Samstag, 24. Mai 2008

Koko von Napoo, Paris, 23.05.08


Konzert: Koko von Napoo (After Show Party Crystal Castles)

Ort: Paris Paris, Paris (nicht wundern, ich bin nicht besoffen, der Laden trägt zweimal den Namen der französischen Hauptstadt und liegt in ebendieser!)
Datum: 22 u. 23.05.2008 (als ich eintrat war es 23 Uhr 30, das Konzert begann aber erst um 1 Uhr, also am 23.)
Zuschauer: wieviele Snobs passen in den Schuppen? Schätzungsweise 200-250
Konzertdauer: circa 40 Minuten


"Nein - ich gebe nichts!", (kurze Pause) - "Ich habe kein Geld dabei, tut mir Leid!"

Wie bitte? Ich hatte nur einen jungen Mann in Hemd und Anzug gefragt, wo es denn zu dem angesagten Club Paris Paris geht und wollte selbstverständlich nicht um Kleingeld betteln. Die beschriebene Szene ereignete sich in der Nähe der berümten Pariser Oper. Da ich noch nie in dem Laden war, fragte ich eben einen Passanten um Hilfe, von dem ich vermutete, dass er in solchen Etablissements verkehren könnte. Mit seinem Anwalts-bzw. Geschäftsmann-Outfit und dem aufrechten Gang schien er mir die passende Ansprechperson zu sein. Ich lag mit meiner Einschätzung richtig, der arrogante Schnösel wollte auch ins Paris Paris!

"Geh mir einfach nach, ich will auch dahin", murmelte er von oben herab und musterte mich mit seinen blauen Augen und dem Gesicht eines zu gross gewordenen Babys (Haare hatte er mit seinen geschätzten 28-30 Jahren bereits keine mehr auf dem Kopf).

Gerade heute abend hatte ich mir bewusst Eike's richtigen und weisen Kommentar zu Herzen genommen, indem er sich zu recht darüber beschwert hatte, dass ich in meinem Konzertbericht über Meg Baird ein zu vorurteilshaftes Bild von den Jungdynamikern gezeichnet hatte und dann so etwas!

Ich ging also mit dem Anzugträger die Strasse entlang, obwohl er mich zuvor zu einem bettelnden Penner degradiert hatte und behandelte den Tpen, dem ich gerne den Arsch versohlt hätte, ausnehmend höflich und zuvorkommend. "Weshalb ich denn ausgerechnet heute ins Paris Paris müsse?", wollte er plötzlich von mir wissen. - "Da spielt eine Pariser Band, die ich gerne sehen möchte, Koko von Napoo heissen die", informierte ich ihn - "Kenn' ich nicht, was für eine Art von Musik machen die denn?", spielte er interessiert - "Elektro-Pop mit starken Eighties-Anleihen", klärte ich auf. "Hmm", machte er nur.

"Ja und eigentlich findet dieser Konzert-Abend ja statt, weil Crystal Castles eine Aftershow Party geben und Platten auflegen und so", informierte ich ihn eingehender. - "Die kenn' ich auch nicht", sagte er knapp und schien darauf ziemlich stolz zu sein.

"Und was willst Du heute im Paris Paris?", bohrte ich ein wenig nach. - "Ein Arbeitskollege feiert da heute, der hat mich eingeladen; eigentlich gibt es immer zwei Sessions im Paris Paris, einmal sofort nach der Arbeit ("après le boulot", wie er sagte) und dann noch eine spätere. Wenn Du so willst, komme ich jetzt erst für die erste Session."

