Donnerstag, 21. März 2013

Enno Bunger, Merlin, Stuttgart


Konzert: Enno Bunger
Vorgruppe: Machete
Ort: Kulturzentrum Merlin, Stuttgart
Datum: 19.03.2013
Zuschauer: ziemlich voll
Dauer: Enno Bunger 89 min, Machete 24 min


von Jens aus Stuttgart


Erinnert sich hier noch irgendjemand an Something Corporate? Meine Ex-Freundin mochte die kalifornische Band, die Anfang der 00er Jahre weichgespülten Pianopop, der jede Schmerzgrenze des guten Geschmacks hemmungslos übertrat. In gewisser Hinsicht erinnert mich Enno Bunger stark an jene unsägliche Band, sodass es nicht verwundern dürfte, dass ich Enno Bunger erst gestern zum ersten Mal live sah. Zu lange wurde auch in meinem Umfeld von den großen Qualitäten des ostfriesischen, studierten Kirchenmusiker und seiner Band geschwärmt, als dass ich unsere erste Live-Begegnung noch länger verschieben könnte. 

Im vergangenen November trug beispielsweise mein guter Bekannter Pele Caster, seines Zeichens Bassist der Kölner Band Klee, bei seinem gemeinsamen Wohnzimmerkonzert mit Ben Schadow bei uns ein Enno Bunger Shirt und sprach in höchsten Tönen von der Band um den mittlerweile in Hamburg ansässigen Sänger und Pianisten. 


Das Merlin ist bereits gut gefüllt, als wir eintreffen. Der Auftritt der Vorband scheint sich zu verzögern. Anders als tags zuvor, eröffnet leider nicht der erwähnte Pele Caster das Konzert, was mich sehr gefreut hätte. Stattdessen werden auf der Homepage des Merlins „Larissa und van Thom“ angekündigt. Dass es sich hierbei um ein Nebenprojekt des Berliner Liedermacher Sven van Thom handeln muss, stand bereits im Vorfeld fest, und tatsächlich betritt dieser um 20.50 gemeinsam mit der blonden Sängerin Larissa die Bühne. Mit angebrachten Gitarreneffekten überzeugt van Thom bereits beim ersten Song „Keine Liebe“, während sich Larissa als durchaus begabte Sängerin beweist. „Das ist Sven und ich bin Larissa“, stellt die Musikerin in schwarz das Bandprojekt kurz vor, „und wir sind Machete“. Der Bandname sei ein langwieriges Problem im Bandentstehungsprozess gewesen, so habe man sich zunächst auf den Namen Ohne Sauerstoff geeinigt, der jedoch wieder verworfen wurde, obwohl er noch auf den ersten CDs stünde. „Frag mich nicht“ und „Ohne dich“ heißen die folgenden Stücke, die beide ein großes Potential besitzen. Als Texter und Sänger ist Sven van Thom, der es mit zwei Singles sogar in die Charts schaffte, ohnehin zu schätzen. „Ihr Vater ist ein Nazi, doch er mag mich“ wird für mich immer einer der nettesten Songs in der zynischen Mitte zwischen Bodo Wartke und Wir sind Helden bleiben. Schade, dass es dieses Stück heute Abend nicht zu hören gibt, aber es handelt sich ja auch um ein anderes Projekt, auch wenn ich denke, dass man ihm zugunsten nicht lieber auf das eher überflüssige „Mad World“ - Cover hätte verzichten können. „Und wenn du mal gehst“ ist dann schon der letzte Song des Abends, Larissa spielt Glockenspiel, beide singen ein klassisches Duett. Danach ist nach fünf Songs und nicht einmal 25 Minuten Schluss. 

Im April kehrt van Thom mit der Blockflöte des Todes und einem weiteren Kollegen als Fünf Füße für ein Halleluja ins Merlin zurück. Ich werde da sein. 

