit seinem Bruder, dem Sänger Simon Huw Jones, die Gruppe bereits 1979 in Inkberry, Worcestershire gegründet. Das andere Brüderpaar, Graham und Nick Havas, ist allerdings nicht mehr dabei. Stattdessen hält seit 1983 Steven Burows den Bass und Paul Hill sorgt seit 1997 an seinem Schlagzeug für den plötzlich einsetzenden Trommelregen. Und es gibt auch etwas für das männliche Auge: Die fesche Blondine Emer Brizzolara spielt Keyboard, Percussions und Melodica. Mit ihrer engen Jeans und den hochhackigen Stiefelchen sah sie wirklich toll aus!
Opener des Sets war das gemächlich startende Domed von dem 2007 er Album Listen For The Rag And Bone Man. Die Magie, die von diesem gruselig schönen Schocker ausging, war quasi augenblicklich zu spüren. "In another land" croonte Simon Huw Jones theatralisch in sein Mikro und setzte seinen Körper perfekt in Pose. Mit seinem langen schwarzen Mantel und dem weißen Schal sah er hochelegant aus. Man hätte ihn fast für einen modernden Graf Dracula halten können. Den Engländer neben mir hielt es spätestens als die Drums einsetzten, nicht mehr auf seinen Sitzen.Wie im Wahn trommelte er sich auf die Schenkel, als wolle er einen Wettbewerb im Luftschlagzeugspielen gewinnen. Natürlich hatte er eigentlich Recht, denn die gespielte Musik wurde immer intensiver und eindringlicher, aber musste er jede Geste wie ein Papagei nachmachen? Egal, weiter im Text...
The Beautiful Silence war genau wie es der Titel vermuten lässt: beautiful= wunderschön! Besonders die melodischen Gitarren trugen einen wie auf Flügeln und der dramatische Gesang tat sein Übrigens dazu. Irgendwann ging der Text in ein Singalong über. "Lalalalala" trällerte Simon und aus der Gitarre von Justin schien süßester Nektar zu fließen. Ich war schwer beeindruckt, mir gefiel einfach alles, die Darbietung, die Instrumentierung, die melodramatische Struktur der Songs...
Bis zu Lied 9 blieb man ganz konsequent beim aktuellen Album, bevor man mit Slow Pulse Boy in den Backkatalog einstieg. Simon kauerte hierbei auf dem Boden, während sich die Gitarren trippelnd nach vorne arbeiteten. Dann stand der elegante Sänger auf und stand kerzengerade hinter seinem Mikro. Die Stimmung war knisternd und wurde nur von kurzen wavigen Riffs unterbrochen. Als der Schlagzeuger loslegte, kannte der Engländer neben mir wieder kein Halten. "Bum-Peng, Bum-Peng", die Hiebe die der Drumer verteilte, kamen angeflogen wie Boxschläge. Simon steigerte sich stimmlich in Extase, er schrie jetzt förmlich, aber der Song verließ nie vollständig seine harmonische Grundform. Ein Schocker ersten Gütegrades, das Publikum jubelte!
Maps in Her Wrists And Arms kam dann vom hochgelobten 1986 er Album Virus Meadow und erinnerte mich recht stark an Echo & The Bunnymen, was ein Kompliment ist.
Ein weiterer alter Song wurde mit Vincent Craine präsentiert, es gibt davon bei youtube einen passablen Livemitschnitt, den ich hier beifüge, damit man sich selbst ein Bild machen kann.
Irgendwann später gönnten sich die vier Jungs und die eine Dame ein Päuschen von 10 Minuten. Sie kündigten das auch so an und taten nicht so , als sei schon Schluß, nur um kurze Zeit später "überraschend" zurückzukommen, wie das sonst üblich ist. Das Ganze wirkte fast wie eine Theaterpause, in der man etwas trinken gehen , oder etliche CDs und auch eine limitierte Live - DVD von Genf 2006 erwerben konnte. Die T-Shirts gingen schon jetzt weg wie die warmen Semmeln und die nette Dame am Merchandising Stand hatte wirklich sehr gut zu tun. In den letzten zwei Tagen habe ich auch gemerkt, woran das liegt: CDs von And Also The Trees im Laden zu bekommen, ist nämlich gar nicht so einfach! Bei den riesigen Plattentempeln Fnac und Virgin herrschte diesbezüglich absolute Ebbe. "Können wir bestellen, dauert aber bestimmt zwei Wochen", so die knappe Auskunft des gelangweilten Verkäufers...
Hätte ich doch bloß auch zugeschlagen!
