Mittwoch, 14. November 2012

Pulp, Paris, 13.11.12


Konzert: Pulp
Ort: Olympia, Paris
Datum: 13.11.2012
Zuschauer: 2.000 (nach wenigen Minuten ausverkauft)
Dauer: 120 min



Als Anfang September ein Pulp Konzert für das Pariser Olympia angekündigt wurde, musste ich nicht lange nachdenken. "Ich habe mal zwei Tickets auf Verdacht gekauft, ist sicher schnell ausverkauft," mailte ich meinem Kumpel Oliver in Paris. Seit einigen Monaten hatte ich meinen dort lebenden Freunden versprochen, deren neue Wohnung anzugucken, dies war die perfekte Gelegenheit.


In meinem Bericht vom Comeback-Concert der Britpop-Helden in Barcelona hatte ich die Rolle der Band in meiner musikalischen Welt schon beschrieben. Neben wenigen anderen hatte mich Pulp durch die trostlosen 90er Jahre gerettet. Ich hielt damals Grunge für hemmungslos überbewertet und mochte die Musik dieser langhaarigen Holzfällerhemd-Typen ganz und gar nicht. Meine kleinen Oasen waren vor allem die Smiths, New Order, Galaxie 500, Lush, die Pale Saints, Tweepop (ohne den Begriff zu kennen) und der aufkommende Britpop. Ich mochte Oasis gerne, meine Helden waren allerdings uneingeschränkt Pulp! Das - genauso wie mein Urteil über die langhaarigen Holzfällerhemden-Musik - hat sich bis heute wenig geändert. Es war also nicht nur ein Ticketkauf auf Verdacht, ich meinte das verdammt ernst.

Schwer zu erraten, daß sich der Ausflug gelohnt hat. Ein Entertainer wie Jarvis Cocker mit dem Repertoire einer Hitfabrik wie Pulp in einem der schönsten Konzertsäle, die ich kenne, da konnte nun wirklich nichts schiefgehen!


Es war ein großartiger Abend. Nach DIIV vorgestern (Bericht folgt noch) waren wir uns sicher, daß wir uns in ein paar Wochen nicht mehr daran erinnern werden. Dies hier wird sehr lange anhalten. Do you remember the last time? Klar!


Wir hatten die Vorgruppe bewußt ausgelassen und waren nach dem großen Ansturm am Olympia. Vor der Tür des berühmten Clubs standen reihenweise Schwarzhändler, die noch Tickets aufkaufen wollten. Ein last-minute Kauf wäre wohl sehr teuer geworden. Hätten wir keine Karten gehabt, hätten wir wohl zu Deep Purple gehen müssen.

Kurzzeitig gab es noch die Information, zwischen (Namen entfallen-) Vorgruppe und Pulp spielten noch Chairlift ein Konzert, weil deren Auftritt am Beginn des Festival Les Inrocks wegen des US-Sturms ausgefallen war. Chairlift wurden aber wieder entstätigt, uns blieb also ein wenig mehr Zeit vor Pulp.


Das Olympia ist deutlich kleiner, als ich es in Erinnerung hatte, allerdings wurde die Zahl von 2.500 Besuchern mehrfach bestätigt. (Nachtrag: laut Wikipedia passen 1.700 bis 2.000 Zuschauer rein). Mir kommt der eigentliche Innenraum nicht sehr viel größer vor als das Kölner Gloria, durch einen großen Balkon-Rang verteilen sich die Zuschauer aber auch angenehm auf zwei Ebenen. Nachdem die Vorgruppe durch war, gab es reichlich Platz bis weit vorne durchzukommen, das "Voll" im Olympia war nicht unangenehm. Wie sich das für ein Theater gehört, verdeckte ein Samtvorhang die Bühne. Nachdem der gelüftet wurde, waren die Instrumente immer noch von einem durchsichtigen Stoffwand verdeckt, Teil des weiteren Vorprogramms. Kurz vor neun nämlich, als es dunkel wurde und man die Bandmitglieder schon auf der Bühne erahnen konnte, begann eine kleine Lasershow (nachdem wir vorher schon Werbung sehen mussten). Lasershows sind das fieseste Nebenprodukt der Weltraumtechnik und nerven mich immer schon wahnsinnig. Diese war sehr kurz und einmal witzig, insofern bin ich milde. Mit grüner Schrift kamen da Animationen wie "ich höre euch nicht" oder "lauter". Muß ich wirklich nicht haben, aber wenn es dem Rest gefällt, nun denn. "Vous voulez un Dauphin?"*,  dem ein Laser Delphinchen folgte, war nett, der Rest glücklicherweise schnell vorbei.
 

Natürlich begann das Konzert mit Do you remember the first time?, vermutlich die Standard-Eröffnung, so läge es zumindest auf der Hand. Das Stück stammt von His 'n' hers, dem 1994er Album, das den ersten größeren kommerziellen Erfolg gebracht hat. Während Do you remember... hatte ich keinerlei Zeit mich umzugucken, es passierte einfach viel zu viel gleichzeitig. Der Boden vibrierte unter dem Gehüpfe der Zuschauer, was wieder zu mehr Hüpfen führte, weil es wirklich heftig bebte! Vorne auf der riesigen Bühne hüpfte ein hochmotivierter Jarvis Cocker vor enormer PULP-Leuchtreklame. Erst nach dem Stück hatte ich Gelegenheit, die Bühne näher anzugucken (in Barcelona stand ich zwischen 60.000 mitten in der Nacht so doof am Rand, daß ich nur den Frontmann sah, wenn er sich am Bühnenrand aufhielt). Zwei Gitarristen, Schlagzeug, Bass und Keyboarderin begleiteten Jarvis. Drei von den fünfen sind die uralte Pulp-Mannschaft Candida Doyle, Nick Banks und Steve Mackey, die schon mindestens seit Separations (3. Platte) gemeinsam spielen. Mark Webber an einer der Gitarren ist seit Different class Pulp-Mitglied.

