Konzert: Yo La Tengo
Ort: Le Trabendo, Paris
Datum: 11.09.2007
Zuschauer: ca. 700 ( fast ausverkauft)
Ort: Le Trabendo, Paris
Datum: 11.09.2007
Zuschauer: ca. 700 ( fast ausverkauft)
"Qui cherche des places?" (wer sucht noch Karten?), vernehme ich aus etlichen Schwarzmarkthändler-Kehlen, als ich mittels Rolltreppe den Ausgang der U-Bahnstation Porte de Pantin erreicht habe. Die Tickets werden mir von den Typen förmlich unter die Nase gerieben, aber ich lehne dankend ab, da ich für "mein" Konzert bereits Plätze habe und ich zu meinem Schrecken bemerke, daß die fleißigen Händler Karten für... Elton John (!) anbieten, der auf dem gleichen Gelände im riesigen Zénith auftreten wird.
Da ziehe ich das mittelgroße Trabendo doch eindeutig vor, vor allem weil dort im Gegensatz zum Zénith kein Schnulzensänger mit häßlichen Brillen auftritt, sondern eine ganz fabelhafte Band: Yo La Tengo! Aber ich muß mich sputen, bin spät dran, da ich dummerweise zunächst mein Ticket zu Hause vergessen hatte und dies erst bemerkte, als ich schon drei Stationen mit der Metro gefahren war...
Glücklicherweise komme ich trotzdem genau rechtzeitig an, die dreiköpfige Band aus New Jersey hat gerade ihr erstes Stück begonnen. Es ist brechend voll im Trabendo, so wie sich das für eine Band dieser Güteklasse auch gehört. Irgendwann schaffe ich es aber dennoch weiter nach vorne durchzudringen und die Hauptakteure des Abends in Aktion zu sehen. Als da wären: Georgia Hubley am Schlagzeug und Gesang, Ira "Ringelshirt" Kaplan, Gesang, Gitarre, Keyboard und der leicht rundliche Bassist James McNew, der gegen Ende gleichzeitig mit Georgia Schlagzeug spielte.
Eine Frau an den Drums zu haben ist ja an sich schon einmal enorm cool, wenn diese dann aber dazu noch so gut und sympathisch wie Georgia Hubley ist, ist das kaum zu toppen! Eine tolle Frau, trotz, oder gerade wegen ihres für die Musikbranche schon fortgeschrittenen Alters!
Auch die beiden anderen Musiker mag ich auf Anhieb (ich sehe Yo La Tengo heute zum ersten Mal!), die haben einfach Charakter und Klasse. Ira ist besonders gut aufgelegt, so fragt er sich beispielsweise irgendwann, ob sie spontan mal eine Cover-Version von Elton John bringen sollten, denn der spielt ja schließlich um die Ecke. "'Rocket Man' wäre vielleicht nicht übel", sinniert der Lockenschopf, verwirft aber die Idee kurzerhand wieder, weil sie dieses Lied nicht auf dem Kasten haben. "Eine klasse Band erkennt man daran, daß sie spontan irgendwas ungeprobt spielen kann, aber so spontan sind wir auch nicht", grinst er vergnügt. Also nichts von Sir Elton heute abend, ist vielleicht auch besser so, zumal Yo La Tengo hochwertigere Cover-Versionen im Repertoire haben. Stattdessen gibt es selbstgemachte Leckerbissen, so zum Beispiel das famose "Stockholm Syndrome", welches nach dem Opener "Barnaby, Hardly Working" angestimmt wird und sofort begeistert aufgenommen wird. Danach gibt es zum ersten Mal Kost von dem letzten Album "I'm Not Afraid Of You And I Will Beat Your Ass", nämlich das psychedelisch angehauchte "The Room Got Heavy", welches nicht auf jedem Konzert zur letztjährigen Tour gespielt wurde. Ohnehin gibt es bei den Amerikanern so etwas wie lustloses Runterspulen einer ewig gleichen Setlist nicht. Wunderbar wird von Konzert zu Konzert gewechselt und gekonnt Neues und Altes bunt durchgemischt. Die positive Überraschung des heutigen Tages gelingt ihnen mit einem traumhaft schönen Lied von ihrem 2003er Album Summer Sun. "Season Of The Shark" heißt dieses Antidepressivum ohne ungewünschte Nebenwirkungen und kann ohne Rücksprache mit dem Arzt bedenkenlos eingenommen werden. Natürlich wird es im Verlaufe des Abends wieder phasenweise deutlich noisiger, manchmal gar punkig ("Watch Out For Me Ronnie"), aber im Mittelteil dominieren die eher lieblichen Stücke. "The Weakest Part" ist eines der Highlights, Georgia singt hier so wunderschön und trommelt so gekonnt, daß ich mir glatt wünsche, daß sie meine Mutter wäre (nun gut, so alt ist sie auch nicht, bzw. ich auch nicht mal so jung und natürlich mag ich vor allem meine eigene Mutter...). Ich komme jedenfalls aus dem Schwärmen nicht heraus und das trotz meines etwas ungemütlichen Stehplatzes neben einem Pfeiler. Zumindest habe ich dort aber gute Gesellschaft, denn Martin, ein sehr netter französischer Bekannter steht neben mir und genießt ebenfalls das tolle Konzert. Neben der starken Musik sind auch noch ein paar lustige Sprüche von Ira genießenswert. "Ihr hattet doch hier in Frankreich vor nicht allzu langer Zeit Wahlen, oder?" - Zustimmung vom Publikum - "aber da wir Amerikaner sind und Amis nun mal nicht wissen, was in anderen Teilen der Welt so passiert, habe ich keinen blassen Schimmer, ob der Premierminister oder der Präsident gewählt wurde." "Und selbst wenn ich es wüßte, könnte ich den Namen eh nicht richtig aussprechen." Die Pariser lachen vergnügt, der Mann hat Humor, zumal Mister Ringelshirt noch hinzufügt: "ich glaube der Kerl versteht sich doch gut mit unserem Herrn Bush, oder?"...
