Samstag, 9. Mai 2009

Ora Cogan, Paris, 08.05.09


Konzert: Ora Cogan

Ort: Ein Wohnzimmer in Paris, Oliver Peel Session # 4
Datum: 08.05.2009
Zuschauer: 18 + 1 Katze
Konzertdauer: 1 Stunde



"Seriously?"

Aber natürlich war ich "Seriously" und meinte das mit dem Wonhzimmerkonzert ernst! Mir persönlich stellte sich eher die Frage, ob Ora Cogan die Sache "seriously" meinte.

Nach dem wundervollen, aber leider sehr dürftig besuchten Konzert der Kanadierin im Konzertsaal Mains D'Oeuvres, das am 7. Mai in Saint Ouen vor den Toren von Paris stattgefunden hatte, kam ich mit der Singer/Songwriterin am Merchandising Stand ins Gespräch. Sie schien recht zerknirscht und enttäuscht zu sein, äußerte sich unzufrieden hinsichtlich Tonqualität des Sounds und war traurig, daß nur so wenige Leute zugehört hatten, als sie ihre betörend schönen Folksongs alleine auf ihrer Gibson vortrug. "That's because I'm not famous", folgerte sie sogar desillusioniert.

Das zog mich regelrecht runter, denn ich persönlich war hingerissen von der Purheit und Serenenhaftigkeit ihrer wunderschönen Stimme, ihrem dezenten, aber effizienten Gitarrenspiel und von ihren intelligenten und reifen, sehr persönlichen Texten.

"Willst Du nicht in meinem Wohnzimmer spielen?", hörte ich mich selber sagen und ärgerte mich innerlich fast ein wenig über meine gewohnt forsche und direkte Art. Du kannst doch nicht eine Künstlerin, die einen randvollen Konzertterminkalender hat und demnächst in ganz Europa (inklusive Deutschland, Skandinavien, etc) auftreten wird, mit so etwas belästigen, ermahnte ich mich selbst. Wie würde die Angesprochene reagieren? Zunächst blickte sie verlegen nach unten und sagte ein paar Sekunden nichts. Kein gutes Zeichen, oder?! "How much time do you need to prepare such a session in your living room?", fragte sie aber plötzlich. Ich war wie vom Blitz getroffen, denn erstens dachte ich an eine solche Geschichte terminlich erst im Falle ihrer späteren Wiederkehr nach Paris (also in etwa im Herbst) und zweitens wußte ich, daß unsere Wohnung ziemlich chaotisch aussah und der Kühlschrank gähnend leer war. Was sollte ich jetzt sagen? Ich konnte doch keinen Rückzieher machen, wenn sie Bereitschaft zeigte, das Abenteuer einzugehen. Ich notierte ihr meine Adresse und sie kritzelte auf einem winzigen Fitzelchen Papier ihre Telefonnummer.

Meinerseits gab es jetzt kein zurück mehr, denn wenn ich so etwas in Aussicht stelle, dann will ich es auch durchziehen! Scheißegal war in dem Moment dann auch, daß ich eigentlich am 8. Mai Konzertticktes für 65daysofstatic in der Pariser Maroquinerie hatte, die mir letztes Jahr mit einem fulminanten Radio Protector das Livelied des Jahres beschert hatten. Weniger egal war mir allerdings, ob meine Frau am Freitagabend überhaupt da war. Ich brauchte sie unbedingt für die anfallenden Vorbereitungen!

Beim Verlassen des Mains'Oeuvre verabschiedete ich mich noch einmal von Ora und den Mädels der Summery Agency, die nicht nur Ora, sondern auch andere tolle Künstler früh nach Paris und ganz Frankreich geholt haben (Samamidon, Anathallo, Crystal Stilts, The Pains Of Being Pure At Heart, etc.). "See you tomorrow!", rief ich ihnen zu. So recht wollte ich es trotzdem noch nicht glauben...

Zu Hause angekommen, weckte ich erst einmal mein Frauchen. "Cécile Du musst mir morgen unbedingt helfen, eine Sängerin wird in unserem Wohnzimmer auftreten , alleine schaffe ich das nicht!" - "Was morgen schon?", schrie sie plötzlich hellwach. "Ja, morgen", sagte ich kleinlaut...

