Konzert: Orange Blossom Special 19
Ort: Beverungen, Ostwestfalen
Datum: 22. bis 24.05.2015
Dauer: 3 Tage
Zuschauer:ca. 2000 (ausverkauft)
von Claudia aus Stuttgart
2005 bekommen Maggi, Pierce & E.J., eine völlig unbekannte Folkband aus Philadelphia einen Slot auf dem Orange Blossom Special Festival und haben auf der gleichen Tour, noch lange bevor Wohnzimmerkonzerte so schön populär wurden, Wohnzimmerkonzertpremiere in meinem Heim. Zu der Zeit war auch das OBS - zumindest mir - , trotz der damals schon 9. Auflage, kein Begriff, aber durch meine allerersten quasi wildfremden Wohnzimmergäste, die gekommen waren, weil sie die Amerikaner in Beverungen begeistert hatten, wurde mir schon vor 10 Jahren schnell klar, dass das Orange Blossom Special etwas für echte Liebhaber sein musste. Damals vielleicht noch nicht so ganz meine Musikliga, haben sich zwischenzeitlich unser beider musikalische Horizonte deutlich erweitert. Einige Stuttgarter Musikfreunde schwärmen in höchsten Tönen von „ihrem“ OBS und bekommen glänzende Augen, wenn sie davon berichten. Zeit sich also endlich mal mit eigenen Augen ein Bild zu machen.
Mit obligatorischer Campingausrüstung versehen, geht’s als OBS-Rookie über Pfingsten ins Weserbergland, in den Kreis Höxter, von dem ich an diesem Tag zum ersten Mal höre. Ein Kreis den keine bundesdeutsche Autobahn auch nur berührt. Schön ist es hier.
Die Wege kurz. Das Campingareal wahnsinnig idyllisch direkt an der Weser gelegen. Duschen kann man zum Beispiel im Tennisheim, wo einem die akzeptable Anstehzeit durch Nutellabrötchen, Kaffee oder ein erstes Konterbier verkürzt wird. Familiär geht es zu auf dem Orange Blossom, auch im eigentlichen Wortsinn. Es ist ein Generationentreffen wie ich es noch auf keinem Festival erlebt habe. Kinderkopfhörer kann man sich ausleihen und selbst eine große Spielecke für die Kleinen ist eingerichtet.
Auf dem Zeltplatz spielt uns des Nächtens ein bisher unentdecktes 19jähriges Songwritertalent seine Eigenkompositionen nebst ein paar coolen Ärztecovern vor. Dominik ist bereits zum dritten Mal auf dem OBS.
So auch die beiden ebenfalls sehr jungen Mädels, die sich noch dazugesellen. Wir könnten theoretisch fast alle ihre Eltern sein. Aber auch Paare, die deutlich näher an unseren eigenen Eltern dran sind lassen sich nicht davon abbringen jedes Jahr erneut an die Weser zu kommen. Das ergibt tatsächlich eine perfekte Musikliebhabermischung, die vermutlich einmalig ist und die einen guten Teil des Charmes dieses Festivals ausmachen. Die musikalische Mischung ist auch in der Abfolge gelungen. Es ist ganz sicher für jeden etwas Ansprechendes dabei. Man merkt aber auch an jeder Stelle wie viel Liebe hinter der Organisation steckt.
Seien es die jährlich wechselnden Maskottchen, das Motto und das neu vom lokalen Künstler gesprayte Bild am Geländeeingang, sei es bei den persönlichen Ansagen vor jeder Band, dem berühmtberüchtigten auf 3 Abende verteilt erzählten Witz von Macher Rembert Stiewe, den zum Teil an Bastelabenden vom OBS-Team gefertigten Merch für den guten Zweck, den Ladies vom Bäckerstand, der eine Wand des Gartens auskleidenden Bildergalerie und vielem mehr. An der langen Fotowand mit Bildern aus allen 18 Jahren OBS finde ich dann auch tatsächlich „meine“ amerikanische Band wieder.
Den sanften musikalischen Anfang machen am Freitagspätnachmittag Easy October aus Schweden mit hübschen folkpoppigen Songs. Klingt nicht schlecht, ist aber ein bisschen harmlos. Sie kriegen mich zu diesem Zeitpunkt im sonnigen Glitterhouse Garten nicht wirklich, aber sie bekommen nächste Woche in einem Stuttgarter Wohnzimmer auf jeden Fall nochmal eine Chance. Sollte deutlich besser funktionieren.
