Sonntag, 20. November 2016

Björk, Reykjavík, 05.11.16


Konzert: Björk &
  Streicher der Sinfóníuhljómsveit Icelandic Symphony
Ort: Saal Eldborg im Konzerthaus Harpa in Reykjavík
Datum: 5. November 2016
Dauer: 110 min
Zuschauer: 1800 - ausverkauft


Die tollen Bilder sind von Claudia - Vielen Dank! 

Es hatte sich ein wenig bescheuert - bestenfalls abenteuerlich - angefühlt, den stolzen Preis für das Björk-Konzert am Samstag Nachmittag auf ein ohnehin fantastisches und zu volles Airwaves-Programm draufzulegen (*). In den Tagen des Festivals hatte sich dieses Gefühl immerhin schon konsolidiert zu: Wie toll, dass wir wenigstens einmal ins Allerheiligste der wunderschönen Harpa kommen werden... Im Konzert jedoch habe ich mich von Gefühlen überwältigt erlebt, die ich mir (und in Wirklichkeit wohl auch Björk) nicht zugetraut hätte. Spätestens als Björk kurz vor Ende der ersten Hälfte am Bühnenrand stehend immer wieder in den Zuschauerraum sang hear me/heal me brachen bei mir alle Dämme. In der Pause schauten wir drei uns an wie weihnachtlich beschenkte Kinder - die Augen konnten schon sprechen über das wofür mir auch heute zwei Wochen später noch die Worte fehlen.


Natürlich ist Björk ein Phänomen. Weltweit und erst recht in Island. Sóley hatte ihre Cellistin vorgestellt als She plays with our Björk. Darüber hinaus ist sie schon so lange in meinem Leben präsent. Zu Beginn ihrer Solo-Karriere lief ihre Musik bei mir sehr viel und diese fast 20 Jahre alte Musik hat sich noch gar nicht abgenutzt und ist auch heute noch einzigartig und uneingeholt. In der Zwischenzeit fühlte ich mich ihr aber mehr als Frau verbunden, die in einem von Männern domierten Feld so ungestört wie möglich versucht, ihre Ideen zu verwirklichen - ihre Musik berührte mich nur noch punktuell, dafür faszinierten mich ihre Ideen, ihre Energie und dass sie mir auch als Weltstar noch so menschlich erschien - kein Idol sondern ein Vorbild. Zufällig über dieses Segment meiner täglichen Leseportionen hatte ich auch vom neuesten Album erfahren. Vulnicura - das Album, in dem sie dokumentierte, wie sie sich aus dem schwarzen Loch herauskämpfte, das sie nach der Trennung von ihrem langjährigen Lebenspartner aufgesogen hatte. Ein Album, das zunächst lange nur als Streicherstimmen existiert hatte.

In Wirklichkeit hatte ich aber vor dem Konzert gar nicht darüber spekuliert, was Björk uns in der Harpa vorsetzen würde. Und ich hatte auch noch gar nicht in Vulnicura hineingehört (wofür ich ja knapp zwei Jahre Zeit gehabt hätte). Dies war aber vielleicht auch gut so, denn so traf mich das Album mit voller Wucht in einer Verfassung wo ich bereit zum zuhören war. Begleitet nur von einem Orchester aus 27 Streichern (je neun Geigen, Violen und Celli). Was in dem Umfeld einer so großen Konzerthalle wie eine kleine, eine Kammerbesetzung wirkte. Für die zweite Hälfte wurden später noch zwei Kontrabässe hinzugefügt, was wirklich einen großen Klangunterschied machte. Es gab eine dezente Lichtshow und bis zur Pause fast keine Ansagen außer einem kleinen Tak.

