Samstag, 16. Februar 2008

Monade, Paris, 15.02.08


Konzert: Monade
Ort: Le Divan Du Monde
Datum: 15.02.2008
Zuschauer: mittlere Auslastung




In Paris ist es kalt geworden; der Winter schlägt noch einmal zurück. Da traf es sich bestens, daß ich noch über Gutscheine für eine sog. Hot Stone Massage verfügte, die mir meine Herzensdame zu Weihnachten geschenkt hatte. Mit heißen Vulkansteinen wurde mein ganzer Körper aufgeheizt und tiefenwirksam entspannt. Wie Butter glitten anschließend die Hände der Masseurin durch meine Muskeln. Traumhaft!


Würde mir das heutige Konzert ähnlich wohlige Gefühle bescheren? Laetitia Sadier, die Sängerin der Kultband Stereolab, war mit ihrem anderen Projekt Monade im heimeligen Divan du Monde zu Gast. Und daß die Frau eine wunderschöne Stimme hat, die einen auch auf Wolke sieben bringen kann, sollte bekannt sein.

Fast wie im Himmel fühlen sich vielleicht auch sexhungrige Touris, wenn sie in einem der diversen Schmuddellokale im Pigalle-Viertel, in dem auch der Divan du Monde liegt, die angebotenen Dienste in Anspruch nehmen. Sobald ich die U-Bahnstation Pigalle verlasse, stechen mir schon die riesigen Letter des Folies Pigalle ins Auge ("Paris By Night"). Ich frage mich dann immer, wer in diese üblen Spelunken absteigt, aber anscheinend geht den Läden die Kunschaft nie aus. Nun gut, chacun ses goûts ("jedem sein Geschmack") denke ich mir und eile zum nicht sehr weit entfernten Konzertsaal. Dort hat die junge Folkeuse Marie-Flore schon mit ihrem kurzen Set angefangen, welches insgesamt nur sechs Lieder umfassen wird. Ich kenne die niedliche Französin , die auf englisch singt, schon vom New Pornographers - Konzert vom letzten Jahr, wo sie auch eröffnen durfte. Wie vor ein paar Monaten ist sie auch heute wieder ganz alleine auf der Bühne und spielt auf ihrer hübschen roten Gitarre melancholische Folk-Songs, die hervorragend zur nach wie vor ziemlich tristen Jahreszeit passen. Amüsanterweise kündigt die Süße mit hängenden Mundwinklen ihr letztes Lied aber als freudvollen Chanson an, weil sie ja auch eine lebenslustige Person sei. Es folgt ein Stück, das genauso traurig ist, wie das zuvor gehörte...

Die nachfolgenden Koko Von Napoo hingegen blasen weniger Trübsal. Der Sound der Pariser Girlgroup (den Burschen an der Gitarre lasse ich mal außer acht) ist stark Eighties inspiriert und klingt als würde Blondie mit den Altered Images eine 80er Jahre- Fete feiern. Allein die Stimme der Sängerin mit dem hübschen gelben Kleid und dem schwarzen Gürtel ist hörenswert. Wie eine verzogene Göre singt sie auf infantile Weise Lieder mit klarem Hit-Potential. Zwar wirkt alles noch sehr amateurhaft (was der Sache natürlich Charme verleiht), aber das Talent zum einprägsamen Popsong ist bereits vorhanden.

Was wohl die gefürchtete Musik-Kritikerin Faustine Kopjewski zu dem Auftritt sagen würde? - Nun, die junge Journalistin, die für das Magazin Magic schreibt und unter anderem schon Joanna Newsom und Coco Rosie auf übelste Weise verrissen hat (für letztere Band forderte sie gar eine "Gehörpolizei"), würde wahrscheinlich hingerissen sein. Kein Wunder die Blondine mit der spitzen Feder sitzt schließlich bei Koko von Napoo am Schlagzeug! Wenn man sie da so konzentriert spielen sieht, kann man gar nicht glauben, daß sie so polemisch werden kann. Auch Marion, die Keyboarderin, macht einen sehr netten Eindruck, der sich bestätigt, als sie mir nach dem Konzert die bisher einzige Single der Band, "Jonbon" (ein Spielwort auf Jambon=Schinken) extra aus der Kabine holt. Der Merchandising -Stand war nämlich eigentlich schon abgeräumt und inzwischen mit T-Shirts und CDs von Monade bestückt.