Es ging nun weiter und mindestens fünf bis sechs Lieder wurden gespielt, eins schöner und dramatischer als das andere. Mindestens zwei Lieder stammten dabei von dem 2003 er Album Further From The Truth, das hatte Sänger Simon so verkündet. Ich glaube auf der Setlist wurden diese Stücke nicht erwähnt, wer also weiß, um welche Songs es sich handelte, kann sich im Kommentarteil melden. Ohnehin bin ich auf ein wenig Mithilfe angewiesen, denn ich weiß auch nicht, wie die ultime Zugabe hieß (war es wirklich Virus Meadow?). Das Publikum ging dabei unglaublich gut mit, niemand hielt es jetzt mehr auf seinen Sitzen. Kein Wunder, es war auch wirklich wahnsinnig mitreißend und so verließ ich das Konzert mit dem herrlichen Gefühl eine neue Lieblingsband für mich entdeckt zu haben!
01: Domed
02: The Beautiful Silence
03: Under The Stars
04: A Man With A Drum
05: The Legend Of Mucklow
06: The Saracen's Head
07: Candance
08: Rive Droite
09: Slow Pulse Boy
10: Maps In Her Wrists And Arms
11: The Dwelling Place
12: Vincent Craine
13: Jack
14: Headless Clay Woman
15: Gone!... Like The Swallows
16: Virus Meadow
Anmerkung: Ich habe die Setlist so abgetippt, wie sie auf dem handgeschriebenen Zettel zu lesen war. Es wurde aber mehr gespielt, zum Beispiel auch Dialogue am Schluss.
Links:
- Mehr Fotos von And Also The Trees hier
- Virus Meadow live im Video
- Dialogue live in London 2007
- Slow Pulse Boy live
- My Space Seite von Achim, der an einem spannenden Buch über AATT arbeitet - And Also The Trees Book Projekt.
Ort: Alhambra, Paris
Datum: 21.09.2008
Zuschauer: zwischen 700 und 800 (so gut wie ausverkauft)
Konzertdauer: mindestens 100 Minuten
Seitdem Gruppen wie Interpol, Franz Ferdinand und Bloc Party vor ein paar Jahren das sogenannte Post-Punk Revival losgetreten haben, kommen die Bands, die in den späten 70ern und frühen 80ern dieses Genre geprägt haben, wieder aus ihren dunklen Löchern gekrochen.
Teilweise jahrzehntelang war es still um sie, aber dann witterten sie alle Morgenluft, merkten, daß ihr Stil wieder angesagt ist und - schöner Nebeneffekt - ein paar Mäuse zu verdienen sind.
Die Liste der kultigen Post Punk-und New Wave Bands, die ein Comeback hingelegt haben, ist ellenlang und wächst wöchentlich. Allein ich persönlich habe in den letzten Jahren einige wichtige Akteure dieser Epoche auf der Bühne gesehen: Echo & The Bunnymen, Gang Of Four, Nick Cave, The Woodentops, The Cure, Hazel O'Connor, Young Marble Giants wären da zu nennen, bei Christoph kommt noch Siouxsie hinzu.
Und es gibt noch viel mehr alte Grufties, die wieder auf Tour sind, (bzw. kürzlich waren) Wire z.B., die ich nächsten Samstag sehen werde, Billy Bragg, Devo, Throbbing Gristle, Durutti Column, Buzzcocks, Radio Birdman, Mission Of Burma, Killing Joke, A Certain Ratio, The New Model Army...
Ich könnte jetzt noch bis Weihnachten so fortfahren, aber dann würde mir mein Arm abfallen und ich könnte nichts mehr zu den außerdordentlichen And Also The Trees schreiben. Um die soll es hier gehen. Die Band aus Inkberrow, England, passt eigentlich genau in mein Beuteschema, ist aber - aus welchen unerklärlichen Gründen auch immer - nie in den Blickpunkt meines Interesses gerückt. Lediglich den Namen habe ich am Rande einmal aufgeschnappt, Lieder kannte ich von denen keine. Unverzeihlich! Wie konnte mir bloß eine solche Perle durch die Lappen gehen? Und wie habe ich in den letzten 20 Jahren eigentlich ohne And Also The Trees gelebt? Schlechter, das steht nach dem berauschenden Konzert im Pariser Alhambra fest! Und dabei gab es in den letzten Jahren in Paris immer wieder Gelegenheiten, die Band um die beiden Jones Brüder live zu sehen. Am 9.12.2003 spielten die Briten in der Locomotive, am 18.11.2005 auf dem charmanten, an der Seine gelegenen Hausboot Batofar (sehr gute Bilder hier ) und Ende 2007 (24.11.) beehrten sie meine heißgeliebte Maroquinerie mit einem Besuch (grandiose Pics hier). Die französische Metropole scheinen sie ohnehin zu lieben, es gibt (oder vielmehr gab?) eine Live CD von 19994, die im Bataclan aufgenommen wurde.
