Mittwoch, 21. November 2012

Female Noise Pop/New Wave Revival, Paris im Spätherbst 2012




Konzerte: Female Noise Pop/New Wave Revival mit Video Love, Alex June, Happy New Year, Animal Bodies, Bestial Mouths, U.S. Girls
Orte: International und Espace B, Paris
Daten: 29.10.2012 (Video Love, Alex June und Happy New Year), 12.11.2012 (Animal Bodies & Bestial Mouths), 19.11.2012 (U.S. Girls)




Verschiedene Konzerte in einem Bericht zu verwursten mache ich sonst selten, aber hier passt es einfach musikalisch, so daß  eine Koheränz besteht. Bei all diesen Shows gab es nämlich Paralellen. Es stand jeweils eine Frau bzw. Sängerin an der Spitze der Band bzw. des Soloprojekts, die stilistischen Wurzeln langen in den (frühen) 1980 er Jahren und Vorbilder für all diese Acts dürften Künstlerinnen wie Blondie, Souxsie and The Banshees und X-Ray Spex gewesen sein. Dennoch klangen alle anders, manche punkiger und roher (Bestial Mouths) andere poppiger und schriller (Alex June) oder elektronischer (Animal Bodies). Die Chancen, mit dieser Musik auch einen Teil des Mainstreampublikums zu erreichen, scheinen mir bei den meisten dieser Damen gering zu sein, aber ich kann mir nicht vorstellen, daß dies das wichtigste Ziel dieser Musikerinnen ist. Sie spielten und spielen für ein Publikum, daß zwar überschaubar, aber zu fast 100 % indie und neugierig auf schräge Kost ist.



Im International fand am 29. Oktober eine Show statt, die im Zeichen der Veröffentlichung der ersten EP von Alex June stand. Die june Dame stammt aus Chile, wohnt aber seit 2007 in Paris. Ein richtig bunter Vogel diese Alex, mit stilechter Fönfrisur im Stile der Achtziger, Glitzer-Oberteil und einem hohen Kleinmädchen Gesang, der von synthetischen Klängen begleitet wurde. Eine kunterbunte Mischung aus Lene Lovitch, Grimes, Cocteau Twins, Coco Rosie und französischen New Wave Sängerinnen. Sie sang nämlich auch ab und zu auf französisch, ansonsten aber auf englisch. Größter Hit war sicherlich das Stück Alaviksertaxz, das fast sücht machend wirkte und irgendwie stark japanisch klang. Ein wahnsinnig tanzbares Lied mit einer absolut einprägsamen Melodie, das mit dem Marketing Etat eines Majorlabels (das sie nicht hat, da sie bei dem kleinen aber feinen Lentonia Records veröffentlicht) definitiv Chancen auf eine Chart-Platzierung hätte. Also Daumen hoch für Alex June, die gefiel mir richtig gut. Was für ein Paradiesvogel! Was für eine Stimme! Und ihre Ep Plan X kaufe ich mir sofort, wenn sie auf CD erhältlich ist, bisher gibt es sie nur digital.

  Alaviksertaxz by alexjune 



Von Video Love, die vorher aufgetreten waren, gibt es bereits Tonträger. Es handelt sich um ein gemischtes französisches Duo, das ziemlich düstere Eletroklänge mit französischen Texten kredenzte. Ebenfalls ein bemerkenswerter Act mit einer leicht krautrockigen, experimentellen und industriellen Seite und... wie könnte es bei dem Namen auch anders sein!, mit Videos im Hintergrund.

  video love by Lentonia  

  TROU NOIR by alexjune


Den guten Konzertabend beschloß die in New York lebende Australierin Eleanor Logan, die unter dem Moniker Happy New Year firmiert. Ein ausgeflipptes, sehr abenteuerlustiges Mädel, das auf der Bühne sehr sexy und sinnlich agierte, ihre Stimme mit starken Halleffekten versah und ihre Gitarren- und Synthieparts loopte. Mit Noise Pop oder Dream Pop konnte man das Ganze beschreiben, denn das Girl hatte ihre helle Freude an massiv lauten Geräuschen und verhuscht-verhallten Instrumentalparts, wenngleich sie mit dem Sound nicht immer zufrieden schien. Ihr war alles zu leise und gleich mehrfach versuchte sie vergeblich, den Soundmenschen dazu bewegen, die Regler stärker aufzudrehen. 


Gegen Ende mischte sich die hübsch tätowierte Blondine gleich mehrfach unters Publikum und heizte vor allem den jungen Männern ganz schön ein. Wow, das war heiß! Ihr französisches Label heißt übrigens SVN SNS RCRDS und die haben auch noch andere gute Acts am Start. Also ruhig mal reinhören.

