Maud Lübeck
Ort: Les Trois Baudets, Paris
Datum: 23.04.2010
Zuschauer: hmm, 100 vielleicht?
Konzertdauer: 40-45 Minuten
Leute, die sich über alle Maßen begeistern können, die über das wunderbare Gotteschenk der Euphorie verfügen, fand ich schon als kleiner Junge toll. Damals mit etwa 10 Jahren lief mir zum ersten Mal ein kalter Schauer den Rücken runter, als der Schwede Björn Borg nach verbittertem Kampf das Wimbledon Finale gegen John McEnroe gewann, vor Freude auf die Knie sank und überglücklich seinen Schlänger gen Himmel rammte. Von da an habe ich fast immer eine Gänsehaut gehabt, wenn sich Sportler auf emotionale Weise über den Sieg freuen, egal ob ich ihr Fan war oder nicht. Auch die oft weinenden unterlegenen Kontrahenten haben mich alles andere als kalt gelassen. Ungefälschte Emotionen, das ist es, was ich schätze.
Aber nicht nur im Sport, sondern auch bei der Musik geht es um starke Gefühle. Wer eingefleischter Fan von einer oder mehreren Bands bzw. Solokünstlern ist, weiß wovon ich rede. Immer wieder famos, wenn das Publikum bei Konzerten mitgeht, klatscht, schreit, oder auch vor Rührung weint. In meinen Konzertberichten versuche ich deshalb, meine Eindrücke so unverfälscht wie möglich, zu schildern. Ich schreibe so schnell es geht, damit nichts verwässert wird und ich keine Zeit habe, über das Erlebte lange zu reflektieren. Überarbeit werden die Reviews in inhaltlicher Hinsicht (fast) nie. Daß ich ab und an zu euphorisch, oder (seltener) zu bärbeißig werde, nehme ich hierbei in Kauf. Authenzität hat Vorrang vor Abwägung.
Schön, daß es auch andere Musikkritiker (falls ich ein solcher als brotloser Blogger überhaupt sein sollte) gibt, die ihren Emotionen freien Lauf lassen. JD Beauvallet von der renommierten Postille Les Inrockuptibles ist einer von diesem Schlag. Geradezu veschlungen habe ich seine himmelhochjauchzenden Ausführungen zu der Pariser Pianistin Maud Lübeck. Meine Fresse, den Kerl muß es wirklich voll erwischt haben! Maud Lübeck hat ihm wohl alle Sinne geraubt. Bis ins kleinste Detail beschreibt er in seinem Artikel, was die Dame mit ihm gefühlsmäßig anstellt. Er wirft eingangs die Frage auf, ob es in einer Gesellschaft, die die Polygamie ablehnt, duldbar sei, daß man als verheirateter Mann emotional heftig fremd flirtet. Das man an eine andere Frau (natürlich Maud Lübeck) ständig denkt, so stark, daß man unglaublich genervt ist, wenn das Telefon bimmelt, oder jemand and der Wohnungstür klopft. Dann erzählt er von den Liedern der Chanteuse. Wie sie sich langsam und feinfühlig an ihn herangepirscht haben, einer nach dem anderen. Wie sie ihn schließlich vollkommen überwältigt haben. Wie sie ihm gleichzeitig enorm gut und schrecklich weh tun. Und dies obwohl die Sängerin noch kein Album auf den Markt gebracht, ja noch nicht einmal ein Plattenlabel hat! Er vermag sich gar nicht auszudenken, welche süchtig machende Wirkung die Stücke entwickeln, wenn sie neu arrangiert werden, z.B. mittels Violinen. Seine euphorischen Ergüsse schließt JD Bauvallet mit einem Vergleich. Maud Lübeck würde bei ihm die gleichen Gefühle auslösen, wie dereinst Barbara (eine klassische französische Chanson-Sängerin). Und Lieder von Barbara hätte er seit frühester Jugend jede Woche seines ganzen Lebens gehört...
