Dienstag, 5. Februar 2019

Massive Attack, Frankfurt, 04.02.19


Konzert: Massive Attack (Mezzanine XX1-Tour)
Ort: Jahrhunderthalle Frankfurt
Datum: 04.02.2019
Dauer: knapp 100 min
Zuschauer: 4.800 (ausverkauft) 



Es gibt immer wieder Konzertabende, über die ich hinterher eine Weile nachdenke, der verstörende Auftritt von Amy Winehouse im Palladium in Köln beispielsweise, in der Regel sind das aber andere Gedanken als der nach dem Abend mit Massive Attack gestern. Nach dem ging mir nämlich vor allem eines durch den Kopf. "Häh?" 

Ich nähere mich dem Konzert chronologisch.

Als ich in der Jahrhunderthalle ankam und gerade noch ein Instagram-Foto des Gebäudes mit dem vermeintlich lustigen Kommentar "Konzert im Kernkraftwerk" gepostet hatte, fühlte ich mich prophetisch. Drinnen liefen ohrenbetäubende monotone Bass-Töne, die vermutlich nur in Industriebetrieben wie Kraftwerken ähnlich sind. Sehr laut, sehr tief und sehr lang. Und ganz deutlich genau so gewollt. Als sich der kommunizierte Beginn von 20 Uhr näherte und die schlimmsten Bass-Phasen schon ein paar Minuten vorbei waren, lief ganz gedämpft vom Band Angels von Robbie Williams. Angels - Angel, erstes Lied von Mezzanine, ich hielt das für einen Gag. Es war einer, allerdings ein viel tiefgreifender. Auf Angels folgte Britney Spears, danach Aerosmith. Spätestens da verstanden wir, daß man uns die britischen Single-Charts von 1998 servierte. 

Die Lieder liefen aber nicht einfach so vom Band, sie klangen dumpf, so als stehe man an der Ampel neben der Dorfjugend und höre durch zwei Satz geschlossene Autoscheiben RPR1 in aller Schönheit, laut und gedämpft. Irgendwann googelten wir mit, sagten Brandy & Monica und Aqua richtig voraus. Mir gefiel das Spiel und die - so deute ich es - Kulturkritik in diesem Vorprogramm ganz ausgezeichnet. Vielleicht auch, weil Lemon tree zwei Jahre vorher erfolgreich war.

Setlist Britische Single-Charts von 1998:

01: Robbie Williams - Angels

02: Britney Spears - ... Baby one more time
03: Aerosmith - I don't want to miss a thing
04: All Saints - Never ever
05: Chumbawamba - Tubthumping
06: Madonna - Frozen
07: Cher - Believe
08: Brandy & Monica - That boy is mine
09: Savage Garden - Truly madly deeply
10: Aqua - Doctor Jones

Danach betraten die Vertreter der guten britischen Musik der 90er die Bühne. Massive Attack waren zu siebt.  Zu Gesangsparts sollten später immer wieder Elizabeth Fraser und Horace Andy mit auf die Bühne kommen.

Die Tour heißt Mezzanine XX1 und feiert - Überraschung - 21 Jahre drittes Album. Das Konzept dazu ist durchdacht und  ziemlich großartig: wir spielen alle Songs des Albums und covern dann die Lieder, die wir in unseren Stücken gesampelt haben. So begann das Konzert nach einer Strobo-Attacke mit I found a reason (The Velvet Underground), das in Risingson von Massive Attack zitiert wird. Untermalt wurde das Stück von Videos u.a. vom Jungenwangen streichelnden Saddam Hussein, der Hochzeitskutsche von Fergie und Andrew, hinter der die Prinzessinnen Di und Anne herliefen, von der Produktion von Barbiepuppen und einer künstlich aussehenden Stadt am Wasser. 

Die Videoprojektionen der Tour stammen von Adam Curtis, der sie mit "The show tells the story of the strange journey we have all been on over the past twenty years since Mezzanine was released: How we have moved into a strange backward-looking world, enclosed by machines that read our data and predict our every move, haunted by ghosts from the past" beschreibt. Und genau die Projektionen waren es, die mich verunsichert zurückließen. Manipulation, das Abgreifen von Daten, unmenschliche Produktionsbedingungen, Krieg waren die Haupt-Themen. Und Prinzessin Di. Dazu kamen immer wieder Botschaften wie "die Vergangenheit hat die Zukunft geprägt" (auf Deutsch) oder bei See a man's face: "One people, one empire, one leader. - Wir sind das Volk. - Wir sind mehr." Was heißt das? Wir sagen auf, was uns aufgesagt wird? Alles schlecht, egal, worum es geht? Ich verstehe es nicht. Daß das Nazi-Mantra übersetzt wurde, hatte wohl Pietätsgründe.

Sehr bedrückend waren die Bilder zum Cover Where have all the flowers gone? Man sah dort Tote, vermutlich Opfer von Krieg oder Terror und Trauernde, zivil wie militärisch. Nahaufnahmen der toten Menschen. Dann Alice im Wunderland, Putin auf dem Roten Platz und Trump.

Trump tauchte oft auf, mal morphten alle möglichen Gesichter in das des US-Präsidenten, mal hatte er Putins Augen. Das war alles sehr clever irgendwie, mir erschließt es sich aber nicht richtig. In anderen Videos waren die Namen von opioidhaltigen Medikamenten eingeblendet. The opioid crisis reaches Hoechst. Da die Projektionen ein zentraler Bestandteil der Show sind, machen sie dann natürlich auch einen wichtigen Teil des Eindrucks aus, den der Abend hinterläßt. Bei mir eben "häh?"


Zwischendrin aber auch eine wundervolle Idee! Zu Dissolved girl liefen über die Leinwand hinter der Band drei verschiedene youtube-Videos von Fan-Coverversionen, meist das von einer Frau namens Corey Styles. Wie toll!





 
Was mich musikalisch erwartete, wußte ich grob. Ich hatte keinen Vergleich, weil ich die Band vorher noch nie gesehen hatte. Es gab Phasen des Konzerts, die Längen hatten (die Gefahr gibt es ja immer, wenn eine Band eine Platte komplett spielt), andere waren anstrengend. Aber ich bin auch kein Hardcore-Fan und war vor allem aus Neugierde da. Von der Kombination aus Album und Cover-Versionen hatte ich gelesen. So etwas finde ich extrem spannend. Warum Massive Attack Avicii coverten, weiß ich nicht und ob Bela Lugosi's dead Sample-Grundlage eines ihrer Songs ist, auch nicht. 

Die erschreckenste Erkenntnis des rätselhaft-eindrucksvollen (oder eindrucksvoll-rätselhaften) Abends war, daß ich vor der Haustür stehend "do youuuu believe in life after loooove" im Ohr hatte. 

Setlist Massive Attack, Jahrhunderthalle Frankfurt:

01: I found a reason (The Velvet Underground Cover)

02: Risingson
03: 10:15 Saturday night (The Cure Cover)
04: Man next door*
05: Black milk**
06: Mezzanine
07: Bela Lugosi's dead (Bauhaus Cover)
08: Exchange
09: See a man's face (Horace Andy Cover)*
10: Dissolved girl
11: Where have all the flowers gone? (Pete Seeger Cover)**
12: Inertia creeps
13: Rockwrok (Ultravox cover)
14: Angel*
15: Teardrop**
16: Levels (Avicii cover)
17: Group four**


* gesungen von Horace Andy
** gesungen von Elizabeth Fraser







 

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