Dienstag, 27. November 2012

Shearwater, Paris, 23.11.12



Konzert: Shearwater (Jesca Hoop)
Ort: La Boule Noire, Paris
Datum: 23.11.2012
Zuschauer: nur halb voll (ich bin Optimist), also etwa 200
Konzertdauer: gut 80 Minuten



Schon verflixt, wenn man die Qual der Wahl hat. Da spielen am 23. November in Paris doch ausgerechnet auch noch 'Allo Darin & Myra Lee gratis im International, aber ich bin schon mit Shearwater verabredet und halte mein Date auch ein.



Andere Fans der Texaner sind da weniger treu. War die Show von Shearwater im Februar 2010 in der 500 Leute fassenden Maroquinerie noch ausverkauft, so fanden sich heute optimistisch geschätzt nur etwa 200 Besucher in der Boule Noire ein. Eine Denkzettel für das weniger gemochte aktuelle Album Animal Joy, Ausdruck einer allgemeinen Krise bei  Indie-Konzerten oder zuviel Konkurrenz am heutigen Tage auf anderen Bühnen der Stadt? Hmm, ich denke eine Mischung aus allen drei aufgezählten Faktoren.



Den musikalischen Höhepunkt hat die Band von Sänger Jonathan Meiburg sicherlich im Jahre 2009 mit ihrem vorzüglichen Album Rooks erreicht, an das qualitativ bisher nichts mehr rankam. Schlecht waren The Golden Archipelago und das 2012 Werk freilich nicht, aber einen gewissen Abschwung muss man dennoch nüchtern konstatieren. Dabei war ich 2009 davon überzeugt, daß die Gruppe noch deutlich größer und bekannter werden und es nur noch nach oben gehen würde. Aber ich lag falsch, weiß ohnehin nicht was ein breiteres Publikum mag oder nicht.



Das wichtigste ist eh, daß Shearwater nach wie vor eins sind: toll. In der Boule Noire zu Paris haben sie dies wieder einmal bewiesen. Von Anfang an machten sie wahnsinnig viel Druck, feuerten aus allen Rohren und klangen nach saftigstem Indierock und viel weniger nach Folk als damals. Alle ruhigen Elemente und Instrumente sind inzwischen verschwunden. Es gibt keinen Kontrabass mehr, auch keine esoterischen Flöten, keine mysteriösen Töne, die dadurch entstehen, daß ein Geigenbogen durch ein Xylophon gezogen wird und viel weniger Pianotracks. Shearwater 2012 das ist Rock pur. Wer befürchtete, Jonathan würde mit seinen Pianoballaden Chris Martin immer ähnlicher, kann aufatmen, in diesem Jahr speit der schlaksige Bursche Feuer, schreit rum wie ein Gestörter. Und das ist auch gut so, denn live berauscht nur weniges so gut wie kompromissloser, auf den Punkt gespielter Indierock ohne Schnörkel. Leute, die es geil finden, wenn ihre Ohren hinterher rauchen, kamen hier voll auf ihre Kosten. Vor allem das Schlagzeug knallte brutal laut aus den Boxen und die Gitarren und verzerrten Synthieparts erreichten ebenfals enorm hohe Werte auf der Dezibel-Skala. Für Meiburg war es dennoch kein Problem, über diese Gitarrenwände drüber zu singen. Er hat ein solch lautes und kraftvolles Gesangesorgan, daß er sicherlich noch einen Presslufthammer übertönen könnte. Dabei beherrscht er natürlich auch die leiseren Töne perfekt und sein Falsettgesang verdiente sowieso Schönheitspreise. Meistens sah man ihn heute aber mit weit aufgerissenem Mund und kämpferischer Pose.



Das Publikum dankte ihm und seiner Band den vollen Einsatz, die 200 Besucher klatschten und johlten regelmäßig euphorisch, wenn ein Song beendet wurde und hinterher sprach Meiburg noch ganz angetan auf glaubwürdige Weise von der "great crowd in Paris".



Ich persönlich amüsierte mich ebenfalls gut und konnte auch ein paar Highlights benennen. Das früh gebrachte Animal Life hatte berauschende Wirkung und bewies, daß das neue Album so schlecht nicht ist, Castaways vom Vorgänger kam herrlich melancholisch rüber und Open Your Eyes entwickelte sich überraschend gegen Ende zu einem wahren Killersong mit einem umwerfenden Instrumentalpart.


You As You Were war schnörkelos, catchy und flott, während Insolence subtiler aufgebaut war. Der Schlagzeuger hatte hier zunächst einen sich ständig wiederholenden Trommelrhythmus zu spielen, bevor Meiburg mit sanfter Falsettstimme einsetzte. Erst später wurden die Gitarren lauter, der Gesang von Jonathan fordernder. Es war ein ständiger Wechsel zwischen leisen und lauten Passagen. Für Leute die nur direkte zündende Songs mögen, war das wohl eher nix, aber ich empfand dieses mindestens 8 Minuten dauernde Stück als eines der spannendsten.


Unbedingt hervorzuheben auch die (halbe) Ballade für Jesca Hoop, die auf vorzügliche Weise solo in den Abend eingeleitet hatte (Born To in der langsamen Akustikversion absolut traumhaft!) und das ungemein stimmungsaufhellende Star Of The Age, bei dem sich die Band in einen regelrechten Rausch spielte.



Die Hits von Rooks kamen erst gegen Ende, genauer gesagt im Zugabenteil,  dann aber geballt. Leviathan Bound solo am Piano war atemberaubend intim, The Snow Leopard mit Band traumhaft schön und Rooks, das nach Black Eyes vom Album The Golden Archipelago perfomt wurde, verdiente nach wie vor die Krone des besten Lieds im Set. Nie haben Shearwater ihre Stärken mehr zur Geltung gebracht als hier, nie klang der Gesang von Meiburg berührender, die Melodie einschmeichelnder als auf dieser Perle. Es folgte noch das rockige Century Eyes und die Messe war gelesen.

Toll war's, wie immer bei Shearwater! Diese Band ist live einfach eine Bank.



1 Kommentare :

E. hat gesagt…

du hast das richtig analysiert. die letzten beiden alben waren ziemlicher käse. ob das allerdings von einem konzertbesuch abhielt, weiß ich nicht. 200 besucher sind natürlich schon ausgesprochen mager.

 

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