Der Gedanke an diese seltsamen After-Work Abende wirkte auf mich stark abschreckend (weil ich mir die ganzen jungen Anwälte vorstellte, die nach Feierabend ihre Krawatte in die Jackettasche stecken und um sich locker zu machen, exakt zwei Knöpfe ihres Hemdes öffnen), aber ich liess mir nichts anmerken. "Interessant" heuchelte ich ihm vor. Nach wie vor hatte er diesen musternden und hochnäsigen Blick drauf, aber davon liess ich mich nicht mehr ärgern, denn jezt hiess es an den bulligen Türstehern vorbeizukommen. Wir wünschten uns gegenseitig einen schönen Abend und stellten uns in die Schlange der Wartenden. Gleich nebenan hatte eine Anwaltssozietät ihre Büros, ansonsten waren in dem Gebäude mit dem imposanten Tor jede Menge Psychater und Psychologen niedergelassen, was mich an ein Buch des Zynikers Michel Houellebecq denken liess. Da beschrieb er treffend, dass die ganzen Psychoklempner alle in den feinen Adressen von Paris zu finden seien...

"Was willst Du hier?", raunzte mich einer der beiden Gorillas an, die den Sesam des Paris Paris wie Pitbulls bewachten. - "Ich stehe auf der Liste von Koko von Napoo, die später hier spielen werden", gab ich mich betont selbstsicher, weil ich mir dachte, dass diese Nummer ziehen würde. - "Wer ist das Koko von Napoo?", spielt er ahnungslos und ich hörte die gleiche Frage innerhalb kurzer Zeit zum zweiten Male. - "Eine Band, die treten hier auf und haben mich auf die Gästeliste setzen lassen." Der Typ guckte in die Luft und beachtete mich nicht mehr, da kam sein Gorilla-Kollege mit einer wichtigen Liste an. "Wie heisst Du?" - Ich murmelte meinen Namen, aber das schien im eigentlich egal zu sein. Er hatte keinen Bock, die Liste durchzusehen und liess mich durch. Der Sesam öffnete sich...

Ich ging eine Treppe hinunter und sah Yuppies ausgelassen zu "Push The Button" von den Chemical Brothers tanzen. Es war haargenau so, wie ich mir das von Sylt, Monte Carlo oder Aspen/Colorado vorgestellt hatte. Neureiche Typen liessen die Sau raus, tanzten auf den kleinen runden Tischen und orderten Champagnerflaschen in rauen Mengen. So der so ähnlich muss es im P1 in München sein, dachte ich mir und bekam beim Gedanken an Olli Kahn, der seine strohblonde Verena K ausführt, leichte Magenkrämpfe. Die Frauen im Paris Paris waren sehr jung und hatten Absätze an, die in vielen Fällen locker die 12 cm- Grenze erreichten. Zudem zeigten sie gerne und bewusst Bein und bedeckten ihre Augen mit diesen riesigen Paris Hilton-Sonnenbrillen, obwohl die Sonne nicht gerade senkrecht in den Club schien. Ich kam mir vor wie im Zoo und wollte fast schon wieder gehen, als ich auf den Gitarristen von Koko von Napoo traf. Während die Leute auf der Tanzfläche zu "Karma Chameleon" steilgingen, fragte ich ihn, wann denn mit dem Liveauftritt zu rechnen sei. "Nicht vor 1 Uhr", klärte er mich auf. Es war gerade einmal Mitternacht und ich konnte mir nicht vorstellen, wie ich es so lange hierdrin aushalten könnte. Aber das Eis war gebrochen, ich plauderte noch ein bisschen mit ihm weiter und traf später auch die mir schon bekannten Jungs der Band Hushpuppies. Frank, der Schlagzeuger, sagte mir, dass Olivier Jourdain, der Sänger der Hushpuppies, Koko von Napoo produzieren würde. Alles sei noch sehr amateurhaft, aber das habe ja auch seinen Charme. Ich pflichtete ihm bei und so verging die Zeit dann doch schneller als befürchet.

Irgendwann war dann auch derjenige Teil der Tanzfläche, der eine kleine Rampe zu bieten hatte, zur Konzertbühne hergerichtet.

