Freitag, 12. August 2011

Yuck, Anna Calvi etc., Haldern, 11.08.11


Konzert: Yuck, Julia Marcell, Anna Calvi
Ort: Haldern Pop Festival
Datum: 11.08.2011
Zuschauer: volles Spiegelzelt, wie bei allen Konzerten da
Dauer: jeweils etwa 40 min


Werde ich mit zunehmendem Alter zynisch? Kritischer? Oder habe ich mir wie befürchtet mit überragenden Festivals im Ausland (Latitude, Bowlie 2, Primavera) ein für alle Mal alles andere versaut? So wie der 1. FC Köln Ende der 80er Jahre eigentlich die Profimannschaft hätte abmelden müssen?

Oder habe ich mir schlicht in den letzten Wochen das Lineup des diesjährigen Haldern Festivals schöngeredet? Schließlich hatten die meisten meiner Musikfreunde mit Hinweis auf das Programm abgesagt. Hmmm...

Am ersten Tag war die Quote noch gut: dreieinhalb Konzerte hatte ich Donnerstag gesehen, eines war sehr gut, eines mies, eines überragend, das halbe hochinteressant, nach einer Weile aber des Reizes beraubt und nicht mehr spannend.

Mit dem guten fing es an: mit Yuck aus London - und damit bestätigten die Briten den guten Eindruck, den sie bei mir beim Primavera Festival im Mai in Barcelona hinterlassen hatten. Yuck klingen nicht originell, sind keine hippe Band, die alles neu und aufregend macht. Sie klingen viel mehr nach Bands wie Sonic Youth oder Galaxie 500, manchmal nach den Pixies (nach dem Bass der Pixies, um genau zu sein). Auch bieten die Engländer keinerlei Bühnenshow, von Sänger Daniel habe ich zig Fotos gemacht, auf allen hat er den exakt gleichen gelangweilten Gesichtsausdruck. Aber das alles ist egal. Hip ist doof, Yuck waren es nicht! In ihren knapp 40 Minuten spielten sie einiges von ihrer gleichnamigen Debütplatte und zwei hörenswerte B-Seiten (Milkshake und The base of a dream is empty), die es beide guten Gewissens auf Yuck hätten schaffen können.

Obwohl es im Zelt unerträglich heiß und stickig war, und einige Idioten das durch Dauerrauchen noch etwas stickiger machten, war der Auftakt sehr gelungen!

Setlist Yuck, Haldern Pop Festival:

01: Holing out
02: The wall
03: Shook down
04: Georgia
05: Suicide Policeman
06: Milkshake
07: Get away
08: The base of a dream is empty
09: Rubber

Nach Yuck kam mit Julia Marcell eine polnische Band, über die man eigentlich viel schreiben müsste. Weil Sängerin Iwona Bieleka aussah, wie die nächste Frau von Lothar Matthäus, weil der Auftritt auch als moldawischer Beitrag für einen kommenden European Song Contest durchgegangen wäre oder weil man dann diskutieren könnte, warum die vielen Vertreterinnen des gerade angesagten Musikgenres "melodramatische Frauenbands mit Stich ins Operettenhafte" meist nicht gut klingen (Ausnahme Austra). Aber man muß ja nicht über alles schreiben.

Denn anschließend folgte ja auch das Konzert des ersten Abends: das der Engländerin Anna Calvi!

Es gibt viele Dinge, die ich auf Bühnen verachte, am wenigsten ertrage ich allerdings Bluesrock, Gitarrensoli, Rockstargesten - und andere widerliche Überbleibsel der 70er Jahre. Zu dumm, daß Anna Calvi all dies perfekt beherrscht. Schon beim ersten Stück, zu dem sie noch alleine auf der Bühne erschienen war, riß sie den Gitarrenhals in alle erdenklichen Richtungen, während es blueste und ihr Instrument aufheulte. Blöderweise war das Ergebnis dieser Bemühungen aber alles andere als fies; Rider to the sea (!) war ganz im Gegenteil faszinierend gut, obwohl das Lied ein einziges Gitarrensolo ist. Anna Calvis eindrucksvolle Stimme trat beim folgenden Suzanne and I erstmals auf, damit wurde das Konzert richtig gut.

Anna Calvi mit Bluesrock zu verbinden, geht in die falsche Richtung. Mich erinnerten ihre schwermütigen Melodien an die Last Shadow Puppets, also auch an Scott Walker, an Lee Hazelwood und ähnliche, herrlich altbacken, nach Sonntagmorgen klingende Musik. Passenderweise hatte die bei Domino unter Vertrag stehende Engländerin zwei Cover im Programm, die dies merklich unterstützten: das Elvis Cover Surrender und Jezebel, mit dem Edith Piaf einen großen Erfolg hatte.

Mit vielem, was uns heute als angeblich innovativ verkauft wird, kann ich immer weniger anfangen. Die Antlers am Freitag waren beispielsweise langweilig und unoriginell, bei James Blake heute wird es mir ähnlich gehen, Julia Marcell hatte ich erwähnt. Die besten Auftritte des ersten Abends waren die, die eigentlich altbacken klangen.

