Montag, 7. Januar 2019

British Sea Power, Louth, 31.12.18


Konzert: British Sea Power (& Haiku Salut)
Ort: Town Hall, Louth (Lincolnshire)
Datum: 31.12.2018
Dauer: British Sea Power gut 90 min, Haiku Salut gut 40 min
Zuschauer: wohl 400 (nahezu ausverkauft)




Kurz vor dem nahenden Brexit noch einmal einen England-Kurzurlaub zu machen, erschien mir eine meiner besseren Ideen 2018 zu sein (auch wenn ich da noch nichts von Prosecco-Pringles wusste). Daß an Silvester mit einem Konzert von British Sea Power und den von mir heiß geliebten Haiku Salut auch noch ein toller Abend stattfinden würde, machte die Idee noch eine Ecke toller.

Die "New Year's Eve Extravaganza" fand in Louth statt, einem kleinen Städtchen in Lincolnshire, vor dessen Toren Daniel Craig ein Haus besitzt. Louth liegt auf der Höhe von Sheffield und ist eine hübsche Kleinstadt mit einem hohen Kirchturm (90 m - die des Kölner Doms sind 157 m hoch, die St. James Church ist der 127-höchste Sakralbau weltweit! Und Daniel Craig!).

Das Konzert fand in der Town Hall statt, einem Gebäude aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Der Ballsaal bot ein perfektes Ambiente für eine Silvestergala, um ihn zog sich ein Balkon und - mitten über der Bühne - eine Kanzel mit einer Orgel. Ich hatte beide Bands schon einige Male gesehen, daher hatte ich eine Idee, was mich musikalisch erwarten würde - aber auch eben nur musikalisch. Gemeinsam mit mir kamen ein Mann in britischer Uniform an (wir feierten auch 100 Jahre Kriegsende und Frauenwahlrecht), ein paar Punks, Woody aus Toy Story und die Spice Girls an. Ein Großteil des Publikums war verkleidet, es war herrlich! 


Das Musik-Programm begann um 19:45 mit Retrograde aus Lincolnshire. Retrograde sind jung, haben zwei Sänger, die sich abwechseln und von denen einer eine ähnliche Stimme wie Alex Turner hat. Der halbstündige Auftritt war kurzweilig und füllte den Saal schon einmal.

Zwischen den Bands spielte ein DJ eine ungewöhnliche aber spannende Mischung von Sade über The Cure und Vanessa Paradis bis zu Elvis Costello. Sehr toll war dabei, daß Bilder der Künstler, die gerade liefen, an eine der Wände projeziert wurden. Aber auch das war nicht alles, plötzlich standen drei Bläser auf der Bühne, das Wolds Brass Ensemble, das zwei Lieder spielte. Das zweite war Jingle Bells, das ich erst für ein wenig verspätet hielt, bei dem aber der Saal euphorisch mitfeierte. Spätestens da war der Abend ein brillantes Silvester!


Blasinstrumente spielen auch bei Haiku Salut eine Rolle, allerdings nicht die wichtigste. Haiku Salut stammen aus dem benachbarten Derbyshire und sind Indietracks-Stammgäste. Seit ich sie da 2016 zum ersten Mal gesehen habe, bin ich riesiger Fan der Instrumental-Musik der drei Frauen, die echte Musikjournalisten wohl als Post-Tweepop oder Post-Indiepop bezeichneten. 
Die Musikerinnen, die einheitliche Schärpen mit unterschiedlichen Beschriftungen trugen, spielen bei ihren Konzerten zig Instrumente, loopen Musik-Teile, legen andere darüber, gehen von Station zu Station und erzeugen damit faszinierende Lieder, denen man eigentlich mit geschlossenen Augen zuhören müsste, dann verpasste man aber den spannenden Entstehungsprozess. Zentrales Instrument ist das Akkordeon, das in vielen der Liedern von mindestens zwei Musikerinnen bedient wird.
Mein liebstes Haiku-Salut-Lied ist The more and moreness, bei dem Sophie Barkerwood einen elektronischen Rhythmus erzeugt, während ihre Schwester Gemma und Louise Croft rechts und links von ihr trommeln, um dann immer wieder zu Posaune und Trompete zu greifen. Ich kann schlecht beschreiben, wie und warum Haiku-Salut-Konzerte so großartig sind aber das ist ja auch ein wenig unser Auftrag hier: Euch dazu zu bringen, Euch gefälligst die Bands anzusehen, die wir lieben!

