Samstag, 23. April 2016

Afenginn, Wiesbaden, 22.04.16


Konzert: Afenginn
Ort: Walhalla in Wiesbaden
Datum: 22. April 2016
Dauer: 110 min + Pause
Zuschauer: etwa 30


Für mich ist gerade Konzertweihnachten mit vier Feiertagen. Am Donnerstag begann die große Bescherung mit einem Konzert der Locas in Love in Karlsruhe. Am Freitag ging es nach Wiesbaden in die Walhalla um die grandiosen Afenginn zu sehen. Sie spielen zwar etwas öfter als die Locas, aber meist gibt es nur eine Gelegenheit pro Jahr und dann muss man es nehmen, wie es kommt. Es gibt dabei stets zwei große Pluspunkte: (1) Es sind immer besondere und einladende Auftrittsorte; (2) Die Konzerte sind mitreißend und passen in keine mir bekannte Schublade.
 


Letztes Jahr war ich ihnen im Sommer nach Basel (eigentlich auf ein Städtchen bei Basel) nachgereist. Das lag einerseits daran, dass vorher leider mein Plan, alle meine Freunde in Weimar auf das dort für den März geplante Konzert zu nötigen, geplatzt war, weil sich Kim Nyberg auf der Tour in Australien (am Jahresbeginn) schlimm verletzt hatte und noch nicht wieder fliegen durfte. Und andererseits gab es in Riehen als Bonus eine Aufführung mit lokalem Chor. Das war wirklich beeindruckend. Dieses Jahr begann ihre deutsche Tour mit dem brandneuem Album Opus in Wiesbaden, was zugleich der für mich am bequemsten zu erreichende Konzertort war (alle weiteren Daten finden sich unten).
 


Es trifft sich natürlich nun gut, dass ich gleich ein wenig berichten kann, wie mein Eindruck vom Wiesbadener Konzert ist, um vielleicht den Appetit für andere anzuregen. Zunächst war ich sehr neugierig auf das Walhalla. Ich hatte gerade kürzlich noch Fotos vom Auftritt der The Lake poets dort gesehen (die ja dann kurz später bei uns in Karlsruhe Station machten) und es sah irgendwie schaurig schön aus. Ein Ort wie geschaffen dafür, mal für einen Abend bei  "Normalität" die Pausetaste zu drücken. Mit seinen großen barocken Spiegeln und den gigantischen Lüstern gefiel es mir sofort, zumal der Zahn der Zeit schon heimlich (unheimlich?) alles ein wenig ins irrwitzige gerückt hat. Hier kann man gut feiern, am Leben zu sein und dabei die Vergänglichkeit umarmen, die allem Leben innewohnt. Also ein Ort wie geschaffen für die Musik von Afenginn.
 


Als ich kurz nach der angegebenen Einlasszeit ankam, war die Band selbst wohl noch nicht so lange da und gerade mit dem Soundcheck beschäftigt. So hieß es noch etwa 40 min warten, bis wir eingelassen wurden. Ich war in dem Moment sehr froh, dass ich mich im Vorfeld dafür entschieden hatte, mir eine Übernachtung zu suchen, denn die letzte halbwegs zumutbare Verbindung würde ich so wohl nicht mehr schaffen, wenn ich bis zum Ende des Konzerts bleiben wollte.
 

Die Bühne war in etwa vorbereitet, wie ich es erwartet hatte. Am auffälligsten waren das Schlagwerk rechts vorn und die Marimba links hinten und außerdem ein Kontrabass rechts hinten. Vorn gab es Viola und Geige, eine großen Mandoline (Kim sagte mir später, das sei eine Mandola) und die immer wieder für mich eindrucksvolle Bassklarinette am Bühnenrand. Als die Künstler kurze Zeit später auf die Bühne traten, waren für mich einige neue Gesichter dabei. In Deutschland ist Afenginn diesmal unterwegs mit

Kristoffer Nybye - Klarinette und Bassklarinette
Alexander Kraglund - Violine und Viola
Kim Nyberg - Mandoline und Mandola
Nils Bo Davidsen - Kontrabass
Knut Finsrud - Schlagwerk
Kaare Munkholm - Marimba
 

und Roma Komar sorgt für den perfekten Sound. Nachdem ein Räucherstäbchen feierlich entzündet worden war, ging es für eine Stunde durch drei Teile von Opus. Ich hatte mich in den letzten Wochen schon mit der neuen Musik vertraut gemacht. Sie ist - wie der Name schon ein wenig vermuten lässt - noch etwas mehr in Richtung klassisch gegliederte Werke gegangen ohne die Prise Geheimzutat zu verlieren, an der man Afenginn auch drei Meilen gegen den Wind erkennen muss.
 

Richtig deutlich wurde mir das im zweiten Teil des Konzertes, wo sie auch noch einmal Lieder aus dem Album Bastard Etno auspackten, wo es derbe tanzbar zur Sache geht und auch gestampft und gebrüllt wird (der Name ist Programm). Das alles wird man auf dem aktuellen Album nicht finden. Allerdings war die Live-Darbietung nicht weniger intensiv, fesselnd und ganz und gar mitreißend, aber es spielte sich die Spannung und Dynamik auf einer anderen Ebene ab.
 