Und Monade aus Bordeaux waren dann auch als letzter Act des Abends an der Reihe. Daß Laetitia Sadier (Stereolab) die Hauptrolle in der Band spielt, hatte ich bereits eingangs erwähnt, aber man sollte auch nicht die anderen Mitglieder unerwähnt lassen. Denn es gibt noch eine zweite Dame im Bunde, die auch bei vielen Stücken mitsingt und ansonsten die gekonnten Bassläufe spielt. Marie Merlet heißt die kleine Blondine mit der recht piepsigen Stimme, die aber mit dem sinnlichen Gesangesorgan von Laetitia gut harmoniert und für Abwechslung bei den Vocals sorgt. Auch Nicolas Etienne, der Mann am Keyboard, sollte nicht übergangen werden, schließlich schreibt er bei Monade den ein oder anderen Chanson, so z.B. "Messe Joyeuse", das soweil Teil der heutigen Setlist als auch des neuen Albums "Monstre Cosmic" ist. Vervollständigt wird das gemischte Quartet von Schlagzeuger David Loquier.

Die vier Musiker starteten auf französisch und zwar mit "Étoile",
einem eher schleppenden Lied, getragen von zarter Melancholie und einer leicht mysteriösen Note. Der Text ist sehr interessant, es geht um die Einweisung einer Frau in die Psychiatrie, der man sagt, daß in ihr ein böses Monster wüte, das man verjagen müsse. Die Kranke badet im Schwimmbad der Anstalt und stellt sich anschließend unter der Dusche die Frage, ob nicht in jedem von uns ein Monster stecke, das seien Faden spinnt. Aber die Frau möchte bei der Klinikleitung nicht negativ auffallen, deshalb erwägt sie erst einmal mit ihrer Schwester zu sprechen, die sei in dem "Laden" angesehen, da sie ja dort Ärztin sei. "Man dürfe nicht schockieren" ist die Schlußfolgerung der Frau, ansonsten würde man sie in dem Institut sprichwörtlich eingraben, sie hätte keine Chance mehr, diesem Rattenloch ("ce trou a rat"), wie sie die Anstalt nennt, zu entkommen.

Eine Anklage also, gegen die Vorverurteilung von Menschen zu psychisch Kranken,
die sich sowohl gegen die pschychiatrischen Einrichtungen als auch die heuchlerische Gesellschaft als solche richtet, die sich als Richter darüber aufspielt, was normal und krankhaft ist.

Textlich ist also heute so einiges geboten, aber leider sind viele Gäste nur zum Plaudern in den Divan du Monde gekommen.
An den schönen Tischen in der Mitte des Raumes haben sie es sich bequem gemacht und betrachten die teilweise loungeartige Musik als angenehme Hintergrundbeschallung zu ihren Gesprächen, die sich um alles, nur nicht um die Künstler da vorne auf der Bühne drehen. Meinem Freund Philippe wird das schnell zu bunt, mit einem lauten "Pscht" herrscht er die Schwatzbasen an, aber das ist vergebene Liebesmüh', es wird weiter gelabert. Schade, schade, Laetitia hätte viel mehr Aufmerksamkeit verdient, denn auch "Regarde" kann mit einem subtilen Text aufwarten, in dem es darum geht, jemandem durch die Augen auf den Grund der Seele zu schauen. Auch hier ist wieder die Rede von einem Monster ("le monstre qui je suis") und letzlich geht es erneut um das Richten über Gut und Böse und die scheinheilige Moral ("on croit savoir où est le mal"= man glaubt zu wissen, wo sich das Böse befindet).

Mit Lied Nummer 3 der Setlist wird zum ersten Mal die Sprache gewechselt, das englische "Invitation" ist an der Reihe und Laetitia singt gerade zu Anfang wunderschön und sehnsuchtsvoll. Nach ein paar Takten wird aber das Tempo plötzlich stark angezogen und zu den flotten Rhythmen könnte man fast tanzen. Macht aber keiner, weil alle auf ihren Stühlchen sitzen und sich berieseln lassen. Auch ich sitze,
allerdings eher gewungenermaßen, denn wenn ich mich vorne in die Mitte stellen würde, könnte man hinter mir nichts mehr sehen und ganz an der Seite stehe ich aus soundtechnischen Gründen ungern. Von meinem Plätzchen aus genieße ich bei dem von Nicolas Etienne geschriebenen "Messe Joyeuse" das bereits erwähnte Wechselspiel der beiden weiblichen Stimmen. Später gibt es auch Stücke vom 2005er Werk " A Few Steps More" z.B. "Becoming" und die Zugabe "Wash And Dance". Insgesamt wird gut eine Stunde musiziert und ich bin letztlich ziemlich angetan von den dezent daherkommenden Liedern, bei denen ich erhebliches Wachstumspotential sehe. Monade macht wie Sterelolab keine Musik, die sich schnell konsumieren läßt und die reißerische Hits abwirft, dafür aber im besten Sinne des Wortes "Indie", sprich unabhängig von kommerziellen Trends , die gerade in der Musikindustrie gespielt werden. Etwas für Leute, die - wie beim Wein - einen langen Abgab einer schnellen Genußbefriedigung vorziehen.