Die Koko von Napoos gingen in Stellung. Marion, die Keyboarderin mit dem roten Kleidchen musterte ihr Tasteninstrument, Toupie die Sängerin guckte, ob ihre Melodica und das Babykeyboard an ihrem Plätzchen waren und Faustine, die schlagzeugspielende Musikkritikerin (Magazin Magic) setzte sich hinter ihre Drums. Der männliche Bassist und Gitarrist mit dem gepflegten Drei-Tage Bart griff zu einem seiner Saitengeräte, die er im Laufe des Sets wechselte und los ging es mit "Baden Baden".

Baden Baden? Aber das ist doch eine Kurstadt in Deutschland, wie kommt eine französische Band auf einen solchen Titelnamen? Toupie, die Sängerin mit der quietschenden Stimme (ihr Kommentar dazu: "entweder die Leute lieben meine Stimme, oder sie hassen sie"), klärte mich später per e-mail auf. Meine Bandkollegen fanden den Namen sehr lustig und dann fragten sie mich, ob ich nicht ein Lied mit diesem Namen schreiben wolle und das habe ich dann eben gemacht.

Das Lied war brauchbar, aber nicht das beste des Sets. Viel problematischer war für die drei Mädels und den einen Jungen hingegen, dass der Sound nicht so recht passte. Sie konnten ihre Instrumente selbst nicht hören und waren dadurch recht verunsichert. Hinzu kam, dass es dem Grossteil des stark angeheiterten Publikums ohnehin egal war, wer da vorne spielte und was geboten wurde. Eigentlich hätte man auch "Hänschen-Klein" vortragen können, das wäre auch nicht weiter ins Gewicht gefallen. Zum Glück für die Band auf der Bühne gab es aber ausser mir aber noch circa 20 Leute, die sich auch für die Musik von Koko von Napoo interessierte. Und die wurde von Lied zu Lied besser, auch wenn die Soundprobleme bis zum Ende fortbestanden. Mit "I Am Dead" brachten die Pariser einen Knüller in bester New Order Manier, getrieben von einer polternden Basslinie, für die der Hahn im Korb verantwortlich zeichnete. Er hielt den Laden zusammen und führte seine weiblichen Bandkolleginnen mit seinem beherzten Spiel sicher durch das Set. Die Singelauskopplung "Jonbon" war ein weiteres Highlight und dann kam plötzlich auch noch Olivier "Hushpuppies" Jourdain hinzu. Der wie ein Latin Lover aussehende schlanke Kerl spielte zur Belustigung aller Anwesenden Melodica und sang auch ein wenig mit. Dann liess er die Necomer wieder alleine weitermachen und die Emporkömmlinge der Pariser Indie-Szene setzten mit den Ohrwürmern "Polly" und "June", gehalten im Stile von New Wave Pop à la Blondie oder Altered Images, noch weitere positive Akzente (obwohl ich amüsanterweise ihr Englisch mit dem französischen Akzent nicht immer richtig verstand; Was sangen sie da? "A horse should behave like a real horse?" (Polly) ).

Nach vierzig Minuten war dann schliesslich mit "Saadie" Schluss. Der Diskoabend ging allerdings mit lauter Techno-Musik weiter und mein arroganter "Freund" von dem ich eingangs erzählte, soff mit Kollegen Cocktails. Wie in dem Film mit Tom Cruise. Achso und auf einer Leinwand lief übrigens "Miami Vice". Ausgerechnet die Folge mit Phil Collins...

Setlist Koko von Napoo, Paris Paris, Paris:

01: Baden Baden
02: Agence Blaby
03: I Am Dead
04: Jonbon
05: Polaroid
06: Polly
07: June
08: Saadie



9 Kommentare :

E. hat gesagt…

ich glaube, diesmal hast du ordentlich an dich halten müssen, was? angesichts der umstände und der anwesenden klientel hättest du noch ordentlich vom leder lassen können, hättest du nicht?
ich bewundere deine angemessenheit und zurückhaltung. alle achtung!

bekomme ich von der band bald mal was zu hören? interessierte mich ja doch.