Aber nun gut, trauern wir hier nicht der Vergangenheit nach, am Sonntag habe ich ja glücklicherweise meine Chance genutzt, die Kultband auf einer Bühne zu erleben!
Das Alhambra ist ein altes (Kino)- Theater, welches in den 20er Jahren dazu dienen sollte, den Arbeitern der Bahngesellschaft Unterhaltung zu bieten. Trotz einer recht prachtvollen Art Deco Ausstattung wurde es nur selten zu seinen ursprünglichen Zwecken genutzt und verkam im Laufe der Zeit zu einem Abstellraum für einen Trödelhändler. Erst im Jahre 2005 entdeckte ein Pariser Konzertveranstalter die Location zufällig und verliebte sich in den verfallenen Charme des Ortes. Er kaufte den Laden, stand aber nun vor dem Problem, daß die Sicherheitsvorschriften der heutigen Zeit einzuhalten waren, die das alte Gemäuer nicht erfüllte. Es musste also entkernt und alles neu gemacht werden, vor allem die Geräuschisolierung...
Seit diesem Jahr gibt es im Alhambra immer mal wieder interessante Bands zu sehen, Patrick Watson und Animal Collective waren schon da und Ende des Jahres werden auch Okkervil River hier für Stimmung sorgen.
Heute aber erst einmal And Also The Trees. Ich war aufgeregt, weder Band noch Location noch Publikum waren mir vertraut.
Die Location selbst stellte sich im Inneren dann ziemlich schnell als recht schmucklos und karg heraus. Ein detailverliebtes (Neo) Art Deco Design wie in den Folies Bergères, wo ich diese Jahr die Tindersticks gesehen hatte, bekam ich nicht zu Gesicht. Der Ort erinnerte eher an ein Programmkino in Berlin-Kreuzberg. Egal, ich mache mir nichts aus prunkvollen Konzertsälen! Problematischer war hingegen die Tatsache, daß der gesamte Raum bestuhlt war. Ein Postpunk Gig Im Sitzen? - Hmm, irgendwie nicht ideal. Vielleicht hatte man seitens der Band auf das Alter der Besucher Rücksicht genommen, denn das war vergleichweise hoch. Die meisten Gäste waren zwischen 30 bis 45 Jahre alt und überwiegend schwarz gekleidet. Manche trugen die Waver-Frisuren, die in den frühen 80ern angesagt waren, mit ausrasiertem Nackenhaar und so weiter. Auch ein paar gothische Mädchen habe ich gesichtet und ich würde lügen, wenn ich nicht zugäbe, daß mir das gefallen hat...
Obergothik Robert Gil, der stets mit einer schwarzen Sonnenbrille herumlaufende sympathische Top-Konzertfotograf, scharrte schon mit den Springerstiefel beschuhten Hufen, weil er endlich losknipsen wollte und seine Freundin, saß - ebenfalls mit Sonnenbrille - auf einem der Sitzchen und wedelte sich wie Karl Lagerfeld mit einem schwarzen Fächer Luft zu. Ein cooles Publikum!
Das szenige Völkchen bekam aber zunächst einen Vorgruppenact der besonderen Art geboten. Pamela Kurstin hieß die zierliche junge Frau, die gegen 20 Uhr 40 (über eine Stunde nach dem eigentlich ausgeschriebenem Beginn) auf die dunkle und nur von einem hellen Spot in der Mitte erleuchtete Bühne trat. Ich rieb meine Augen und fragte mich, mit welch seltsamen Instrument sie denn da die mystisch-gruseligen Töne erzeugte. Vor allem aber: wie machte sie das? Sie berührte das seltsame Ding (ein sog. Theremin) noch nicht einmal direkt, sondern vollführte mit ihren kleinen Fingerchen etwa 20 Zentimeter über der Oberfläche Bewegungen, die an Gesten eines Dirigenten erinnerten! Völlig abgefahren! Das kuriose Instrument besaß eine Art Antenne und man hatte den Eindruck, daß die Künstlerin, die aus Österreich stammt, magische Kräfte besäße.