  HAPPY NEW YEAR 'HAPPY NEW YEAR' by HAPPY NEW YEAR 






Am 12. November 2012 gab es dann im Espace B einen ziemlich krassen Konzertabend. War wirklich was für Nachtschattengewächse, gothisch angehauchte Leute und Freunde derberer musikalischer Genüsse. Bestial Mouths aus Los Angeles machten den Anfang und der Name war gut gewählt, denn das Set hatte in der Tat eine bestialische Note. Eine hübsche brünette Furie mit pinkfarbener Strumpfhose wirbelte 25 Minuten lang wie auf Extasy durch den Saal und keifte die Gäste aus nächster Nähe förmlich an. Die meiste Zeit verbrachte sie wirklich zwischen den Fans und nicht auf der Bühne. Sie schrie wie vom Teufel besessen, guckte grimmig drein und gab, von einer formidabel aufspielenden Drummerin angetrieben, eine halbe Stunde lang Vollgas. Das war roher radikaler Punk (manche nennen das vorliegende Genre auch Deathrock) wie ich ihn mag. Gemein, furchteinflößend, höllisch schnell und immer voll auf die Zwölf. Das Ganze hatte Züge von einer Hexenverbrennung oder einem Horrorfilm und bei einem Lied stieß die Sängerin einen solch langen spitzen Schrei aus, als sei sie gerade über eine Leiche gestolpert.

  Hollowed (Live) by Bestial Mouths 


Ihr Gesang erinnerte recht stark an Siouxsie Sioux, war aber noch agressiver und hysterischer und daher auch mit der morbiden Diamanda Galas zu vergleichen. Aber nicht nur ihre Stimme und ihre außerordentliche Energie trugen zu einem gelungenen Kurzkonzert bei, sondern auch die herrlich gruseligen Synthieparts und das tribalische Schlagzeug.

Sicherlich nicht für jeden etwas, diese Band aus L.A., aber wir sind ja auch hier nicht im ZDF Fernsehgarten.

Beeindruckender Auftritt!




Setlist Bestial Mouths, Espace B, Paris

01: Deathrattle
02: Gulls
03: White Eyes
04: Hollowed
05: Small Prey
06: Yes A Great Silence Is Waiting
07: Rattling The Teeth





Animal Bodies im Anschluß waren dann ähnlich speziell, aber für softe Ohren doch wohl etwas erträglicher. Hier gab es keine spitzen Schreie und keine durch das Publikum rasende Sängerin, dafür aber schnelle harte Synthiebeats, einen verhallten Frauengesang, Machinedrums und ab und zu verzerrte Postpunk- Gitarren. Das gemischte Duo (Natasha und Sam) kam aus Vancouver/Kanada, stellte sich aber nicht vor, sondern spulte ihr Programm, zu dem sowohl das obercoole Fata Morgana als auch das rasante Venus Transit gehörte, kühl und distanziert ab. Die Rhythmen waren absolut tanzbar, aber einen Pogo legte hier und heute keiner aufs Parkett. Die meisten Leute begnügten sich damit, energisch den Kopf hin-und her zu schütteln.

  FATA MORGANA by Animal Bodies 

  VENUS TRANSIT by Animal Bodies 



Stilistisch würde ich das New Wave, Dark Wave oder Synth Punk nennen, kennzeichend war die repetitive Drummaschine und der geisterhafte Nachtwandlerinnengesang von Natasha, einer legitimen Nachfahrin von Nico.


Auch ihre Musik würde sich prima für einen Horrofilm eignen, aber auch beim Joggen dürfte der zackige Rhythmus einen mächtig antreiben und durch den Park hetzen lassen. Der Geist von Ian Curtis war manchmal nicht weit, aber Natasha sah definitiv lebendiger aus, wenngleich sie ihre Augen hinter einen schwarzen Sonnenbrille verbarg.

Animal Bodies spielten ebenfalls ein kurzes Set, das noch nicht einmal dreißig Minuten dauerte und einen etwas hungrig zurückließ. Ich hätte gerne mehr düstere Musik für mein Geld (das ich nicht bezahlt habe) gehört, musste mich aber von meiner genügsamen Seite zeigen.

Wenn die Acts mal wieder nach Europa kommen, dann bitte etwas länger. Danke, Ende der Durchsage!


  JUNGLE CATHEDRAL by Animal Bodies



So, kommen wir aber auch noch kurz auf U.S Girls zu sprechen. Obwohl man das dem Namen entnehmen könnte, handelt es sich hierbei nicht um eine amerikanische Girlgroup, sondern um das Soloprojekt einer einzigen Dame, der feschen Blondine Meghan Remy, die mich mit ihren strahlend blauen Augen ganz verrückt machte. Sie spielte am 19. November allerdings nicht allein, sondern wurde von den Jungs von Slim Twig begleitet, die auch das Vorprogramm bestritten und hierbei eine gute Figur abgegeben hatten. Gemeinsam boten sie ein druckvolles Set, daß allerdings trotzdem nicht ganz die Erwartungen erfüllen konnte. Die auf Platte so markante Kleinmädchenstimme von Meghan ging live doch etwas unter und auch der Sixties-Charme, der die Tonträger auszeichnet, kam nicht richtig zur Geltung.

Ausnahmsweise konnte ich einem Act also live weniger abgewinnen als der Konserve. Die Melodieseeligkeit und der Zuckerguss ging einfach flöten und zudem dauerte das Konzert wegen eines Problems mit der Orgel nur dürftige 25 Minuten. Viel zu wenig, um richtig warm zu werden und sich ordentlich zu amüsieren. Trost konnte man freilich hinterher finden, indem man sich den auf Fatcat Records erschienenen Tonträger zulegte, oder sich mit der sexy Meghan abknipsen ließ. 





 

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