Ich persönlich musste aber erst einmal E-mails an Freunde und Bekannte verschicken, um ein paar Leute zusammenzubekommen. Selbst bei längerer Ankündigungszeit ist das oft verdammt schwierig, da die meisten immer verflixt gute Ausreden haben, um ihre Abwesenheit zu rechtfertigen. Vor allem aber: Was ist wenn die Leute antanzen und die Sängerin nicht kommt? "Sie kommt!", versicherte mir Folkfreak Mika, "sie hat den Termin noch mitten in der Nacht auf ihrer MySpace Seite eingetragen." Tastächlich: Ora Cogan, 8. Mai: Paris, House Show!, war dort zu lesen.

Um 19 Uhr holte ich die brünette Frau wie geplant in der Nähe der École Militaire ab. Sie saß im Park bei der Reiterstatue und genoß die herrliche Abensonne und den Blick auf den Eiffelturm. Mir fiel ein Stein vom Herzen, sie war tatsächlich gekommen! Ich hatte den ganzen Tag gerödelt, mächtig schwere Einkaufstüten durch die Gegend gebuckelt, mir fast den Rücken ruiniert, aber als sich sie sah, war das alles vergessen...

In der Wohnung angekommen, machte ich sie mit der Umgebung und meinem schönen Kater vertraut, um sie ein wenig aufzulockern und die Nervosität zu senken. Meine Frau hatte ganze Arbeit geleistet, der Tisch war randvoll mit belegten Sandwiches bestückt. Jetzt fehlten nur noch die Gäste und das Wichtigste: Die wunderbare Gibson Gitarre von Ora. Céline sollte sie mitbringen. Aber Céline ließ auf sich warten. Zum Glück trudelte sie aber doch irgendwann mit dem edlen Teil ein, war aber dennoch alles andere als relaxt, denn sie litt deutlich sichtbar unter einer Katzenallergie! Der Charme von Spontanevents! Wie sollte ich auch vorher mögliche Allergien meiner Gäste abklären?

Unter dem Gesichtspunkt "der Charme von Spontanevents" war dann auch die Tatsache zu verbuchen, daß der Verstärker knarzige Geräusche von sich gab. Angeblich war die Steckdose schuld, das Problem konnte aber nicht behoben werden, weil wir niemanden mit abgeschlossener Elektrikerausbildung unter den Gästen hatten.

Das knackende Geräusch sollte also das gesamte Konzert von Ora begleiten, aber die Künstlerin war so liebenswürdig, sich nicht über diese technischen Unzulänglichkeiten zu beschweren. Musiker sind Perfektionisten, daß weiß man und ich bin sicher, daß es für Mademoiselle Cogan sehr störend war. Für mich hatte das gelegentliche Knistern und Knartzen aber etwas von einer alten Grammophonaufnahme oder auch einer Vinlyplatte und irgendwie passte das seltsamerweise hervorragend zu der altmodischen Musik von Ora, die stark von traditionellen Folk-Gospel-und Bluessongs beeinflusst ist.

Wie schon im Mains d'Oeuvre startete sie mit Old Black Swan vom Album Tatter (2006, selfrelease) und alle hörten andächtig zu. Die Disziplin unter den Gästen war vorbildlich und man schenkte den melancholischen Gesängen von Ora die verdiente Aufmerksamkeit.

Schon ab Lied Nummer zwei gab es dann die erste von insgesamt vier Coverversionen (wenn man die Traditionals als Cover gelten lässt). Sie stammte von Sister Rosetta Tharpe (1915-1973), einer legendären amerikanischen Blues/Soul und Gospelsängerin, auf die ich in den letzten Jahren durch ein Lied der Noisettes gestoßen bin (Sister Rosetta).

Die Auswahl eines Stückes von Sister Rosetta machte deutlich, daß Ora Cogan stilistisch nicht nur in der Folkecke zu verorten ist, sondern daß bei ihr auch eine ganze Menge Blues,- Jazz und Soulelemente einfließen. Letztlich macht sie schlicht und einfach zeitlose Musik.