  

Mit dem Abdunkeln hatte sich eine fast mit Händen greifbar andächtige Stille über den Raum gelegt. Das Konzert begann mit rufenden Klängen, die dann von den Celli fürsorglich durch den ganzen Song getragen wurden. Schon in diesem Moment fühlte ich mich wie ein Narr, denn natürlich würde dies ein herrliches Konzert werden! Show me emotional respect traf mich als erste Textzeile auch mitten ins Herz kaum dass das Konzert richtig begonnen hatte. Und in dem Moment dämmerte mir auch, dass wir wohl das Trennungsalbum hören würden. Eine Erfahrung die so ganz und gar persönlich wie absolut universell ist, da sie uns auf die tiefsten Fragen zurückwirft: Wer bin ich, wenn ich nur mit mir bin. Und ich gar nicht mehr jung bin und ich einem jungen Menschen eine geborgene Kindheit geben wollte. In der für mich heimatlichen Umgebung eines Konzertsaales im klassischen Musikstil erzählt, konnte ich mich auch an diesen Abgrund heranwagen obwohl Björk gerade in dieser ersten Hälfte so viel Trauer mit uns teilte. Insbesonder Black lake war kurz vor dem nicht mehr erträglichen. Aber wie sagte Björk selbst: It's a sign of maturity to be stuck in complexity (Lionsong)
 


Angenehm fand ich dabei, dass der Konzertsaal wirklich alle dazu anhielt nur zu hören und sich während der Lieder nicht zu äußern und selbst der Applaus kam mir zwischendurch wie ein unbefugtes Eindringen vor, das dem Fluß des Geschehens auf der Bühne nicht gerecht wurde. Besonders aufwühlend war für mich in diesem ersten Teil der Song Family.

 Is there a place where I can pay respects 
 for the death of my family

 How will I sing us out of this sorrow
 Build a safe bridge for the child out of this danger


Erst ganz zum Schluß bei Notget wurde auch Wut fühlbar darüber, dass sie aus eigener Kraft nicht verhindern konnte, dass ihr das Wichtigste genommen wird.
 


Nach dem ersten Teil wurde der Zyklus von Vulnicura nicht einfach fortgesetzt - statt dessen gab es z.B. mit I've seen it all ein wiederhören mit einem wohlvertrauten Song. Thematisch wurde der Zyklus schon fortgesetzt, auch wenn er sich nicht an die Tracklist des Albums hielt, es war aber mit dramatischerem Impetus und mehr von einem inneren Aufbruch gezeichnet und endete mit einer dramatischen Tangoversion von Bachelorette. Björk stellte uns im Anschluss vier Musiker vor, die schon vor fast 20 Jahren beim Album Homogenic dabei gewesen waren und beschrieb, dass die Proben für das Konzert daher für sie sehr emotional gewesen seien.

Natürlich musste es eine Zugabe geben - und was für eine. Wir sollten mitsingen und Björk selbst stand auf der Bühne voller Kraft - rockröhrig als Trolls Schwester und gab uns einen Arschtritt zurück in die Welt:

 Excuse me / But I just have to Explode
 Explode this body / Off me 
 I'll be brand new / Brand new tomorrow
 A little bit tired / But brand new



Setlist:
01: Stonemilker
02: Lionsong
03: History of Touches
04: Black Lake
05: Family
06: Notget

- Pause -
07: Aurora
08: I've Seen It All
09: Jóga
10: Vertebræ by Vertebræ
11: Quicksand
12: Mouth Mantra
13: Bachelorette

14: Pluto   (Z)


(*) Das spontante Ja folgte wohl eher einer gewissen Tradition, Pop-Ikonen für die ich in Deutschland nicht arg weit fahren würde, einmal im Leben ausgerechnet in Island live zu sehen. Wobei es für Björk ja wenigstens ein logischer Ort war und ich mir in jedem Fall ein sehr gutes Konzert versprach, allerdings im Vergleich zu anderen Airwaves Konzerten eher im unteren Mittelfeld der Island Erinnerungen 2016.

eindrucksvolle Fotos
treffender Bericht 

Aus unserem Archiv:
Björk, Melt!, 20.07.08
Alle Konzertberichte vom Iceland Airwaves



 

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