Donnerstag, 25. Dezember 2014

The Tiger Lillies, Karlsruhe, 21.12.14


Konzert: The Tiger Lillies
Ort: Tollhaus in Karlsruhe
Datum: 21. Dezember 2014
Dauer: 110 min
Zuschauer: knapp 400


Wenn die Tiger Lillies einladen, macht das Tollhaus seinem Namen Ehre: Fünf Uhr morgens - da geht es dann ganz gewiss nicht um frühes Aufstehen oder den Beginn eines harten Arbeitstages, sondern darum, besoffen in der Gosse zu liegen und möglichst nicht zu ersaufen. Die aufgeschminkten Clownsgesichter dabei eher sarkastisch als lustig. Die Tiger Lillies hatten im Tollhaus ihr Debut in Deutschland - eine alte Liebe also.


Auch mich begleitet die Musik der Tiger Lillies schon sehr viele Jahre. Es ist so eine Beziehung wie zu manchen alten Freunden: Man hört zwar ewig nichts voneinander, aber beim Wiedersehen ist es so, als wäre man gar nicht getrennt gewesen. Wir kennen uns aus der Phase, wo ich auch Vermillion Lies (*) und die Dresden Dolls lieben lernte - beides ebenfalls sehr stabile Beziehungen bis heute. Vor zwei Jahren musste ich das Konzert im Tollhaus verpassen - umso mehr betrachtete ich diesen Abend als mein musikalisches Weihnachtsgeschenk. Für Martyn Jacques (Gesang, Akkordeon, Flügel, Ukulele), Adrian Stout (Gesang, Bass, Maultrommel, singende Säge) und Mike Pickering (Gesang, Schlagzeug) war es der letzte Tourstop vor den Feiertagen und zusammen mit einem ausverkauften Saal im Tollhaus feierten sie einen Abend an dem ihre Stärken voll ausgespielt wurden.


In den ersten Songs war Martyn mit seinem Akkordeon gleich auf Hochtouren und ich war etwas überfahren, genug Worte zu verstehen um die Songs zu erkennen. Ziemlich wahrscheinlich war Gypsy Lament eines davon und etwas später im Programm gab es auch Russian. Das überdrehte Tempo beruhigte sich, als er sich zum ersten Mal an den Flügel setzte und seine Version von Autumn leaves zelebrierte - mein erster Gänsehautmoment des Programms. Für Gutter wurde das Akkordeon aber schon wieder für eine flotte Polka aktiviert. Besonders interessant wurde es für mich danach mit dem Einsatz des Theremins für Bank Robber Blues - eine wirklich herzzereißend traurige Nummer.

 
Ziemlich viel Zwischengelächter gab es für den makabren und graphisch expliziten Text von
Kick a baby, in dem auch eine Puppe als Babyersatz herhalten musste:

When I'm tired of all the murder/And I'm tired of all the rape/And all the little children/Whose necks I do break
That's when I satisfy/What I hold most dear/I kick a little baby/Or maybe an old lady/I kick a little baby/Down the stairs


Nach 50 min, die wie im Fluge vergangen waren, gab es danach eine "kleine Pause". Anschließend ging es weiter am Flügel mit einem sehr ruhigen Liebeslied und die innige Phase durfte anhalten für Teardrops, bei dem Adrian auch das erste Mal zur singenden Säge greifen durfte. Aber diese nachdenklichen Nummern wurden natürlich in so einem Programm gleich wieder aufgebrochen. In diesem Fall durch den überdrehten Blues Pervert, der mit den bezeichnenden Worten endet:

I'm going down to Hell/Well I might see some of you/Some of you there as well


Die Gin-Polka ließ die Stimmung anschließend wieder auf Mittanzen umschlagen. Das Publikum wurde dabei gleich übermütig und rief immer wieder "milk" hinein, wenn Martyn auf "gin" wartete. Mit Sailor wurde es aber anschließend wieder etwas rezitativer 

I'm sailor I'm full of fun/I'm bulging now and full of cum/I need a whore I need her now/she could be innocent or a cow

Das Stück nahm nach einiger Zeit etwas Fahrt auf und auf der Bühne wurde ein Orgasmus zelebriert, bis der Blick zur Uhr wieder in Erinnerung brachte, dass es bei allem nur um ein Geschäft geht.


Säge und selbstgebaute Ukulele waren anschließend wieder für eine ruhigere Nummer vereinigt, bevor es zum ersten Mal die Gelegenheit gab, sich einen Song zu wünschen. Mein übernächster Nachbar war darauf offensichtlich bestens vorbereitet und stimmte laut für Five o'clock, das übermütig von der Bühne her aufgenommen und im Walzertakt durchgepeitscht wurde.


Beim weiteren wünschen gab es einiges durcheinander und die Band entschied sich schließlich für Souvenirs und Jesus als letzte Songs des Sets. Natürlich musste es aber auch noch Zugaben geben. Die Band kehrte zurück mit einem fulminanten Crack of doom:
Your life has failed/You've made the progress of a snail/Don't worry you'll get your revenge/For we're all equal in the end war eigentlich ein würdiger Schlußpunkt. Aber das Publikum war anderer Meinung und klatschte weiter um Musik. Für die zweite Zugabe waren wieder Wünsche gefragt, aber Bully Boys und Send in the Clowns (am Flügel) standen wohl doch vorher schon fest...
   

Anschließend waren alle drei Musiker noch am Merchstand zu finden und versuchten geduldig, allen Wünschen nach Autogrammen und gemeinsamen Photos gerecht zu werden.

(*) Die Schwestern Boekbinder machen inzwischen beide andere Projekte und Zoe machte uns im Mai die Freude, uns für drei Wohnzimmerkonzerte zu besuchen.




 

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