Montag, 18. November 2019

Björk, Esch-sur-Alzette, 16.11.19


Konzert: Björk (Cornucopia)
Ort: Rockhal, Esch-sur-Alzette
Datum: 16.11.2019
Dauer: gut 115 min
Zuschauer: 6.500 (ausverkauft)




Die Tour hat eine eigene Wikipedia-Seite, das wusste ich. Björk wechselt das Kostüm und es wird einen Chor und ein Flötenensemble geben. Mehr hatte ich nicht mitbekommen und ganz bewußt darauf verzichtet, irgendetwas über Cornucopia zu lesen. Das Konzert-Ticket war das zweitteuerste* meines Lebens, also wollte ich mich überraschen lassen.

Wir hatten Karten für den Golden Circle gebucht, den abgetrennten Bereich direkt an der Bühne (benannt nach den kreisförmig um Reykjavík angeordneten Super-Sehenwürdigkeiten). Die riesige Bühne war von einem Streifenvorhang verhüllt, auf dem ein Füllhorn zu sehen war, das Motto der Tour. In den nächsten anderthalb Stunden hörten wir Vogelgezwitscher vom Band. Auch wenn das nur der Ersatz für das Lieblingstape des Tonmanns war, war deutlich, daß die (eher tropischen) Vögel bereits zum Programm gehörten. 

Vor dem Vorhang war ein schmaler Streifen Bühne, im goldenen Schnitt eine kleine Vorbühne, auf der ein rundes Podest montiert war. Darauf würde, wenn alles gut liefe, Björk wohl auch einmal während des Konzerts stehen. Spannender war der zu der runden Bühne passende Ring, der genau darüber unter der Decke hing. Würde von da etwas runtergelassen? Oder jemand hochgezogen? Es fing um halb neun viel weniger spannend und doch unendlich viel aufregende an: eine Trompeterin und ein Trompeter (in Tracht) kamen auf die Bühne, stellten sich vor den Streifenvorhang und begannen ein Stück. Nur zwei Trompeten. Danach senkten sie ihre Instrumente und sangen. Es erklangen aber nicht ihre beiden sondern viel mehr Stimmen, die Menschen dazu (16 - acht Frauen und acht Männer, die Frauen in verschiedenen Trachten) traten vor den Vorhang. Es war erhaben schön. 

In der nächsten guten Viertelstunde sang der Chor verschiedene Stücke, darunter Björks Cosmogony. Þorgerður Ingólfsdóttir, die Gründerin des Hamrahlid-Chors, dirigierte die Sängerinnen und Sänger aus dem Fotograben, mit einem Strahlen im Gesicht und sang immer wieder Zuschauer an. Bei Cosmogony sah es aus, als singe sie ein Duett mit einer Frau jenseits des Gitters. 

Danach wurde irgendwann der Streifenvorhang zur Seite gezogen, wir guckten aber noch nicht auf die Bühne, es waren noch mehrere andere Schichten Vorhänge davor. Diese dienten während des Konzerts in unterschiedlichem Umfang als Projektionsflächen. Alleine das Auf- und Zuziehen der verschiedene Stoffe erforderte eine irrsinnige Choreografie. Einer der schönsten Effekte entstand irgendwann tief im Konzert. Die kaum wahrnehmbare Schicht war vor Björk und ihren Begleiterinnen und Begleitern. Das sah ich aber erst, als auf der Schicht Blütenstaub-Animationen erschienen. Diese Kombination aus Realität mit perfekter Zusatzgrafik war eines der großen Highlights des Abends. Aber davon gab es so viele!

Hallraum (Skizze)
Zurück nach 20:47 Uhr! Der Vorhang, auf dem an Anfang eine riesige Superheldinnen-Björk projeziert war und hinter dem die echte sang, ging auf und zeigte uns erstmals die ganze Bühne. Es gab mehrere Ebenen, alle Formen waren organisch rund. Rechts und links am Rand waren die Stationen des Schlagzeugers und des Keyboarders (sehr amateurhaft ausgedrückt). Die Gestelle, auf denen die elektronischen Instrumente standen, sahen aus, als habe sie Luigi Colani designt. Die rechte Ecke der Bühne nahm eine Trollhütte (Arbeitstitel) ein, in Wirklichkeit ein Hallraum, der von außen wie ein Pacman-Geist aussah. In diese Reverb-Hütte ging Björk während des Konzerts immer wieder (bei Shame is forgiveness zum ersten Mal), die Effekte auf ihre Stimme waren extrem hoch spannend und immer verschieden.

