Donnerstag, 5. Juli 2007

Rückblick: Furia Sound Festival, Cergy-Pontoise, 01.07.2007


Konzert: Furia Sound Festival

Ort: Cergy-Pontoise bei Paris
Datum: 01.07.2007
Zuschauer: ein paar Tausend


Heute gab es für mich eine Premiere zu feiern, allerdings keine musikalische, sondern lediglich eine verkehrstechnische. Zum ersten Mal in meinem Leben (eigentlich unglaublich!) stieg ich in Paris in einen RER-Zug (vergleichbar mit der deutschen Straßenbahn), um von Paris zum Festivalgelände von Cergy-Pontoise zu gelangen, wo wieder das Furia Sound Festival ausgetragen wurde. Schon letztes Jahr war ich dabei und erfreute mich an hochklassigen Acts, wie z.B. den Editors, Art Brut oder den Young Knives.

Dieses Jahr stammten die für mich interessanten Künstler aber eher aus den USA, als aus England, denn Sonic Youth und QOTSA gaben sich am heutigen Sonntag, dem dritten Festivaltag die Ehre. An den Tagen zuvor hatten in meiner Abwesenheit u.a. die Rakes, Frank Black (Pixies) und die brasilianischen Newcomer Bondo Da Role für Stimmung gesorgt.

Vor und nach diesen großartigen Headlinern hatten die Veranstalter aber auch vernünftige "Lückenfüller" aufgeboten, damit keine Langeweile aufkam.

Als erste Gruppe des Tages sahen Cécile und ich auf einer der beiden Nebenbühnen die spannende Tuareg-Band Tinariwen aufspielen. Bei den Tuaregs handelt es sich
um einen nordafrikanischen Nomadenstamm, der in der Wüste lebt. Die Band wurde bereits 1982 gegründet, nahm aber sämtliche Aufnahmen zunächst nur auf Cassetten auf. Erst in den 2000-er Jahren erschienen auch außerhalb von Afrika die beiden Alben "Amassakoul" (2004) und das aktuelle "Aman Iman"-Water is life. Von diesen beiden Alben stammte dann auch der Großteil der heute gespielten Lieder.

Beim Blick auf die Bühne erspähte ich sechs nicht mehr ganz junge Männer,
bekleidet mit den wunderschönen traditionellen Kostümen der Wüstenvölker. Die Gesichter der Männer waren verschleiert, lediglich der Sänger und Gitarrist Ibrahim offenbarte sein unverhülltes Haupt der Öffentlichkeit. Es war verblüffend mit anzusehen, wie die Begleitsänger der Band teilweise durch ihren "Mundschutz" hindurch ins Mikro sangen. Um ihren hypnotischen Wüsten-Blues zu produzieren, benötigte die Band drei Gitarren, einen Bassisten und einen weiteren Musiker, der eine traditionelle afrikanische Trommel einsetzte. Wie man aus der Biographie der Band erfahren kann, waren Tinariwen die ersten Tuareg, die elektrische Gitarren einsetzten. Neben diesem Einsatz moderner Instrumente schien mir aber insbesondere der tribalisch anmutende Chorgesang und vor allem die sich im Verlauf immer weiter steigernden Tanzeinlagen des ältesten Bandmitglieds, der auch als Background-Sänger fungierte, wichtig für das Gelingen des Auftritts zu sein. Der "Alte" führte zunächst wie ein Kind seine Hände zum Klatschen zusammen, um schließlich angetrieben von den Reaktionen des Publikums immer mutiger und wilder zu werden. Am Ende tanzte er wie ein Schlangenbeschwörer hin und her und brachte die Franzosen so gehörig in Wallung. Er schien die Leute aus dem Augenwinkel zu beobachten und freute sich diebisch, wenn sie mitklatschten. Ganz schleichend wurde das Tempo der Musik immer schneller und die Gesten der Musiker selbstbewußter, bis am Ende jegliche Scheu abfiel und sie wild hin und her sprangen. Lediglich Sänger Ibrahim blieb stoisch und bewegte sich kaum. Auch seine Mimik war sehr spärlich. Er schien der schüchternste Musiker von Tinariwen zu sein, so etwas hatte ich von einem Sänger auch zuvor noch nicht gesehen.

Was er da so sang, war für mich übrigens logischerweise nicht verständlich, da ich der Sprache Tamashek, der sich Tinariwen bedienen, nicht mächtig bin, aber das machte nichts. Musik muß man fühlen und Emotionen haben Tinariwen nicht nur bei mir ausgelöst. Sicherlich kein Stil für's tägliche Hören, aber wenn man sich auf die für unsere Ohren leicht exotischen Klänge einlässt und sich dabei beispielsweise eine karge Wüstenlandschaft vorstellt (was man aber nicht zwangsläufig muß!), so kann man schnell dem hypnotischen Zauber, der "Aman Iman" innewohnt, verfallen!

Später am Nachmittag heizten dann die Franzosen von Superbus dem Publikum
vor der Hauptbühne ein. Die fünfköpfige Band wird angeführt von der bildhübschen und äußerst stylishen Jennifer Ayache, die ein paar Jahre ihres Lebens in den USA verbracht hat. Die tollen schwarzen Haare, die super Figur von Jennifer und ihre modischen roten Lackschuhe waren leider aber auch schon das Beste am Set der in den Charts extrem erfolgreichen Lokalmatadoren, denn ihre Musik ist leider höchstens Mittelmaß. Mit ihrem auf kommerziell getrimmten Allerweltsrock, den sie zum Großteil auf französich singen, schafften sie es zwar für ordentliche Stimmung zu sorgen, aber nicht mein Indie-Herz zu gewinnen. Im Grunde genommen ziehe ich charmant gemachten Pop diesem Pseudo-Rock allemal vor, auch wenn das abschließende Stück "Butterfly" durchaus das Zeug zu einem sog. guilty-pleasure hat (guilty pleasure = Lieder aus den kommerziellen Charts, die man eigentlich hassen will, aber klammheimlich unter der Dusche singt...).