Ganz sicher sind alle vier (und der andere Gitarrist, bei dem ich keine Idee habe, wer er ist) fabelhafte Musiker, die mehr Aufmerksamkeit verdienten. Allerdings haben sie das Pech (und Glück) neben einem Prototypen einer Rampensau auf der Bühne zu stehen, der jeden Begleiter in den Schatten stellen würde. 

Und Jarvis ist auch ein großer Entertainer! Der Engländer, der lange in Paris lebte, spricht ein untypisch gutes Französisch und begann schnell, die Geschichte von Pulp in Paris zu erzählen. Er nutzte jede Pause, um von Auftritten zu erzählen, um zu fragen, wer bei den Konzerten am 19.10.1991 oder am 04.11.1993 dabei war. Besonders die langen französischen Jahreszahlen sprach Jarvis ganz betont aus. Als er aber zum dritten Mal über den Auftritt von 1991 sprach, war ihm das zu viel, er flüchtete in die englische Kurzform.


Während der Lieder hüpft der schlacksige Musiker, er rennt, zeigt auf einzelne Zuschauer und spricht sie mit "you!" an, klettert auf Boxen und macht all die anderen Dinge, die Rampensäue so machen - ohne aber jemals das Dandyhafte aufzugeben, das bei ihm allgegenwärtig ist.

Das Programm war blockweise aufgebaut. Do you remember... folgten zwei weitere His 'n' hers Lieder, Pink glove und Razzmatazz. Dann viermal Different class, wieder drei von His 'n' hers, zweimal This is hardcore... Es schien also nicht unbedingt alles bis zum letzten durchchoreographiert zu sein, die Setlist scheint eher pragmatischen Überlegungen zu folgen. "Was von This is hardcore können wir noch mal live spielen?"

Es gab auch ruhigere Phasen während des zweistündigen Konzerts, keine Frage, das waren aber die Ausnahmen, typisch waren der rennende Jarvis, das tanzende und mitsingende Publikum und natürlich der bebende Boden. Wow, hat das viel Spaß gemacht! Natürlich zogen Lieder wie Razzmatazz, Disco 2000, Babies, Bar Italia oder Common people noch einmal besonders kräftig, zum Luftholen blieb aber höchstens bei der langen Einleitung von This is hardcore Gelegenheit. Aber da tanzte der Sänger aus Sheffield auf der Box vor uns rum, allerdings beschreibt es das nicht richtig: Jarvis räckelte sich lasziv auf dem Boxenturm und spielte den Song nach.


Nach This is hardcore folgte mit Sunrise das einzige Stück vom siebten Album We love life, bevor die grandiosen Bar Italia und (das immer noch nicht abgenudelte) Common people den reguären Teil nach anderthalb Stunden beendeten. Aber Jarvis hatte ganz am Anfang schon gesagt, sie wollten eine Menge Lieder spielen.

Die erste Zugabe war eine schöne Überraschung, nämlich Countdown vom dritten Album Separations. Bevor es danach mit Little girl (with blue eyes) weiterging, erzählte Jarvis, daß seine Mutter Christine ("it's an english and french name!") Geburtstag habe und 70 würde. "Meine Mutter ist hier, sie ist da oben. Wollen wir ihr ein Geburtstagsständchen singen?" Frau Cocker guckte zwar zuerst ein wenig mürrisch (hätte ich auch), ließ es aber über sich ergehen und stand auf, um sich besingen zu lassen.

Die ersten Zugaben endeten mit Mis-shapes (Different class). Da danach schnell wieder Helfer auf die Bühne kamen, um Gitarren zu stimmen, blieb zumindest noch ein Song. Vor dem (Live bed show) entschuldigte sich der Frontmann dann dafür, daß danach leider Schluß sei, es gäbe sonst Probleme mit dem Hausgespenst.

Zwei Stunden können verflucht schnell umgehen, wenn nur der Inhalt stimmt, und der stimmte sehr! Warum ich in den 90ern Pulp und Oasis Blur vorgezogen habe, habe ich mich seit August oft gefragt, warum mir Pulp so unendlich viel wichtiger als Oasis waren (und als die meisten amerikanischen Zeitgenossen) weiß ich neu aufgefrischt wieder zu deutlich! Grandiose Band, grandiose Lieder, grandioser Sound, grandioser Abend!

Setlist Pulp, Olympia, Paris:

01: Do you remember the first time
02: Pink glove
03: Razzmatazz
04: Something changed
05: Disco 2000
06: Sorted for e's and wizz
07: F.E.E.L.I.N.G.C.A.L.L.E.D.L.O.V.E.
08: Acrylic afternoons
09: Have you seen her lately?
10: Babies
11: Help the aged
12: This is hardcore
13: Sunrise
14: Bar Italia
15: Common people

16: Countdown (Z)
17: Geburtstagsständchen Christine Cocker (Z)
18: Little girl (with blue eyes) (Z)
19: Mis-shapes (Z)

20: Live bed show (Z)

Links:

- Pulp, London, 01.09.11
- Pulp, Barcelona, 27.05.11

* Dauphin ist Delphin aber auch Nachfolger bzw. Thronfolger




1 Kommentare :

melina hat gesagt…

The other guitarist is Leo Abrahams :)
http://www.leoabrahams.com/

 

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