Während des Konzertes habe ich daran denken müssen, dass die Briten in ihren Sagen das Reich der Fairy kennen. Das kennt man als Wort zwar von den Fairy Tales - die übliche Übersetzung für Märchen. Aber die Mythologie dahinter ist nicht die gleiche wie das was wir aus unseren Märchen kennen (selbst wenn man die weichgespülte Disney Variante nicht mitzählt, sondern sich an die alten Texte hält). Fairy ist mehr so eine Art Anderland mit anderen Gesetzen, die eigentlich nicht für Menschen gemacht sind. Zeit ist völlig verbogen und für menschliche Sinne nicht messbar, es gibt viele Kräfte, die unbeschreiblich (fast unmenschlich) wunderbar sind und Lebensfülle möglich machen, wie es sie auf unserer Erde nicht gibt, aber auch vieles, das man lieber meidet inklusive  unsagbar schrecklicher Abgründe. Als Mensch ist man eigentlich gut beraten, sich von all dem fern zu halten. Wir passen da nicht hin. Wobei natürlich das Faszinosum bleibt und die Anziehungskraft gemischt mit Angst und Schrecken.
 

Mir schien es so, als würde uns die Darbietung der neuen Platte Opus ein wenig nach Fairy entführen, ohne dass wir uns den normalerweise damit verbundenen Gefahren aussetzen mussten. Ein Stück wurde der Vorhang zwischen den Welten gelichtet, der Blick geweitet und Möglichkeiten spürbar, die nicht ganz von dieser Welt schienen. Nicht Märchen Eiapopeia, sondern viel Ringen und Auseinandersetzung. Aber selbst darin war eingeschrieben, dass wir nur fasziniert und ohne Angst und Schrecken zuhören konnten. Die Musiker gaben alles, es floss Schweiß in Strömen, es flogen glückliche Blicke, manchmal war die Konzentration förmlich greifbar. Aber all das gelang so wunderbar, dass es ein großes Fest der Lebensfreude wurde.
 

Nach der Pause gab es noch Musik vom Album Lux, die mir inzwischen so ans Herz gewachsen ist, dass ich Passagen im Kopf mitsingen kann und natürlich noch ein paar Reißer, ein wenig abschütteln der Kopfarbeit vom ersten Teil und da war es wirklich schwierig, auf dem Stuhl sitzen zu bleiben. Als Zugabe wurden wir dann wohlkalkuliert mit Lumir (dem Stück mit dem Kunstworttitel aus finnischem Schnee und russischem Frieden) wieder befriedet und mit ruhigerem Herzschlag heimgeschickt.
 

Das Publikum bestand zu einem guten Teil aus Leuten, die schon Konzerte von Afenginn erlebt hatten und deshalb hoch gespannt und vorfreudig waren. Sie alle wurden nicht enttäuscht. Im Gegenteil, es gab restlos begeisterten Applaus, viele viele Käufe in der Pause und nach dem Konzert und auch viele persönliche Dankesworte für die Musiker.
 

Nun bin ich gespannt, wie es heute Abend mit meinem Konzertweihnachtsfest und dem Konzert von Árstíðir weitergehen wird. Ich klopfe dreimal auf Holz, dass es mit der Zugfahrt klappt. Wenngleich Esslingen näher als Wiesbaden ist, macht es die Bahn doch (von Karlsruhe aus gesehen) zu einem Ort hinter den Bergen bei den sieben Zwergen und legt auch noch Schienenersatzverkehr zwischen Pforzheim und Karlsruhe auf die nicht einmal 100 km Entfernung.
 

Setlist:
01: Intro
02: Burdrone
03: Guzzy
04: Luna Televisio
05: Quicksilver
06: Plantaris
07: Lentoperho
08: Vespersons
09: Tabbouleh Rasa
10: Rasendé Tabul
11: Ether
12: Akkapolska


- Pause -


13: Lux
14: Paxima
15: Kostbar
16: Iguana Segregatis
17: Perky Pearl
18: Tattar Humppa

19: Lumir (Z)
 


Tourdaten

22.04. Wiesbaden Walhalla Spiegelsaal
23.04. Geislingen Rätschenmühle
24.04. Konstanz Kulturzentrum K9
27.04. Waldshut-Tiengen ALI Theater
28.04. Augsburg  Kulturhaus Kresslesmühle
29.04. Dresden  Dreikönigskirche
02.05. Berlin  Roter Salon / Volksbühne
03.05. Hamburg  kukuun
04.05. Bremen Sendesaal
05.05. Bielefeld Neue Schmiede Bielefeld


Noch mehr Fotos sind hier


Aus unserem Archiv:
Afenginn, Karlsruhe, 02.02.13
Afenginn, Riehen, 08.07.15

 

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