An diese Lobgesänge erinnerte ich mich wieder, als ich durch Zufall aufschnappte, daß Maud Lübeck ab dem 23. April im Trois Baudets einige Konzerte im Rahmen des Festivals Les Zéphémères geben würde. Von den liebestollen Zeilen des renommierten Kritikers angefixt, notierte ich sofort den 23. rot im meinem Kalender. Rot waren dann auch die Sessel im Trois Baudets, der austragenden Location. Umgeben von einer Frauengruppe um die 60 (wirkte fast wie ein regelmäßiges Treffen zu kulturellen Veranstaltungen) wartete ich auf den Auftritt der Lübeck. Dann wurde das Licht auf der Bühne plötzlich intensiver und eine Frau trat auf den Plan. Sie stellte sich als Maud Lübeck vor und fügte grinsend hinzu, daß sie ihre Haare blond gefärbt und ein paar Kilos zugelegt habe. War natürlich alles nur ein Gag, denn bei der Frau handelte es sich um die Ansagerin und nicht die Künstlerin. Die Pianistin selbst kam erst zwei Minuten später aus der Kabine gekrochen. In der Tat sehr schlank, fast dürr und mit brünetten Haaren, die schon einen leichten Grauton hatten. Im Laufe ihres Konzertes sprach sie nicht viel. Sie konzentrierte sich stattdessen auf ihr gefühlvolles Spiel und hatte mich damit auch ziemlich rasch weichgeklimpert. Ob JD Beauvallet recht hatte? Die erotische Säuselstimme im Stile einer Jane Birkin konnte einen wirklich high werden lassen! Hinzu kam dann noch diese typisch französische, Gainsbourg'sche Melancholie und die weltklugen , poetischen Texte. Keine Frage, da vorne ließ ein großes Talent ihren zarten Pfoten in die Tasten gleiten! Sie hatte irgendwie alles, was Franzosen schwach werden lässt. Eleganz, Fragilität, Sanftheit, zarte Schwermut. Und da ich mich dem Volk der Froschfresser und Champagnersäufer sehr verbunden fühle, bekam ich auch weiche Knie. Wo war eigentlich JD? Man berichtet, er lebe in Brighton. Schade, ich hätte gerne seinen feierlichen Blick und seine glasigen Augen gesehen. Stattdessen musste ich mich an zwei eher gelangweilten Franzmännern vorbeiarbeiten, die bräsig ihre Füße gegen die Vordersitze gestreckt hatten, so daß ich nicht durch kam. Ich wollte nämlich die Seiten wechseln, um gute Fotos von der Lübeck zu schießen. Bisher hatte ich sie nur im Profil abgelichtet, nun aber wollte ich ihr ganzes Gesicht drauf kriegen. Das gelang mir auch. Hübsche Züge hat sie. Kleine Grübchen um den Mund und die ersten Fältchen um die Augen, aber mit einem solch gütigen und intelligenten Blick ausgestattet, daß ich sie sofort ins Herz schloß. Auf Anhieb erkannte ich die belesene und hochintellektuelle Frau in ihr, die eher schlicht und schüchtern auftritt, aber weiß, was sie will: Konzerte geben und noch andere Kritiker (und natürlich auch Zuschauer) um ihre Pianistinnenfinger wickeln. Eine Karriere im Mainstream dürfte sie hingen eher nicht anstreben, aber wer weiß? Immerhin hat sie schon ein sehr hübsches Duett mit dem in Frankreich sehr bekannten Vincent Delerme (auch so ein Poet!) eingespielt, das sie heute aber ohne ihn vortrug. "Je t'aimas trop, a perdre mon bolout, a perdre mon dodo, a perde la ligne" (ich liebte dich zu sehr, so daß ich meine Arbeit verlor, meinen Schlaf und auch die Zugverbindung).
Ob ich ihr auch so verfallen war? Hmm, schau' mer mal! Das Konzert war sehr schön, aber die ungebremste und zügellose Schwärmerei überlasse ich erst einmal meinem Kollegen JD. Ich habe ja auch noch ein wenig Zeit. Maud Lübeck spielt in den nächsten Wochen und Monaten noch ein paar mal in den Trois Baudets. Ich denke, ich komme wieder! À très vite, Maud!
Schlußbemerkung: Mit Porco Rosso (ein recht kräftiger Bursche mit Brille und Gitarre + recht lustigen Texten) und Oshen (eine attraktive Lady mit beißendem Humor und einem Cover von Elliott Smith, Between The Bars) traten noch zwei weitere französische Künstler mit französischen (und ab und zu englischen) Texten auf und machten ihre Sache ebenfalls ordentlich. Ich war aber einzig und allein für Maud Lübeck gekommen, die, diesmal ohne Piano, auch noch gemeinsam ein Lied mit Oshen performte.
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