Konzert: Coals
Ort: Acephale, Köln
Datum: 19.10.2017
Dauer: Coals netto 60 min, Tired Eyes Kingdom knapp 40 min
Zuschauer: vielleicht 60?
Beim Iceland Airwaves im vergangenen Herbst machten einige Künstler großen Eindruck auf mich. VAR, Wesen, Puffin Island, Beliefs oder alte Bekannte wie Oyama machten das Festival so spannend. Einige der Konzerte fanden im Kex-Hostel in Reykjavik statt, das wohl auch wegen seines Namens während der Airwaves die Basis des Radiosenders KEXP aus Seattle ist. Die Kex-Konzerte waren besondere Highlights der Woche, man konnte da blind hingehen und bekam grundsätzlich tolle Musik geboten - als Bonus mit gutem Sound und toller Ausleuchtung. Besonders gut gefiel mir im Kex ein junges Duo aus Polen, das schüchtern und verhutzelt vier Lieder spielte und mich von Stück zu Stück mehr in seinen Bann zog. Coals klangen isländischer als die meisten isländischen Bands beim Festival (Oyama sind z.B. Shoegazer, Puffin Island teenagefanclubartig).
Vor ein paar Monaten waren Coals dann schon einmal in Deutschland, allerdings nur in Hamburg und (bzw. oder) Berlin. Als eine neue Tour und ein Halt in Köln angekündigt wurden, sagte mir der Club nichts. Das Acephale ist eine Bar auf der Luxemburger Straße, allerdings hinter der Bahn. Da auch die Vorgruppe interessant zu sein versprach, war ich zum angekündigten Einlaß da, es sollte schon um 20:30 h anfangen. Das Acephale ist gerade sehr angesagt und wurde später auch ordentlich voll, allerdings sieht man dann nicht mehr schrecklich viel, weil der Laden durch die große Bar sehr schmal ist. Bei Tired Eyes Kingdom hätte man noch etwas sehen können, obwohl die vierköpfige Band, die sich am Folkwang Institut für Populäre Musik getroffen hat, ganz hinten auf der eh schon zurückversetzten Bühne stand.
Das erste Lied, das die Gitarristin sang, erzeugte bei mir Rainbirds-Assoziationen, weil die Stimmen und Gesangstempi sehr ähnlich sind. Allerdings ist das erste Instrument bei Tired Eyes Kingdom die Elektronik. Es gibt zwar Gitarre und Bass, eben aber auch eine Unmenge an elektronischen Instrumenten, die die Musik dominieren. Da war ein gutes Stück Triphop in den Liedern der vier, was die ordentliche Portion Soul im Gesang (damit kann man mich eigentlich jagen), sehr spannend machte. Daß Hans Nieswandt Förderer oder Fan der Gruppe ist, wundert mich nicht, ich bin es nach dem Konzert auch. Tired Eyes Kingdom haben Anfang September eine EP veröffentlicht, von der sie die meisten Lieder spielten. Das war richtig gut und passte gut zur Hauptgruppe.
Setlist Tired Eyes Kingdom, Acephale, Köln:
01: Will
02: Old moon
03: Boy (mess it up)
04: Zero to one
05: Edge
06: V's sessions
Coals haben sich verändert seit letztem Jahr. Zum einen hatten Sängerin Katarzyna Kowalczyk und Keyboarder Łukasz Rozmysłowski einen zusätzlichen Bassisten dabei, zum anderen wirkte die Band, vor allem die Sängerin bei weitem nicht mehr so verschüchtert wie auf Island. Vor zwei Wochen erschien die Debütplatte der Polen mit den beiden riesigen Hits Rave 03' und Skeleton in the closet (das mittlerweile S.I.T.C. heißt).
Das Konzert fing sehr komisch an. Die drei Musiker schlenderten auf ihre Plätze, nachdem schon alles vorher aufgebaut worden war. Es fing eine Art sphärische Hintergrundmusik an, so etwa wie auf Föderationsraumschiffen. Ein melodisches Rauschen. Das Publikum hielt das noch für den Soundcheck, ich bin mir nicht sicher, dafür waren da schon zu viele Beats, die sich langsam steigerten. Nach knapp fünf Minuten drehte sich das in geordnetere Bahnen und Katarzynas Gesang setzte langsam ein. Going to a rave alone.
Zu sehen gab es wenig. Coals standen im Nebel auf der von oben vollkommen unbeleuchteten Bühne und wurden nur von einer LED-Halbkugel, so einer Discokugel auf dem Boden, mit bunten Lichtpunkten angeleuchtet. Das passte zu der wabernden, sich von Lied zu Lied hangelnden Musik sehr gut, verleitete aber auch leider dazu, weniger der Band da vorne als den spannenden Geschichten der Kumpels zuzuhören.
Ich kannte kaum etwas, habe die Platte (CD!) erst nach dem Konzert gekauft. Neben meinen beiden Lieblingen aus Island war aber viel dabei, was mir ebenso gut gefiel. 90's babies ist so ein Hit - und viel eher ein klassisches Lied als die meisten anderen der Gruppe, wenigstens am Anfang, dann macht es ein paar abenteuerliche Wendungen, um wieder in dem zu münden, was etwas an Austra erinnert. Ein toller Song!
Viele Lieder des Konzerts (und der Platte) spielen in den 90ern. Das Album heißt schon Tamagotchi, Lieder VHS nightmare oder irgendwas mit Rave. Es handele von ihrer Kindheit, habe ich irgendwo gelesen. So genau nachvollziehen kann ich das nicht, weil ich zu wenig verstehe. Aber da Coals weniger eine Song- als eine Sound-Band sind, wenigstens nach meiner Interpretation, ist das nicht dramatisch.
Auch als Łukasz nach VHS nightmare eine Ansage machte, waberte die Musik weiter, zwischen vielen der Lieder gab es keine Pausen. Das ist alles viel weniger eingängig als beispielsweise die eben zitierten Austra, an die mich die popigeren Songs von Coals immer wieder erinnern, daher werden Coals vermutlich nie das E-Werk spielen. Aber sie sind so aufregend, daß sie hoffentlich für ein größes Publikum (und vor allem eines, das an der Band interessiert ist) spannend werden.
Am Ende kamen dann die beiden irren Ohrwürmer Rave 03' und Skeleton in the closet. Gerade das letzte setzt sich so sehr in meinem Kopf fest, wenn ich es höre, das ich das schon fast vermeide. Das mantraähnliche "Curiosity killed the cat" ist wundervoll. S.I.T.C. ist auch eines der wenigen Lieder, bei denen Łukasz mitsingt.
Seit Reykjavik habe ich immer wieder die KEXP-Videos gesehen und eine große Vorfreude aufgebaut. Bewußt hohe Erwartungen aufzubauen, ist riskant, ging aber bei Coals gut aus, die Band ist toll, die Platte ist toll und das Konzert war toll, wenn man die vielen lauten Gespräche ausblendet.
Setlist Coals, Acephale, Köln:
01: Going to a rave alone
02: November
03: 90's babies
04: VHS nightmare
05: Witch club
06: Hauntology
07: East streets
08: Dino-deano
09: Hoodie Blake
10: Rave 03'
11: S.I.T.C.*
Links:
- aus unserem Archiv:
- Coals, Reykjavik, 03.11.16
* nicht ganz sicher bei der Reihenfolge in der Mitte
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