Deshalb fügte sich auch das klassische Songmaterial problemlos in ihre eigenen Kompositionen ein, auch die später performten Traditionals In The Pines und Katie Cruel wirkten keineswegs fehl am Platze. Ersatunlich, daß eine so junge Künstlerin (27 Jahre alt), eine solche reife Musikkultur hat! Wahrscheinlich liegt es auch daran, daß das Haus ihrer Eltern in Kanada als Aufnahmestudio genutzt wurde und dort ständig Musiker ein - und aus gingen. Schon mit zwölf Jahren soll Ora auf der Bühne gestanden haben. Diese Reife zeigt sich auch in ihrem Songwriting, in dem es textlich um Heimatlosigkeit, unglückliche Liebe, mutterlos aufgewachsene Kinder, Einsamkeit und andere ernste Themen geht. Mit Sicherheit ist vieles davon autobiografisch, denn sie zog mit 17 Jahren zu ihrer Großmutter nach Israel, wo ihre Eltern her stammten, verließ aber das unsicher gewordene Land bald schon wieder, um auf eigene Faust durch Griechenland und andere Länder Europas zu pilgern, immer die Gitarre unter dem Arm. In dieser Zeit ist sie regelmäßig in Pubs aufgetreten, um sich durchzuschlagen. Ein bewegtes, sicherlich nicht immer leichtes Leben!

Während der Zeit ihrer Tingeltour enstand das Songmaterial für ihre erste EP Sparrow (2005), heute aber kamen wir bereits in den Genuß eines neuen Songs, der auf dem 3. Album von Ora Cogan enthalten sein wird. Von dem aktuellen, zweiten Werk Harbouring spielte sie hingegen recht wenig, mit dem traumhaften My Belle zelebrierte sie aber einen der schönsten Titel des Albums. Und als Zugabe spendierte sie mit Vatican City sogar auf meinen dringlichen Wunsch meinen persönlichen Lieblingssong des Albums. Ihr Stimme war so klar und rein wie ein Gebirgsfluss und das Gitarrenspiel melodisch und melancholisch gleichzeitig. Mit einer ganz subtilen Gestik entlockte sie ihrer Gibson mystische und dramatische Töne, die jetzt schon nicht mehr aus meinen Gehörwindungen wegzudenken sind. Hinzu kam ihre verträumte Mimik, ihr weltentrückter Blick beim Singen, ihre ganze Hingabe und Zartheit.

Eine ganze Stunde Ora Cogan im heimischen Wohnzimmer, eine trauhafte Session, die auch die bisher längste war.

Mein herzlicher Dank gilt natürlicht Ora, aber auch den Mädels von der Summery Agency, den aufmerksamen Zuhörern und meinem Kater D'Artagnan, der sein ansonsten omnipräsentes Gemautze für eine ganze Stunde unterdrückt hatte.

Gelegenheit die Künsterlin live zu erleben, gibt es demnächst reichlich.Macht davon Gebrauch und seid gastfreundlich zu dieser warmherzigen, sensiblen Person! Sie ist mir jetzt schon sehr ans Herz gewachsen und gibt soviel Wärme und Liebe an ihr Publikum zurück.


Konzerttermine Ora Cogan:

09.05.2009: FFUS, Stuttgart
10.05.2009: Kafe Kult, München
12.05.2009: Garnison 7, Wien
13.05.2009: Klub 007, Prag
14.05.2009: Eszeweia, Krakau
17.05.2009: Valentin Stüberl, Berlin
18.05.2009: NBI (mit Au), Berlin
19.05.2009: NBI (zusammen mit Au), Leipzig
20.05.2009: Hasenschaukel, Hamburg
22.05.2009: Festival Of Endless Gratitude, Kopenhagen
23.05.2009: Krets, Malmö
24.05.2009: Röhsska Musset, Götheburg
25.05.2009: Landet, Stockholm
31.05.2009: De Bliksem, Den Helder
01.06.2009: SUB071, Leiden

Hier gibt es ein erstes Livevideo von Rockingparis. Ora Cogan spielt ein Cover von Gilian Welch. Merci, Angelo!

Setlist Ora Cogan, Oliver Peel Session, Paris:

01: Old Black Swan
02: Heavenly Rest (Sister Rosetta Thorpe)
03: Daisy
04: The Great Grandfather (Bo Diddley)
05: New Song
06: Broke
07: My Belle
08: The Way
09: Katie Cruel (Traditional)
10: In The Pines (Traditional)
11: Heavenly High
12: Sugar Baby

13: Vatican City

Videos: Ora Cogan live: Where Did You Sleep Last Night? (eigentlich In The Pines) Old Black Swan (miese Bildqualität, aber der Ton ist durchaus passsabel); Feeling Lost; live in Spanien, da stimmen Bild und Ton, empfehlenswert.



1 Kommentare :

E. hat gesagt…

sehr schön beschrieben! toller einsatz, der offenbar ausgiebig belohnt wurde. gratuliere! heute spielt sie bei uns und ich habe noch keinen plan.

 

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