Konzert: Okta Logue
Ort: Roxy, Ulm
Datum: 05.09.2013
Dauer: 83 Minuten
Zuschauer: vllt. 150
„Habt ihr Lust auf noch eine Runde?“ Benno Herz reißt den Fender-Jazzbass, um „Decay“ nach über 20 Minuten zum krönenden Ende zu führen, herum. Es ist der letzte Song des regulären Sets, Okta Logue ziehen noch einmal alle Register ihres Könnens, zeigen sich im virtuosen Zusammenspiel als aufregendster Act, den dieses Land derzeit zu bieten hat. Kaum ein Song zeigt diese Vorreiterstellung deutlicher als „Decay“. Das Endstück des Debütalbums „Ballads Of A Burden“ vereint Pychedelic-Rock, elektronische Spielereien, Bläsersätze und echten Groove.
Die schätzungsweise 150 Zuschauer im Ulmer Club Roxy sind begeistert. Okta Logue verlangen ihren Zuhörern hohe Aufmerksamkeit ab, wer der Band folgt, genießt still. Schwül ist es, trotz geöffneter Fenster schlägt die drückende Luft auf die Stimmung, dann geht das Licht aus. Die elektronische Klangfläche, die „Transit“, den Titeltrack des aktuellen Albums, eröffnet, erschallt. Unauffällig durchqueren Benno Herz (Gesang und Bass), sein Bruder Robert (Schlagzeug), Philipp Meloi (Gitarre) und Nicolai Hildebrandt (Keyboards) den Raum, betreten die Bühne im linken Eck des Saals.
Die vier jungen Hessen in den frühen bis mittleren 20ern eröffnen das Konzert mit gleich vier Stücken des zweiten Albums. Erstmals beim Releasekonzert vor 1000 Zuschauern in der Centralstation in ihrer Heimatstadt gehört, schätze ich die Stücke von „Tales Of Transit City“ als hochklassige Exempel zeitgenössischer psychedelischer Rockmusik.
Keine andere deutsche Band jüngeren Datums befindet sich derzeit auf einem höheren internationalen Niveau. Auftritte im Vorprogramm von Neil Young & Crazy Horse – dessen „Southern Man“ sie im Mai gemeinsam mit Bees Village formvollendet coverten – in Köln und Stuttgart und die erste US-Tour in wenigen Wochen sprechen eine deutliche Sprache. Prominente Fans und Fürsprecher reichen von Casper bis zu Tocotronics Jan Müller, die Alben erschienen auf einem Major-Label: Das Beispiel Okta Logue lässt mich den Hauch von Gerechtigkeit im tristen Musik-Business spüren.
„Let Go“ folgt auf „Transit“: der beschwingte, klassische Popsong mit schönem Choreinsatz besitzt echtes Hitpotential und beweist, dass auch eine komplexe Rockband manchmal nicht mehr als drei Minuten benötigt, um ihr Können zu beweisen. Genau wie die kommende Single „Dream On“, die besser ist als alle gleichnamigen Hits, die mir spontan einfallen, lässt der Song wenig Zweifel im Hinblick auf die glorreiche Zukunft Okta Logues zu.
Spätestens mit „Tales Of Transit City“ hat sich das Quartett von reinen Retropfaden entfernt, von den überlebensgroßen Vorbildern, von Pink Floyd, Frank Zappa emanzipiert, was sich auch in der Breite des erreichten Publikums zeigt. Von Zielgruppe kann keine Rede sein, vergeistigte Artrockfans mit langer, ergrauter Mähne reagieren genauso überschwänglich wie Mit-40er in Pink-Floyd-Shirts, Kettcar-Hörer und jugendliche Hipstermädchen oder Electro-affine Teenager.
Eine gewichtige Rolle spielt hier Nicolai Hildebrandt, der an den Keyboards nicht nur mit Orgelparts a la Jon Lord daherkommt, sondern mit geschickt gesetzten elektronischen Zwischenspielen Genremauern zum Einsturz bringt.
Der ruhige, fast schwebende Beginn von „You“ nimmt einen physisch mit, der Progrocker im rosafarbenen Batikshirt vor mir öffnet die zum Pferdeschwanz gebundenen, weißen Haare, führt einen Ausdrucktanz vor, alles versinkt in Musik, während Benno Herz mit sanfter Stimme melancholische Zeilen mit psychedelich-metaphorischen Bildern singt, „And you're acting like you're / Always on the run. / But you're a buried seed / That has never seen the sun“. Robert Herz, der sich vor kurzem von seinen langen Dreadlocks getrennt hat, hält mit seinem überaus soliden Beat das Ganze zusammen und gibt Philipp Meloi die nötige Freiheit für unaufdringliche Soli im Stile David Gilmours.
„Ich nehm' euch mit auf einen Trip“, ist so eine Klischeeansage progressiver Rockbands, die man niemals live hören möchte und bei Okta Logue auch nie hören wird, die Südhessen verzichten auf Plattitüden, der musikalische Trip ist ohnehin gesichert. „Wir wollen nun einen unserer ersten Songs spielen, der auch auf unserem Debütalbum gelandet ist“, kündigt Herz „Just To Hear You Sleep“, einen Orgel getragenen Mid-Tempo-Rocker mit markantem Gitarrenriff an. Naturbilder werden imaginiert, mit Emotionen verbunden. Der erste Song des Debütalbums, der heute Abend gespielt wird, gehört erfahrungsgemäß zu den Highlights eines jeden Okta Logue – Konzerts.