Die obskuren Geräusche wurden mal eindringlicher, mal schwächer, klangen abwechselnd nach Geigen, Computerspielen und weinenden Frauen und waren irgendwann...unerträglich!
Das sah wohl auch ein Teil des Publikums so, denn als ein Tontechniker hinzutrat, um die zahlreichen Tonprobleme zu beheben, wurde ihm Applaus auf offener Szene gespendet. Die kleine Österreicherin hatte überzogen und dies gar nicht bemerkt. Auf diese Tatsache hingewiesen, lachte sie plötzlich mit einem kindlich wirkenden Gackern laut los und prustete heraus: "Je suis fini". Ich bin fertig. Sehr lustig, denn die Franzosen sagen eigentlich "J'ai fini", wörtlich übersetzt "Ich habe fertig". Aber reden wir hier nicht über italienische, oder andere Fußballtrainer...
Dann starrte man noch eine Weile auf die verwaiste Bühne, aber irgendwann ging es endlich mit dem Hauptprogramm los. Von Fotos eines Konzerts, daß AATT Ende 2007 in der Maroquinerie bestritten hatten, war mir bekannt, daß die beiden Brüder Jones erstaunlich gut gealtert sind. Vor allem Justin Jones, der Gitarrist mit der fantastischen Technik (er spielt sein Instrument fast wie eine Mandoline, ein Markenzeichen des Sounds der Engländer), sah nach wie vor enorm jung aus. Unglaublich, er hatte zusammen mit seinem Bruder, dem Sänger Simon Huw Jones, die Gruppe bereits 1979 in Inkberry, Worcestershire gegründet. Das andere Brüderpaar, Graham und Nick Havas, ist allerdings nicht mehr dabei. Stattdessen hält seit 1983 Steven Burows den Bass und Paul Hill sorgt seit 1997 an seinem Schlagzeug für den plötzlich einsetzenden Trommelregen. Und es gibt auch etwas für das männliche Auge: Die fesche Blondine Emer Brizzolara spielt Keyboard, Percussions und Melodica. Mit ihrer engen Jeans und den hochhackigen Stiefelchen sah sie wirklich toll aus!
Opener des Sets war das gemächlich startende Domed von dem 2007 er Album Listen For The Rag And Bone Man. Die Magie, die von diesem gruselig schönen Schocker ausging, war quasi augenblicklich zu spüren. "In another land" croonte Simon Huw Jones theatralisch in sein Mikro und setzte seinen Körper perfekt in Pose. Mit seinem langen schwarzen Mantel und dem weißen Schal sah er hochelegant aus. Man hätte ihn fast für einen modernden Graf Dracula halten können. Den Engländer neben mir hielt es spätestens als die Drums einsetzten, nicht mehr auf seinen Sitzen.Wie im Wahn trommelte er sich auf die Schenkel, als wolle er einen Wettbewerb im Luftschlagzeugspielen gewinnen. Natürlich hatte er eigentlich Recht, denn die gespielte Musik wurde immer intensiver und eindringlicher, aber musste er jede Geste wie ein Papagei nachmachen? Egal, weiter im Text...
The Beautiful Silence war genau wie es der Titel vermuten lässt: beautiful= wunderschön! Besonders die melodischen Gitarren trugen einen wie auf Flügeln und der dramatische Gesang tat sein Übrigens dazu. Irgendwann ging der Text in ein Singalong über. "Lalalalala" trällerte Simon und aus der Gitarre von Justin schien süßester Nektar zu fließen. Ich war schwer beeindruckt, mir gefiel einfach alles, die Darbietung, die Instrumentierung, die melodramatische Struktur der Songs...
Bis zu Lied 9 blieb man ganz konsequent beim aktuellen Album, bevor man mit Slow Pulse Boy in den Backkatalog einstieg. Simon kauerte hierbei auf dem Boden, während sich die Gitarren trippelnd nach vorne arbeiteten. Dann stand der elegante Sänger auf und stand kerzengerade hinter seinem Mikro. Die Stimmung war knisternd und wurde nur von kurzen wavigen Riffs unterbrochen. Als der Schlagzeuger loslegte, kannte der Engländer neben mir wieder kein Halten. "Bum-Peng, Bum-Peng", die Hiebe die der Drumer verteilte, kamen angeflogen wie Boxschläge. Simon steigerte sich stimmlich in Extase, er schrie jetzt förmlich, aber der Song verließ nie vollständig seine harmonische Grundform. Ein Schocker ersten Gütegrades, das Publikum jubelte!