Setlist Machete, Merlin, Stuttgart: 

01: Keine Liebe 
02: Frag mich nicht 
03: Ohne dich 
04: Mad World (Tears for Fears – Cover) 
05: Und wenn du mal gehst 


„Und mit jedem einzelnen Herzschlag fühl ich mich wie neu geboren / Ich hör nur auf das was mein Herz sagt / Und habe alle Angst verloren“. Enno Bunger betreten mit „Herzschlag“ die Bühne, eine ruhig beginnende Nummer, die sich zu einem pathetischen Crescendo steigert, getrieben von einem immer intensiver eingesetzten Schlagzeug. Es ist ein überraschend lautes Konzert, nach den Youtube-Videos rechnete ich mit einem entspannten Klavier-getragenen Popabend. Dass sich diese Vermutung auflöste und in einem echten Rockkonzert mündete, war zunächst irritierend, doch wich die Irritation bald aufrichtiger Anerkennung für den satten Sound der vier Musiker. Enno Bunger, die dreiköpfige Band um den gleichnamigen Sänger, befindet sich auf der letzten Tour als Band, unterstützt werden sie heute Abend von Onno, der bereits auf der TV Noir Tour Ennos mit Me and my Drummer dabei war. Die Energie der Band ist wirklich beeindruckend, auch wenn mir der geschmackvolle Pathos noch nicht richtig gefallen will. 

„Euphorie“ ist mir dann zu viel, zu viel Pathos, zu viel Text, zu viel Sound, zu viel Melancholie. Dass die Musik Bungers so gut ankommt, wundert mich wiederum nicht: Es handelt sich um stivollen, niemals plumpen Pathospianopop, der unheimlich gut inszeniert und umgesetzt ist. Vielleicht ist es tatsächlich die Assoziation mit Something Corporate, die es mir schwerfallen lässt, das Ganze gute zu finden. Warum es mir am Ende des Konzerts doch zusagt, ist nicht ganz leicht zu erklären. 


Zum einen ist es eben die unheimlich harmonisch agierende Band und die Klasse einiger Songs, die über jeden Zweifel erhaben sind. Außerdem ist Bunger zweifellos ein begabter Sänger. „Leeres Boot“, der dritte Song, stellt dann den herbeigesehnten Wendepunkt dar. Ab jetzt macht das, was der Sänger im hellbraunen V-Neck-Wollpullover macht, großen Spaß. Die Songs der beiden Alben sind grundsätzlich gut komponierte Popnummern die Mal an Coldplay erinnern, während die Texte häufig an Jochen Distelmeyers Lyrik erinnern. Hier hat jemand sicherlich viel Blumfeld gehört, vor allem die späteren Jahre. Es folgen „Roter Faden“ und „Astronaut“ vom aktuellen Album „Wir sind raus“, das mich positiv an Elton Johns „Rocket Man“ erinnert, eines der schönsten Lieder aus einer Zeit als dieser noch relevant war. 


Dass Bungers Band im Mainstream angekommen ist, dürfte kaum überraschen. Der Popappeal der Songs ist riesengroß und den unvorstellbar erfolgreichen Konsensradiopopschlager von Rosenstolz bis Unheilig um Lichtjahre überlegen. „Pass auf dich auf“ kann man exemplarisch herausgreifen, möchte man schildern, wieweit die Ostfriesen aus der Welt des Indies tief in die Welt des Radios vorgedrungen sind. Verwendung des Songs in der „Rentnerkrimireihe“, wie Bunger selbst sagt, „Bella Block“, bei Galileo oder die gemeinsame Performance mit einer peinlich-angetrunkenen Ina Müller in „Ina's Nacht“ sprechen Bände. Alkoholselig ist auch der heutige Abend im Merlin. Die Band trinkt Schnaps und Bier, während Enno Bunger sich selbst sympathisch als Hipster-Parodie in Szene setzt: „Yolo!“  

„Ich möchte noch bleiben, die Nacht ist noch jung“ mutiert sofort zum Höhepunkt des regulären Sets, die ehrliche Melancholie lässt alles Prätentiöse hinter sich. Tränen steigen um einen herum in die Augen des weitgehend weiblichen Publikums. Selbst ein störend auffallendes Quartett aus vier Frauen mittleren Alters, die gerne für immer 21 wären und „den Enno“ anhimmelt, schweigt während des Songs. „Wir lächeln und schweigen, / so vertraut und doch fremd, / ich möchte noch bleiben, / für diesen Moment.“ In diesem schweigenden Moment des Lächelns wohnt tatsächlich ein dezenter Zauber Inne und ich kann verstehen, warum so viel so begeistert von Enno Bunger sind. 