Kurz darauf erschlägt mich „Shine Like Gold“ mit unprätentiösen Gitarrensoli und zartem Gesang Benno Herz' förmlich. Ich sehe die Band zum fünften Mal in 14 Monaten und bin stets aufs Neue überwältigt. Nach subtil an The Whos „Tommy“ angelehnten Zeilen, setzt Hildebrandt mit der Trompete ein, der Song erreicht seinen Schlusstakt in instrumentaler Ekstase.
Nach dem neuen Lied „Judith“, setzt Okta Logue bei „Deal With The Digger“ glanzvoll dort ein, wo „Shine Like Gold“ endet. Im neuen Arrangement ohne Akustikgitarre werden andere Schwerpunkte gesetzt. Trotz erhöhtem Tempo und härterer Gangart, berühren die düsteren Verse des Western infizierten Wüstensongs. „You trade your soul for a kiss“, singt Herz, staubige Bilder in schwarz-weiß entstehen vor dem inneren Auge, bevor das klaustrophobische Stück mit einem resignierten Rat und wunderbarem Bassspiel endet.
Die meisten Leute wurden durch das brillante Video zu „Bright Lights“ auf Okta Logue aufmerksam und so ist es wenig verwunderlich das bereits das imposante Intro verhaltenen Zwischenapplaus auslöst. Dass das Publikum meist in andächtiger Stille verharrt, wertet Benno Herz ehrlich als Kompliment: „Ihr hört so ruhig zu, ich nehme an, weil es euch gefällt“.
Mit dem letzten „I paint the sky“ verklingt der wahrlich groovende Hit, um in das sphärisch-experimentale Meisterwerk „Decay“ überzugehen. Etwas mehr als zwanzig Minuten später verlassen Hildebrandt, Meloi und die Herz-Brüder die Bühne.
Frenetischer Jubel, skandierte „Ohohs“ werden mit zwei fulminanten Zugaben gekrönt. In seiner gesamten, kuriosen Ästhetik könnte „Mr. Zoot Suit“ auch aus der Feder Syd Barrets entstammen. Dass Okta Logue trotzdem nie wie Epigonen des Masterminds der frühen Pink Floyd wirken, liegt ebenso an der instrumentalen Brillanz der Band wie an den enormen Songwriter-Qualitäten. Nach sperrigem, progressiven Klängen verabschieden sich die Darmstädter mit „Chase The Day“, fünf Minuten perfekter Popmusik. Das höflich reservierte Ulmer Publikum tobt, viele werden wiederkommen - immer wieder.
Okta Logue sind auf dem unaufhaltsamen Weg an die Spitze. Vier Jahre nach der Gründung ist das Quartett mehr als eine dahergelaufene Retro-Revue, es ist der Act, an dem sich deutsche, aufstrebende Bands mit internationalen Ambitionen künftig zu messen haben.
Setlist Okta Logue, Ulm:
01: Transit
02: Let Go
03: Dream On
04: You
05: Just To Hear You Sleep
06: "Everyday" (?)
07: Shine Like Gold
08: Judith
09: Deal With The Digger
10: Bright Lights
11: Decay
12: Mr. Zoot Suit (Z)
13: Chase The Day (Z)
Links:
- aus unserem Archiv:
- Okta Logue, Darmstadt, 17.05.2013
- Okta Logue, Stuttgart, 22.07.2013 (folgt)
Tourdaten Okta Logue:
07.09.2013 Wiesbaden, Schlachthof
10.09.2013 Hannover, Café Glocksee
11.09.2013 Bremen, Tower Musikclub
12.09.2013 Kiel, Schaubude
14.09.2013 Dresden, Beatpol
25.09.2013 Hamburg, Reeperbahn Festival
02.10.2013 USA – New York, Mercury Lounge
04.10.2013 USA – Philadelphia, Ortlieb´s
08.10.2013 USA – Seattle, Barboza
10.10.2013 USA – San Francisco, Rickshaw Stop
11.10.2013 USA – Los Angeles, Culture Collide
14.10.2013 USA – Chicago, Schubas
15.10.2013 CA – Toronto, Horseshoe Tavern
25.10.2013 Osnabrück, Bastard Club
26.10.2013 Neumarkt i. d. Oberpfalz, Cooper’s
04.11.2013 München, Muffathalle (supporting Tocotronic)
06.11.2013 Leipzig, Werk 2
07.11.2013 Frankfurt, Zoom
08.11.2013 München, Atomic Café
09.11.2013 Stuttgart, Zwölfzehn
04.12.2013 Köln, Luxor
05.12.2013 Aschaffenburg, Colos-Saal
06.12.2013 Fulda, Kreuz
07.12.2013 Siegen, Vortex
09.12.2013 A-Wien, Chelsea
11.12.2013 Nürnberg, MUZ
12.12.2013 Freiburg, White Rabbit
13.12.2013 Augsburg, Kantine
14.12.2013 Weinheim, Café Central
1 Kommentare :
Wunderbar, als ob man dabei gewesen wäre. Inspiriert, die Bands live zu erleben
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