Ob sich Sarkozy gut mit Bush versteht, weiß ich nicht so genau (zumal Nicolas von unserer Angie zur Zeit angeblich genervt ist), aber eins ist sicher: das Pariser Publikum versteht sich gut mit Yo La Tengo und das zu recht. Selten habe ich ein solch abwechslungsreiches und hochkarätiges Konzert gesehen wie heute. Hinzu kommt noch, daß sich die drei "Oldies" (YLT wurde bereits 1984 gegründet) auch körperlich voll ins Zeug legen, vor allem Ira, der in einer Szene wie wildgeworden auf seinem Keyboard abrockt und hierbei zwei schwarze Rasseln in der Hand hält. Beim letzten Lied des offiziellen Teils, "The Story Of Yo La Tengo" ist sein Einsatz gar noch größer, er schleudert seine Gitarre mehrfach knapp über den Boden, zerstört sie aber letzlich nicht, schließlich ist er nicht Jimmi Hendrix...
The "Story Of Yo La Tengo" hat es wirklich in sich, nach einem sehr langen und ruhigen Intro bekommen wir eine 20minütige Noisekeule geboten, die gar nicht enden will. Unter großem Jubel verlässt das Trio schließlich erstmals die Bühne. Natürlich kommen sie zurück, wir sind ja nicht bei den Artic Monkeys und somit geht es erst mal wieder munter weiter. "Kennt ihr noch Sky Dog Records?", will Herr Kaplan wissen. Nur wenige melden sich. "Okay, anyway this is a song published on Sky Dog Records." Leider weiß ich nicht, wie er heißt.* Dafür kenne ich aber die nächste Zugabe "Nuclear War". Die Zuschauer werden aufgefordert den "Yeah-Refrain" zu übernehmen, was sie auch bereitwillig tun. Die Stimmung ist in diesem Moment fabelhaft, wenngleich die meisten Fans aufgrund ihres schon reiferen Alters vorher nicht unbedingt ausgerastet waren. Dann gehen die drei Musiker noch einmal kurz raus, bevor Georgia mit Bierglas in der Hand das wundervolle "My Little Corner Of The World" singt und das Konzert würdig abschließt.
Wow, was für eine famose Band! An diesen Abend werde ich noch lange zurückdenken, da bin ich sicher! Und wer war noch einmal Elton John? Kenn' ich nich, meine Helden heißen Yo La Tengo!
Setlist Yo La Tengo, Trabendo, Paris (in dieser Reihenfolge):
01: Barnaby, Hardly Working
02: Stockholm Syndrome
03: The Room Got Heavy
04: ?
05: Tears Are In Your Eyes
06: Season Of The Shark
07: Weakest Part
08: Mr. Tough
09: I Feel Like Going Home
10: From A Motel 6
11: I Should Have Known Better
12: Watch Out For Me Ronnie
13: The Story Of Yo La Tengo
14: Slow Death (Flamin' Groovies Cover) (Z)
15: Nuclear War (mit Mike Ladd) (Z)
16: My Little Corner Of The World (Z)
* es handelte sich um "Slow Death", ein Flamin' Groovies Cover.
Weitere Fotos gibt es hier
Der Artikel von Eike auf seinem klienicum zu einem Konzert von Yo La Tengo 2006 ist natürlich auch sehr lesenswert!
4 Kommentare :
wunderbare zugaben, wie auch die setlist zauberhaft gestaltet wurde! ich beneide jeden um ein ylt- konzert. die drei hängen sich immer ordentlich rein. freue mich auf den ausführlichen bericht, oliver!
Hallo Eike, da isser der Bericht :-)
Hoffe, er gefällt.
Für Dich habe ich übrigens auch schon wieder ein paar schöne Sachen vorbereitet, schön zu wissen, da Du heile zurück bist aus Bella Italia :-), so kann das Päckchen nach Bayern düsen...
ein wirklich schöner bericht! und alles klingt vertraut.
packerl? *händereib* immer wieder fein! liebe grüße!
Yo La Tengo sind seit 1986 eine meiner absoluten Lieblingsbands. Ich kann gar nicht mehr zählen, wie oft ich sie schon gesehen habe. Kein Getue, kein Gehabe, einfach nur nette Menschen, die tolle Musik machen!
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