Mit Tone Catalano und der zierlichen CC Spina aus San Diego betritt als nächstes Little Hurricane die Bühne. Die beiden spielen eigentlich recht klassischen Blues bzw. Rock und machen großen Spaß. Rotzige Männerstimme mit Dirtrockgitarre, perfekt - auch stimmlich - ergänzt vom Californiadarling an den Drums. Frau an den Drums reicht ja schon fast als Hinhörer.
Schön krachig und noch etwas lauter wird es mit Money For Rope. Die fünf Jungs aus Melbourne, Australien haben gleich zwei Drumkits am Start und klingen live mit ihrem Garage Surfrock zehn Mal energetischer als mit ihren eigenen Studioversionen.
Von den beiden Headlinern des ersten Abends bekomme ich nicht mehr sonderlich viel mit. Ausgesprochen nette Unterhaltungen und reichlich Bier drängen AnnenMayKantereit, bei denen ich mich sowieso wundere, warum sie ungelogen auf eigentlich jedem Festival dieses Jahr gebucht wurden und die zarten Klänge von Musée Méchanique in den Hintergrund.
Die rasenden Kopfschmerzen nach einer sehr frischen Zeltnacht an der Weser sind am nächsten Tag nicht ganz unbegründet. Da hilft auch der erste Kaffee zunächst wenig. She Keeps Bees, die ich im Herbst verpasst hatte, leisten mir Gesellschaft und sie machen das so gut, dass Müdigkeit und sonstige Nachwehen ziemlich schnell vergessen sind. Für viele sicherlich das Highlight des Festivals, trotz oder gerade auch wegen Jessica Larabees schrulligen Ansagen zu ungewaschenen Haaren und ausgehender Unterwäsche. Besonders beindruckend die beiden Lieder, bei denen sie ausschließlich mit Gesang beginnt und ganz langsam immer mehr Percussion dazukommt. Und dann bei weiteren Songs die dunklen, tiefen Töne auf der Gitarre, die zum Teil an eine Bassline erinnern. Alles eher reduziert, feines Singer/Songwriting. Erwähnenswert auch die Keyboard- und Gitarren- Liveunterstützung, des eigentlichen Duos aus Brooklyn durch eine recht aparte Französin, die wir letztes Jahr auf dem Maifeld Derby mit ihrem eigenen Projekt Scarlett O’Hanna lieben gelernt hatten.
Die nachfolgenden Husky aus Australien hinterlassen dann keinen bleibenden Eindruck.
Das nächste Brett gibt es von blutjungen Däninnen: Baby in Vain. Ob die überhaupt schon alt genug sind, um ein Bier zu trinken? Zornige Grungegitarren, spannender Noiserock am frühen Nachmittag.
Gleich viel melodischer und harmonischer wird’s mit den bärtigen Hosenträgerträgern aus dem Niemandsland in Kanada oder auch Regina, Sasketchewan namens The Dead South. Banjogeschwängerter moderner Blusgrass schallt durch den Garten und man muss einfach mitwippen.
Rocky Votolato hatte ich vor zwei Jahren nur aus der Ferne hören können, da die Parcour d’Amour-Bühne beim Maifeld Derby wegen Überfüllung geschlossen war. Ich hatte das etwas bedauert, weil sich die paar Takte, die ich damals mitgekommen habe so schön harmonisch klangen. Zu viel Harmonie wird aber auch ganz schnell langweilig und ein ganzes Konzert selbst mit Band hat mich eher weniger begeistert.
Auch die vielköpfigen East Camoron Folkcore zünden bei mir so gar nicht.
Als es dann schon dunkel ist, gibt es wieder etwas für’s Gemüt. Ex-Madrugada Frontmann Sivert Høyem lässt seine epischen Folk- und Rocksongs mit seiner einmalig schönen Baritonstimme erklingen. Das passt ganz hervorragend und ist wunderschön.
