Konzert: Thomas Mery, Suzanne The Man, Julien Pras, Nestor Is Bianca
Ort: Les Troix Baudets, Paris
Datum: 09.01.2010
Zuschauer: etwa 100
Konzertdauer: insgesamt über 3 Stunden
Living In The Ice Age sangen Warsaw schon im Jahre 1977 und selten passte dieser Titel, der auf dem Weg auf meinem Kopfhörer läuft, besser als in diesen ersten Januartagen 2010. Mann ist das grimmig kalt, brr! Natürlich sehen die Pariser nicht aus, wie die Leute auf den ersten Seiten der Bild Zeitung, wo auf reißerische Weise Männer abgebildet werden, denen der lange Bart weiß eingefroren ist, als seien sie gerade auf einer Expedition durch die Antarktis, aber das Gesicht vor den eisigen Winden zu schützen, ist auch an der Seine-Metropole angesagt.
Wie wärmt man sich da am besten auf? Geht man in einen der unzähligen liderlichen Sexshops, die es in der Pariser Pigalle-Gegend gibt, wie Schuppen auf den Haaren? Oder lässt man sich lieber von melancholischer Musik berieseln, die im altehrwürdigen Trois Baudets gespielt wird? Ich entscheide mich ohne lange zu überlegen für die zweite Alternative, muss aber vor lauter Sexshops, die meinen Weg pflastern, aufpassen, dass ich nicht an dem Theater vorbeilatsche.*
Im Trois Baudets angekommen, sehe und höre ich noch die letzten zwei Lieder des Franzosen Thomas Mery, der als erster von insgesamt vier Künstlern auf die Bühne geschickt worden war. Irgendwie muss ich an den Spruch von Christina denken, die einmal äußerte, daß alte Männer, die traurige Lieder alleine auf der Akustikgitarre vortragen, nichts für sie seien, aber so richtig passt dieses Statement hier nicht. Denn Thomas Mery macht zwar in der Tat seit 10 Jahren Musik und hat damals mit einer Band und nun solo schon einige Alben veröffentlicht, aber alt ist er natürlich nicht. Außerdem mag ich traurige Akustikmusik. Könnte ich Gitarre spielen und singen, ich würde auch Klagegesänge darüber anstimmen, daß meine rechte Schulter seit Jahren höllisch schmerzt. "This fucking pain, I can't stand it any longer", so etwas ähnliches würde ich vermutlich singen. An Klagegesänge erinnern auch die Chansons von Thomas. Aber seine in moll gehaltenen Kompositionen werden nie laut, nie aufdringlich. Stattdessen herrscht eine kontemplative, nachdenkliche Atmosphäre. Er singt auf französisch und englisch, manchmal, wie bei seinem letzten Lied, bei dem er von einem Klarinettisten bekleidet wird, sogar beides gleichzeitig. Ich mag den Singer/Songwriter, seine Lieder haben trotz der traurigen Atmosphäre etwas Tröstliches.
Im Anschluß sind zwei Frauen am Start. Suzanne Thoma und ihre Cellistin Sonia Cordier. Gemeinsam nennen sie sich Suzanne The Man. Die beiden habe ich Ende 2009 schon einmal gesehen und war sehr angetan. Auch heute abend gefällt mir das gut halbstündige Set ausgezeichnet. Suzanne verfügt über eine wunderbare Folkstimme mit leicht jazziger Note und ein feines Guitarpicking und die Cellistin spielt einfach traumhaft schön und besticht durch tolle Backgroundgesänge. Alles hier ist harmonisch, gediegen, voller Klasse und Anmut. Die perfekte Musik für einen kalten Winterabend, vor allem wenn man sie wie im Trois Baudets in einem unglaublich bequemen roten Sessel genießen kann. Fehlt eigentlich nur ein Glas Rotwein und ein knisterndes Kaminfeuer und der Himmel auf Erden wäre perfekt! Aber auch ohne Wein und Feuer ist das Ganze berauschend. Die beiden spielen Stücke, die demnächst auf einem Split-Album namens Let's Burn erscheinen werden. Mein Favorit darauf wird Leaves Clap Your Hands sein, auf dem die samtweiche Stimme von Suzanne besonders gut zur Geltung kommt. Aber auch How The Owl Sang Last Night ist traumhaft schön und ich würde mich sehr wundern, wenn die charmante Französin mit dem internationalen Hintergrund (Mutter Kanadierin, Vater Österreicher) nicht noch wesentlich bekannter würde.
Als dritter geht Julien Pras ins Rennen. Noch so ein alter Mann mit traurigen Songs auf der Akustikgitarre. Ach Quatsch! Ich kannte ihn bisher nicht. Denke ich zumindest. Erst hinterher erfahre ich, daß er vorher Sänger bei der famosen, aus Bordeaux stammenden Band Calc war, von denen ich CDs besitze. Platt formuliert ist Julien Pras die französische Antwort auf Elliott Smith. Die Ähnlichkeit der Stimmen und des Gesangsstiles ist verblüffend. Und Julien entpuppt sich erfreulicherweise nicht nur als schwacher Abklatsch, des Amis, sondern begeistert mich mit seinernzerbrechlichen Titeln und seinem guten Gitarrenspiel. Songs wie The Sweets Fall hätten auch auf XO oder Either/Or drauf sein können, aber da der einzigartige Elliott leider tot ist, nehme ich die Sachen von Julien sehr gerne als Ersatz. Eine tolle Entdeckung! Franzosen, die 2010 auf ein Konzert von Emily Jane White gehen, werden ihn bald im Vorprogramm genießen dürfen, sein Album Southern Kind Of Slang wird am 1. März erscheinen.
Am Ende spielen dann noch Nestor Is Bianca, aber da fallen mir fast schon die Augen zu. Eigentlich schade, denn die mehrköpfige französische Band hat ihren ganz eigenen Stil, mit Saxophon/Klarinette, einem alten analogen Keyboard aus den 70ern und Anleihen an Free/Jazz, Noise und Postrock.
* nicht weil ich in so einen liderlichen Schuppen reinwill, sondern weil ich bewußt geradeaus gucke, um die fiesen Dinger und die Animiertypen davor nicht zu sehen. Deshalb die Gefahr, am Trois Baudets vorbeizulaufen...
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