Mittwoch, 3. August 2011

Whipping Boy, Dingle, 29.07.11


Konzert: Whipping Boy
Ort: Dingle, Irland
Datum: 29.07.2011


Das westlichste Konzert des Jahres - in Dingle
von Ursula von neulich als ich dachte

Mein Freund fährt leider nicht sonderlich gerne in Urlaub. Was er dagegen liebt, sind Konzerte, und so sind viele unserer gemeinsamen Ausflüge Kombinationen aus (Städte-)Reise für mich und Konzerten für ihn - letztes Jahr sahen wir so beispielsweise in Wien Jónsi und CocoRosie (und Wien).

Als wir für dieses Jahr begannen, eine Irlandreise zu planen, lag schnell auf der Hand, dass die Konzertsache dieses Mal schwierig wird. In unserem Urlaubsgebiet auf der abgelegenen Halbinsel Dingle konnte man vielleicht traditionelle irische Musik hören, aber das Indie-Genre dürfte hier im allgemeinen eher unterrepräsentiert sein.

Als wir dann aber vor Ort eines Nachmittags in der Hauptstadt von Dingle - Dingle (1775 Einwohner) - in einem Café pausierten und in der Gruppe darüber nachdachten, ob man noch versuchen sollte, die einzige Attraktion des Ortes, einen zahmen Delphin in der Bucht, zu besichtigen, kehrte mein Freund mit einem Mal strahlend von der Toilette zurück - und trug aufgeregt einen Flyer bei sich.

Selbst in Dingle gab es also Konzerte, und zwar nicht nur irgendwelche: An unserem letzten Abend auf der Halbinsel sollte die Band Whipping Boy spielen, die es in den 90ern zu einer gewissen internationalen Berühmtheit gebracht hatte, um dann in der Versenkung zu verschwinden. Ich selbst kannte nur, aber immerhin, die Single "We don't need nobody else", und nach Anhören eines der drei Alben der Band auf dem iPod beschlossen wir, Eintrittskarten zu erwerben. Offizielle Vorverkaufsstelle war übrigens Europas westlichster Surfladen - in Dingle ist fast alles Europas westlichstes irgendwas.

Und so begaben wir uns einige Tage später via 500 Höhenmeter und einen teils einspurigen und von Schafen begangenen Pass zurück nach Dingle, und zwar in ein Hotel mit eigenem 80er-Jahre-Nachtclub. Konzertsaal war aber die Hotelbar, die eine verwirrende Mischung aus klassischem Pub und 70er-Jahre-James-Bond-Bar (letztere wohl ein Originalrelikt und deshalb mit seltsamem Geruch in den Polstern) darstellte. Bei unserer Ankunft gegen 22 Uhr gab es zwar wenig Zuschauer, dafür aber bereits eine Band auf der kleinen Bühne, die sich später als "News for the Deaf" vorstellte und zunächst einen etwa halbstündigen Soundcheck veranstaltete.

Bereits dieser nun folgende Auftritt gestaltete sich einigermaßen skurril: Die Band verfügte über nur zwei Mitglieder, Sänger/Gitarrist und Schlagzeuger, zusätzlich aber über einen eigenen Roadie/Ansager, der den Auftritt damit zubrachte, mit einer normalen Stehlampe eine "Lichtshow" zu veranstalten, indem er diese – vor der Bühne stehend - möglichst schnell an- und ausknipste!

Die Musik der Band war hauptsächlich laut und ihr Auftritt zum Glück nicht länger als der vorhergehende Soundcheck. Anschließend begann der Saal, sich zu füllen, wobei das Publikum wohl eines der gemischtesten war, die ich je bei einem Konzert gesehen hatte: Es gab einzelne Herren auf Geschäftsreise, wie für eine Misswahl aufgetakelte Mädchen, zahlreiche Schülerinnen und Schüler, die auf eine Klassen- oder Schulparty schließen ließen, Männer in Karohemden und eine Gruppe von Mittvierzigerinnen, die wirkten, wie ein Damenclubausflug.

Es war mittlerweile 23 Uhr, aber die Bühne wurde nun nicht wie von uns erhofft von Whipping Boy, sondern einer Gruppe Jugendlichen betreten, die in den 90ern sicher noch Windeln trugen. Wie wir später verstanden, handelte es sich hierbei um die eigentliche Vorband Alsononaz, die große Bandhoffnung von Dingle. Das von Anfang an höchst begeisterte Publikum bekam für unsere Ohren eher langweiligen Rock im US-Stil geboten, der uns an Nickelback oder Creed erinnerte (wer sich ein eigenes Urteil bilden möchte, kann hier ein Lied anhören).

Wir waren aber definitiv als einzige Zuschauer eher unbeeindruckt, denn der Großteil des Publikums, das wurde von Song zu Song immer deutlicher, war nur wegen Alsononaz hier. Texte wurden mitgesungen, Fotohandys gezückt, und als es beim letzten Lied selbst die Damengruppe nicht mehr auf den Sitzplätzen hielt, wurde uns langsam auch bewusst, dass es sich hier wohl um die Mütter und Tanten der Bandmitglieder handelte. Zugaben wurden gefordert, aber nicht gegeben, und so war die Bühne gegen Mitternacht wieder leer, allerdings verließ etwa die Hälfte des Publikums, nachdem man Alsononaz noch ausführlich gratuliert hatte, den Raum.