Die Zugaben versüßen den Abend endgültig: Zunächst kehren Enno und Bunger alleine auf die Bühne zurück. Während Onno Akkordeon spielt, nimmt Enno gewohnt hinter dem in der Bühnenmitte positionierten E-Piano Platz. „Bitte bleib' bei mir“, der formidable Element of Crime – Song wird ehrlich und vollkommen unprätentiös kredenzt. Die große Bewunderung vor der großartigen Musik und der lyrischen Genialität Sven Regeners nimmt man Enno Bunger vollends ab, während er unübertreffliche Zeilen wie „Wer die Monatskarte hat / Sollte besser nicht am Monatsanfang sterben“ singt. „Wenn ein Fluss kein Wasser führt...“. Eben. Das ist dann die fantastische Hommage an eine der besten Bands, die dieses Land je hervorgebracht hat. Dass die Lyrik Bungers da nicht mithalten kann, steht außer Frage, doch sind die Publikumslieblinge „Abspann“ und „Regen“ hochwertige deutsche Popsongs, wie sie viel zu selten geschrieben. „Wenn man die Augen zu macht, klingt der Regen wie Applaus“. Der Applaus danach ist echt, die Frage, welche Frage der Frosch im Hals hat egal. Es reicht, dass er da ist. Und um auf Something Corporate zurückzukommen. „Was soll ich davon halten, ich weiß es nicht genau“, wie Bunger in „Regen“ singt. Da ist der Vergleich doch eher schief als eben, um es mit Tocotronic zu sagen, und die Klasse eine ganz andere. Man darf gespannt sein, wie Enno das Projekt alleine neu aufstellen wird, ich werde mir auf jeden Fall live ein Bild machen. 

Setlist Enno Bunger, Merlin, Stuttgart: 

01: Herzschlag 
02: Euphorie 
03: Leeres Boot 
04: Roter Faden 
05: Astronaut 
06: Instrumental 
07: Ein neuer Tag (?) 
08: Pass auf dich auf 
09: Für unsere Freundschaft 
10: Hier und jetzt 
11: Ich möchte noch bleiben, die Nacht ist noch jung 
12: Die Ruhe 

13: Bitte bleib bei mir (Element of Crime – Cover) (Z) 
14: Weltuntergang (Z)
15: Abspann (Z)
16: Regen (Z)

Links:

- Enno Bunger im Konzerttagebuch




1 Kommentare :

Julia hat gesagt…

Interessant, hier mal einen anderen Blickwinkel auf das Konzert zu lesen.
Ich fand nämlich, dass die Band zwar harmonisch agiert hat, aber Onno doch leider ein bisschen wie das 5. Rad am Wagen gewirkt hat, weil er irgendwie immer nur zweite Geige gespielt hat. Selbst bei dem Auftritt, als nur Enno und Onno auf der Bühne waren, hat er nur für ne leise Hintergrund-Untermalung gesorgt, nie aber ne tragende Rolle gespielt. Wieso kann man sich denn nich noch ein kleines bisschen was ausdenken, Lieder anders arrangieren, damit es sich auch für Onno lohnt, dabei zu sein. Mir hat er ehrlichgesagt bisschen Leid getan. So richtig glücklich und pathetisch hat er für mich(außer beim Eingangsstück, bei dem er Gitarre spielen durfte) den ganzen Abend über nich gewirkt. Schade.

Zu dem Sound muss ich sagen, dass er mich insofern überrascht hat, weil er wirklich so klar, wie auf dem Album. Hut ab. Auch wenn man sich manchmal schon wünscht, dass die Musiker vielleicht das ein oder andere nochmal anders aufgreifen.

Machete hat mich ehrlichgesagt auch sehr positiv überrascht! Nachdem ich Sven van Thom gesucht habe und fündig wurde konnte ich mir sein Programm und Stil überhaupt nicht zu Enno Bunger vorstellen. Zu viel Kritik und Ironie. Aber das Projekt mit Larissa passte sehr gut rein und ich finde, dass auch die Liedwahl deshalb angemessen war. Und Mad World fand ich ne recht spannende Sache und sie haben meiner Meinung nach was eigenes draus gemacht.


Und vielleicht noch kurz am Rande zur Setliste: "Die Ruhe" könnte "Die Flucht" gewesen sein. Das war das, was mit "Dazu kann man sich auch bewegen" angekündigt wurde. Bin mir aber grade selbst nicht so sicher, wann das im Programm vorkam.
Und "Blockaden" müsste das sein, was du mit nem Fragezeichen versehen hast. Denn im Refrain heißts auch "Ein neuer Tag/ In allen Farben/ Alle Türen stehn weit auf.".

 

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