Maps in Her Wrists And Arms kam dann vom hochgelobten 1986 er Album Virus Meadow und erinnerte mich recht stark an Echo & The Bunnymen, was ein Kompliment ist.
Ein weiterer alter Song wurde mit Vincent Craine präsentiert, es gibt davon bei youtube einen passablen Livemitschnitt, den ich hier beifüge, damit man sich selbst ein Bild machen kann.
Irgendwann später gönnten sich die vier Jungs und die eine Dame ein Päuschen von 10 Minuten. Sie kündigten das auch so an und taten nicht so , als sei schon Schluß, nur um kurze Zeit später "überraschend" zurückzukommen, wie das sonst üblich ist. Das Ganze wirkte fast wie eine Theaterpause, in der man etwas trinken gehen , oder etliche CDs und auch eine limitierte Live - DVD von Genf 2006 erwerben konnte. Die T-Shirts gingen schon jetzt weg wie die warmen Semmeln und die nette Dame am Merchandising Stand hatte wirklich sehr gut zu tun. In den letzten zwei Tagen habe ich auch gemerkt, woran das liegt: CDs von And Also The Trees im Laden zu bekommen, ist nämlich gar nicht so einfach! Bei den riesigen Plattentempeln Fnac und Virgin herrschte diesbezüglich absolute Ebbe. "Können wir bestellen, dauert aber bestimmt zwei Wochen", so die knappe Auskunft des gelangweilten Verkäufers...
Hätte ich doch bloß auch zugeschlagen!
Es ging nun weiter und mindestens fünf bis sechs Lieder wurden gespielt, eins schöner und dramatischer als das andere. Mindestens zwei Lieder stammten dabei von dem 2003 er Album Further From The Truth, das hatte Sänger Simon so verkündet. Ich glaube auf der Setlist wurden diese Stücke nicht erwähnt, wer also weiß, um welche Songs es sich handelte, kann sich im Kommentarteil melden. Ohnehin bin ich auf ein wenig Mithilfe angewiesen, denn ich weiß auch nicht, wie die ultime Zugabe hieß (war es wirklich Virus Meadow?). Das Publikum ging dabei unglaublich gut mit, niemand hielt es jetzt mehr auf seinen Sitzen. Kein Wunder, es war auch wirklich wahnsinnig mitreißend und so verließ ich das Konzert mit dem herrlichen Gefühl eine neue Lieblingsband für mich entdeckt zu haben!
01: Domed
02: The Beautiful Silence
03: Under The Stars
04: A Man With A Drum
05: The Legend Of Mucklow
06: The Saracen's Head
07: Candance
08: Rive Droite
09: Slow Pulse Boy
10: Maps In Her Wrists And Arms
11: The Dwelling Place
12: Vincent Craine
13: Jack
14: Headless Clay Woman
15: Gone!... Like The Swallows
16: Virus Meadow
Anmerkung: Ich habe die Setlist so abgetippt, wie sie auf dem handgeschriebenen Zettel zu lesen war. Es wurde aber mehr gespielt, zum Beispiel auch Dialogue am Schluss.
Links:
- Virus Meadow live im Video
- Dialogue live in London 2007
- Slow Pulse Boy live
- My Space Seite von Achim, der an einem spannenden Buch über AATT arbeitet - And Also The Trees Book Projekt.
5 Kommentare :
Wow, coole Sache, dass du da warst! Ich habe sie mir Samstag in Bochum in der Christuskirche angesehen. War wieder mal ganz toll!!!
Bin gespannt, was du zu schreiben hast (insbesondere bezüglich der Location) und würde mich schonml gerne anmelden, den Bericht später auch bei uns veröffentlichen zu dürfen ;-)
LG nach Paris
Micha
Hey, dachte ich mir, daß Dich das interessieren könnte, Micha! :)
Ich hätte Dir den Bericht ohnehin angeboten. Aber erst einmal muss ich ihn schreiben...
Hello,
thanks for that report at the Alhambra that brings good rememberings from that evening. I just wanted to attract your attention to four videos La Blogothèque has made last november at La Maroquinerie. I'm sure you would like them.
Here is the link : http://www.blogotheque.net/Back-on-Stages-1-And-also-the
Best wishes
Bonjour Alexandre et merci!
Ah, la blogotèque je connais bien sûr, c'est toujours bien ce qu'ils font.
Dommage que j'ai pas assez de temps en ce moment pour traduire mes textes en francais. Mais tu lis l'allemand parait-il?! :)
Toller Bericht Oliver. Danke!
grüsse Frank
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