Unsere Sorgen wuchsen: Kam hier noch etwas? Wir hatten eine weitere dunkle Passfahrt in unserer unmittelbaren Zukunft und planten zusätzlich, in etwa sechs Stunden wieder wach zu sein. Waren wir überhaupt auf einem Whipping Boy-Konzert? Als die Bühne dann nach kurzer Pause von zwei weitgehend identisch aussehenden Glatzköpfen mit Spitzbärten erklommen wurde, folgte sogleich die nächste Sorge: Spielte hier vielleicht eine andere Band namens Whipping Boy, die aus der Metal-Ecke stammte?

Es folgte ein kleiner, gedrungener Mann in schwarz mit Briefträgermütze, der für die noch vorhandenen Publikumsmitglieder sogleich mit "Tripped" und "Honeymoon is over" zwei alte Whipping Boy-Songs anstimmte. Wir waren also doch beim richtigen Konzert! Es folgte "Bad Books" vom dritten und letzten Album, und Sänger Fearghal McKee beschloss zum ersten, aber nicht letzten Mal an diesem Abend, dass das Publikum zu weit weg war: Er verließ die Bühne, ließ das Mikrophon an seinem Kabel über dem Kopf kreisen und ging eine Runde an den Zuhörern vorbei.

Diese waren zu diesem Zeitpunkt des fortgeschrittenen Abends größtenteils nicht mehr allzu nüchtern: Der Roadie der ersten Vorband drehte die wackeligsten Handyvideos, die man sich vorstellen kann, Dingles Lookalike von Ian Brown schlug, wenn ihm Lieder gefielen, Rad, und ein junger Mann mit wenig Zähnen sprach nach und nach jede einzelne Frau im Raum an. Ein besonders betrunkener Herr bestieg irgendwann die Bühne und war eine ganze Zeitlang nicht mehr herunter zu bekommen.

Was parallel von Bandseite auf der Bühne und davor geschah, war aber nicht minder verwirrend: Herr McKee legte irgendwann Briefträgerhut und Jacke ab, drunter trug er eine Art Trachtenjacke. Als irgendwann auch diese fiel, hatte er darunter eine äußerst figurbetonte schwarze Kutte aus Stretchstoff. Bodenlang. Mit Kapuze. Und auch die Ansagen waren verwirrend bis besorgniserregend. Dass ein neues "Lied" eine Schimpftirade auf Rupert Murdoch war, konnten wir immerhin noch verstehen, vieles andere blieb jedoch unklar. Was schade ist, denn die Welt steht offenbar kurz davor, ein "open air concentration camp" zu werden, und wir wissen nun nicht, was dagegen zu tun ist.

Ich habe in der Zwischenzeit ein wenig recherchiert und weiß mittlerweile, dass Whipping Boy wohl schon immer eine eher ungewöhnliche Liveband waren:

(...) their live shows continued to raise their profile, as much for the stage antics of McKee as for the music. McKee had something of a self-destructive attitude, and had been known to cut himself with broken glass on stage. (Quelle)

Hier kann man zusätzlich ein wenig über die früheren und aktuellen Aussagen von Fearghal lesen, was mich vermuten lässt, dass es vielleicht doch nicht so schlimm ist, wenig verstanden zu haben...

D
as Konzert schritt unter anderem mit den Singles "When we were young" und "Twinkle" voran, wobei die gebotenen Versionen der Lieder mehr und mehr zum Punkrock tendierten und die Lautstärke immer ohrenbetäubender wurde. Dem Publikum gefiel's, und es kam sogar zu vereinzelten Pogo-Ansätzen. Gegen 1:30 hörten wir als letztes Lied des Abends das mir vorab bekannte "We don't need nobody else" und durften dann nach Hause ins Bett fahren. Die Hotelgäste haben sich sicherlich ebenfalls gefreut, dass nun in der Bar endlich Ruhe war ...

Ich selbst fand den Abend recht anstrengend, da ich besonders zum Ende hin müde und hauptsächlich damit beschäftigt war, a) Umarmungen des Sängers und b) Berührungen und Konversationen mit den wackeligeren Publikumsmitgliedern zu vermeiden. Vergessen werde ich ihn aber sicherlich nie.



2 Kommentare :

Frank hat gesagt…

"Mein Freund fährt leider nicht sonderlich gerne in Urlaub. Was er dagegen liebt, sind Konzerte, und so sind viele unserer gemeinsamen Ausflüge Kombinationen aus (Städte-)Reise für mich und Konzerten für ihn..."
Hihi, der Satz könnte auch von Katja stammen.

Unterhaltsamer,lustiger Bericht, und in Geografie wieder was gelernt. :-)

Olly hat gesagt…

Einfach cool !

Gruss

 

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