Der Abend war schon eingefallen, als der schwedische Singer/Songwriter Peter von Poehl sein Set auf der zweiten Nebenbühne begann. In Frankreich ist der Mann
spätestens seit dem Erscheinen seines 2006er Albums "Going Where The Tea Trees Are" in Insiderkreisen eine Art Star. In der Jahresbestenliste 2006 der renommierten Zeitschrift "Les Inrockuptibles" (Inrocks) erreichte der Longplayer einen der vorderen Plätze.

Im Grunde genommen ist Peter ja auch schon ein bißchen ein Franzose, denn er lebt schon lange in Paris, beherrscht die Sprache folglich sehr ordentlich und musizierte bereits als Gitarrist in der Band von Bertrand Burgalat, AS Dragon. Ob seine Solokarriere wohl auch in Deutschland
in die Gänge kommt? Zu wünschen wäre es ihm, schließlich ist das Album inzwischen in Germany erschienen und Herr von Poehl wohnt sogar neuerdings in Berlin.

Heute hatte er sogar eine richtige Band dabei, mit Tropeter, Saxophonist und Klarinettist, was den Sound
deutlich aufmöbelte. Leider war der junge Schwede stimmlich dieser Hintergrundmusik nicht völlig gewachsen, denn oft hatte er gerade in den hohen Lagen so seine Probleme, sich gegen seine Musikerdurchzusetzen. Ich denke, Peter von Poehl sollte man lieber in kleiner intimer Atmosphäre in einem kuscheligen Club genießen, als auf einem Festival. Allerdings wurde er im Verlaufe des Konzerts immer sicherer und besser und setze mit dem flotten "Broken Skeleton Key" ein echtes Highlight. Fast noch schöner war gleich im Anschluß das wundervolle "Going Where The Tea Trees Are", bei dem der Saxophonist seinen großen Einsatz hatte. Auch "The Story Of The Impossibel" und das abschließende "Lost In Space" gefielen mir, aber als es gerade am Schönsten geworden war, mußte man sich Richtung Hauptbühne bewegen, um nicht den Beginn der Queens Of The Stone Age" zu verpassen.

Hier ist die Setlist von Peter von Poehl vom Furia Sound Festival:

01: Little Creatures
02: Travelers
03: Scorpion Grass
04: Tooth Fairy Part 2
05: The Lottery
06: A Broken Skeleton Key
07: Going Where The Tea Trees Are
08: The Story Of The Impossible
09: Lost In Space

Vom Auftritt der Queens Of The Stone Age hatte ich ja ausführlich berichtet, aber noch nicht von der anschließenden Performance der Kanadier von You Say Party! We Say Die! Angeführt von der quicklebendigen Becky Ninkovic gab das Punk-Quintett von Beginn an mächtig Gas und sorgte so für einen gelungenen Abschluß des Abends. Gerade ist ihr zweites Album "Lose All Time" erschienen und schon setzt es wieder herbe Kritik von Seiten der Musikjournalsiten. Der NME verteilte z.B. nur fünf Punkte und schließt sich somit der Schaar der Lästerer an, die YSP!WSD! für banal und wenig originell halten. Vielleicht sollten sich die Schreiberlinge die Kandier erst einmal live zu Gemüte führen, bevor sie urteilen, denn wie schon bei meinem ersten Konzert, enttäuschte mich die Gruppe keineswegs. Bereits der Opener "The Gap" vom Debütalbum ging gewaltig in die Beine und bestätigte mich in der Auffassung, daß die Band einfach unterschätzt wird. Zwar mag die Musik der Nordamerikaner über eine gesamte Albumlänge etwas monton sein, live ist aber auf jeden für Kurzweil gesorgt. Die neuen Titel wie "Downtown Mayors", "Quite World", oder "Opportunity" zogen schon sehr gut, aber selbstverständlich war das alte "Stockholm Syndrom" Abräumer des Abends. Überhaupt schien die Kapelle im siebten Himmel zu sein, denn sie spielten auf dem gleichen Festival wie ihre großen Vorbilder Sonic Youth. "A dream came true, we can die now", kommentierte Becky dieses Ereignis. Außerdem: "We never played on a festival at night, normally we have to perform in the early afternoon". So kann es gehen, heute fielen Ostern und Weihnachten halt eben zusammmen! Sogar eine Zugabe (relativ ungewöhnlich bei Festivals) durfte sie noch abfeuern, denn schließlich solle man ja nicht ohne "Midnight Snack" nach Hause gehen. Stimmt, aber das Lied reichte nicht, um meinen leeren Magen zu füllen, vor der Heimreise würgte ich noch einen relativ ekligen Döner hinunter, um die Rückfahrt nach Paris zu überstehen...

Auszug aus Der Setlist You Say Party! We Say Die! : (in der richtigen Reihenfolge)

- The Gap
- Five Year Plan
- Cold Hands! Hot Bodies!
- Downtown Mayors
- Quiet World
- Opportunity
- Stockholm Syndrom
- Giant Hands

- Midnight Snack (Z)


 

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