Aber noch einmal zurück zu Anna Calvi: der Auftritt der kleinen Musikerin dauerte gerade mal 35 Minuten, das einzig kleine Manko, spielte aber damit den Großteil der anderen Bands an die Wand. Viel Besseres wird auch am dritten Tag nicht mehr folgen, am Freitag kam nichts an ihren Auftritt ran.

Beste Lieder: Blackout (grandioser Rhythmus!), Desire und Love won't be leaving!

Setlist Anna Calvi, Haldern Pop Festival:

01: Rider to the sea
02: Suzanne and I
03: Blackout
04: I'll be your man
05: First we kiss
06: Surrender (Elvis Presley Cover)
07: Desire
08: Jezebel (Wayne Shanklin)
09: Love won't be leaving

Nach Anna Calvi folgte mit wahnsinniger Verspätung vom Zeitplan noch ein Hingucker, das Brandt Brauer Frick Ensemble. Eineinviertel Stunden später als geplant traten die Berliner schließlich auf, bei der Planung der Umbaupausen hatte man wohl sehr optimistisch gerechnet (schon auf Julia Marcell warteten wir bei brütender Hitze ewig). Der Aufbau der vielen klassischen Instrumente für die Berliner Technokombo erforderte dann zu nachtschlafender Zeit noch einmal einen ordentlichen Aufschlag. Das sollte sich aber lohnen. Brandt Brauer Frick machen fast ausschließlich mit Orchesterinstrumenten elektronische Musik. Wäre das Zugucken dabei nicht so faszinierend, hätten die Lieder selbst für mich keinerlei Reiz. Das war auch der Grund dafür, warum es schnell öde wurde. Wenn der Entstehungsgag einmal verarbeitet ist, wird es schnell belanglos, darüber retten auch die Effekte nicht hinweg.

Das Berliner Trio hatte eine Konzertharfe, drei Pauken, einen Flügel, Cello, Geige, zwei Vibraphons (phone?), Posaune und Tenorhorn (oder Tuba?) aufgebaut, mit dem es elektronisch klingende Tanzbeats erzeugte. Der Hornist zum Beispiel blies beim ersten Stück nicht in sein Mundstück, er klopfte darauf. Wieviel dabei Gag ist, und ob es dafür nicht auch eine handlichere Trompete getan hat, kann ich nicht beurteilen, es sah aber aufregend aus. Und so war die gesamte Instrumentierung. So wie Depeche Mode in den 80er Jahren mit einem Vorschlaghammer auf Autos schlugen, um Geräusche zu erzeugen, zweckentfremden Brandt, Brauer und Frick eben klassische Instrumente. Faszinierend! Allerdings geht aber eben auch nach ein, zwei Liedern die Luft raus, insbesondere tief in der Nacht.




6 Kommentare :

Christoph hat gesagt…

Das ? Lied war The base of a dream is empty.

Dirk hat gesagt…

Wenn Anna Calvi das "alles überstrahlende Konzert" gewesen ist, dann bin ich froh zu Hause geblieben zu sein.
;-)

Christoph hat gesagt…

Ich mag keinen Blues, Dirk, das weißt Du. Anna Calvi war aber ganz hervorragend! Kurz und knackig, mit irre guter Stimme!

Simon hat gesagt…

Da kam das Haldern ja dies mal nicht gut weg!
Zum Brandt Brauer Frick Ensemble: wenn du beim Klopfen aufs Mundstück einen tiefen Ton erreichen willst, dann taugt eine Trompete herzlich wenig. Je größer das Instrument ist, umso tiefer wird der Ton. Das liegt eben einfach in der Natur der Sache. Aber generell muss ich Dir bei dem Ensemble recht geben, hat man einmal durchschaut wie ein Lied aufgebaut ist, klingen sie doch alle recht ähnlich.

Jekaterina hat gesagt…

Vielleicht hättest du dir am Donnerstag nicht nur die BBC Hypes anschauen sollen, Ben Howard war zum Beispiel großartig und auch Retro Stefson waren trotz Walddorfschulen-Bühnenshow eine angenehme Abwechslung zu den melodramatischen Sängerinnen. Ich persönlich fand allerdings auch, den Donnerstag am schlechtesten. Das lag aber vor allem an der Organisation des Donnerstags. Anna Calvi fand ich eher belanglos, aber ich mag die Musik auch einfach nicht.

svenno hat gesagt…

Mit dem zu Yuck Geschriebenen triffst Du es ziemlich gut. Obwohl ich den Auftritt im Kölner Underground Anfang des Jahres besser fand. Highlights des ersten Tages waren für mich aber eindeutig Ben Howard und die Avett Brothers. Ben Howard hatte eine unglaubliche Inensität und Musikalität. Und die Avett überzeugetn mit druckvollem Country (wenn man das so nennen kann), einer starken Bühnenpräsenz und tollen Gesangsharmonien. Vorher haben Retro Stevson mit dem Animateur auf der Bühne richtig Spaß gemacht. Eine wunderbare Eröffnung des Festivals, die einfach gute Laune gemacht hat. Für zu Hause ist das aber nix:-)

 

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