Oliver Peel hat gesagt…

Ich bin noch nie in meinem Leben so herabwürdigend behandelt worden! Dabei hatte ich extra einen klassischen blauen Trenchcoat eines angesehenen englischen Traditionshauses angezogen. Ich wusste ja schon, dass es in diesem Paris Paris schicker zugehen wird.

Trotzdem bin ich froh, dass ich diesem Typen kein blaues Auge verpasst habe, obwohl er das verdient gehabt hätte.

Ich glaube, dass ich ihn ordentlich verwirrt habe, indem ich so ruhig und höflich geblieben bin.

Selbstverständlich hätte ich noch ordentlicher vom Leder lassen können, aber mir fehlten am Ende die Worte.

Aber für die Band hat es sich gelohnt, die gefallen mir trotz ihrer leicht trashigen und amateurhaften Note. Die Mädels schienen mir von den Umständen und den anwesenden Typen auch sehr verunsichert zu sein, sie trauten sich fast gar nicht, sich vorzustellen.

Es gibt leider noch keine EP, geschweige denn ein Album. Darauf dürften dann mindestens 3 Hits sein. Bisher gibt es nur Jonbon als Single. Ich halte Dich auf dem Laufenden!

Anonym hat gesagt…

So, ich habe diesen Bericht jetzt gelesen, und zwar lediglich auf Grund des Fotos von dem gutaussehenden Melodicaspieler :)
Und ich höre gerade bei myspace rein, gefällt mir :) Aber ich verstehe auch seltsame Horse-Sachen....
(und ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, wie so eine Band in so einem Club funktionieren kann)

Oliver Peel hat gesagt…

Der gutaussehende Melodica-Spieler ist der Sänger der Hushpuppies :)

Olivier Jourdan

Anonym hat gesagt…

...ja, das habe ich dann auch enttäuscht festgestellt. Aber bei den Hushpuppies spielt er keine Melodica, oder? Sonst überdenke ich meine Meinung über die noch einmal ;)
(sprechen sie sich eigentlich Haschpappies oder Üschpüppie aus???)

Oliver Peel hat gesagt…

Öschpöpies sprechen die Franzosen das aus, oder auch nur "les ösch".

Olivier singt und spielt Keyboard, Percussions und Orgel. Eine Melodica gibt es da nicht. Für Dich habe ich das Bild, das Du zum Favoriten gemacht hast aber mal bearbeitet und schwarz-weiss gemacht:
http://www.flickr.com/photos/oliverpeel/2525215844/

Anonym hat gesagt…

Keyboards und Orgeln sind aber doch auch toll :) Schwarz-Weiß Fotos auch :) Und Les Ösch gefällt mir :)
(...wobei, irgendwie erinnert es mich dann schon wieder daran, dass in der Stadt, in der ich mich gerade aufhalte Öcher Platt gesprochen wird, hihi)
Und ich dachte, ich hätte in der Schule gelernt, dass man u ü ausspricht. Warum jetzt auf einmal ö? Das fragte ich mich schon, als ich mir im belgischen Fernsehen eine Dokumentation über James Blönt anguckte (natürlich nur aus Sprachlernzwecken!!)

Oliver Peel hat gesagt…

Ja, aber wir sind hier schon beim Fortgeschrittenenkurs und der heisst in diesem Fall: wie sprechen Franzosen englische Wörter aus? Eine Wissenschaft für sich! Da ihnen klar ist, dass die Engländer aus u kein ü machen, versuchen sie es eben mit ö in der Hoffnung, dass das dann passt.

Aus Club wird dann Clöb. Und die Musikrichtung Country spricht man ürbrigens hier Cuntri aus :)

Anonym hat gesagt…

Großartig!!!

 

Konzerttagebuch © 2010

Blogger Templates by Splashy Templates