Wohl seit einigen Jahren wird ein Überraschungsact ins Lineup aufgenommen und selbst enge Vertraute wissen zunächst tatsächlich nicht, um welche meist nicht völlig unbekannte, aber den Glitterhäuslern eng verbundene Band es sich handeln wird. Häufig kann man aber wohl schon vorher erahnen, wer es sein könnte, weil sich befreundete Musiker des Hauses auch nicht die ganze Zeit in der Glitterhouse Gründerzeitvilla versteckt halten wollen. So war mir am Samstagabend aus recht verlässlichen Quellen bereits zu Ohren gekommen, dass Gisbert zu Knyphausen mit der Kid Kopphausen Band den Sonntagsreigen eröffnen würde. Deutschsprachige Musik ist für mich immer eher eine Gradwanderung, wird schnell belanglos, zu befindlich, peinlich berührend und war schon häufig Diskussionsstoff ohne Einigungspotential. Ein echtes Highlight für mich am deutschen Plattenhimmel war vor bald 3 Jahren Kid Kopphausen. Ich hatte das immer mehr Nils Koppruch zugeschrieben, aber Gisbert zu Knyphausen schafft es auch alleine Schmunzeln und aufsteigende Tränen bei mir hervorzurufen. Vor ein paar Wochen beim Stuttgartkonzert waren die Neuarrangements der Lieder vielleicht noch zu ungewohnt, meine Stimmung wohl auch nicht ganz passend. Ich komme jedenfalls erstmal frischgeduscht und in der Erwartung nicht wirklich etwas zu verpassen ein wenig zu spät zur Matinee im Garten an. 11:50 h ist es da, brechend voll und mucksmäuschenstill. Gisbert und die hervorragende Band haben trotz der für Festivalverhältnisse frühen Stunde totale Lust zu spielen und die Bandarrangements sind beim zweiten Mal Hören großartig. Zum Teil scheinen ganz neue Lieder zu entstehen und für mich ergibt sich einer dieser magischen OBS-Momente, die sich schwer in Worte fassen lassen. "Lieben und lieben und lieben als wär’s das Leichteste der Welt!"
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Gisbert zu Knyphausen |
Extrem charmant waren später noch Charity Children, ein neuseeländisches Pärchen, das seit einigen Jahren wohl überwiegend in Berlin lebt und dort von meinem Lieblingsradiosender Flux-FM auf der Straße entdeckt wurde. Zwischenzeitlich haben sie eine Multikultiband um sich geschart und setzen ihre hübschen Folksongs mit entsprechender Unterstützung großartig auf der Bühne um.
Leider sind die Aufnahmefähigkeiten auch bei einem so angenehmen Festival wie dem OBS, bei dem man nicht von Stage zu Stage hetzen und sich im Zweifel sogar noch zwischen Band A und Sängerin B entscheiden muss, irgendwann erschöpft. Was aber neben Eisessen (sehr leckeres Demeterschafsmilchbauernhofeis), auf der Wiese lümmeln und sich dann doch nicht mehr für Festivalfood begeistern können von Sea Wolf noch bei mir ankommt, klingt so als sollte ich dringend darauf hoffen, sie bald mal wieder live sehen und hören zu können. Wunderbare, unaufgeregte mal ruhige folkigere mal rockigere Sounds der 5 Amerikaner mit der klaren Stimme eines Alex Brown Church sind es, die mich doch nebenbei noch ein wenig in den Bann ziehen können.
Hätte ich mal lieber Kill It Kid ausgelassen.
Wie unterschiedlich die Geschmäcker und Wahrnehmungen sein können zeigt sich als einer der Konzertkumpanen nach dem Auftritt vollkommen enthusiastisch zur etwas weiter hinten stehenden Freundesgruppe gesprungen kommt und sicher ist, dass man von dieser Band wirklich noch viel hören wird. Ich habe meine persönlichen Zweifel. Ich fand die Mischung zwischen simpel gestricktem Stadionrock, abwechselnd weiblicher und männlicher Stimme und ambitionierten Punkblues vollkommen unausgegoren und eher schlecht.
Aber ich wusste ja, dass The Slow Show, die die OBS-Macher ebenso wie ich letztes Jahr beim Haldern Pop entdeckt hatten, die mehr als perfekte Schlussband abgeben würden. Aufgeregt sind sie bei ihrem ersten Headline Slot auf einem Festival. Sänger Rob Goodwin mit seinem einnehmenden und unverkennbaren Bariton bedankt sich nach jedem Lied ausgesprochen demütig beim extrem aufmerksamen Publikum noch bevor die letzten Töne verklungen sind und Applaus einsetzen kann. Dabei machen sie ihre Sache hervorragend und die schönen, sich langsam steigernden Songs passen ganz wunderbar in die Nachtstimmung. Zum Abschluss ist es ein Leichtes den Glitterhouse Garten Chor zur Hookline des wunderbaren God Only Knows zu dirigieren: "Everybody's home ... now!"
OBS, es war mir ein Fest. Wir sehen uns bestimmt wieder. Und dann schaffe ich es auch zu den legendären Aftershowparties in den legendären Stadtkrug. Versprochen.