Samstag, 9. Mai 2015

And the Wiremen, Karlsruhe, 08.05.15


Konzert: And the wiremen
Ort: Kohi in Karlsruhe
Datum: 8. Mai 2015
Dauer: 75 min
Zuschauer: knapp 50


Die Scheibe And the wiremen von And the wiremen war - Michael sei Dank - seit letztem Herbst schon fleißig bei mir gelaufen und hatte sich einen Platz in meinem Herzen erobert. Deshalb war die Freude darüber groß, dass die aktuelle Tour der Musiker um Lynn Wright eine Station in Karlsruhe machen würde und dass er mit einem ganzen Ensemble unterwegs ist, nämlich mit

Paul Watson - Kornet

Jon Petrow  - Geige und E-Bass
Simon Goff - Geige und E-Bass

Ethan Donaldson - Schlagzeug


Und freilich ist das Kohi ein Ort für diese Musik wie man ihn sich exakt so erträumen würde, wenn es ihn nicht schon gäbe. Für das neue Album, das den Anlass für die aktuelle Tour gibt, hatte ich mir noch keine Zeit genommen und erwartete so im Konzert eine Mischung von vertrautem und für mich neuem Material. Es ist ein bisschen fummelig, sich über Genres zu einigen, die die Musik von And the wiremen angemessen beschreiben würden. Man kann sich da eigentlich nur verheddern. Die Zuordnung Brooklyn-based hilft da auch nur insofern, als es erklärt, wie die wilde Mischung wohl passieren konnte.


Die Besetzung mit zwei Fideln sieht z.B. aus wie in einem Pub in Edinburgh. Die entsprechenden Folk-Elemente sind auch spürbar, bedienen sich aber eher an slawisch/jüdischen Wurzeln oder heißem Wüstenliedgut. Andererseits lässt die Art, wie Paul Watson das Kornett einsetzt in mir jazzige Verwandte wie  Miles Davis erkennen. Und dann sind da noch die Songs, wo die Geigen schweigen und der E-Bass alle nach seiner Facon tanzen lässt oder die Geigen flirrende Klangteppiche weben.


Das Konzert begann schließlich überraschend fix und ohne viel Getue. 21 Uhr war ich noch allein vor der Bühne, 10 min später wurden die Instrumente eingestöpselt und nur fünf Minuten später wurde mit Devil's Daughter als Auftakt ein böser Tanz, ein wankelnder Chacha auf die Bühne gebracht, der sofort die Aufmerksamkeit der anwesenden und schnell noch dazu strömenden band.  Mit Traumszenen in denen eine klagende Trompete rief und die Wüste vor der Tür vage an Calexico erinnerte. Aber so als stammte der Träumer nicht aus Mexiko sondern aus Prag.


Auf die schräge Stimmung des ersten Songs wurde mit Caged Birds locker noch eins drauf gesetzt: Scheppernde Rhythmen, die sich ständig am Weltrahmen blaue Flecke holten, Gesang der nur ab und zu mit gutem Gewissen als solcher zu bezeichnen wäre. Und Trompetenwarnsignale mit Trommelwirbel zogen mich in ein schwarzes Loch ... oder ins Freie - das weiß ich nicht so recht und ist vielleicht am Ende gar das Gleiche. Das Stück endete schließlich mit traurigen Geigen und einem Friedhofs-Trompetenmarsch: Everybody wants to hear a caged bird sing.


Der dritte Song Sleeping while the world goes by war so etwas wie ein Wiegenlied. Aber eines, bei dem man sich nicht recht sicher fühlte. Was da so draußen in der Welt passiert schaute durch den Stoff des Songs hinreichend durch und verhieß nichts Gutes. Und auch die nächste Nummer Before he gave up the Ghost war zwar tröstlich und fast schläfrig, hatte aber kein Eiapopeia für die Zuhörer parat. Es startete mit einem gedämpftem Trompetenintro, dann übernahm eine komplex rhythmisierte Gitarrenlinie den Erzählpart und hatte anschließend reichlich Zeit für ein Duo mit der Trompete. Erst nach zwei langen Minuten begann der Gesang und der übergab später für lange Strecken an die Trompete und die Gitarre zurück. Ein Stück, das auch in einem Jazzprogramm nicht auffallen würde.