Setlist Haiku Salut, Town Hall, Louth:

01: Nettles

02: Bleak and beautiful (all things)
03: Cold to crack the stones
04: ?
05: Choke points
06: Occupy
07: Things were happening and they were strange
08: The more and moreness


Zwischen all dem Blumenschmuck, den ich schon aus Köln und vom Indietracks kannte, bauten die BSP-Helfer die Bühne um. Bevor die Band aus Brighton aber anfing, kletterte deren Keyboarder Phil Sumner (der häufig verhaltensauffällig ist) zur Orgel und begann dort ein letztes Vorprogramm. Wie wundervoll!


Das Konzert von British Sea Power unterschied sich vermutlich nicht groß von denen der aktuellen Tour. Ich hatte die Band nach Jahren einmal wieder gesehen, als sie im Mai 2017 im Gebäude 9 in Köln gespielt hatte. Weil ich sie an gleicher Stelle Jahre vorher überragend gut und vollkommen verrückt erlebt hatte, langweilte mich das Konzert 2017 irgendwie. Obwohl der Auftritt als Headliner beim 18er Indietracks dramaturgisch nicht anders war, machte der mir wieder wahnsinnig viel Spaß. Vielleicht würde ich das heute nicht schreiben, wenn der Zwei-Meter-Eisbär, der beim Indietracks unmittelbar vor uns ins Stolpern kam und auf uns zustürzte, das auch gemacht hätte und sich nicht im letzten Moment noch hätte fangen können. 


Sänger Scott Wilkinson hatte die Kleiderwünsche der Veranstalter ernst genommen und kam in einem Panflöten-Fußgängerzonen-Band-Outfit auf die Bühne, in der Winterversion mit russischer Kappe. Später zog er Poncho und Klappohr-Mütze ab und trug Jacket und Schlafmütze. Unter der Schlafmütze trug er ein Stirnband, das er aber dann irgendwann, als der Abend legerer wurde, auch ablegte. Bassist Hamilton hatte nur eine schlumpfblaue Perücke an und wirkte neben seinem Gitarristen fast bieder.


Außer mir waren bei weitem nicht nur Ludensians da - oder BSP sind auch in der englischen Provinz so allgegenwärtig, daß der Großteil des Publikums jedes Lied mitsingen konnte. 

Es war fantastisch, es war genau die richtige Live-Band für Silvester. Der Saal tanzte. Erst alleine, dann mit den beiden Bären. Nur die beiden armen Securities waren nicht richtig vorbereitet auf das, was bei BSP passieren kann. Als die zur Band-Folklore gehörende Sex-Puppe durchs Publikum flog, sammelten die Ordner sie ein und legten sie hinter die Bühne. Als später ein Mann auf den Schultern eines anderen tanzte (normalerweise unhöflich, bei British Sea Power sehr üblich, gerne auch mit Pferdemaske oder auf der Bühne), stoppten sie ihn. 



Um zwei vor Mitternacht war das letzte Lied gespielt, die Band ging von der Bühne. Es setzte Glockengeläute ein, 2018 war in den Loch verschwunden, aus dem es gekommen war. Um fünf nach zwölf erschienen BSP wieder für das furiose Finale aus Waving flags und The great skua! Meine beiden ersten Lieder 2019.

Eine Extravaganza hatten sie angekündigt und eine Extravaganza hatten sie geliefert. Thanks, Stu, Bob & Ben!

Setlist British Sea Power, Town Hall, Louth:

2018:
01: Machineries of joy

02: Bad bohemian
03: What you're doing
04: Atom
05: Childhood memories
06: Bear
07: kW-h
08: How will I ever find my way home?
09: Mongk II
10: True adventures
11: Lights out for darker skies
12: Remember me
13: No Lucifer
14: Carrion
15: All in it

2019:
16: Waving flags (Z)
17: The great skua (Z)

Links:

- aus unserem Archiv:
-
British Sea Power, Paris, 08.10.11
- British Sea Power, Köln, 22.02.08
- Haiko Salut, Ripley, 31.07.16





 

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