Neben Chor, Percussion, Elektronik und Björk standen eine Harfe-Spielerin und - besonders prominent - ein Flötenseptett (Viibra aus Reykjavík) auf der Bühne. 

Bei Venus as a boy kam Björk erstmals vorne auf "unsere" runde Bühne. Eine der Flötistinnen begleitete sie dabei und drehte sich während des Lieds zu ihrer Sängerin um, wieder einer dieser vielen wunderschönen Momente des Abends. Ich stand da schon lange nur noch mit offenem Mund rum und wirkte wie ein Siebenjähriger in Phantasialand. 

Bei einem der nächsten Lieder spielte der Percussionist ein Instrument, das ich bis dahin noch gar nicht wahrgenommen hatte, eine Art Wasserorgel, er ließ Wasser auf Resonanz-Flächen laufen, trommelte dann aber auch auf denen. So fantastisch wie die organische Utopie-Bühne aussah, hörten sich diese Töne an. 

Die nächsten fünf Minuten muß ich ausführlich beschreiben. Der Chor kam zurück auf die Bühne, ganz in weiß gekleidet. Es schneite. Björk kam auf die kleine runde Bühne, auf drei Seiten von Zuschauern umringt. Direkt neben sie knieten sich vier der Flötistinnen. Der Metallring, dessen Funktion wir immer noch nicht verstanden hatten, senkte sich dank riesig großer Gegengewichte am rechten Hallenrand auf Höhe der knienden Musikerinnen, die ihn zurechdrehten und daruf Flöte spielten. Der Metallkranz war eine große Querflöte - und ich heilfroh, vorher nichts davon gelesen zu haben! Während des Lieds fuhr der Kranz wieder etwas hoch, die Flötistinnen stellten sich und spielten stehend weiter, mal alle vier, mal nur einzelne. 

Bei Features creatures drehte das Viibra-Septett etwas um die Köpfe, was wie Staubsaugerrohre, in denen eine blaue Lampe den Eingang verstopft, aussah. Dahinter, davor, daneben immer wieder Animationen von Pilzen, Pflanzen, mutierten Lebensformen. Mein liebster visueller Effekt waren Animationen von den Schnüren des Streifenvorhangs, die wirkten, als seien die einzelnen Schnüre oben ausgerissen und windeten sich im Wind. Vermutlich meinte das etwas ganz anderes, es sah jedenfalls fantastisch aus. Auf dem Streifenvorhang spielten irgendwann auch Musikerinnen wie auf einer Harfe.

Björk hatte während des Großteils des Konzerts ein Kostüm an, daß riesige Kugeln an den Schulten hatte, die rechte hatte einen schrägen Schlitz, der ihre Mikro-Hand beweglich hielt. Zu den Zugaben trug sie ein Blütenkelch-Kleid. Details dazu - und zu allem anderen finden sich auf der enorm ausführlichen Wikipedia-Seite der Tour, die ich - merkt man vielleicht - bewußt noch nicht gelesen habe. 


In der Pause für den Kostümwechsel erschien Greta Thunberg auf der Leinwand und redete davon, wie sie als 75-jährige sich ihren Kindern und Enkeln gegenüber zu verantworten habe. Inhaltlich und ästhetisch passte dieses Element perfekt zum Konzert.

Setlist Björk, Rockhal, Esch-sur-Alzette:

01: The gate
02: Utopia
03: Arisen my senses
04: Show me forgiveness
05: Venus as a boy
06: Claimstaker
07: Isobel
08: Blissing me
09: Body memory
10: Hidden place
11: Mouth's cradle
12: Features creatures
13: Courtship
14: Pagan poetry
15: Losss
16: Sue me
17: Tabula Rasa

18: Future forever
19: Notget

Links:

- Björk, Reykjavík, 05.11.16 
- Björk, Reykjavík, 05.11.16
- Björk, Ferropolis, 20.07.08



* mein teuerstes Konzert war Björk in Reykjavík



 

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