Vor dem Song Pick myself up slowly gab es schließlich die erste Ansage. Lynn wäre in Stuttgart gefragt worden, wie es sich anfühlt, in New York zu leben und er hätte keine rechte Antwort darauf gehabt. Es sei gerade emotional sehr weit weg für ihn. Als er aber heut auf dem Werderplatz einen Mann seinen Rausch ausschlafen sah, der nur lang genug aufwachte um sich herzhaft auf die Kirchenstufen zu übergeben, hätte ihn das sehr an die große Stadt erinnert. Und auch das nun folgende Lied erzählte davon. Es erwies sich als ein die Kraflosigkeit feiernder Raggea. Es half auch nichts, dass ich zunächst immer verstand Pick my cellphone slowly... Es blieb irgendwie aussichtslos. Das beste Ende, wenn die Kraft dazu reichen würde, ein Stück weiter zu kriechen - crawl again - und doch in eine musikalische Form gebracht, dass alle dem bezwingendem Rhythmus wiegend folgten.
 

 
Ten paces begann wie ein Friedensangebot an herkömmliche Musik: Ganz zurückgenommen - ein harmloses Lied über nicht gelungene Liebe mit Gitarre, Trompete und ein bisschen Besen in den Schüsseln, einem ganz leicht stampfenden Rhythmus. Ich liebte es, dem Drummer dabei zuzusehen. Aber wenig später verschob die knödelnde Geige den Fokus und ein siegreiches Trompetensolo als Zwischenspiel spielte mit unseren Erwartungen. Auch Mad Love begann sehr zurückgenommen mit flirrenden Violinenklängen über einem Schlagzeugfundament. Als Bild blieb mir ein Boot in ruhigem Gewässer, wobei das Geräusch des tödlichen Wasserfalls voraus die ganze Zeit präsent war.


In the well begann mit raunendem Gesang und war klar Gitarren-zentriert und treibend in den Strophen. Im Refrain aber klagend, mit ganz vermindernd verminderten Akkorden. Die Zwischenspiele hatten herrlich wilde Rhythmuswechel, und das Schlagzeug Solo-Passagen. Bis die Trompete das wildeste Solo übernahm. Ich würde sagen: Eine typische And-the-wireman-Mischung! Anschließend ging es mit Send me low an die aufgewühlte See mit wieder schön anzusehendem und anzuhörendem komplexem Percussionsteppich. Die Trompete rief von ganz weit weg - hatte damit jazzige Anklänge aber nicht die Gemütlichkeit des Jazz. Hier lief es mir eher kalt den Rücken herunter. Auch der Chorus "Send me low" hatte nichts tröstliches an sich: Tell my mother they send me low hing mir heute Morgen noch im Ohr.


Sharpen your knive wurde schließlich als letztes Stück angesagt und war zwar tröstlich normal aber auch irgendwie resigniert. Eines der wenigen Lieder mit tragender E-Bass-Linie. Natürlich hatte sich die Band mit ihrer Musik ganz und gar in die Herzen des Publikums gespielt. Schon zwischendurch hatte es immer wieder Bravo!-Rufe gegeben und viel Applaus. So baten wir also ordentlich um Zugaben und erhielten das sehr kurze How low the Sea, das wieder das Bild vom hintersten Hinterzimmer malte, wo man mit einem Kater gerade ziemlich lädiert aufgewacht ist - von allen verlassen. Und die herrliche Trompete brachte tatsächlich Meeresflimmern in dieses Lied.


Das definitive Finish: Rattle begann mit gedämpfter Trompete und gedämpften Fideln und einer unaufdringlich eindringlichen Melodielinie von der E-Gitarre. In meinem Kopf wurde ein zu heißer Tag heraufbeschworen. Das Schlagzeug durfte erst spät mitmachen und lange nur Reiskörner schütteln. Das beschwörendes Come here to me klang einerseits seltsam kraftlos, aber dann bewies der laute Ausbruch mit vollem Einsatz und wilder Trompete, das die Aufforderung wohl doch ernst gemeint war. Ein furioses Ende für einen Abend, der mir noch lang in Erinnerung bleiben wird. 


Setlist:
01: Devil's daughter
02: Caged Birds
03: Sleep
04: Before he gave up the Ghost
05: Pick Myself up Slowly
06: Ten Paces
07: Mad love
08: In the well
09: Send me low
10: Sharpen your Knives

11: How low the Sea (Z)
12: Rattle (Z)


Tourdaten 2015
04.05. Domkeller Aachen
06.05. Café Galao Stuttgart
07.05. Die Wohngemeinschaft Köln
08.05. Kohi Karlsruhe
09.05. Bands Privat Jena
10.05. Neues Schauspiel Leipzig
12.05. Cafe Glocksee Hannover
13.05. Aaltra Chemnitz
14.05. Regenbogenkino Berlin 

 

Aus unserem Archiv:
And The Wiremen, Chemnitz, 24.10.14 

Weiter: 
Der Bericht vom einmaligen Sigmundo
Wanderlust über And the wiremen
Bee and flower 
 

Alle Fotos:

 


 

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