Mit dem guten Gefühl ein anspruchsvolles Konzert gesehen zu haben, entschwinde ich in die kalte Pariser Nacht.

Setlist Monade, Le Divan Du Monde, Paris:

01: Etoile
02: Regarde
03: Invitation
04: Messe Joyeuse
05: Lost Language (pour Bertrand Burgalat)
06: Guimauve
07: Sensible Et Extensible
08: Becoming
09: Pas Toujours, Encore

10: Wash And Dance
11: Where Did I Go



12 Kommentare :

E. hat gesagt…

ich wußte gar nicht, dass monade bei dir auf dem programm standen. hatte erst neulich über deren aktuelles album berichtet, das mir sehr gut gefällt. nun, werde ja bald zu hören bekommen, ob die liveumsetzung gelungen war.

Oliver Peel hat gesagt…

Ich bin doch immer für Überraschungen gut, lieber Eike!

Und die Berichterstattung über Monade auf dem Klienicum habe ich natürlich auch gesehen.

E. hat gesagt…

ja, und du hattest geantwortet und dich auf das konzert gefreut. *kopfklatsch*: ich hätte auch vorher mal nachsehen können.

das vorprogramm sah schon mal adäquat aus. wie es sich anhörte, kannst du mich bei gelegenheit auch mal via tonträger wissen lassen. übrigens stehen noch listen aus: 1.) welche cds besitzt der herr von mia doi todd und 2.) wie sieht das jahresvotum 2007 aus!

E. hat gesagt…

erschreckend finde ich auch deine erfahrungen bezüglich ungezügelter konzertbesucher.
das ist wie beim laufen, die walker versperren den 'richtigen' läufern häufig den weg. sie spazieren nebeneinander und quatschen intensiv.
etwas mehr darwinismus könnte ich gewaltfrei propagieren. die umsetzung wäre blutiger, haha!
danke für den monade- eindruck, der sich mit meinen hörerfahrungen deckt!

Anonym hat gesagt…

Haha, Walker sind die dauerquatschenden Konzertbesucher unter den Freizeitsportlern, der Vergleich gefällt mir :))

...kann man sie irgendwo lesen, die Joanna Newsom und Coco Rosie-Verrisse? Das interessiert mich!

Oliver Peel hat gesagt…

Zu dem Phänomen Walker:

In Frankreich quasi inexistent, da die Franzosen zu eitel sind, so seltsam zu gehen und mit den Armen zu rudern. Wer nicht joggt, läßt es also hier lieber ganz bleiben...

Zu den Verrissen: Nachzulesen in dem Printmagazin Magic, das ich abonniere. Online wahrscheinlich nicht.
Willst Du, daß ich Dir Auszüge der besten Passagen übersetze, Christina?

Anonym hat gesagt…

Das mit den nicht vorhandenen Walkern finde ich sympathisch!

...und über die besten Passagen würde ich mich natürlich sehr freuen. Übersetzen musst du aber nicht unbedingt, das geht bestimmt auch im Original und klingt da wahrscheinlich noch viel besser :)
(nach Magic googlen macht übrigens wenig Sinn, merke ich gerade!)

Christoph hat gesagt…

Kommt da nur " 'arry Potter"? :-)

Oliver Peel hat gesagt…

So mit der Webpräsenz des Magazins Magic kann ich dienen:

Magic, Revue Pop Moderne:

http://www.magicrpm.com

Einzelne Krtiken kann man glaube ich unter "artistes" finden. Magic hat natürlich auch seine eigene MySpace Seite.

Am besten das Magazin abonnieren, das gibt es jede Menge Indie-Pop aus Schweden , Kanada und Frankreich.

Anonym hat gesagt…

"ATTENTION ! Vous devez habiter en France pour bénéficier de l'abonnement au magazine. Pour les autres pays, contactez Chantal par mail..."

Grrrrrr. Also kein Abo. Geschäftliche Mails auf Französisch gehen noch nicht :(

Christoph hat gesagt…

Chantalle ist nicht zwingend ein französischer Vorname :-)

Anonym hat gesagt…

...du meinst ich sollte sie auf Asi-Deutsch kontaktieren? Das kann ich aber fast genauso schlecht wie Geschäftsfranzösisch!
(außerdem steht da ja Chantal, und nicht Schanntalll)

 

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